ProgPower Europe 2005 - Baarlo (NL)

22.10.2005 | 19:06

01.10.2005, JC Sjiwa

Raaah!

Sonntag, 02.10.

THE AURORA PROJECT

Wenn nach einem Konzert sich alle Kollegen darum streiten, das Review über eine Band schreiben zu dürfen, dann muss das Konzert etwas Besonderes gewesen sein. Ich hatte ja schon im Vorfeld den naiven Gedanken, dass eine Band, die mit RIVERSIDE auf Tour geht, nicht schlecht sein kann, und schlecht war sie definitiv nicht. Als erstes fiel die Bühnendeko auf, da flimmerte ein alter Fernseher, flackerten Kerzen (RUSH-Waschmaschinen bleiben aber unerreicht als Bühnendeko!). Zur Musik: Das AURORA PROJECT macht laut Bandinfo "mysterious rock music" oder, man höre, "powerful athmospheric progressive rock" und wird - gähn - mit PINK FLOYD und PORCUPINE TREE verglichen. Nun ja, das ProgPower-Publikum durfte sich durchaus an im Verglich zum Vortag ruhigerem, klassischem 70ies-Prog mit modernen Sounds (man nannte dies auch "Neo-Prog") ergötzen, und ich liebte diese Band spätestens seit den ersten Lead-Gitarren-Tönen, diesen wundervollen, gefühlvollen, warmen Leads, die mich sehr an PENDRAGONs Nick Barett erinnerten. Auffällig war auch der Frontmann der holländischen Band, die sich beim "Magic: The Gathering"-Spielen kennengelernt hat. Erstens hatte er eine lustige Körperbemalung mit schwarzen Rechtecken, und ich glaube, es gibt eine Star Trek-Folge (noch mit gutem altem Spock und Kirk), mit einem "Alien"-Bösewicht, der genauso aussah. Zweitens hatte dieser Mensch eine tolle Stimme, kraftvoll, emotional, ausdrucksstark, und mit dieser hat er so alles, was auf der Bühne rumstand, angesungen. Besonders schön tat er dies bei der für ein Lied auftauchenden Querflötistin, zu der ein Kollege den etwas seltsamen Kommentar "endlich mal 'ne nicht-hübsche Frau auf der Bühne" abgab. Hä? Wie dem auch sei, THE AURORA PROJECT traten für eine Newcomer-Band ohne CD und Vertrag extrem routiniert und souverän auf, ihre Mucke ist orginell und sollte jedem, der RIVERSIDE (und nicht nur die) mag, wärmstens empfohlen werden.
(Thomas Becker)

DYNAMIC LIGHTS

Nach dem fulminanten Gig von THE AURORA PROJECT war ich sehr gespannt, ob die Italo-Proggies das hohe Stimmungslevel halten könnten. Dass das starke Album "Shape" dazu alle Vorraussetzungen besitzt, war mir ja bereits bekannt. Dass sie die Stimmung im Publikum aber gar noch übertreffen würden, hatte ich dennoch nicht erwartet. Dabei unterschied sich das Quintett optisch nicht mal sonderlich von einer chartenden Boyband und sowohl Sänger Matteio Infante, als auch Pianist Giovanni Bedetti könnten bei pubertierenden Teenies wohl den einen oder anderen Kreischanfall auslösen. Davon waren wir beim ProgPower glücklicherweise Meilenweit entfernt. Meilenweit entfernt waren auch und vor allem Pianist Giovanni und Schlagwerker Simone del Pivo. Nämlich über dem genreüblichen Durchschnitt. Und so sorgten sie bei progessiven Sahnekompositionen wie das von Gastsängerin Jamina Jansson glänzend veredelte 'In The Hands Of A Siren' und das knapp zwölfminütige 'One Thousand Nothing' für eine ganze Reihe von Maulsperren. Ganz offensichtlich war das genau das, was das progressive Volk hören wollte.

Tja, und da Sänger Matteo sogar noch besser klang als auf dem Silberling, mit einem Didgeridoo überraschte und mit einer sehr beweglichen, wenn auch extrem theatralischen Show begeisterte, war ein rundum überzeugender Gig perfekt. Anders gesagt, die DYNAMIC LIGHTS waren neben THE AURORA PROJECT die Überraschung des Festivals. Und das sah nicht nur die POWERMETAL.de-Fraktion so, sondern auch das laut feiernde Publikum. Sehr, sehr geil.
(Peter Kubaschk)

CLOUDSCAPE

Dass das ProgPower-Billing nahezu sämtliche Schattierungen von "Prog" bis "Power" (und im Vergleich zur amerikanischen Ausgabe sogar noch überwiegend "Prog") beinhaltete, sprach qualitativ eigentlich für sich, machte es allerdings schwierig, beide Zielgruppen dauerhaft zufrieden zu stellen. Die schwedischen CLOUDSCAPE, die in Baarlo den ersten Auftritt außerhalb ihres Heimatlandes absolvierten, hätten musikalisch besser zum US-Billing mit Bands wie EDGUY und GAMMA RAY gepasst, denen sie auch technisch durchaus das Wasser reichen konnten, wenn's auch an der berühmten Eigenständigkeit noch gewaltig haperte. True Klamotten, extremes Posing und ein Sänger mit typischem 80er-Powermetal-Timbre veranlassten die doch mehr dem "Prog" ohne allzu viel "Power" zugeneigte Redaktion somit zum kollektiven Rückzug in die gemütlichen Kellerräume - schließlich braucht jede(r) mal 'ne Pause.

Im Keller befand sich auch die kleine, aber feine CD-Börse, auf der es sich hervorragend stöbern und mit diesen kleinen Plastikkärtchen bezahlen ließ, die die Pleite zwar zeitlich etwas hinauszögern, das böse Erwachen angesichts des Kontoauszugs bzw. der Kreditkartenabrechnung allerdings umso schlimmer ausfallen lassen. Wer nicht shoppen wollte, konnte nebenan eine Runde Billard oder Kicker zocken oder auf kuschligen Sofas mit einem kühlen oder wahlweise heißen Getränk zum Einheitspreis von ein Euro dreißig je 0,2 Liter in der Hand chillen und sich dabei von Videoclips einlullen lassen. Unvergesslich bleibt der Anblick von drei Jungs, alle mit jeweils einem anderen "Dong Open Air"-T-Shirt, die von der Mattscheibe förmlich hypnotisiert waren und mit ihrem Einheitslook und starren Blick einen recht unterhaltsamen Anblick boten. Dass allerdings unsere Kathy dafür gesorgt hat, dass wir fast ausschließlich mit Nuclear Blast-Bands beschallt wurden, ist ein unbestätigtes Gerücht.
(Elke Huber)

PAGAN'S MIND

Nette Kritiken haben sie bekommen, die mir bislang unbekannten Mannen von PAGAN'S MIND. Einer hat geschrieben, er hört sogar Songs auf dem Niveau von QUEENSRYCHEs "Operation Mindcrime". Deshalb war ich sehr gespannt auf den Auftritt. Nun ja, also mit QUEENSRYCHE hatte die Mucke meiner Ansicht nach sehr wenig gemein, vielleicht ein bisschen beim Gesang. Die Band spielte einen in Zeiten des "Epic Symphonic Hollywood Metal" und des "Psychedelic Progressive New-Artrock" auf dem Papier sehr selten gewordenen Stil, nämlich schnöden Heavy Metal! Mal stampfend, mal schneller mit Doublebass, mal ein Break (für manche sind Breaks "progressiv"), einer schönen VAN HALEN-Gitarre, Mitsingrefrains. Und so halt. Super Sound, tightes Zusammenspiel, gute Musiker. Aber nicht QUEENSRYCHE. Und schon gar nicht "Mindcrime"-Niveau. War mir zu normal.
(Thomas Becker)

WOLVERINE

Auch diese Band, die wohl für regelmäßige ProgPower-Besucher ein schon öfter und wohl gern gesehener Gast ist, war für mich ein noch unbeschriebenes Blatt. Ich hatte nach Recherchen düsteren, mit Death Metal durchsetzten Melancholic-Rock erwartet, aber diese schwedische Band war unerwartet fröhlich rockend. Die in der Bandinfo zum aktuellen Konzeptalbum "Cold Light Of Monday" erwähnte Geschichte um ein missbrauchtes Mädchen konnte ich nun beim besten Willen nicht mit der Musik assoziieren, der blondschöpfige Sänger hat ständig bis über die Ohren gegrinst (klar, wir sind ja in Holland), und die Musik war eine sehr eigenwillige Mischung aus eher melancholischen Gitarren und cheesy-poppigem, oft auch mehrstimmigen Gesang. Höhepunkte des Gigs waren die letzten beiden Songs, wo tatsächlich (ich hab mich nicht getäuscht) Growls vorkamen. Eine gute Band mit Potential nach oben!
(Thomas Becker)

PAIN OF SALVATION

Daniel Gildenlöw, Kristoffer Gildenlöw, Johan Hallgren, Fredrik Hermansson und Johan Langell waren für die meisten von unserer Truppe der entscheidende Grund die lange Reise nach Baarlo auf uns zu nehmen. Endlich mal eine Headlinershow der vielleicht innovativsten und intensivsten Progkapelle der letzten Jahre sehen. Da werden keine Kosten und Mühen gescheut.

Wie Rouven im Vorwort schon andeutete, stand der Gig technisch allerdings unter dem denkbar schlechtesten Stern. 90 Minuten bangen, aber erfreulicherweise sehr relaxten Wartens vergingen bis PAIN OF SALVATION um 23 Uhr endlich die Bühne betraten. Vom Opener 'Used' war dann allerdings nicht viel zu hören. Der Sound war schlicht eine einzige Katastrophe. Ein einziger Matsch tropfte einem aus den Boxen entgegen und die Freude, dass da endlich Musiker auf der Bühne standen, wich Ernüchterung. Immerhin bewies Daniel Größe, in dem er die Situation mit schwarzhumorigen Ansagen auflockerte. Lächelnd kündigte er den schlechtesten Gig der Karriere an und merkte treffend an, dass man die Band lieben würde, wenn man die kommenden 90 Minuten auch nur etwas gut fände. Und auch die Anekdoten von der Brasilien-Tour konnten die Mienen wieder aufhellen.

Eine Erklärung für das Desaster gab Daniel auch ab. Zum einen hatten die Musiker keinerlei Monitorsound auf der Bühne und somit natürlich ärgste Timingprobleme, da keiner hörte, was er oder seine Kollegen da spielten. Zum anderen war der Click-Track ausgefallen, den die Band für die Einspielung der Videos und der Orchesterparts von "Be", zum Steuern der Lichtshow etc. brauchte. Totale Konfusion statt totaler Konzeption also.

Die Band versuchte das Beste daraus zu machen, intonierte 'Waking Every God' und '!' akustisch und hoffte offensichtlich auf ein technisches Wunder, welches dann auch nicht weiter auf sich warten lassen wollte. Mit 'Lilium Cruentus' war dann endlich der Bann gebrochen und es gab endlich einen ordentlichen Sound und Konservenorchester. Nur die Lichtshow schien nicht wirklich zu funktionieren, denn die meiste Zeit standen die Musiker quasi im Dunkeln. Keinerlei Beleuchtung außer ein Paar einmal grünen, einmal blauen Scheinwerfern. Dazu dicke Nebelschwaden und potenziert zur Spielzeit zunehmender Gebrauch von unerträglichem Stroboskoplicht machten aus der Show kein optisches Vergnügen.

Ein akustisches Vergnügen wurde es hingegen doch noch. Die Setlist war gespickt mit alten und älteren Songs wie 'Inside', 'The Big Machine', 'Nightmist', 'Inside Out', 'Ashes', 'Ending Theme', 'Undertow' (die totale Gänsehaut!) und 'Second Love'. Technisch perfekt dargeboten, bestachen vor allem wieder die perfekt harmonierenden Vocals und die rumpelstilzchenwürdigen Bewegungen von Johan Hallgren.

Zu guter Letzt gab es noch einen Ausflug in die Welt von "Be", die mir bei der leibhaftigen Umsetzung deutlich besser gefällt als auf Konserve. So wirken 'Animae Partus' und 'Deus Nova' sehr viel lebendiger und dynamischer. Auch wenn mir der Sinn der Dame bei 'Dea Pecuniae' immer noch verborgen bleibt. Die Schönheit war quasi nur zum Einschenken von Champagner zuständig.

Nach 'People Passing By' und knappen zwei Stunden Bruttospielzeit (90 Minuten Netto, wenn man die katastrophalen ersten 30 Minuten weglässt), war das ProgPower Europe dann endgültig zu Ende. Dabei waren PAIN OF SALVATION ein würdiger Headliner, auch wenn er meine (zu) hohen Erwartungen nicht komplett erfüllen konnte. Besser als fast die gesamte Konkurrenz waren sie auch an diesem Sonntagabend.
(Peter Kubaschk)

Redakteur:
Rouven Dorn
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