Rock am Ring/Rock im Park - Nürburgring/Nürnberg
20.07.2009 | 11:4605.06.2009, Nürburgring/Zeppelinfeld
Bei Rock am Ring und Rock im Park ging es dieses Jahr wieder amtlich zur Sache! Unsere Redakteure waren auf beiden Veranstaltungen am Start.
Rock am Ring 2009 - Die Musik am Freitag
Der Headliner des ersten Abends waren PLACEBO, die von jüngeren Musikliebhabern als Einzigartigkeit von der Insel verehrt werden, von älteren als Spezialität und von noch älteren als Abklatsch von Brian Eno und David Bowie. Das mag man sehen, wie man will, populär genug waren sie allemal, um mit ihrem neuen Album "Battle For The Sun" nicht nur den Abend zu kopflinieren, sondern auf dem Festival auch gleich 'nen eigenen Stand zu bekommen. So massive Promotion war selbst für den Ring untypisch.
Untypisch war auch die Menschenmenge, die dank neuer Zugangshandhabung für die ersten beiden Zuschauerbereiche weitaus mehr Platz zwischen den Wellenbrechern hatte als in den Vorjahren. Das sah erst einmal so aus, als hätten nicht halb so viele Leute Lust auf PLACEBO, wie man erwarten könnte, gab den Anwesenden aber ein Gefühl von Sicherheit, wie man mir öfter versicherte.
Als die Briten um Brian Molko schließlich die Bühne betraten und sogleich mit 'Kitty Litter' begannen, war dann viel Gekreische zu hören, vorhersehbarerweise in den höheren Stimmlagen. Das Erste, was einem auffiel, war die Haartracht des Frontmanns: lange Haare? Molko, der sowieso viel wert auf androgynes Auftreten legt, hat somit wohl noch eine Schaufel nachgelegt, denn die gewachsten Haare ließen ihn ziemlich billig aussehen. Wenn man die Klischeekiste bedienen würde, hätte man sofort das Bild eines halbkriminellen Südländers im Sinn.
Das Volk reagierte auf die ersten paar Songs auch relativ verhalten, was an der Aktualität des Stoffs gelegen haben wird, und erst als Molko die Anwesenheit des Fernsehens erwähnte, gab man sich Mühe, etwas begeisterter zu klingen. Die üblichen Reflexe schienen immer noch zu wirken.
Das dargebotene Set war eine passende Melange aus den bekannteren Stücken wie natürlich 'Every You Every Me', 'Special K' und als Zugabe schließlich auch 'The Bitter End', womit dann auch die Songs erwähnt wären, die am meisten Resonanz im Publikam hervorriefen.
'Speaking In Tongues' war dann auch der erste Song, der so etwas Ähnliches wie einen Pit hervorrief, welcher durch die eher ruhige Art des Songs sehr bald verreckte. Eins war schnell klar: Auf eine Tanzparty luden PLACEBO hier definitiv nicht ein.
Entgegen aller Vorbehalte erwies sich die Band jedoch als guter Gastgeber auf der Bühne, besonders Molko bemühte sich um das Publikum, und als bei 'Special Needs' zwischendurch der Sound verreckte, nahm er es souverän mit "Well, this is a live concert, eh?" auf die leichte Schulter. Der Sound war dabei über die Länge klar und deutlich, professionell abgemischt und ein absoluter Hörgenuss, wenn man mal von dem unhörbaren Backgroundgesang und der absolut untergehenden Geigenspielerin absah.
Die Setlist gestaltete die neunzig Minuten eher ruhig. Auch wenn zwischendurch immer wieder Bewegung in die Menge kam, lud der Gig doch eher dazu ein, stehen zu bleiben und den Klängen zu lauschen. Skurril fand ich die Tatsache, dass die Band vor der Zeit von der Bühne verschwand, um dann eine Zugabe zu geben, die eigentlich keine war, weil sie innerhalb der von den Veranstaltern angekündigten neunzig Minuten lag. Dennoch ein durchaus sehenswerter Gig, bei dem die Band vollends überzeugte und der die Frage aufwarf, warum PLACEBO auf den zweiten Platz geschoben wurden, während die eher kurzzeitig erfolgreichen THE KILLERS den Abend dominieren durften.
[Michael Kulüke]
Setlist:
1. Kitty Litter
2. Ashtray Heart
3. Battle For The Sun
4. For What It’s Worth
5. Black-Eyed
6. Speak In Tongues
7. Follow The Cops Back Home
8. Every You Every Me
9. Soulmates
10. Special Needs
11. The Never Ending Why
12. Bionic
13. Meds
14. Come Undone
15. Special K
16. Song To Say Goodbye
17. Infra Red
18. The Bitter End
19. Taste In Man
Das Erste, was mir auffiel, als ich zum ersten Mal in diesem Jahr zur Zeltbühne eilte, die von einem nahmhaften Getränkehersteller gesponsort wurde, war, dass die Zugangsmöglichkeiten für das Publikum geändert wurden. Es gab einen Eingang und einen Ausgang, was wohl die Sache vereinfachen sollte. Tat es aber nicht. In den Stoßzeiten war der Eingang vollkommen überlastet. Draußen warteten noch hunderte, drinnen hatten viele mehr als genug Platz, sich zu setzen und den ungewöhnlich großen Freiraum zu genießen.
In den ersten Minuten zur Draußen-Fraktion gehörend, bekam ich also die ersten Töne von 'Garten' eben durch die Zeltwand mit. Endlich drinnen, stellte sich mir gleich die erste Frage des Gigs: Wieso hat eine elektronisch versierte Band wie 2RAUMWOHNUNG eigentlich mehr Musiker auf der Bühne als geschätzte sechzig Prozent aller Rockbands? Die Antwort folgte auf dem Fuße: um den Sound in ungeahnte Dimensionen zu treiben. Am Anfang zwar immer wieder mal von Störungen beinträchtigt, wurde der Sound schließlich so mitreißend, dass es kaum Muskeln unter der großen Zeltplane gab, die nicht zuckten. Grundbaustein des Gigs war der Beat, der den Sound antrieb, ohne ihn aufdringlich erscheinen zu lassen.
Die Setlist bestand aus einer gekonnten Melange aus melodischen Songs ('Wir werden sehen'), hämmernden Bassburgen ('Sasha') und verspielteren Hymnen ('36 Grad'), die im Publikum für einige Bewegung sorgte. Visuell orchestriert wurde der Gig von viel buntem Licht und einer Leinwand, die interessante Videoinstallationen unter Einbezug des gerade laufenden Gigs abbildete. Sowieso: Inga erwies sich mal wieder als die Extrovertierte unter den Humpe-Mädels, denn ihre Schwester Annette, die bei ICH & ICH den weiblichen Part stellt, zeigte sich erstens weniger gerne auf der Bühne und dann auch nicht so agil und flippig wie die Sängerin von 2RAUMWOHNUNG.
Zudem glich kein Song der Albumversion, quasi jedes Stück wurde in einer eigenen Version dargeboten. Das brachte der Band viel Sympathie ein, und so war man nach gut zehn Songs auch alles andere als zufrieden mit dem Abgang der Band und forderte lauthals nach einer Zugabe, die es wegen des engen Zeitplans im Zelt allerdings nicht gab. Und so musste sich das Volk mit dem zufrieden geben, was es vorher schon lauthals gefeiert hatte: einem sehr freien, sehr impulsiven und vor allem sehr beeindruckenden Stück elektronischer Musik, das durch eine starke Band vollkommen überzeugend dargeboten wurde.
[Michael Kulüke]
Setlist:
1. Garten
2. Sexy Girl
3. Wir Werden Sehen
4. Ich & Elaine
5. 36 Grad
6. Garten #2
7. Überall Rein
8. Spiel Mit
9. Sasha
10. Nimm Mich Mit
Die letzten beiden Alben machten es dem gestandenen Fan verdammt schwer, zur Alternastage zu pilgern, um sich davon zu überzeugen, wie sich die neuen Tracks von MARILYN MANSON live anhören und ob die Rückkehr von Twiggy Ramirez noch irgendwas aus dem Argen reißt. Tat es nicht. Nach einem Intro, das überhaupt nicht zur folgenden Show passte, kam Mr. Warner himself mit einem Hut sehr obskur gekleidet auf die Bühne und drosch erst mal drei neuere Songs ins Volk, die allesamt Rohrkrepierer waren. Begrüßungsjubel, das war's. 'Disposable Teens' brachte dann zum ersten Mal Bewegung ins Volk, das diese Aufforderung zum Moshen auch dankbar annahm, nachdem es in den ersten Songs vor allem reglos zur Bühne starrte. Der verwehte Sound trug auch dazu bei, die aufkommende Stimmung im niedrigen Bereich zu halten. Die Dunkelheit, in die die Bühne während der Pausen zwischen den Songs gehüllt wurde, tat ihr Übriges. Daran konnten auch Burner wie 'Irresponsible Hate Anthem' und 'The Beautiful People' nichts ändern. Vor vier Jahren zeigte die Band noch viel mehr Energie auf der Bühne, dies war definitiv nur eine Pflichtvorstellung, die weder der Band noch dem Publikum großen Spaß zu machen schien.
[Michael Kulüke]
1. Four Rusted Horses
2. Pretty As A Swastika
3. Leave A Scar
4. Disposable Teens
5. Irresponsible Hate Anthem
6. Arma-Goddamn-Motherfuckin-Geddon
7. Great Big White World
8. The Dope Show
9. WOW
10. Sweet Dreams (Are Made Of This) / Rock'n'Roll Nigger
11. The Beautiful People
Die Überraschung des Abends stellten definitiv die Dresdner Jungs von POLARKREIS 18 dar, die in letzter Zeit vor allem durch 'Allein Allein' und 'Silence' bekannt geworden sind. Wenn man die Band schon seit Jahren kannte, seitdem sie das erste Mal in den Underground fördernden Radiosendungen Erwähnung fanden, war das natürlich etwas befremdlich, sie jetzt als Headliner der Zeltbühne zu sehen. Nachdem es aber geschlagene drei Mal nicht geklappt hatte, die Band live zu Gesicht zu bekommen, freute man sich dieses Mal umso mehr. Mit Recht, denn die Band stellte von Anfang an klar, dass man die Chartplätze nicht zugeworfen bekommen hat.
Das Erscheinungsbild der Band war in weißen Kunst-Anzügen und der in derselben Farbe gestalteten Bühne stilecht in Szene gesetzt, der Sound ließ absolut keine Fragen über, genauso wenig wie die Setlist, die die folgende Stunde versüßte. Es war großartig, alles stimmte, der Klang der Musik war perfekt abgemischt, Instrumentalfraktion und Gesang überstimmten sich nicht und ließen dem jeweils anderen genug Platz zur Entfaltung, was besonders der Gesang ausnutzte.
"Hallo Rock am Ring, könnt ihr noch?", leitete Felix Räuber eine volle Stunde voller Gesangsmacht ein. Der Mann offenbarte eine Stimme, die an Wucht und Energie ihresgleichen sucht und wegen der Tonlagen, in der sie sich bewegt, auch am Stimmbruch des Sängers zweifeln lässt. Der Mann forderte die Leute immer wieder zu neuen Gefühlsausbrüchen auf, ließ die Menge tanzen, tobte selbst über die Bühne, auf der die Musiker ansonsten relativ statisch ihr sehr überzeugendes Set darboten, und gewann mit dieser energischen Show schließlich alle Anwesenden für sich. Was sein Gesang alleine auch geschafft hätte. Durchaus Geschmackssache; die pure Energie in der unnormal hohen Stimme kann durchaus auch die Nerven strapazieren, aber hier fanden sich nur Fans der Band, die ruhige Lieder genauso gekonnt durch den Äther streichen ließ wie kraftvolle Gitarrenreißer. Die Band erwies sich stellenweise fast pompöser als MUSE!
Irgendwo wünschte man sich, es würde nie aufhören, aber letztendlich war die effektvolle Show auch irgendwann genug, die visuellen wie klangvollen Eindrücke so schwer, dass man kaum mehr ertrug. Und das war der Moment, an dem die Band das Ende ankündigte und durch eine gewaltige Percussion-Jamsession das bombastische Finale einleitete. Das Publikum, so sehr traumatisiert wie euphorisch von den Socken gehauen, brauchte mehrere Sekunden, um überhaupt zu verdauen, was gerade über sie gekommen war. So auch ich, und mit dem tobenden Jubel, der aufbrandete, wurde auch mir klar: POLARKREIS 18 sind von einer hoffnungsvollen Aufsteigerband zu einem künstlerisch vollkommen überzeugenden Hauptact geworden!
[Michael Kulüke]
Noch vollkommen paralysiert vom POLARKREIS 18-Gig trottete man rüber, um die Reste von KORN mitzukriegen, und konnte sich dann glücklich schätzen, dass die Nu-Metal-Urgesteine wohl etwas später beginnen, als sie eigentlich sollten. Zumindest war mit 'Right Now' noch nicht einmal der erste Song beendet, und mit 'Chi' ging es sogleich basslastig weiter.
Das Erste, was auffiel, war die Agilität von Jonathan Davis, der zu so später Stunde eine erstaunlich gute Laune bewies. Eine Ausnahme von den regelmäßig unter mieser Laune geleisteten Auftritten konnte man an diesem Abend erleben, was die persönliche Statistik der Gigs wieder ausglich. Während Fans den Stimmungswandel mit der Bühne in Verbindung brachten (die Alternastage ist so was wie der coole kleine Bruder der Centerstage), konnten sich andere von einer Setlist berauschen lassen, die es in sich hatte. Klassiker wie 'Divine' fanden ebenso Erwähnung wie Blockbuster à la 'Y'All Want A Single' und Publikumslieblinge wie 'Freak On A Leash'.
Die stark am Publikumsgeschmack ausgerichtete Setlist hatte auch zur Folge, dass noch weit von der Bühne entfernt der Mob tobte, wenn die Band Song um Song durch den Äther schoss. Der besagte Frontmann wurde nach vierzig wortlosen Minuten nicht müde zu betonen, wie sehr er sich darüber freue, an diesem speziellen Abend auftreten zu dürfen, während die Restband ein merkwürdiges Verhalten zeigte. So legte sich Fieldy zum Beispiel immer wieder per Stirn mit einem Verstärker an, Munky übte sich in angemalter Passivität, und Head-Ersatz Brian Welsh wurde sogar von den sonst so omnipräsenten Kameras ignoriert, ebenso David-Ersetzer Luzier, der hinter den Drums kaum Beachtung fand. Es schien fast, als wären die neuen KORN-Mitglieder für die Medien absolut uninteressant.
Interessanter waren dafür die Songs, die kaum eine Lücke ließen und noch spät in der Nacht für jede Menge Action im Volk sorgten. Nachdem man dann wieder vor der Zeit von der Bühne verschwand, sich mit Rufen nach Zugabe wieder auf die Bühne locken ließ und mit 'Blind' wohl den Klassiker schlechthin anstimmte, war auch in den letzten Reihen kein Halten mehr. Beendet wurde der Abend mit 'Got The Live', das dann auch die härtesten Mosher müde werden ließ, und als man sich für KORNsche Verhältnisse wortreich verabschiedete, konnte dann auch der Letzte zufrieden mit dem Abendprogramm in Richtung Zeltplätze aufbrechen.
[Michael Kulüke]
1. Right Now
2. Chi
3. Did My Time
4. Thoughtless
5. Falling Away From Me
6. Coming Undone/We Will Rock You
7. Helmet In The Bush
8. Here to Stay
9. Freak On A Leash
10. Y’all want a Single
11. Divine
12. Somebody Someone
13. Blind
14. Got the Life
- Redakteur:
- Michael Kulueke