RIVERSIDE, JOLLY und DIANOYA - Köln
09.05.2013 | 14:1425.03.2013, Live Music Hall
Mit alter Stärke zu neuen Ufern.
Eine der besten Progbands unserer Zeit hat einen deutlichen Schritt nach vorne (oder nach hinten, das ist Ansichtssache) gemacht und mit "Shrine Of New Generation Slaves" ein Album veröffentlicht, das neben vielen positiven auch einige kritische Reaktionen mit sich brachte (siehe dazu auch das Review von Thomas Becker und unsere Gruppentherapie). Und gerade wenn sich ein Band stilistisch so entwickelt, wie es die Polen von RIVERSIDE hier getan haben, ist die Frage, inwiefern die Band altes Material überhaupt noch mit Leidenschaft darbietet, besonders interessant. Wir haben uns in die Kölner Live Music Hall aufgemacht, um diesem nachzugehen.
Doch bevor die Frage geklärt werden kann, möchten sich zwei weitere Bands präsentieren. Die erste hört auf den Namen DIANOYA und beginnt instrumental mit einer Drei-Mann-Besetzung. Bei meinem Erstkontakt mit dieser Gruppe fällt direkt auf, dass es dem Sound irgendwie an Fülle fehlt. Daran kann auch der Sänger, der sich ab der zweiten Nummer hinzugesellt, nicht viel ändern. Die Band geht recht schnörkellos zu Werke, ist dabei stilistisch dennoch sehr schwer zu verorten, weil einfach sämtliche Haken fehlen, die die Musik zu überhaupt irgendetwas machen würden. Mal versuchen sie es verträumt, mal rockig, packend ist das Material dabei eigentlich nie. Die Songs sind nicht schön genug, um wirklich schön zu sein, und nicht schräg genug, um wenigstens mit ihrer Schrägheit punkten zu können. Dazu kommt dann auch noch das mittelmäßige Stageacting und der unterdurchschnittliche, weil farblose Gesang, was mich zu dem Fazit führt: Hier mag Potenzial vorhanden sein, aber das wird überhaupt nicht genutzt. Auf diese Weise sind DIANOYA bloß eine beliebige, profillose Band.
JOLLY dürften dem einen oder anderen RIVERSIDE-Fan bekannt sein, waren sie doch vor Jahren bereits Support der Polen, konnten damals jedoch leider, ähnlich wie DIANOYA heute, überhaupt nicht punkten. Es gilt, den etwas angeschlagenen Eindruck auszubessern. Dies hat man auf Platte bereits mit dem Doppelalbum "The Audio Guide To Happiness" getan (Platz #3 in unserem Soundcheck), es gilt also, den Beweis auch auf den Brettern, die die Welt bedeuten, anzutreten. Und siehe da: JOLLY sind heute deutlich besser drauf als damals und generell eine sehr interessante, ich möchte fast sagen, verrückte Band. Auf der Bühne erweckt nichts den Eindruck von Homogenität, auch die Musik ist irgendwie wirr, aber sie macht einfach Spaß. An Material gibt es Diverses vom oben Genanntem, das genau so bunt ist wie die Charaktere, die es geschrieben haben. Wer die Songs in dieser Form das erste Mal auf die Ohren bekommt, der dürfte es schwer haben, tiefer in die Klänge von JOLLY einzutauchen, kann sich aber dafür einfach mal mitreißen lassen und schauen, wohin einen das führt. Dass die Band sich zigfach bei Publikum bedankt, vor allem für die Untersützung in der Zeit, in welcher sie durch Hurricane Sandy nahezu all ihr Bandequipment verloren haben, und einfach Freude daran hat, Musik zu machen, das merkt man in jedem Moment. Bei mir reicht es auch heute noch nicht zur totalen Begeisterung, aber sollten die Live-Qualitäten sich weiterhin so positiv entwickeln, dann bin ich gerne bereit, mich in drei Jahren wieder vor die Bühne zu stellen. Es gibt langweiligere und gleichförmigere Bands.
Dann heißt es einmal schütteln, sortieren und den Fokus schärfen: RIVERSIDE stehen an. Die mittlerweile erstaunlich gut gefüllte Live Music Hall (ich erinnere mich an ähnlich große, aber nicht halb so gut gefüllte Locations der letzten Touren) starrt gebannt auf die in blau gehüllte Bühne, wo die Polen mit einer ausgedehnten Akustik-Version des Openers 'New Generation Slave' beginnen. Die Atmosphäre ist dabei unscheinbar und verdächtig ruhig. Nach einem kurzen Bass-Intermezzo schließt sich auch die Gitarre an, so dass die Band fortan im normalen Klanggewand agiert. Der Gedanke, dass RIVERSIDE bei den ruhigen Tönen besonders stark sind, schießt einem mal wieder unwillkürlich durch den Kopf. Die neuen Songs leben, noch viel mehr als die älteren, von Atmosphäre und nicht von Gefrickel & Co. Der Einstand in diesen Abend ist mehr als gelungen.
Als Mariusz Duda das erste Mal das Wort ergreift, leiert er einfach eine Promoansage lieblos, aber mit mindestens zwei fetten Augenzwinkern herunter. Der Großteil der Anwesenden scheint diese Art von Humor ebenfalls zu schätzen. Nach und nach taut die anfangs etwas distanzierte Band auf und füllt die große Bühne mit ihrer Präsenz immer mehr aus. Dies fällt gerade auch bei den metallischeren Parts auf, von denen die Band ja behauptet, dass sie derer eigentlich überdrüssig geworden ist. Und somit kann auch die eingangs gestellte Frage geklärt werden: Die Band mag alle ihre Songs gerne. Dass die harten Stellen entsprechend wuchtig herüberkommen, ist auch dem hier noch tollen Sound (Bass!) zu verdanken, der jedoch später eine entscheidende Rolle bekommen wird.
Selbstbewusst wie sie sind, erlauben RIVERSIDE sich, DEEP PURPLE im Ansatz zu covern und dann, ganz selbstverständlich, in ihren eigenen Song überzuleiten. 'Living In The Past', ein Song der "Memories In My Head"-EP, ist heute der Wahnsinn. Hier können die Vier ihren wunderbar unverkennbaren Sound ganz weit ausbreiten, herausstechen tun dabei vor allem die traumhaften Leads und der wie immer eindringliche Gesang, trotz angeblicher Erkältung, von der man jedoch überhaupt nichts merkt. Wie sehr das Publikum mit der Musik beschäftigt ist, merkt man daran, dass an den ruhigen Stellen tatsächlich so etwas wie totale Stille herrscht. Darüber hinaus hat Duda das Publikum mit seinen trockenen Ansagen fest in der Hand. Klingt nach einem perfekten Abend, oder?
Ganz so leicht wird es Band und Fans dann aber doch nicht gemacht. Nachdem 'We Got Used To Us' noch von Köln bis mindestens Düsseldorf strahlt, hat sich der Sound bei 'Egoist Hedonist', einem der besten RIVERSIDE-Songs überhaupt, überlegt, doch schon vorzeitig Feierabend zu machen. Die Band versucht die Sache mit Humor zu nehmen und beendet den Track nach einiger Umbauzeit noch, nur um festzustellen, dass er schon wieder abgestürzt ist. Das Publikum erkennt die verzweifelte Lage der Musiker an und feiert die Band, als hätte sie gerade etwas ganz Großes abgeliefert. Die Techniker haben zwischenzeitlich das Problem ausgemacht (scheinbar ein Schlagzeug-Mikrofon), die Zeit bis zur Reparatur muss dennoch überbrückt werden. Dies wird mit Blödeleien an der Orgel oder famosen Ansagen wie "This is such a good show..." im Rahmen der Möglichkeiten bestmöglich erledigt. Für allgemeines Gelächter sorgte dann folgender Wortwechsel zwischen Sänger und Schlagzeuger: "Can we continue?" - "NO!!!".
Nachdem alle Beteiligten einige Geduld aufbringen mussten, geht es jedoch schlussendlich doch weiter. Dass im Hause RIVERSIDE eigentlich alles schwer in Ordnung ist, merkt man dann daran, dass die Blicke, die sich die Jungs im Folgenden zuwerfen, von einer Menge Witz und Spaß geprägt sind. Dazu passt auch, dass Duda bei der Vorstellung der Band sich selbst vor dem Keyboarder an seiner Seite nennt. Nachdem es als Zugaben noch 'Conceiving You' inklusive Mitsingspielchen, 'Escelator Shrine' und 'Celebrity Touch' gibt, bleibt die Erkenntnis: Manchmal müssen Abende nicht perfekt sein, um Freude zu bereiten und lange in Erinnerung zu bleiben. Ein tolles Konzert einer tollen Band.
Setlist: New Generation Slave, The Depth Of Self-Delusion, Feel Like Falling, Driven To Destruction, Living In The Past, 02 Panic Room (Epilogue), We Got Used To Us, Egoist Hedonist, 02 Panic Room, Left Out. Zugabe: Conceiving You, Escelator Shrine, Celebrity Touch.
- Redakteur:
- Oliver Paßgang