Ragnarök Festival - Lichtenfels

17.05.2024 | 09:13

04.04.2024, Stadthalle

Im zweiten Jahr in Folge wird die oberfränkische Hochburg für Pagan und Schwarzmetall auf drei Tage ausgedehnt.

Am dritten Tag ist es erstaunlich warm, die strahlende Sonne zieht viele Festivalgänger im T-Shirt vor die Stadthalle. Im bald schon hitzigen Inneren eröffnen heute die dänischen Wikinger VANSIND, während sich anschließend hinter dem Pseudonym ELLEREVE erneut eine Einzelmusikerin verbirgt. Wobei Elisa Giulia Teschner neben Post-Rock auch mit ihrem Outfit die Blicke auf sich ziehen dürfte. Dann servieren die Hamburger SAGENBRINGER mit Songs wie 'An die Ruder' oder 'Für immer frei' Pagan Metal von ihrem kurz zuvor erschienenen Album "Zeit der Geschichten".

[Carsten Praeg]

Es wird kalt in der Halle, denn der Winter kommt. Die eiszapfigen Schweden ISTAPP betreten in aufwendigen Kostümen die Bühne und entfesseln einen Blizzard aus sägenden Gitarren und Blast Beats, ergänzen ihren Black Metal aber mit einer gehörigen Portion Melodie – sowohl an der Leadgitarre als auch durch Chöre und cleane Vocals. Ein Highlight für die vielköpfige Meute ist der Gastauftritt von EIS-Frontmann Alboin, der einen Song mitsingt. Insgesamt leidet der Auftritt aber unter der teilweise orientierungslos wirkenden Leadgitarre und der Tatsache, dass alle Keyboards, Chöre und Cleanvocals vom Band kommen. Dies führt zu der kuriosen Situation, dass die Band das Publikum mit Lippenbewegungen zum Mitsingen animiert, während die klaren Leadvocals vom Band kommen. Hier muss die Frage erlaubt sein, wie viel Karaoke-Metal noch cool ist.

[Julian Rohrer]

Um Punkt 15 Uhr ist dann etwas härterer paganlastiger Schwarzmetall aus Paderborn an der Reihe: HORN reckt sich sogleich eine stattliche Anzahl Teufelshörner bis in die letzte Reihe entgegen und die Anfeuerungsrufe reißen nicht ab. Im Gepäck haben die Jungs mit "Daudswiärk" ihr brandneues Studioalbum, "das wollen wir gleich mal ausprobieren", verkündet der stiernackige Sänger und Gitarrist Nerrath. Und so wird 'Daudsaom' rausgehauen, das ziemlich ballert. Dazu demonstrativ die Gitarren hochreißen und auch mal auf der eigenen Schulter platzieren, zum Abschluss noch 'Deute die Zeichen stehen auf Sturm' hinterherschießen – und schon ist die Stadthalle ein gutes Stück wacher.

Nachdem die Engländer FEN optisch bodenständig schlicht in Jeans und abgewetztem T-Shirt Oldschool-lastigen Post Black Metal servieren, folgt KANONENFIEBER, zweiter Teil: Denn niemand anderes als die fünf Bamberger vom Vortag verbergen sich hinter dem Namen NON EST DEUS. Die Pyros und Nebelfontänen können also gleich nochmal zum Einsatz kommen, nur die Bühnenoutfits haben sich von Weltkriegsuniformen zu gespensterartigen Mönchskutten gewandelt. Sänger und Mastermind Noise gestikuliert hinter Kreuzen hervor, liest aus einem alten Buch und weiht seine Bühnenmitstreiter. Dazu werden passende Songtitel wie 'Babylon' oder 'Fuck Your God' serviert. Zwar hat sich das Projekt mit der eigentlich jüngeren Band KANONENFIEBER inzwischen selbst überholt, dennoch eine ganz ordentliche Alternative in einem gänzlich anderen Szenario.

[Carsten Praeg]

Nach eigenen Angaben hat CRUACHAN bis zu 700 Spuren für das letzte, sehr ambitionierte Album "The Living And The Dead" verwendet. Erwartet uns also die nächste Karaoke-Metal-Band, bei der das meiste vom Band kommt? Das Gegenteil ist der Fall. Mit Gitarre und Leadgesang in Personalunion, Bass, Geige und Schlagzeug in der ersten Hälfte des Gigs und Gastsängerin Kim Dylla in der zweiten, reißen die Iren so dermaßen ab, dass es eine wahre Freude ist. Nichts kommt vom Band, alles authentisch und direkt - sympathisch! Und diese ungefilterte Energie springt direkt auf das Publikum über. Wohin ich schaue: Es wird getanzt, gecirclepittet, gemosht. Nach dem Auftritt verrät uns Frontmann Keith, dass er eigentlich noch einen Song geplant hatte und selbst überrascht war, als die Zeit plötzlich um war. Die Zugaberufe zerschellen an der gnadenlosen Running Order. Für alle viel zu schnell vergeht eines dieser Konzerte, die für immer in Erinnerung bleiben. Darüber sind sich alle einig, als sie sich verschwitzt, aber glücklich auf den Weg zum Bier- oder Metstand machen. Die Hoffnung ist, dass die Iren bald zu einer ausführlichen Clubtour über den Kanal fliegen.

[Julian Rohrer]

Nach ausgelassener irischer Fröhlichkeit weht ein eiskalter Wind durch die Stadthalle: Ein mit Knochen-Halskette und Killernägeln versehener NORDJEVEL-Sänger Doedsadmiral trotzt den seitlich einfallenden Sonnenstrahlen und fixiert das Publikum mit eisigem Blick, während er mit dem Mikroständer hantiert oder ihn wahlweise gleich umwirft. Musikalisch wird das Schauspiel mit gnadenlosem Gemetzel wie 'The Shadows Of Morbid Hunger' oder 'Blood Horns' untermalt. Der noch neuere Schlagzeuger Leonid gibt an der Schießbude im M16-Takt schon mal einen kleinen Vorgeschmack auf das Tempo, das MARDUK am späteren Abend noch zur Perfektion treiben wird. In Höchstgeschwindigkeit durch die rund 45 Minuten Spielzeit.

Hinter dem Vorhang kann man schon den charismatischen Sänger und Mastermind David sich warmsingen hören, seine Stimme scheint heute bestens aufgelegt zu sein. Und davon lebt schließlich eine Band wie HERETOIR, deren Atmosphäre neben härteren Parts ganz von den Cleanvocals getragen wird. Die Post-Blackies legen mit 'Exhale' gut los, David lässt seine Rastas fliegen und reckt sein Plektrum in die Luft. "Seid ihr verdammt nochmal gut drauf?", fragt er enthusiastisch das Publikum, das sowohl alte Stücke wie 'Graue Bauten' als auch aktuelles Material wie 'Wastelands' ziemlich abfeiert. Nur drei Kleinigkeiten stören zumindest mich ein klein wenig: Erstens steuert NOCTE OBDUCTA-Stefan heute keine dritte Gitarre wie auf der vergangenen Tour bei. Zweitens übersteuert die Bassdrum zwischendurch ausgerechnet bei einem eher ruhigeren Part. Und drittens fehlt der absolute Bandklassiker 'Eclipse' in der Setlist. Frechheit! Aber das ist Jammern auf hohem Niveau bei einem ansonsten absolut tadellosen und mitreißenden Auftritt.

Im Anschluss wird auf der rechten Bühne die Nebelrechnung ziemlich in die Höhe getrieben: Die Schotten SAOR ballern zu ihrem atmosphärisch-folkloristischen Black Metal den Nebel dermaßen aus allen Rohren, dass ihre deutsche Backgroundsängerin, Flötistin und Dudelsackspielerin Ella Zlotos nur schemenhaft zu erahnen ist. Zumindest Bandgründer Andy Marshall und seine Saitenmitstreiter sind am Bühnenrand zu Songs wie dem zwölfminütigen 'Children Of The Mist' und bei gelegentlichem Gitarrenposen schon etwas besser zu sehen. Die Glasgower, die live auch gerne mal ihr 2014er Album "Aura" komplett am Stück spielen, servieren ein runde Stunde ordentliches Geballer mit "Tüdeldü" und ernten dafür einiges an Applaus.

Eine Woche zuvor beim "Dark Easter" noch Rausschmeißer nach Mitternacht, müssen die Norweger KAMPFAR heute deutlich früher ran. Die Stimmung ist aber bestens, als die Schwarzmetaller mit 'Feigdarvarsel' drauflos rumpeln. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn die gnadenlos übersteuerte Soundkulisse ist eine recht holprige Angelegenheit. Sänger Dolk lässt sich davon aber nicht beirren, rennt permanent über die Bühne, feuert unentwegt das Publikum an, keift selbst beim Bangen und wirft irgendein weißes Pulver in die Luft. Auch seine Saitenkollegen agieren betont cool und strecken gerne mal die Zunge raus. Und irgendwie passt der Rumpelsound auch wieder zu den urigen Nordmannen, die ihre Fans spätestens mit dem Höhepunkt 'Norse' sicher nicht enttäuschen.

In den letzten Stunden des Festivals muss dann plötzlich die Running Order umrangiert werden, denn der Flug der Iren PRIMORDIAL hat Verspätung. Während ihr Auftritt nach hinten verschoben wird, avanciert der eigentliche Rausschmeißer ORIGIN plötzlich zum Co-Headliner und serviert brutalen Tech-Death statt keltischem Folk. Sänger Jason ist mindestens genauso aktiv wie PRIMORDIALs Alan Averill und entpuppt sich unterlegt von passender Strobobeleuchtung als ziemlicher Zappelphilipp. "I assure you, it only get's fucking worse from here", verkündet der New Yorker vollmundig, Brutalosalven wie 'Disease Called Man' geben dem Grunzbär aber absolut recht. Derweil ist es ein Wunder, dass sich der bärtige Basser Mike an seinem Fünfsaiter keine Knoten in die Finger spielt, während Crowdsurfer der Bühne entgegenschwimmen. Nach einer knappen Stunde Gemetzel folgt der vereinzelten Verwirrung über den kurzfristig angestiegenen Härtegrad dann die nächste Irritation: Welche Bühne ist nun dran?

Da MARDUK und ORIGIN derzeit zusammen touren und das gleiche Equipment nutzen, finden ausnahmsweise zwei Gigs hintereinander auf der gleichen Bühnenseite statt. Dadurch dauert der Umbau ein paar Minuten länger, während sich hinterm Vorhang Drummer Simon schon mal warmschießt. Dann zerficken einem die Schweden echt das Trommelfell. Die Snare ballert im Fotograben aus den Boxen als hätte man ein M16 direkt am Ohr. Mit 'On Darkened Wings' von 1993 geht es Oldschool-mäßig los, ehe mit 'Blood Of The Funeral' oder 'Shovel Beats Sceptre' auch Aktuelles hinterhergeschossen wird. Gewohnt routiniert zocken die Mannen um Sänger Mortuus und Gitarrist Morgan ihr Programm runter. Und endlich gelandet schaut auch PRIMORDIAL-Sänger Alan zu 'Accuser / Opposer' für einen kurzen Gastauftritt vorbei. Schade nur, dass es inzwischen nur noch maximal ein Song vom Album-Klassiker "Panzer Division Marduk" in die Setlisten schafft und der in der Regel nicht auf den Namen 'Christraping Black Metal' hört. Sei's drum, ein Tinnitus ist mir trotzdem für die nächsten 48 Stunden gewiss.

Das Trümmerfeld, das MARDUK hinterlassen hat, darf anschließend PRIMORDIAL aufräumen. Kurzfristig als Rausschmeißer, dafür ist die Stadthalle weit nach Mitternacht noch gut gefüllt. Ganz traditionell läuten die Iren ihren Auftritt mit dem Neun-Minuten-Epos 'As Rome Burns' ein, während die vorderen Reihen enthusiastisch mitgehen. Sänger Alan springt wie immer permanent am Bühnenrand herum, spielt mit einem Strick und sucht die Nähe zum Publikum. "Everytime a fucking pleasure", ruft der Kapuzenträger ins Mikro, während ihm Crowdsurfer entgegenschwimmen. Der Countdown auf der Bühnenuhr ist schon längst heruntergetickt, als die keltischen Folk-Blackies mit dem obligatorischen 'Empire Falls' den Schlusspunkt setzen. Und uns zu einem letzten Kaltgetränk am Bierstand nach einem großartigen Festivalprogramm verabschieden.

[Carsten Praeg]

Redakteur:
Carsten Praeg

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