ROCKAVARIA 2016 - München
03.06.2016 | 13:0227.05.2016, Olympiastadion
Das neue Festival in München geht in die zweite Runde und wir berichten aus der ersten Reihe.
Auf geht es in den zweiten Tag. Das Festival, das bereits letztes Jahr einen eher unmetallischen Tag einlegte, führt diese Ausrichtung auch im zweiten Jahr fort. Dabei ist mit dem Headliner natürlich ein echter Kracher dabei. Aber beginnen wir am Anfang.
Hui. Dass es auf der großen Doppelbühne auch progressive Klänge geben würde, hätte ich nicht gedacht, doch es freut mich sehr. Schon von Weitem tönt die bluesig angehauchte Musik von MOTHER’S CAKE vielversprechend, auch wenn ich noch nicht sicher verorten kann, ob die Stimme nun Männlein oder Weiblein zuzuordnen ist. Das klärt sich auch erst direkt vor der Bühne, vor der sich eine noch erstaunlich kleine Anzahl von Rockern schart. Yves Krismer heißt der langhaarige, schlanke Mann mit der Gitarre in der Hand, der singt wie eine Mischung aus ASAF AVIDAN und ROBERT PLANT in jungen Jahren. Die Musik der Tiroler ist voller Groove, vor allem der fetzige Slap-Bass bei 'Runaway' geht mit Karacho in die Beine und die paar Leute vor der Bühne feiern den Mix aus Blues, Funk, Psych, freakigem MARS VOLTA-Prog und 70s Rock zappelnd und kopfschüttelnd. Sehr cool. Ob Krismers Stolperer beim finalen Austoben aber wirklich so geplant war, bezweifle ich mal. Es sieht jedenfalls sehr lustig aus, als der Sänger auf einmal auf der Nase liegt. Dafür müssen dann auch noch zwei Bierflaschen dran glauben und während die Männer in den roten Leuchtjacken die Scherben aufkehren, begebe ich mich flugs rüber zu BEYOND THE BLACK's Bühne. Dort tummeln sich in Vorfeld schon mehr Leute als während des gesamten MOTHER’S CAKE-Gigs.
Nachdem ich die Gigs der BEYOND THE BLACKies vor den SCORPIONS und auf der vorherigen Headliner-Tour nur aus der Distanz gesehen hatte, wollte ich heute wieder die volle Bühnenpower bei perfekten Wetterbedingungen erleben. Der Sonne zum Trotz feuert die Band 'In The Shadows' in die begeisterte Menge und es gibt für mich eine Dreiviertel Stunde kein Halten mehr. "Ich lache, tanze, springe, sag neue Lieder auf...". Ach, stop, das ist ja SUBWAY TO SALLY. Aber das Motto stimmt. Auch Jenny Haben hat sichtlich viel Spaß und die einzigen Probleme, die die Band bewältigen muss, sind die nicht taktsicher klatschenden Fans. Die kurze Verwirrung im Blick des Bassers in Richtung Drummer fällt vielleicht nur einem auf, der selbst schon mal live mit einer Band gespielt hat. Doch was dem eingefleischten Fan vielleicht sogar früher aufgefallen sein mag als mir, ist, dass da doch irgendwas ganz komisch mit dem Bühnenbild ist. Der Mann am Bass ist doch gar nicht Erwin. Und die Frisur von Keyboarder Michi ist doch auch ganz anders. Und während ich mich wundere, was da los ist, führen mich die Gedanken wieder zurück zum Freitag, zurück zu NIGHTWISH, eine Band, mit der BEYOND THE BLACK ja oft vergleichen wird. Tja, warum eigentlich? Weil hier auch eine Frau singt? Ich jedenfalls erlebe in vielerlei Hinsicht eine ganz andere Welt. Während NIGHTWISH die große, perfekt Bombast-Show zeigt, bei der jeder Schritt vorher durchgeplant ist, leben die Blackies einzig von ihren Charakterfiguren und natürlich ihren Songs. NIGHTWISH war Musik zum Schauen und Staunen, zu die Augen schließen und genießen, BEYOND THE BLACK hingegen ist die Animation zur Zappelmania, auch wenn Jennys Jungs - vielleicht ja wegen der anderen Besetzung - weniger entfesselt wirken als ich sie bislang erlebt habe. Vor der Bühne heisst es aber - heute ganz ohne die Balladen - Refrains mitschreien, Fäuste recken, Köpfe schütteln, und das ganz egal welche metallische Vorliebe man mit sich trägt. BEHEMOTH-, SABATON- und METAL CHURCH und GHOST-Kuttenträger folgen Jennys Aufforderung zum Sonntags-Sport ('Running To The Edge') und schweißgebadet laufe ich dann zu PRIME CIRCLE Frank in die Arme. Der schaut aber eher skeptisch drein. Is nix, Fränkie?
Setliste: In the Shadows, Written in Blood, When Angels Fall, Beyond the Mirror, Lost In Forever, Songs of Love and Death, Hallelujah, Running to the Edge
Der schaut nur skeptisch, weil er die Band nicht kennt. PRIME CIRCLE stammt aus Südafrika und ist so etwas wie der Exot im Billing des Festivals, neben den beiden Isländischen Bands. In ihrer Heimat sind die Jungs eine durchaus große Nummer, haben sechs Alben veröffentlicht und eine ganze Reihe Nominierungen und Preise bei den South African Music Awards in den Jahren 2009 bis 2015 eingeheimst. In Deutschland und wohl auch im Rest Europas sind die Fünf aber eher wenig bekannt, da die meisten ihrer Scheiben hier kaum erhältlich sind. Dementsprechend geringer Enthusiasmus erwartet PRIME CIRCLE zu Beginn des Sets, doch ist ihre Mischung aus Hard Rock und Alternative rockig und melodisch genug, um musikalisch zu überzeugen. Die Band darf fünfundvierzig Minuten spielen, was für sie sicher ein ungewohnt kurzer Auftritt ist in Anbetracht ihres Status' in Südafrika, aber in dieser Dreiviertelstunde rocken die Herren gehörig los und sind nach dem Gig um einige Fans reicher. Nach den Scheiben von PRIME CIRCLE sollte man mal Ausschau halten, wenn man knackigen, auch gerne mal radiotauglichen Alternative Rock mag. Zum ersten Mal an diesem Wochenende vermisse ich den auf vielen Festivals üblichem Metal Markt, denn am Merchandise gibt es keine CDs der anwesenden Bands zu kaufen. Schade.
Für SODOM machen wir es uns auf der Tribüne gemütlich. Was ich beim Rock Hard-Festival gesehen habe, hat mir eigentlich für die nächsten zehn Jahre gereicht. Da aber auf der See-Bühne auch nur Geschrei angesagt ist, gebe ich den Ruhrpottlern nochmal eine Chance. Eine erstaunliche Menge an Fans versammelt sich für die kurzfristig ins Billing gewanderten Schrammel-Thrasher, die wie schon seit 35 Jahren allen Kritiken zum Trotz ihr Ding durchziehen. Und das höre ich wie folgt: Monotone Riffs, schlechter, eintöniger Gesang, wenig Präzision im Zusammenspiel, durch und durch eindimensionale Musik ohne Hooks und ohne Groove. Ja, es stimmt, ich habe als junger Hüpfer auch zu 'Remember The Fallen' und 'Agent Orange' gebangt, und die Erinnerung an diese Zeit ist schön. Doch zwei Dekaden später brennt dieses Feuer schon lange nicht mehr. Es schwelt einfach nur und stinkt nach Müll. Ach, nein der kommt erst danach. War das gut, Frank?
Ja, Tommy, das war es, aber ein echter Thrasher wird aus dir einfach nicht mehr. Sehr spät ins Billing gerutscht ist SODOM. Woran das lag, vermag ich nicht zu sagen, aber vielleicht ist ein Grund, dass es zahlreiche Festivals gibt, die mittlerweile um die verfügbaren und publikumsträchtigen Bands konkurrieren und es immer schwieriger wird, das Billing frühzeitig zusammenzustellen. Wenn ich mir die gesamte Bandliste des Tages ansehe, so wirkt die deutsche Thrash-Legende wie ein Fremdkörper, denn sie ist die einzige harte Band an einem Tag, an dem sonst GOTTHARD die Spitze der Härteskala darstellt. Es gibt da zwei Möglichkeiten: vielleicht wollten die Veranstalter bewusst auch eine härtere Band in den Tag integrieren. Irgendwie glaube ich aber nicht daran, denn SODOM ist bestimmt nicht exotisch genug, um allzu Viele extra auf das Festivalgelände zu locken, wenn der Rest des Tages doch weitgehend unmetallisch ist. Die zweite Möglichkeit ist, dass aus irgendeinem Grund schnell noch eine Band her musste, weil ein Vertrag nicht zustande kam. Das würde erkären, warum SODOM nicht am Sonntag spielt, wo Tom und seine Mitstreiter viel besser passen würden. So gibt es tatsächlich einen gewissen Publikumswechsel zwischen PRIME CIRCLE und SODOM. Eine Menge Besucher strömt raus aus dem Stadion, aber etwa genauso Viele strömen auch herein. Die Drei-Tages-Ticket-Metaller lassen sich natürlich die besagte einzige harte Band nicht entgehen und so schüttelt eine beachtliche Menge das Haupthaar zu Krachern wie 'M 16' und den bereits erwähnten Klassikern 'Agent Orange' und 'Remember The Fallen'. Ich habe mich auf die Tribüne zurückgezogen für den Auftritt, da ich SODOM erst kürzlich gesehen habe und meinen Füßen mal eine Pause gönnen möchte, doch das erweist sich soundtechnisch als Fehler. Bislang war der Sound im Rund unten immer sehr gut gewesen, aber hier oben klingt alles zumindest am Anfang recht matschig. Das tut der Freude vor der Bühne aber keinen Abbruch, und vielleicht ist es da ja auch viel besser, jedenfalls gibt es einen kleinen Circle Pit und die alten Stücke werden mächtig abgefeiert, aber auch das neuere 'Sacred Warpath' weiß zu begeistern. SODOM wurde gerufen, und SODOM hat geliefert. Obwohl ich kein großer Fan der Band bin, war das eine angenehme Nackenmassage. Bei SODOM weiß man eben, was man bekommt.
Mit GARBAGE hat das Rockavaria eine Band aus der Versenkung gezaubert, die sich seit dem Ende ihrer Schaffenspause in Deutschland rar gemacht hat. Immerhin hatte sie alle fünf Alben in den deutschen, britischen und US amerikanischen Charts platzieren können, bis hin zu einer Nummer 1 im Jahr 1998 in dem UK. Dazu mehr als zwei Dutzend Singles, die auch zumeist irgendwo in die Charts einstiegen, das ist sicher das Rezept für einen Reigen voller Mitsingmelodien. Doch scheint es nicht nur mir so zu gehen, dass ich die Band seit den erfolgreichen Anfangstagen etwas aus den Augen verloren habe. Der Zuschauerzuspruch ist noch recht überschaubar, obwohl Sängerin Shirley Manson gleich zu Beginn mit einer Mischung aus Charisma und Unnahbarkeit das Zentrum des Auftritts markiert. Das kurze Leopardenkleid ist zwar irgendwie gewöhnungsbedürftig, aber wir sind ja nicht auf der Modenschau. Musikalisch unterhält GARBAGE gut, ohne jedoch besonders mitzureißen. Auch vor der Bühne ist Bewegung zu sehen, aber wenig Enthusiasmus, obwohl der Gig wirklich nett ist. Einen Ausfall allerdings liefert Sängerin Manson, die feststellt, dass nur insgesamt drei weibliche Künstler auf dem gesamten Festival auftreten und das weibliche Publikum ziemlich dumm anmacht deswegen. Vielleicht hätte sie sich mal auf der Bühne umsehen sollen, denn GARBAGE besteht außer ihr selbst ausschließlich aus Männern. Da möchte man ihr das "Wake Up" gerade wieder zurückgeben. Auch in einem eher albern-wütenden "fuck the sun" kommt die wohl angestrebte Punkattitüde eher humoristisch rüber, und das arrogante "My drummer just left the stage, maybe he has quit the band" sorgt nicht für Sympathiepunkte. Als die Band dann mit 'Only Happy When It Rains' ihren Set beschließt, geht ein größeres Aha durch die Menge, eine Art kollektives "ach, das ist von denen?". Vielleicht hätte GARBAGE diesen Song früher spielen sollen.
Musikalische Erfrischung nach SODOM gibt es auf der Seebühne, wo der isländische Prog-Geheimtip AGENT FRESCO auf den Plan tritt. Wie auch immer die Band es zum Rockavaria geschafft hat, darüber kann man nur spekulieren. Vielleicht gab es ja Mengenrabatt für zwei isländische Bands (SÓLSTAFIR spielt zwei Stunden später an gleicher Stelle), denn für die Abschätzung der Publikumsresonanz vor der Bühne genügen zwei Hände. Pionierarbeit liegt also vor den Isländern, die mit ihrer äußerst komplexen und eigenwilligen Musik eine große Herausforderung für Band und Hörer ist. Ich selber brauche auch zwei bis drei Stücke, um mich hier hinein zu denken. Dabei hilft allerdings die enorm engagierte Band und der gute klare Sound. Vor allem Sänger Arnór Dan Arnarson ist ein Blickfang. Er erinnert nicht nur optisch ein wenig an Pep Guardiola, nein er springt ebenso rastlos und nervös auf der Bühne herum wie der ex-Bayern-Trainer an der Seitenlinie, wirkt dabei aber weniger verbissen, ja in der Tat sogar sehr sympathisch. Die Band lässt erkennen, dass dieser Gig für sie eine einzigartige und vermutlich auch unverhoffte Möglichkeit ist, neues Publikum zu gewinnen und verzichtet auf viele Worte, weil sie laut Ansage "möglichst viel Musik spielen" will. Und die hat es in sich. Gradlinige Takte sind bei AGENT FRESCO wie erwähnt Fehlanzeige, doch hat man erstmal der Dreh raus, wie man sich hierzu bewegen muss, empfindet man die Rhythmik tatsächlich als fließend. Auch der hohe, androgyne, oft an SIGUR RÓS erinnernde Gesang, der bisweilen auch in heisere, fast furchterregenden Schreie ausarten kann, geht immer mehr ins Ohr. Die Musik zu beschreiben ist schwer, man muss sie tatsächlich gehört haben. Dynamik, Wandlungsfähigkeit und Experimentier-Freude sind atemberaubend, doch ich kann sehr wohl auch verstehen, warum für ein Großteil des sich gemütlich auf dem Rasen sich trollenden Publikums mehr als ein Höflichkeits-Applaus nicht drin ist. AGENT FRESCO ist schon Musik für Freaks.
Wenn ich nach den T-Shirts gehe, die die Besucher zur Schau stellen, dürfte GOTTHARD heute der am meisten erwartete Act sein. Die Schweizer sind weiterhin mit ihrem 2014er Album "Bang!" unterwegs, sodass ich auch schon letztes Jahr auf dem Rockfels in den Genuss dieser Show kam. Denn geändert hat sich tatsächlich nicht viel zu dem Gig vor zwölf Monaten. Die Band ist großartig eingespielt, hat Spaß an ihrer Musik und rockt routiniert und mitreißend. Der Anfang von besagtem letzten Album macht noch einmal deutlich, dass "Bang!" ein großartiges, zeitloses Hard Rock-Album ist, und auch der Vorgänger "Firebirth", der den Einstand des Sängers Nic Maeder markiert, der nach Steve Lees Tod den Mikroposten übernommen hatte, wird mit einem Dreiteiler bedacht. Doch die andere Hälfte sucht sich GOTTHARD aus den Weiten der eigenen Diskographie zusammen und ist sich nicht zu schade, dem Festival-Publikum mit der Coverversion 'Hush' etwas zum Mitsingen zu geben. Die Eidgenossen sind eine Bereicherung für jedes Festival und der perfekte Soundtrack zum Frühabendbier. Ein klarer Höhepunkt des Festivals.
Setliste: Let Me in Katie, Bang!, Get Up 'n' Move On, Sister Moon, Right On, Master of Illusion, Feel What I Feel, The Call, Remember It's Me, What You Get, Starlight, Hush, Lift U Up, Anytime Anywhere
MANDO DIAO nach AGENT FRESCO ist wie eine Portion Magerquark nach einem vitaminreichen Salat-Teller. Ich habe den Erfolg dieser Schweden noch nie so richtig verstanden, obwohl es in unserer Redaktion auch glühende Verehrer der Band gibt. Hier stellt Kollege Schmitz "Das heiße Herz Schwedens" vor. 'White Wall' und auch ein Großteil des MANDO DIAO-Repertoires ist eben Party-Rock, dem ich auch die Einflüsse meiner alten Lieblinge THE ROLLING STONES nicht nur optisch nicht absprechen kann ('Sweet Ride'). Doch nach drei Songs setzt dann doch ein wenig Langeweile ein, sodass ich anderweitige Beschäftigung brauche. Hm, iPhone ist langsam, Messages sind alle gecheckt und beantwortet, zum Lesen ist auch nix da. Vielleicht bin ich ja nur zu weit weg von Geschehen. Also gehe ich weiter nach vorne in die Menge. Ja, Sänger Björn Dixgard hat schon Rocker-Attitüde und dürfte auch beim weiblichen Geschlecht nicht allzu schlecht ankommen, Schmackes in der Stimme hat er auch, und als die Band dann am Ende ihre ganz großen Hits 'Gloria' und natürlich das fröhliche 'Dance With Somebody' spielt, ist die Stimmung im Olympiastadion ausgelassen. Allerdings zieht MANDO DIAO die Sing-Spiele bis zum Geht-Nicht-Mehr hinaus und so wird es für nichts mehr, den Anfang des Filmes GUTTERDÄMMERUNG mitzubekommen. Mich zieht es zurück zur Seebühne und SÓLSTAFIR.
Setliste: White Wall, Sweet Ride, Lady, Never Seen the Light of Day, The Band, Money, Mr. Moon, Hit me with a bottle, You Got Nothing On Me, Amsterdam, Down in the Past, It's Now or Never, Gloria, Dance With Somebody
Vor dem eigentlichen Headliner gibt es heute etwas wirklich Außergewöhnliches auf dem Rockavaria. Es wird nämlich der Film "Gutterdämmerung" auf geführt. Ja, wirklich aufgeführt, denn der auf den Großbildleinwänden zu sehende Fim ist nur eine Facette der Darbietung. Zusätzlich kommt eine Live-Band zum Einsatz und Henry Rollins ist persönlich anwesend, um seinen Teil des Films live einzusprechen. Damit haben wir drei Erzählebenen: den Film, die Musik, und den livehaftigen Rollins. Während der Film ein wenig ungeordnet eine simple Rock 'n' Roll-und-Hölle-Geschichte erzählt, die manchmal mit unverhofften und wenig nachvollziehbaren Sprüngen verwirrt, ist die Band wirklich gut. Allerdings kann man nur bedingt den Live-Gig genießen, da er immer wieder unterbrochen wird. Henry Rollins ist so intensiv, wie man ihn kennt. Nach einer guten halben Stunde muss ich zugeben, dass der Film, der übrigens keineswegs ein Stummfilm ist, als der er angekündigt wurde, zu einem Vehikel verkommt, bei dem man beisammen steht und "Musiker raten"-spielt. Klar, Tom Araya erkennt jeder, Slash auch, aber wer ist der Typ mit der Panzerfaust? (Es ist Josh Homme). Den größten Eindruck macht der Live-Sänger, der mehr verdient hätte, als zu einem Begleitmusiker abgestempelt zu werden, aber mir zwischendurch mehr Spaß macht als so mancher Star auf der Leinwand. So bleibe ich mit gemischten Gefühlen zurück, als "The End" auf dem Bildschirm erscheint. Klar, das Unterfangen selbst ist lobenswert und irgendwie auch cool, aber so richtig überzeugt hat mich der mit Storysprüngen und Inkohärenzen gespickte Film leider nicht. Dafür aber Henry Rollins. Und dass selbiger und die Band dann noch explizit mit "Ace Of Spades" eine Hommage an den alten Haudegen, der ebenfalls in "Gutterdämmerung" zu sehen war, ins Rund feuern, gibt natürlich einen Sonderpunkt. Gut, es erlebt zu haben, aber eine richtige weitere Band, beispielsweise einen Gig der ROLLINS BAND, hätte ich lieber gehabt.
SÓLSTAFIR zu besten Sendezeit (20:15 Uhr) auf dem Rockavaria? Es ist zwar nur die kleine Bühne, aber immerhin. Den Status hat sich die Band auch redlich durch unermüdliches Touren verdient, und da ich die knuffigen Isländer schon einige Male gesehen habe, ist klar, was mich erwartet. Im Vergleich zu AGENT FRESCO ist SÓLSTAFIR zwar nicht mit den absolut begnadeten Musikern bestückt, und die langen Songs sind bei genauerer Analyse denkbar simpel. Doch die Band hat einfach ihren besonderen Trademark-Sound gefunden, die schicken Orange-Amps so eingestellt und die Sounds so designt, dass man sie sofort mit der richtigen Band assoziiert. Und zusammen mit der modischen Optik und Aðalbjörns einzigartiger Stimme ergibt sich ein Gesamtprodukt, das eine gute Anzahl an Fans anzieht und das wieder zu faszinieren weiß. Die einsetzende Dämmerung tut ihr übriges. Da ich auf dieser Seite schon oft von den wunderbaren musikalischen Kleinoden namens 'Ótta' oder 'Fjara' geschwärmt habe, betone ich lieber mal, dass die Jungs aus dem kalten, hohen Norden durchaus auch das Potential haben, die Menge vor der Bühne mit heftigem, lautem, fast punkigem Rock (jeweils das Ende von 'Djakninn' und 'Svartir Sandar') ins Schwitzen zu bringen. Für mich ist nach dem Gig Schluss, denn kein IGGY POP der Welt wird es schaffen, den Nachhall der einfach nur himmlischen Melodie von 'Goddess Of The Ages' aus meinem Gedächtnis zu löschen. Wie im Rausch radle ich nach Hause.
Setliste: Dagmál, Ótta, Djákninn, Svartir Sandar, Fjara, Goddess of the Ages
Aber Tommy, da kommt eine Legende, die du möglicherweise niemal wieder sehen wirst, und du radelst nach Hause? Ich fasse es nicht. Denn den Abschluss des heutigen Tages bildet tatsächlich nichts weniger als eine leibhaftige Musiklegende. IGGY POP, der Godfather des Punk, betritt pünktlich um 21:00 Uhr mit seiner Band die Bühne. Ich bin gespannt, einmal weil ich ihn noch nie live sehen konnte, und zum anderen, ob er mit seinen beinahe 70 Jahren wirklich immer noch rocken kann. Um es vorweg zu nehmen: er kann. Allerdings macht ihm ein Hüftleiden zu schaffen, sodass seine Bewegungen auf der Bühne eher unorthodox wirken und anfangs auch etwas seltsam. Doch das ist egal, denn als er das Anfangsquartett abfeuert, hat er bereits gewonnen. 'No Fun', 'I Wanna Be Your Dog', 'The Passenger' und 'Lust for Life' mal eben zum Aufwärmen verbraten. Ja, wer hat, der hat, denn tatsächlich fallen die meisten Songs später nicht im Geringsten ab. Zwar finde ich im Mittelteil das charmante 'Nighclubbing' deutlich zu lang, aber Iggy selbst sorgt durch seine Präsenz und seine völlig unpeinliche Eigeninszenierung zwischen sexy und fannah selbst als durchaus reifer bis überreifer Rocker für allgemeine Begeisterung. Mit nacktem Oberkörper und nahezu ständig in Bewegung, auch gerne mal im Fotogaben bei den Fans in der ersten Reihe, rockt er lässig ab, während seine Band tight und mitreißend Gassenhauer auf Gassenhauer folgen lässt, bis dann zum Schluss des Sets neue Songs kommen, die mir unbekannt sind und wohl vom aktuellen Album "Post Pop Depression" stammen. Gegen eben diesem Ende reißt Iggy dann auch noch den zeitlichen Schlusspunkt, der dem Veranstalter von der Stadt München auferlegt worden ist. Also wird dem Rebellen einfach der Saft abgedreht. Zum Ärgern zu abgeklärt post Iggy Pop noch einmal für seine Fans und verabschiedet sich dann in die Dunkelheit der Samstagnacht. Eine arschcoole, tolle Show. Da sich die Rockikone zurückziehen will, weiß man nicht, ob man noch einmal Gelegenheit haben wird, dieses Schauspiel zu sehen. Das allein war es wert, an diesem Tag auf dem Rockavaria zu sein.
Setliste: No Fun, I Wanna Be Your Dog, The Passenger, Lust for Life, Skull Ring, Sixteen, Five Foot One, 1969, Sister Midnight, Real Wild Child (Wild One), Nightclubbing, Some Weird Sin, Mass Production, Search and Destroy, Down on the Street, Sunday, Break Into Your Heart, Gardenia, Paraguay
(Leider durften wir bei IGGY POP nicht fotografieren, sodass wir euch den coolen Altpunker nicht visuell nahebringen können.)
- Redakteur:
- Frank Jaeger