RAVEN und GIRLSCHOOL - Memmingen

17.12.2013 | 20:34

03.12.2013, Kaminwerk

Zwei NWoBHM Urgesteine zusammen auf Tour – mal wieder.

Denn ja, ich bin mit durchaus hohen Erwartungen unterwegs, denn das gleiche Package gab es schon einmal und ich habe beide Bands in dieser Konstellation schon am 3. Juli 2010 gesehen. Dass ich wieder dabei bin, sagt sicher genug darüber aus, dass diese Kombination funktionierte. Darauf hoffe ich natürlich auch heute wieder.

Das GIRLSCHOOL-Banner hängt bereits über dem Drumkit und meine Vorfreude ist groß. Allerdings wird sie getrübt durch die Zuschauerzahl, für die das Kaminwerk offensichtlich überdimensioniert ist. Ich schätze 150 Personen bis zum Ende des Konzerts. Das ist weniger, als ich erhofft hatte. Eine weitere Überraschung ist, dass mit HARMONIC GENERATOR aus Frankreich noch eine weitere Vorband die beiden Hauptacts begleitet. Eine halbe Stunde gradliniger Rock lässt als Fazit ziehen, dass eine bemühte Band einen Set ohne besondere Vorkommnisse absolvierte. Wie Rüdiger sagte: "Wenn die Coverversion ('Marseille' von den australischen ANGELS) der beste Song des Abends ist, obwohl ich weder deren eigene noch das Coverstück kannte, sagt das wohl alles." Recht hat er.

Dann aber GIRLSCHOOL. Das Intro ertönt und... ja, nichts und. Keine der Damen kommt. Das Intro wird also einfach nochmal gespielt, dann kommt die Leadgitarre dazu, die leicht betagten Mädelns entern die Bühne, und – hören wieder auf. Technische Probleme. "Das ist der schlimmste Gitarrensound meiner gesamten Karriere!" Das will etwas heißen. Mit viel Humor und Offenheit überspielen die vier Engländerinnen die Startprobleme des Sets, schäkern mit dem Publikum, selbst Schlagzeugerin Denise Dufort, Typ Babuschka und eindeutig der Gegenpol zu modernen Popsternchen, kommt mal nach vorne und dialektet etwas unverständlich-britisch ins Mikro. Alle lachen, die Atmosphäre ist toll, und dann geht es eben nochmal los. Mit dem Intro natürlich.

Es wird ein Ritt durch die Frühphase der Karriere. Klar, wenn man alle Jubeljahre mal tourt, wollen die Fans die alten Gassenhauer hören. Gleich an zweiter Stelle 'C'mon Let's Go' ist die perfekte Aufforderung, der die vorderen Reihen natürlich nicht bedürfen. Die Stimmung ist ob der relativen Leere der großen Halle zwar etwas weniger euphorisch als angemessen wäre, aber das ficht uns vorne nicht an. Wie sagte es Derek Smalls so schön: "Rock 'n' Roll!" 'Screaming Blue Murder' sorgt für allgemeines Mitschreien, singen möchte ich das nicht nennen, zumindest ich selbst bin davon weit entfernt. Rüdiger muss das aushalten. Macht nix, der grölt selbst. Gut so. Von den neueren Sachen wird nur 'I Spy' gespielt, natürlich dem verblichenen Ronnie James Dio gewidmet, der die Studioversion auf dem GIRLSCHOOL-Album "Legacy" veredelte. Ansonsten wechseln sich Kim und Enid bei der Gesangsarbeit ab und machen beide einen hervorragenden Job.

Auch das "junge Mädchen" an der Leadgitarre, Jackie Chambers, die erst nach der Erkrankung von Kelly Johnson dazugestoßen ist, also gerade einmal 13 Jahre in der Madchenschule spielt, sorgt für Stimmung. Sie post und lacht, lässt die Saiten jaulen und erzeugt einfach Freude. Die Damen haben auf jeden Fall so viel Spaß, dass auch die, die die Musik von GIRLSCHOOL vielleicht eigentlich wenig aufregend finden, mitgehen. Ja, gegen Ende klatscht und wippt jeder. Einzig die Tatsache, dass nur zehn Songs gespielt werden, ist schade. Ich führe das auf die zusätzlichen HARMONY GENERATOR zurück, und da muss ich sagen, dass mir die weggelassenen fünf Songs, die die Band noch vor einer guten Woche in London mehr gespielt haben, besser gefallen hätten. Es tut mir leid für die Franzosen, aber das Leben ist nun einmal ungerecht.

Ich stelle mir übrigens Szenen aus dem Leben der Damen ungefähr so vor:
Enkelin zur Mutter : "Mama, besuchen wir in den Ferien wieder Oma?"
"Nein, mein Kind, Oma ist auf Tour mit ihren Freundinnen und zwei durchgeknallten Briten und ihrem nicht minder bekloppten holländischen Drummer."
Das ist Metal, Freunde!

Eine relativ kurze Umbaupause später kommen nämlich eben diese, die Gallaghers und ihr "neuer" Schlagzeuger. Und wie sie kommen. Das Motto von Beginn an lautet wie der Eröffnungssong: 'Take Control'! Und dann sind wir 'Live At The Inferno' und schreien 'All For One'. Mit dem Trio kann RAVEN natürlich gar nichts falsch machen. Die Gallagher-Brüder John und Mark atmen Metal und haben mindestens Kerosin in den Adern. Oder Chilliextrakt. Keine Ahnung, aber Stillstehen geht wohl nicht. Zwei Mann machen eine Panik als wären sie dreimal so viele. Ich habe schon viele Bands gesehen, für die selbst kleine Bühnen zuviel Platz boten, aber diese beiden Hupfdohlen würden wohl Bühnen jeder Größe ausfüllen. Natürlich auch mit ihrem, berechtigten, Ego und Selbstverständnis. Voller Überzeugung spielen sie ein großartiges Potpourri aus ihren frühen Alben mit seltenen Einsprengseln neuerer Scheiben, so zum Beispiel nur einen einzigen Song vom aktuellen Album "Walk Through Fire", nämlich 'Bringing You Down'.

Eine reine Augenweide, wenn man es denn so nennen will, und ich will, ist Gitarrenbruder Mark Gallagher, der den ganzen Gig über Grimassen schneidet, als wäre er im Gesichtsmuskeltraining. (Schaut mal in die Bildergalerie, das sind ein paar witzige Schnappschüsse dabei). Während der Soli schwankt er zwischen gespieltem Erstaunen ob der Töne, die da aus seinem Instrument kommen, und beifallsheischend aufgerissenen Augen, und in den vorderen Reihen ist die Stimmung an der Grenze zum Überborden. Immer wieder kreuzen sich die Wege der beiden Protagonisten im vorderen Bühnenteil, es wird gepost, die Instrumente aneinander gerieben und eine brillante Portion Metal-Panik in den Saal geschossen.

Unterstützt von bisher kaum erwähnten dritten Mann: Joe Hasselvander. Der Mann aus Washington D.C. ist ein Glücksfall für die Band, denn er scheint genauso verrückt zu sein wie die Gallaghers. Er treibt die Band nach vorne, ist schon fast zu perfekt für RAVEN, aber schneidet ebenfalls Grimassen und fügt sich großartig ein. Ich glaube, wenn er könnte, würde er mit seinen Trommelstöcken auch lieber über die Bühne rennen und auf alles einprügeln, was Töne machen kann.

Auch bei RAVEN gibt es einen Gig, der gegenüber London um mehrere Songs gekürzt ist. Sorry, Jungs, dass war keine so tolle Entscheidung. Als 'Break The Chain' ertönt, bin ich etwas überrascht, es ist doch noch so früh! Wie immer beschließen die Jungs ihren Set mit einem Medley, in dem sie alte Gassenhauer einflechten wie diesmal zum Beispiel 'Rock Bottom' von UFO und etliche mehr, die mir allerdings meinem Enthusiasmus geschuldet nicht mehr präsent sind. Nach einer Stunde ist alles vorbei, das Publikum glücklich, die Vorband aus Marseille um wahrscheinlich keinen Fan reicher und alle etwas verwirrt ob des wenig üppigen Merchandise beider Bands bestehend aus insgesamt drei verschiedenen T-Shirts, die ich alle ziemlich hässlich finde, einer CD von GIRLSCHOOL und RAVENs aktuellen Video. Passte der Rest nicht ins Handgepäck? Macht nix, kaufe ich halt bei der nächsten gemeinsamen Tour der beiden ein neues T-Shirt. Ich erwarte euch dann wieder 2016. Ohne weitere Kapelle, bitte! Wenn ihr nicht mehr so lange Sets spielen könnt, akzeptiere ich jeweils eine Bierpause in der Setmitte. Aber mehr GIRLSCHOOL und mehr RAVEN und weniger, ja, eigentlich alles Andere.

Redakteur:
Frank Jaeger

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