ROCKAVARIA 2016 - München

03.06.2016 | 13:02

27.05.2016, Olympiastadion

Das neue Festival in München geht in die zweite Runde und wir berichten aus der ersten Reihe.

Der Olympiapark in München ist eine großartige Location für Veranstaltungen aller Art. Das sagten sich auch die Veranstalter des Rockavaria und ergänzten den Festivalsommer um ein weiteres, hochkarätig besetztes Event. Das Debüt im letzten Jahr hatte noch nicht ganz die erhofften Massen angezogen, sodass anno 2016 einfach mal weniger dick aufgetragen wird. Das ist aber positiv zu bewerten, denn im Vorjahr war es einfach nicht möglich gewesen, alle Bands, die einen interessierten, zu sehen. Zwar bin ich vielleicht eine Ausnahme, da ich viele verschiedene Stile interessant finde, aber das Prinzip mit zwei Hauptbühnen gefällt mir gut. Da brauche ich nichts weiter, auch keine Seebühne, die eigentlich ein eigenes, kleines Festival darstellt. Ich habe den doch recht weiten Weg nur einmal pro Tag angetreten. Wäre diese Bühne nicht da gewesen, hätte ich nichts vermisst. Aber ich bin altmodisch und schaue mir auch mal Bands an, die ich nicht kenne oder nicht so toll finde. Dabei erlebt man doch manchmal Überraschungen. Doch genug der Vorrede, jetzt geht es rein ins Getümmel!

[Frank Jaeger]

 

Als ich eintreffe, hat J.B.O. gerade begonnen. Rosa und schwarz, mit viel bemühtem Witz, werden bekannte Gassenhauer wie 'Bolle' als Opener und im Set als Höhepunkt 'Ein Guter Tag Zum Sterben' ins Rund gefeuert. Eine beachtliche Menge feiert bereits. Auch wenn ich die durchschnittliche Halbwertszeit eines J.B.O.-Songs bei "einmal Hören" verorte, muss ich zugeben, dass so einige die Verteidiger des wahren Blödsinns schätzen. Als J.B.O. dann allerdings 'Bimber Bumber Dödel Dei' zum Besten geben, ist bei mir die Scherzgrenze erreicht. Ich habe genug.

[Frank Jaeger]

 

Summer Breeze 2005. An einem sonnigen Vormittag spielt diese mir unbekannte Truppe einen sehr spaßigen Gig. Ansagen und Musik ließen zwar kaum ein Klischee aus, wirkten aber überaus sympathisch, nicht zuletzt wegen des knuffigen rumänischen Akzents von Sänger Attila Dorn. Hätte mir jedoch jemand erzählt, dass POWERWOLF zehn Jahre später zu einer der erfolgreichsten Heavy-Metal-Bands zählen würde, hätte ich indes laut gelacht. Tja, und nun stehen sie da, die Wölfe. So arg viel hat sich eigentlich gar nicht geändert. Das Grundkonzept ist durchaus ähnlich, wurde aber auf allen Ebenen professionalisiert: Optik, Bühnenbild, Image, alles wirkt durchgestylt, die Posen sind aufeinander abgestimmt, alle Mitglieder von POWERWOLF werden als Hingucker in Szene gesetzt. Ähnliches gilt für die Musik. Der große Erfolg kam mit den letzten zwei bis drei Alben, die demnach auch die Setlist dominieren. Alle Songs sind kraftvoll und kompakt und mit einem Refrain versehen, den man spätestens bei der zweiten Wiederholung mitsingen kann. Und das funktioniert. Schon immer. Einer der Headliner auf dem Summer Breeze 2005 war Peter Tätgrens PAIN. Hand aufs Herz, war dessen Konzept so groß anders als das von POWERWOLF? Stylische Optik, einfache Grooves und Mitsing-Refrains? Auch für mich funktioniert POWERWOLF wunderbar, gerade als Festival-Einstand zum warmbangen. Die Oh-Oh-Oh-Singspiele erscheinen mir dabei zwar ebenso unnötig und platt wie eh und je, vor allem wenn man auf ein "Hu" ein "Ha" folgen lassen muss. Hier ist dann selbst der Münchner Wies'n-Gänger intellektuell unterfordert. Tja, und von mir aus muss man als Heavy-Metal-Fan auch keine Pop-Musik "bekämpfen", vor allen weil ich Pop-Musik oft toll finde und POWERWOLF in der Melodieführung auch eher vom Pop als vom klassischen Heavy Metal beeinflusst ist. Aber, ja mei, es gibt nichts, was man nicht mit einem Schluckerl Bier herunterspülen könnte. Ich gönne den Wölfen ihren Erfolg und merke, dass sie ihn auch in vollen Zügen auskosten.

[Thomas Becker]

 

Es ist schon einige Zeit her, dass ich Mike Muir und seine Posse gesehen habe. Aber ich erinnere mich gut an die zwei Gigs der SUICIDAL TENDENCIES und freue mich daher gehörig auf die Jungs. Als die Band die Bühne betritt, fällt zuerst Mike auf, der kurze Hosen mit weißen Kniestrümpfen trägt. Das sind ja teutonentouristische Modesünden hier. Denkt auch der Kameramann, der die Bilder für die drei großen Bildschirme bereitstellt, und bringt die ähm, Accessoires, häufiger ins Bild. Ansonsten sieht Mike aus wie früher, kaum gealtert, und stimmlich kann er es immer noch. Auch gleich geblieben sind die typischen Core-Ansagen der Marke "geh deinen eigenen Weg, lass dich nicht unterkriegen", die einfach dazugehören. Und mal einen Set lang motivierende Sprüche zu hören, hat sicher noch niemandem geschadet. Dazu passend beginnt SUICIDAL TENDENCIES mit 'You Can't Bring me Down', das allerdings durch den Sound ziemlich unkenntlich gemacht wird. Der Mixer bemüht sich aber redlich und hat spätestens bei 'Freedumb', das an dritter Stelle kommt, alles im Griff. ST ist auch musikalisch vielfältiger als der eigentlich simple Stil vermuten lässt. Was die beiden Gitarristen da abziehen, ist schon beeindruckend. Dazu Muir als Hüpfemännchen, der mit seiner blauen Bandana immer über die Bühne tobt, und schon ist das Fest perfekt. Man darf nicht vergesse, dass Muir mittlerweile beinahe 60 Jahre alt ist! Es folgt Hit auf Hit. Dass Mike nun endlich in die Skateboard Hall of Fame aufgenommen worden ist, wird mit 'Possessed To Skate' gefeiert. Klasse, damit hatte ich gar nicht gerechnet, dass so tief in die Trickkiste gegriffen werden würde. Der Auftritt endet mit zwei echten Krachern, dem erhofften ST-Hit 'How Will I Laugh Tomorrow' und der Hymne 'Pledge Your Allegiance', zu dem SUICIDAL TENDENCIES alle Jugendlichen auf die Bühne ruft. Und tatsächlich: Kurz darauf stehen mehrere Dutzend junger Fans auf der Bühne und singen mit Mike "S... T...". Ein sehr cooler, kurzweiliger Gig endet, der für mich den Tageshöhepunkt darstellt. Allerdings passt die Band stilistisch nicht allzu gut ins Billing, sie haben das Bühnenvorfeld durchaus leerer gespielt. Als einzige Band härteren Kalibers war das alles andere als ein Heimspiel, das sie aber souverän und mit ansteckender Freude zelebrierten.

Setliste: You Can't Bring Me Down, Institutionalized, Freedumb, Trip at the Brain, Possessed to Skate, I Saw Your Mommy, Who's Afraid?, Cyco Vision, How Will I Laugh Tomorrow, Pledge Your Allegiance

[Frank Jaeger]

 

Es ist schon eine Weile her, als ich in einer Fernsehsendung, "Mona Lisa" war es, denk ich, auf die klassische Hintergrundmusik aufmerksam wurde. Diese wunderschöne Melodie, "Mensch, das kenn ich doch, das ist doch METALLICA". Das war das Solo von 'Master Of Puppets' und zwar eins zu eins! "Haben sich die Metallicats also dreist bei einem alten Meister bedient", dachte ich? Ich war perplex. Doch es stellte sich raus, dass die Musik von APOCALYPTICA war, jenen Finnen, die METALLICA mit vier Cellos spielen. Tja, und seitdem habe ich diese Jungs im Fokus. Besondere Spannung fühle ich also vor diesem Auftritt, denn die Cello-Metaller habe ich tatsächlich schon lange nicht mehr live erlebt, obwohl ich mittlerweile einige ihrer Alben, vor allem "Cult" und "Reflections", als feine Bereicherung meines CD-Regals sehe. Doch nach dem starken SUICIDAL TENDENCIES-Gig ist APOCALYPTICA zunächst eher eine Enttäuschung. Darf es sein, dass deren Musik lärmiger und rumpeliger klingt als die der selbstmörderischen Hardcore-Thrasher? So verzieht sich Frank nach zwei Songs und ich laufe durchs Rund des Olympiastadions auf der Suche nach Sound. Der wird im Laufe der Zeit schon ein wenig cello-ähnlicher, klingt aber doch noch zu oft wie eine schrammelige Gitarre ohne allzu viel Druck. Schade. Zu selten blitzt hier die Virtuosität der Finnen (es sind übrigens nur noch drei Cellisten) auf, zu selten zeigen sie, welchen Charme ihr Instrument haben kann. Stattdessen setzt man auf Brachial-Klang, Walls Of Sound und penetrante Drums, und wenn dann doch Gesang dazukommt, ist das kaum mehr als mittelklassiger Alternative-Rock. Und dann kommt 'Master Of Puppets': Ja, man kann es erkennen, und nein, es ist nicht gut. Der so faszinierende Mittelteil wird mir viel zu abgehackt gespielt, es fehlt die Sensibilität für die Musik, das Gefühl. Noch schlimmer ist 'Seek & Destroy', eigentlich ja eine Schlachtbank live - egal von wem und wie gespielt - hier funktioniert es nicht. Und wenn die Band dann mal wie bei 'Bittersweet' wirklich auf ihren Instrumenten spielt anstatt "metallisch" zu posen und zu schreddern, wird es im weiten Areal des Stadions vom Wind verweht. Offensichtlich ist die Band so schnell durch ihr Set gehetzt, dass am Schluss noch Zeit für einen zusätzlichen Song bleibt. Und siehe da, bei 'One' (METALLICA) war er endlich da, der Sound, die Leidenschaft, die Stimmung. Ein versöhnliches Ende also, auch wenn die Studioversion, die jetzt während des Schreibens läuft, noch viel, viel besser in meinem Ohr liegt.

[Thomas Becker]

 

Während APOCALYPTICA spielt, mache ich mal einen Abstecher auf die Seebühne. Der Weg ist leicht zu finden und nicht allzu lang, aber weit genug, dass man nicht durch die beiden Hauptbühnen gestört wird. Als ich eintreffe, spielt gerade TO THE RATS AND WOLVES einen wirklich guten Deathcore mit Popelementen in die Menge von geschätzten 300 Fans, während auf den grasigen Hängen noch einmal so viele sitzen und zuschauen. Die Band hat erst letztes Jahr ihr Debüt veröffentlicht, spielt aber tight und vermag Begeisterung beim eher jungen Publikum auszulösen. Ich beschließe, mich später mal mit der Band näher zu beschäftigen, denn was ich höre, klingt durchaus interessant.

Nach einer Umbaupause, in der ich mir mal die Stände ansehe, die doch eher auf jüngeres Publikum zugeschnitten sind, folgen TUXEDOO. Die Bühnendekoration verheißt nichts Gutes. Die Burschen hatten 2015 den Bandwettbewerb gewonnen und dürfen dieses Jahr noch einmal ran, weswegen ich gerne einen eigenen Eindruck haben möchte, doch das Alpenpanorama und die Lederhosen der Musiker lassen mich zweifeln, dass dies eine gute Idee ist. Als die Österreicher dann loslegen, muss ich feststellen, dass es sich musikalisch um einen Metalcore mit drei Brüllern handelt, der mir ansonsten nicht allzu originell erscheint. Core, Bier und Trachten? Das halte ich nur einige Minuten aus, nehme lieber Reißaus und begebe mich wieder zurück ins Hauptrund.

[Frank Jaeger]

 

Einen kompletten Headliner-Gig darf IN EXTREMO spielen, der unter dem Motto des in vier Wochen erscheindenden neuen Albums "Quid Pro Quo" steht. Mit 'Rasend Herz' wird vor einer Schiffskulisse losgelegt und man bemerkt sofort, dass die Band eingespielt ist, auch wenn sie schon seit langer Zeit nicht mehr aufgetreten ist. Sänger Michael alias Das Letzte Einhorn hat sich über die Jahr zu einem charismatischen Sänger gemausert, der ganz sicher zur Spitze der einheimischen Vokalisten gehört. Nicht nur, dass er eine ausgezeichnete Gesangsleitung abliefert, er hat obendrein das Zeug zum Entertainer und das Publikum fest im Griff. IN EXTREMO spielt sich einmal quer durch ihre Diskographie mit einem echten Best Of-Gig, bei dem jedes Album bedacht wird ab dem 1998er Werk "Weckt Die Toten". Auch wenn Das letzte Einhorn verspricht, im September aus ihrem Gig in München eine echte Party zu feiern, was zweifellos in der Halle aufgrund der persönlicheren Atmosphäre leichter ist als auf einem Festival, so ist es nur schwer möglich, auf diese Setliste noch einen draufzusetzen. Mit dem Stück 'Sternhagelvoll' gibt es dann sogar noch einen Vorgeschmack auf das kommende Album "Quid Pro Quo". Das Lied ist eine augenzwinkernde Hymne auf die Gasthauskultur und wird sicher zu einem festen Bestandteil der Auftritte der Band werden. Wie es sich für IN EXTREMO gehört, gibt es zwischendurch Föteneinlagen und Sackpfeifen, aber die Band ist heute mehr eine Deutschrockband denn eine Mittelalterkapelle. Als der Auftritt mit 'Ai Vis Lo Lop' zu Ende geht, hat sich IN EXTREMO den hohen Platz im Billing verdient.

Setliste: Rasend Herz, Horizont, Zigeunerskat, Frei zu sein, Vollmond, Herr Mannelig, Erdbeermund, Himmel und Hölle, Liam, Nur ihr allein, Belladonna, Unsichtbar, Sängerkrieg, Sternhagelvoll, Feuertaufe, Küss mich, Spielmannsfluch, Ai Vis Lo Lop

[Frank Jaeger]

 

Das Tolle an diesem Rockavaria ist, dass ich hier auf einen Schlag mehrere gravierende konzertgängerische Bildungslücken schließen kann. Eine davon ist NIGHTWISH mit Floor Jansen. Der letzte Gig, den ich erleben durfte, war noch mit Tarja und damals war ich auch noch nicht reif genug für guten Symphonic Metal. Das ist heute anders und ich nehme es vorweg: NIGHWISHs Headliner-Gig ist ein Traum. Floor Jansen ist einfach die perfekte NIGHTWISH-Sängerin. Klar, mit Tarja kam die Band nach oben und ihre Stimme wird bei den Fans unvergesslich sein, doch der opernhafte Gesang war auch streitbar. Annette Olzon war zwar auch sehr gut, am Ende aber vielleicht etwas zu brav. An Floor Jansen gibt es aber überhaupt keinen Ansatzpunkt für Meckereien. Stimmlich ist sie eh eine Alles-Könnerin und wer REVAMP kennt, könnte sogar denken, dass sie bei NIGHTWISH unterfordert ist. Optisch ist diese herbe Schönheit mit Nasenring und Tattoos selbstredend der Blickfang und diese Frau nicht zu mögen ist für mich einfach unvorstellbar. Von dieser Huldigung zur Musik: die klingt nun auch zum ersten Mal an diesem Tag perfekt. NIGHTWISH fährt jede Menge Bombast auf, dazu steigen allerlei Feuerbälle in den Himmel und die stimmungsvollen Videoeinspielungen tun ihr übrigens, um dem Zuschauer ein absolut headliner-würdiges Spektakel zu bieten. Und genau darum geht es bei NIGHTWISH: Spektakel. Das ist umso kurzweiliger, weil die Band einen Hit an den anderen reiht, mal folkig ('My Walden' oder 'I Want My Tears Back'), mal poppig mit Zuckerguss ('Élan', 'Nemo'), oft aber auch mit ordentlichem Punch nach vorne ('Sahara', 'Last Ride Of The Day') und natürlich ganz viel Pathos, Epik und Dramatik. Die Show ist bin zur letzten Bewegung durchgestylt und in Perfektion inszeniert. Klar bleibt hier für Spontanität kaum Raum. Doch ich habe mich zu keiner Sekunde gelangweilt und der glorreiche Abschluss mit dem Longtrack 'The Greatest Show On Earth' sorgt meinerseits für wahrhaft ergriffenes Staunen. Das war ein richtig großer Gig, der viel zu früh endete.

Setliste: Roll Tide, Shudder Before the Beautiful, Yours Is an Empty Hope, Storytime, My Walden, Élan, Weak Fantasy, Sahara, I Want My Tears Back, Nemo, Ghost Love Score, Last Ride of the Day, The Greatest Show on Earth

[Thomas Becker]

Hier geht es zum Samstag...

Redakteur:
Frank Jaeger

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