Rock Hard Festival 2010 - Gelsenkirchen

10.06.2010 | 15:51

21.05.2010, Amphitheater

Bei hellenischen Temperaturen, in hellenischer Theateratmosphäre zu metallischen Klängen schwelgen...

Ich verstehe gar nicht, warum so oft über die Bahn geschimpft wird, denn ich als Exil-Deutsche freue mich jedes Jahr auf's Neue darauf, mit dem ICE pfeilschnell durch mein Heimatland zu düsen und (meistens) stressfrei pünktlich anzukommen. So erreiche ich auch heute mit einer ICE-/IC-Kombination bequem den Gelsenkirchener Hauptbahnhof, checke rasch in mein Hotel ein, tausche Pulli gegen T-Shirt, greife zu Sonnencreme und -brille und lasse mich schließlich von dem wesentlich gemütlicheren Bus Nummer 383 zum Festivalgelände schaukeln. Noch fix das Festivalbändchen abgeholt und ab ins Getümmel. Meine Redaktionskollegen haben derweil eine Autopanne und verspäten sich entsprechend. Ganz toll ... Als bislang einzige POWERMETAL.de-Vertreterin vor Ort bleibt mir also nichts anderes übrig, als mir die frühen Bands, die noch vor einem eher spärlichen Publikum aufspielen müssen, im Alleingang anzuschauen, was im Falle der ersten beiden Combos den berühmten Perlen, die vor die Säue geschmissen werden, gleichkommt.

KETZER höre ich von meinem Platz im Halbschatten mehr, als dass ich sie sehe. Ihr blasphemischer Blackened-Thrash-Metal rumpelpumpelt laut gegen meine Frühlingsgefühle an, und nur wenn sie ihr Tempo gelegentlich ein wenig zurück nehmen, finde ich sie zumindest ansatzweise genießbar. Ich wette, dass fast alle meiner Kollegen hier mehr mit hätten anfangen können, aber sie mussten ja unbedingt mit dem Auto kommen.

NECROS CHRISTOS
(Bild rechts) kann ich mir schon eher geben. Bandchef Mors Dalos Ra hat was gegen zu viele Noten in einem Song und streut lieber gut durchdachte Riffs in den groovigen Death-Metal-Sound ein. Mein ungeschultes Todesblei-Ohr vermag zwar die einzelnen Tracks nicht wirklich auseinander zu halten, aber dass der ausgebildete klassische Musiker was vom Songwriting versteht, leuchtet selbst mir ein.

KATATONIA, die Lieblingsband von Autopannen-Kollege Thommy, gilt normalerweise als völlig festivaluntauglich - zu zerbrechlich sind ihre eher für den Kopfhörergenuss geschriebenen Songs. Doch dank der beiden Neuzugänge an Bass (Niklas Sandin) und Gitarre (Per Eriksson) ist plötzlich viel mehr Bewegung auf der Bühne, die sogar auf den als eher introvertiert bekannten Sänger Jonas Renkse (Bild links) abzufärben scheint. Hinzu kommt ein druckvoller Sound und eine wie mir scheint etwas härtere Live-Interpretation der ausschließlich von den letzten vier Outputs stammenden Titel, welche das Amphitheater melancholisch-rockend durchfluten. Seit meinem letzten Konzert mit den Schweden hat Renkse sich zu einem passablen Frontmann weiterentwickelt, der den Kontakt zum Publikum nicht scheut, und auch wenn ich mir den einen oder anderen Song von den früheren Alben gewünscht hätte, beweisen KATATONIA heute, dass sie mit ihrer Schwermut inzwischen auch sonnendurchflutete Open-Air-Arenen ein klein wenig dunkler zu machen wissen. Schöner Auftritt! Und meine Ablösung ist auch endlich aufgetaucht ...
[Elke Huber]

Was haben SABATON nicht alles erreicht: Von der einen Seite gehasst, von der anderen geliebt, polarisiert sich die Band so gerade recht durch ihre Karriere. Doch eins müssen selbst die Hasser zugeben: Live sind die verrückten Schweden mit den gleichgeschlechtlichen Vorlieben eine Bank. Moment: Gleichgeschlechtliche Vorlieben? Nun ja, so viele Nippelzwicker, Sackkneifer und Arschgrapscher habe ich auf einem Metalkonzert noch nie erlebt. Aber das lässt die Veteranen der eindeutig zweideutigen Kriegs-Kritik natürlich nicht davon abhalten, einen starken Gig auf die Beine zu stellen. Leider sind uns die Melancholiker von KATATONIA durch die Lappen gegangen, deswegen kann ich an dieser Stelle nicht auf mögliche Kontrasterscheinungen eingehen, aber die Schweden legen mit ihrem aktuellen Album "Coat Of Arms" das RockHard 2010 in Schutt und Asche. Voller Spielfreude werden Songs wie 'Panzer Battalion' ins Publikum geschleudert, gekrönt durch ein abschließendes 'Primo Victoria' vom gleichnamigen Debütalbum. Das Feedback der hart rockenden RockHarder ist euphorisch, was die Band mit einem "normalerweise würde jetzt der Zugabenpart mit dem Verlassen der Bühne, Sprechchören und so weiter kommen - you know what? Fuck the drama!" kommentiert. Ein unkomplizierter und spaßiger Auftritt, der die Albenverkäufe sicher angespornt hat.
[Julian Rohrer]

Das Rock Hard Festival 2010 bietet für mich zwei Gelegenheiten, Verpasstes nachzuholen. Die erste steht am Freitag um 19.45 Uhr in der Gestalt von BLOODBATH auf der Bühne. Das schwedische Freundschaftsprojekt, inzwischen ausschließlich bestehend aus Musikern von KATATONIA und OPETH, spielt heute erst den vierten Gig seiner über zehnjährigen Geschichte und ich bin endlich live mit dabei. Ehrlich gesagt interessiere ich hauptsächlich wegen der hochkarätigen Besetzung für den Old School Death Metal des Projektes und muss über die Lobhudeleien einer Festivalbekanntschaft, dass sich die Stammformationen ruhig auflösen dürfen, damit die Beteiligten BLOODBATH zur Vollzeitbeschäftigung machen können, müde lächeln [wohingegen Redaktionkollege Rüdiger sich ausdrücklich freut, Åkerfeldt endlich mal "mit seiner guten Band" zu sehen. - Anm. d. Red.]. Trotzdem wirken die Herren zu keiner Sekunde unglaubwürdig, wenn sie den Idolen ihrer Jugend huldigen. Was man von der Optik des Sängers allerdings nicht behaupten kann. Mikael Åkerfeldt sieht mit seiner verspiegelten Sonnenbrille und der speckigen Lederjacke eher wie ein drittklassiger Zuhälter als wie ein Todesmetaller aus, und die von seinem inzwischen legendären augenzwinkernden Humor durchdrungenen Ansagen sind sowieso viel zu lieb. "Die Band wurde 1998 als Witz gegründet, und vielleicht sind wir das ja immer noch", sinniert er selbstzweifelnd, wendet wer weiß wo aufgeschnappte, eher sinnleere Deutschkenntnisse an, erkundigt sich höflich nach dem Wohlbefinden seiner Zuhörer, würdigt den musikalischen Einfluss von Ex-Schlagzeuger Dan Swanö und lässt durchblicken, dass Alkohol ein nicht unwesentlicher Faktor im bisherigen Schaffen gespielt hat. Doch gerade deswegen machen BLOODBATH selbst subtilen Gemütern wie mir ("Wir spielen keinen subtilen Metal, nur Death Metal") einfach Spaß. Hier wird - abgesehen von den Texten - kein x-fach überstrapaziertes Klischee neu aufgerollt, nicht von Tod und Teufel gepredigt. Hier lassen fünf begnadete Musiker einfach mal ein bisschen die Sau raus und freuen sich, wenn jemand mitfeiert.
[Elke Huber]

Setlist:
Intro
Ways To The Grave
Soul Evisceration
Process Of Disillumination
Iesous
Breeding Death
Mouth Of Empty Prayer
Mass Strangulation
Cancer Of The Soul
Mock The Cross
Like Fire
Blood Vortex
Outnumbering The Day
Hades Rising
Eaten

Nach sackstarken BLOODBATH mit einem gewissen Sympathieproblem kommen nun also Götzens Beste auf die Bühne: THE DEVIL'S BLOOD. Nun, der Hype um diese Band ist ja sowieso ein Phänomen. Vom Teufel besessen, dabei psychedelischen 70er-Rock spielend und im Allgemeinen eher lächerlich als irgendwie beschwörend wirkend, startet der Headliner-Auftritt der Holländer überraschend stark. In rotem Licht gehalten, übergossen mit Tierblut, begleitet von drei Backgroundsängerinnen und mit drei Gitarristen und einem Bassisten wahrlich epochal, fällt es leicht, sich von der rituellen Atmosphäre der Teufelsjünger einfangen zu lassen. Inwiefern sich die Band nun wirklich mit satanischen Ritualen beschäftigt, dem vom DISSECTION-Sänger Jon Nödtveidt beschworenen Misanthropic Luciferian Order anhängt oder gar als Sprachrohr des Gehörnten gelten will: Es hat schon etwas Beschwörendes, wenn Sängerin Farida Lemouchi auf der Bühne steht, sich kaum bewegt, und mehr wie jene Puppe wirkt, die sie im Angesicht ihres Herrn sein will. Musikalisch bietet die Band eine Reise durch den Backkatalog und füllt den Abend vor allem mit psychedelischen Jam-/Solo-Eskapaden.

Es ist schwer, die Songs auseinander zu halten, denn schon nach zwanzig Minuten setzt eine Ermüdung ein, die vor allem aus dem recht ähnlichen Songmaterial und der schlicht nicht vorhandenen Bühnenakrobatik entsteht. Je länger der Auftritt geht, desto deutlicher wird, dass die Band ihren musikalischen Helden des Okkult-Rock in allen Belangen nacheifert, sie jedoch zu keinem Zeitpunkt in ihrer Faszination erreicht. Und so gerät der Auftritt zunehmend zur Farce. Die Headliner-Position an diesem Freitag ist mit THE DEVIL'S BLOOD völlig falsch besetzt, da hilft auch keine (völlig sinnfreie) Videoleinwand. Nach den brutalen BLOODBATH mutet der Auftritt der Teufelsjünger wie ein laues Lüftchen an, das im ersten Moment begeistert, aber nie wirklich eine Daseinsberechtigung besitzt. Der Hype ist leer, soviel steht fest. Seichte Musik kann durch eine ach so teuflische Bühnen-"Show" auch nicht aufgewertet werden, und die Unfähigkeit des Festival-Chefs, zwischen dem echtem Potential einer Band und dem selbst intendierten Hype, dem man schließlich aufsitzt, unterscheiden zu können, kann nun auch kaum verhehlt werden. Wir gehen nach einer Stunde, die sich wie eine Unendlichkeit anfühlt, und freuen uns auf das Feierabendbier. Der Samstag hält hoffentlich einen besseren und passenderen Headliner bereit.
[Julian Rohrer]

Redakteur:
Elke Huber

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