Rage, Nightwish - Ludwigsburg
28.10.2000 | 08:2812.12.1999, Rockfabrik
Ja, das war sie. Die nächste schöne Sause. Das nächste, das schon sechzehnte Zusammentreffen einer Unterszene des Rock, die noch vor zehn Jahren unter dem Label Stonerrock eine eindeutige Einordnung erfahren konnte. Heute, im Juli 2016, gehört auf dem Stoned From The Underground ein großer Anteil dem Classic Rock, dem puritanischen Hardrock der großen Gesten, der Poserrock schwillt durch die wärmenden Frühabende, der Schweinerock vereint ein Publikum, das gern vom Teenierudel bis zum Bluesrocker im Pensionistenalter reicht. Auch im Rudel, aber milde lächelnd. Demgegenüber und fein in das Programm eingepasst, gibt es Instrumentalen Postrock mit Schmackes und Feinsinn, deftigen Sludge und Doomkapellen, die gekonnt Retrospektive auf all die Klassiker des Genres halten.
Aber es gibt auch Entwicklungen, Tendenzen, Diskussionen um das Drumherum eines gelingenden Festivals. Schon einfach deshalb, weil sich auch der Musikkonsum an sich sehr geändert hat. Immer faszinierend an diesen drei Erfurter Tagen ist der Mix des Publikums: Frauen wie Männer sind in Hälfte vertreten, was der gesamten friedlichen Stimmung sehr zuträglich ist. Kein Geschubse, wenig Geprolle und Belästigungen, und wenn ein Jungmann die Feinheiten einer freundlichen Bierbestellung vergessen hat, wird er von den aufmerksamen Bierwagenbesetzungen bestimmt und direkt darauf hingewiesen.
Nach der letztjährig aufwallenden Diskussion um einen wahrgenommen Machismo, der die schnell erreichten Grenzen des Sexismus übertreten haben soll, war ich dementsprechend aufmerksam und suchte nach Anhaltspunkten für genau diese starke Behauptung. Ich kann das 2016 nicht bestätigen. Als ein deutlich angetrunkener Geschlechtskamerad sich im Nachbarzelt in einem Gespräch mit den Nachbarinnen in solchen Phrasen verirrte, wurde er kurzerhand von den beiden resoluten Damen des Pavillons verwiesen. Gut so. Wie gesagt, ich habe Konzertveranstaltungen erlebt, wo auch ich die männliche Hormonschwemme und deren Auswirkungen nicht mehr ausgehalten habe und mir damit auch das Ganze vergällt worden ist.
Diese Gefahr besteht bei diesem Festival nicht. Es ist eine Party, es ist eine Aneinanderreihung von Höhepunkten, die kollektiv entspannt aufgenommen werden.
Zweiter Punkt ist der Platz. Dem Trend zufolge beginnen Festivals heute auch schon am Donnerstag. Als wir am Donnerstag gegen 17 Uhr auftauchen, ist eigentlich schon alles voll. Wir finden einen Platz, sind uns aber nicht sicher, ober da alles hinpassen wird. Der Chef persönlich braust heran. Im knatternden Motorroller-Gedröhn denkt er darüber nach, ein gewisses Quadratmeter-Volumen zusätzlich zu berechnen. Dabei nimmt er lachend zu Protokolle, dass „Ihr alle ja irgendwo unterkommen müsst!“ Stimmt. Es bricht trotz der Platzknappheit keine Panik aus. Der Festivalbesucher von heute tritt in Großgruppen auf, er parkt seine Mittelstandskarosse quer, um Sonnensegel zu befestigen. Kleine Dörfer entstehen. Es riecht nach Rührei, das vor Caravans gebraten wird, im Dutzend wird der Billigunterstand besetzt, heute sitzt niemand mehr auf dem struppigen Thüringer Boden und puhlt sich die Rapsstrünke aus der Fusssohle. Die Leute kommen nicht mehr, um einen trockenen Platz zum Ausschlafen des Rauschs zu nutzen, nicht wenige haben gar kein Ticket... oder die Musik ist bei ihrem Freundeftreffen eher zweitrangig. Vorbei die Zeiten, wo die Anfangzwanzigerin mit dem Angebeteten ein Wurfzelt in die Wiese wirft und kalte Raviolis im Schneidersitz geschlungen werden. Interessant, wo das hingeht. Mit der Raumgreifung wird sich wohl auch das SFTU zu beschäftigen haben.
Drittens. Kurz nach dem Festival - und eigentlich schon währenddessen – entspann sich im Sozialnetzwerkaustausch eine Diskussion über die „Penetranz der Polizei“ - im Speziellen von umherstreifenden Zivilbeamten, die Tüten auf der Spur waren. Zum Teil auch sehr restriktiv. Was auch immer dies bedeutet. Auch die Alkoholkontrollen im Umkreis des Idylls wurden wieder kritisch bedampft. Für einige scheint es auch ein Kriterium zu sein, dem Festival zukünftig fern zu bleiben, weil das „so viele Bullen sind“. Dazu ist zu sagen, dass die SFTU-Macher da eine sehr klare Linie fahren. Die Versuche einiger, die Eigenverantwortung über freiheitlich gewählte Zustände aber auch Straftatbestände irgendwelchen anderen Instanzen entgegenzusetzen und vorzuwerfen, finde ich gelinde gesagt … absurd und überflüssig. Die Kompetenzen der aufgeräumten Festivalorganisatoren liegen bei der famosen Musikauswahl und dem immer flüssigen und entspannten Verlauf, für die Erwartungen sind die gestreichelten Besucher immer noch ganz allein zuständig.
Und daher apropos Musikkompetenz. BREIT und CHURCH OF MENTAL ENLIGHTMENT eröffnen im Zelt. Beides Leipziger Bands, beide an verschiedenen Polen der Gitarrenmusik beheimatet. BREIT setzt Kontraste, indem einer Sängerin mit melodiösem Gesang ein schepperndes Doomset beigestellt wird, die COME frönen einem nie in die Jahre kommenden Bluesrock. Beide füllen das Partyzelt, beide werden abgefeiert. Die Hauptbühne betreten daraufhin die gebeutelten Ukrainer von STONED JESUS. 2015 aufgrund von Visa-Problemen mit kurzzeitiger Absage geschlagen, fehlt auch heute der Bassist im Trio. Die beiden Musiker jedoch spielen sich die Anspannung von der Seele und bringen daraufhin die frühabendliche Versammlung sehr in Wallung. Darauf folgen Griechen. 1000 MOODS reitet der Ruf voraus, eine sehr energetische Liveband zu sein. Das stimmt. Die Betriebstemperatur ist schnell erreicht, was an der Anzahl der euphorisch quer geschleuderten Bierbecher zu erkennen ist. Der Ruf ist bestätigt. Dann knurrt und murrt, knarzt und ballt es sich auf den Brettern. Die kanadischen Nihilisten von DOPETHRONE treten aus dem Dunkeln. Das Trio sludgt sich durch ein düsteres Set, das mit vielen Fucks und Shits begleitet wird. Mehrmals werden Staatsorgane beschimpft, die Herren machen aus ihrer destruktiven Weltsicht keinen Hehl. Musikalisch ist das eindrucksvoll laut, gute Gefühle werden hier verdampft, der ganze Ärger in Töne gegossen und wohlwollend aufgenommen. Irgendwie geht man da auch nicht einfach weg, man gibt sich diesen Weltenbrand gern und mit gesundem Negativmitnicken auch gern hin. PETER PAN SPEEDROCK beschließen den ersten Abend mit ihrem Stoner'n'Roll, sind unterhaltsam, spielen aber auch gegen die vorherige kanadische Dunkeldoomwalze an. Nach diesem SFTU wird diese Band wohl altersbedingt aufgelöst, wie schon vorher zu hören ist. Dafür noch mal einen guten Abschiedsgig hingelegt, liebe Herren.
Freitag ist. Spaziergänge. Badestrand. Wunden lecken. Kein Rührei. Schweizer Interdisziplinär-Noise-Rock. HATHORS vermengen Grunge, Punk, Metal und herrlich bekloppte Rhythmuswechsel zu einem Aufwacher, der den trägen Schlafsand aus den Augen bröckelt. Famos, diese Unbefangenheit im Ausprobieren, in der Spielfreude und im Abgang. Eigentlich sollten nun die Dresdner Metaller von GORILLA MONSOON folgen, die aber aufgrund von Unzufriedenheiten mit dem Auftrittsort kurzerhand ausgeladen wurden. Sagt das Gerücht. Noch famoser die Nachbuchung. Die Schweden von THE ORDER OF ISRAFEL stehen auf der Hauptbühne. Und da gehören sie auch hin. Graumelierte Grinsmatten. Das Quartett, welches mit dem aktuellen Album auch starkes Material zu bieten hat, setzen sich hier sehr gekonnt und vor allem melodiös in Szene. Das Publikum fließt herbei und lässt sich von der Lässigkeit der skandinavischen Schwere überzeugen. Nicht nur einmal nicke ich den Umstehenden mit zusammengekniffenen Lippen zu, um meiner Begeisterung einen (natürlich) kontrollierten Ausdruck zu verleihen. Und sie nicken zurück. Scheiß auf Kontrolle daraufhin, die Köpfe wiegen sich nun sehr schnell im Takt. Danach gibt es mehrere Treffen von diversen Musikern direkt vor der Bühne, die sich gegenseitig abfeiern und gekonnt in das aufgehitze Publikum einfliessen. Eines dieser Qualitätsmerkmale dieses Festivals: kein Star-Gehabe, keine Berührungsängste. Apropos Ängste: HYPNOS aus ebenfalls Schweden schicken vier blonde Lederjacken und einen gebräunten Flachbauch los, um Haaarddddrock der Kategorie Posing 4.0 zu vergegenwärtigen. Was für ein schwerelos-schmalziges Gebaren, vom Teufel daselbst geschickt. Mit Flöte natürlich. Ich sehe es und denke...tja, was denke ich...Schön, es ist Sommer, und das gehört dazu.
IRON WALRUS geben den Sludge, was ich gut eine halbe Stunde mitmache aber aufgrund des Magenlochs verlasse. Auf dem Rückweg vom Gebelle der Maskierten sinniere ich darüber nach, wie eigentlich Robbenfleisch schmecken könnte. In größerer Erwartung eines Überraschungsgigs nun SPIRITUAL BEGGARS. Aber das erscheint mir zu schnell zu glatt, zu seelenbeschieden. Es geht auf den berühmten Stoned-Hügel, wo wir mit einigen anderen Abendsonnenanbetern ins Gemurmel kommen und uns diese viel gelobte Band aus sicherer Entfernung betrachten. Man sieht: Ausschließlich dunkelsthaarige Musiker, die ihre Musik irgendwie nicht recht ernstzunehmen scheinen. Aber so wirken wollen. Naja. Betroffenheit ist nicht, eher Enttäuschung. Der Brant kommt. Das ist eine Schlagzeugerlegende, der bei KYUSS und FU MANCHU, ich glaube auch bei NEBULA definitiv soundprägend war. Seit einigen, nicht wenigen Jahren aber auch eigene Alben herausbringt. Groovende, bluesige Nuschelstücke, die in besten Momenten runtergehen wie ein Wassereis am Pizzaofen. Er: kündigt verlegen mit knappen Worten das nächste Stück an. Und dann kommt eben auch das nächste. Und immer unaufgeregt, wohl temperiert, das passt als Abschluss des Abends.
Samstag ist erreicht. HATHORS im Zelt. Drei Schweizer mit einer Macke. Einer tollen. Die mixturen alles zusammen, was seit 30 Jahren durch die alternativen Szenen fleucht. Ohne Black Metal vielleicht. Aber Hardcore, Stoner, Noise, die Leute sind begeisterungsfähig hier und heute. Ich beginne darüber nachzudenken, warum die kleine Schweiz immer wieder so famose Schätze herausgletschert. Und wir bleiben gleich im Nachbarland: PASTOR sind Österreicher und geben uns eine schicke halbe Stunde Anschauungsunterricht in Sachen Striktgestricktrock. Das Quartett bollert durch die Mittagshitze, lieber Kreislauf, halte stand.
Tut er. Hauptbühne geht weiter. Aber leider nicht mehr mit mir. Denn ich muss hier und jetzt die Segel streichen, die familiäre Pflicht ruft. Aber schon der Klang der folgenden Bands macht die Trauer groß. CAUSA SUI und MOTHER TONGUE...und... vor allem beschluchzt...GOMER PYLE.
Nächstes Jahr, das STFU wird die Pubertät langsam verlassen haben... da gibt es die nächsten Verliebtheiten... mit mir. In Dich.
- Redakteur:
- Mathias Freiesleben