Rocktower Festival 2010 - Lübeck

30.04.2010 | 10:22

03.04.2010, MuK/Treibsand

Zum zweiten Mal lässt das Rocktower Festival die Hansestadt an der Trave erbeben!

RAVEN, 1975 von den Brüdern Mark und John Gallagher gegründet, sind und bleiben eine Speerspitze der New Wave Of British Heavy Metal. Wer hier heute eine Oldie-Band erwartet, die noch mal ein paar ihrer alten Songs herunterstolpert, hat sich gründlich geschnitten. Schon beim Soundcheck wird klar, dass John Gallagher seinen Bass schneller und virtuoser spielt als die meisten Leadgitarristen ihr Instrument am heutigen Tag. Und als es dann richtig losgeht, sind Publikum und Band wohl wechselseitig überrascht von dem, was die nächste Stunde folgt. 'Liv(f)e At The Inferno' dürfte hier der treffende Soundtrack sein!

Den Bass kabellos spielend und den Gesang über Headset darbietend ist Hypermotoriker John schon bei dem eröffnenden Vorschlaghammer 'Take Control' nicht mehr zu bremsen: Rennen, Toben, Schreien, Kreischen – alles ist eins! Und sein Bruder steht ihm kaum nach. Die Gitarre wird nicht gespielt, sondern vergewaltigt. Die beiden Metal-Maniacs schlagen die Instrumente zum "Guitar-Cross" über ihren Köpfen zusammen, und bei der Hymne 'All For One' ist der Damm dann endgültig gebrochen. Mark wirft seinem Bruder mitten im Solo das Instrument zu, um im Schlusssprung in den Fotograben zu hüpfen. Dort mosht er schweißgebadet mit den Fans in der ersten Reihe, die zum gößten Teil noch nicht einmal auf der Welt waren, als "Neuzugang" Joe Hasselvander 1988 Rob "Wacko" Hunter an den Drums ersetzte. Kein Problem für Bruder John, der derweil die sechs Saiten seines Bruders mit den Zähnen bearbeitet, bis der wieder übernimmt.

Die neuen Songs vom 2009er Album "Walk Through Fire" reihen sich nahtlos in das alte Material ein und zünden genauso wie Klassiker der Marke 'Crash, Bang, Wallop!' von 1982. Und so kann das Fazit nur lauten: Metal-Hysterie kann nicht anders aussehen als dieser Auftritt, bei dem sich Band und Publikum scheinbar gegenseitig überrascht haben!
[Martin Rudolph]

Unglücklicherweise will die Konstellation es so, dass zusammen mit dem Auftritt von ENTOMBED auf der Hauptbühne im kleineren Treibsand THE DEVIL'S BLOOD ihre Messe darbieten, ich mich aber für die Todes-Metaller entscheide. Die Schweden, die gerade auf Tour sind, nehmen es ganz genau und fangen aufgrund des längeren Soundchecks mit fast zehnminütiger Verspätung an. Dass sich aber der längere Soundcheck gelohnt hat, macht sich sofort nach dem obergeilen 'Satan Is Real'-Intro beim Opener 'Eyemaster' bemerkbar. Die Gitarren kommen fett aus den Boxen, und das Schlagzeug scheppert mächtig los.

ENTOMBED haben überwiegend Songs aus der neuen Death-'n'-Roll-Phase im Gepäck, und Nummern wie 'To Ride, Shoot Straight And Speak The Truth' (fett groovend), 'I For An Eye' (Hammer!) und 'Chief Rebel Angel' (ebenfalls wie 'I For An Eye' vom Album "Morning Star") machen mächtig Druck und sorgen für Stimmung, auch wenn ich dachte, dass sie auf mehr Resonanz stoßen, denn schließlich sind die Schweden schon eine Nummer für sich. Auch wenn es sicherlich bessere Auftritte der Band gegeben hat, so ist es mal wieder eine Freude, den einmaligen Vocals von L. G. Petrov zu lauschen.
[Thomas Schmahl]

Während RAVEN versuchen, die Musik- und Kongresshalle aus den Angeln zu heben, spielen ENDSTILLE im Treibsand ihr düster-morbides Spiel. Laut eigenem Bekunden zelebrieren die Kieler "ekligen" Black Metal, und das hat ihnen über die Jahre eine treue und gar nicht kleine Fanschar eingebracht. So platzt denn auch der Club aus allen Nähten, während der Vierer im Kunstnebel zum Weltuntergang musiziert.

Die schmerzhaft quälende Frage für alle Anwesenden war natürlich schon seit langem: Wird es für die Band ein 'Frühlingserwachen' nach dem Abgang von Iblis geben? Ich selbst kann dem Trennungsschmerz noch nicht völlig entrinnen, doch Neuzugang Zingultus, der krächzt, stöhnt und jammert, als hätten alle Höllenqualen gleichzeitig von ihm Besitz ergriffen, macht den Verlust des Propaganda-Ministers erträglich. Auch die Kleiderkammer des Todeskommandos soll ja entrümpelt werden. Zingultus hat offensichtlich schon begonnen und leidet in einem schmutzigen, blutverschmierten Leichenhemd. Und das tut er auch sehr passabel bei den alten Klassikern, die die Kieler heute zuhauf auffahren. Der 'Bastard' kommt schon etwas anders, aber mit voller Gänsehaut daher – und so soll es ja schließlich bei ENDSTILLE auch sein.
[Martin Rudolph]

Setlist ENDSTILLE:
Dominanz
... Of Disorder
Der Hetzer
Vorwärts!
Biblist Burner
Conquest Is Atheism
Bastard
Ripping Angelflesh
Endstilles Reich
----
Frühlingserwachen
Navigator

Kerzen, Rotlicht, Räucherstäbchen und eine angespannte Erwartungshaltung bieten den Rahmen für den Auftritt von THE DEVIL'S BLOOD. Das Treibsand ist bis zum Bersten gefüllt, und der Umbau dauert den meisten Anwesenden trotz aller Hektik und (profesionellen) Betriebsamkeit sichtlich zu lang. Doch davon lassen sich die Perfektionisten um Chefdenker, Komponist und Hauptgitarrist Selim Lemouchi nicht beirren.

Als die sechs dann endlich blutbesudelt (um den Tod auf die Bühne zu tragen!) loslegen, präsentiert sich ein Siebziger-Jahre-Durschnitts-Psychedelic-Rock, der solide gespielt, aber ohne Sensation daherkommt. Wie sich die Hysterie um diese Band erklärt, die seit einiger Zeit von einem bestimmten Printmagazin angeheizt wird, entzieht sich zum Glück nicht nur der Erkenntnis des Schreibers dieser Zeilen, sondern auch einigen anderen im Saal. Und so hören wir uns den handwerklich ordentlich gespielten Set brav an, ohne dass der große Funke überspringt. Zumindest der "Hit" der Niederländer, 'I’ll Be Your Ghost', kommt auch in der Liveversion ganz gut rüber.
[Martin Rudolph]
The Devils's Blood, Rocktower Festival 2010

Was dann kommt, ist ja das große Ohrenkino, und nicht nur ich bin immer noch etwas verwundert, dass man POWERWOLF nicht auf die Hauptbühne vor das große Publikum zitiert hat. Recht fix wird die kleine Bühne des Clubs mit klerikalen Backdrops und mit Gold bestickten schwarzen Tüchern zur Kathedrale des wahren Glaubens aufgerüstet. Noch ein kurzes Warten im Dunklen, und das orgiastische Intro von 'We Take It From The Living' eröffnet die Messe. Die fünf totenbleich geschminkten Priester stürmen die Bühne, und Kardinal Attila Dorn schwingt den Weihrauchkelch eher wie ein russischer Hammerwerfer als ein bedächtiger Prediger, der seine Schäfchen segnet, über die Köpfe der Fans in den ersten Reihen. Das bombastische 'Prayer In The Dark' und die Aufforderung an uns alle, 'Raise Your Fist Evangelist', stellen genauso wie Attilas unmissverständliche Regieanweisungen klar, dass wir hier das wahre Evangelium am Ostersamstag zu zelebrieren haben. Das echte Buch der Offenbarung ist halt die "Bible Of The Beast"!

Attila Dorn ist einer der originellsten Frontmänner, die das Genre zurzeit zu bieten hat. Wäre der gute Mann ca. einhundert Jahre früher geboren, hätte Bela Lugosi niemals die Chance gehabt, sich in frühen Werken des Düster-Regisseurs Friedrich Wilhelm Murnau zu etablieren und schließlich als erster großer Dracula-Darsteller der Filmgeschichte Weltruhm zu erlangen. Und Attila ist der Einzige, der sein Publikum penetrant siezt. Das macht nichts. Im Gegenteil, wir lieben ihn alle!

'We Came To Take Your Souls' wird derart textfest vom Publikum mitgetragen, dass es der Chöre vom Band gar nicht bedarf. Die zweistimmigen Leads der Greywolf-Brüder an den sechs Saiten, die fanatische Animation von Keyboarder Falk Maria Schlegel und das Power-Drumming von Neuzugang Tom Diener runden den Sound und die Stimmung der großartigsten und originellsten Power-Metal-Truppe dieses Tages gelungen ab. Da braucht es die exzessiven Singalong-Spielchen Attilas gar nicht mehr, um aus uns allen (sehr passend heute!) den 'Sutarday Satan' herauszulassen. Zu-ga-beeeee!
[Martin Rudolph]

Setlist POWERWOLF:
We Take It From The Living
Prayer In The Dark
Raise Your Fist, Evangelist
We Came To Take Your Souls
Panic In The Pentagram
In Blood We Trust
Werewolves Of Armenia
Resurrection By Erection
Saturday Satan
Kiss Of The Cobra King
Lupus Dei
----
Moscow After The Dark
Powerwolf, Rocktower Festival 2010

Was soll man zu vorgerückter Stunde eigentlich noch tun, wenn man den wahren Headliner des Festivals soeben genossen hat und der Abschluss des Abends von zwei Acts bestritten wird, die unterschiedlicher nicht sein können und doch auf ihre ureigene Art einzigartig sind?

ROXXCALIBUR sind nicht irgendeine Coverband, die alte Sachen nachspielt. Sie sind DIE New-Wave-Of-British-Heavy-Metal-Tribute-Band in Deutschland! So werden nicht nur IRON MAIDEN und SAXON, sondern vor allem die vergessenen Perlen der zweiten Reihe wie CLOVEN HOOF, JAGUAR, DEMON, RADIUM oder die kultigen BLITZKRIEG, mit denen man ja auch das heutige Festival-Billing teilt, im Originalsound gespielt.

Parallel dazu machen die finnischen Folk-Humppa-Düsterheimer FINNTROLL mit ihrem "Trollish Metal" noch ein letztes Mal die weiße Dame an der Trave zur Banger-Hochburg. Der Auftritt heute ist Teil ihrer ausgedehnten "Nifelvind"-Tour, die die Trolle durch halb Europa und die USA führt. Das Foyer der MuK ist noch ein letztes Mal richtig voll (im Gegensatz zum Großparkplatz davor, der schon seit einiger Zeit von konstanten Abwanderungstendenzen zeugt), und im Sound alter und neuer Goodies erzeugen Grunzmeister Vreth und seine Spießgesellen in Rekordgeschwindigkeit immer wieder Circle Pits von erstaunlicher Intensität. Diese Kapelle wird anscheinend nicht umsonst mittlerweile als DER "neue" Stern am Metalhimmel gehandelt. Trotz allem: Während die finnische Death-Polka inklusive 'Trollhammeren' noch einmal alles gibt, trollen wir uns und freuen uns auf ein Rocktower Festival 2011, bei dem wir auf jeden Fall auch wieder dabei sein werden!

Ein ganz herzlicher Dank geht an das Team vom Treibsand, allen voran Axel für den Support und Bobo für die tollen Fotos von THE DEVILS'S BLOOD, ENDSTILLE, POWERWOLF und SAVAGE GRACE! Für die Fotos aus der MuK geht ein ebenso herzlicher Dank an Martin Stark!

Massenhaft Festival-Pics bekommt ihr außerdem unter:
http://www.rocktower.de/bilder.html
http://www.treibsand.org/?q=image/tid/278
[Martin Rudolph]

Redakteur:
Martin Rudolph

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