Rush - Mannheim

23.10.2007 | 08:06

21.10.2007, SAP Arena

Prolog:

Trainieren für RUSH? Der eine oder andere RUSH-Jünger stellt sich darunter das exzessive Abspielen alter Scheiben, inklusive des Götteralbums "Snakes & Arrows", vor. Doch weit gefehlt. Tief in meinem Hinterkopf spukten die zwei Gastspiele des Ausnahmetrios in Deutschland herum: Am Freitag, den 19. Oktober (gemeinhin mein Traininstag im Fitnessstudio) quälte ich mich nach überstandener Kurzgrippe ins Studio. Mit quälenden Kopfschmerzen zog ich mein Standardprogramm durch. Ich war schon kurz davor, das Handtuch hinzuschmeißen, als mich Roger (ein Kunde im Studio) fragte: "Was hörst'n für Musik?"
Ich: "Metal! Wieso?"
Er: "Ich wollte heute und Sonntag zu RUSH. Hab noch 'ne Karte für heut abend über. Lust, mitzukommen?"
Plötzlich war das Funkeln in den Augen wieder da. Heute war's mir zu kurzfristig, da Roger zeitig los wollte. Wir tauschten unsere Handynummern aus und verblieben dabei, uns am Sonntag gegen 16 Uhr in Kelsterbach an der S-Bahn-Station zu treffen.

Wie's der dumme Zufall will, hatte ich Rogers Nummer im Handy gelöscht. Da ich mich schon innerlich auf das Konzert eingestellt hatte, hoffte ich, dass er bei mir durchklingeln würde. Und tatsächlich! Mittags um 13 Uhr klingelte am Sonntag das Handy. Wir verschoben den Termin auf 15.30 Uhr. Das einzige Manko war, dass ich mir vor Ort noch eine Karte organisieren musste.

Die Hinfahrt verlief reibungslos und in Mannheim trafen wir uns mit dem Thomas und seiner Frau (beides Freunde von Roger), die auch aufs Konzert wollten. Vorher haben wir den Chinesen um die Ecke mit einem Besuch geehrt, und nach kurzer musikalischer Einstimmung in Thomas' Wohnung ging's schon los in Richtung SAP Arena. Und auch da ließ uns Fortuna nicht im Stich, denn wir hatten das Glück, die letzten drei Innenraum-Tickets abzugreifen. Die Sicherheitskontrollen am Eingang hingegen waren sehr lasch. Ich hatte mir in Bauchhöhe eine Wasserflasche reingesteckt, doch die Sicherheitsbeamten filzten nur kurz meine Hosentaschen. Mehr nicht! Roger hingegen war sehr pfiffig: Er hatte zwei 0,5-Liter Wasserflaschen dabei, in die er vorher Wein reingefüllt hatte. Während er die eine Flasche offen in seine Seitentasche platzierte, hatte er eine volle auf der anderen Seite. Natürlich hatte er in der sichtbaren Flasche einen Schluck Wein drin, den er vor den Sicherheitsleuten austrank. Die andere Flasche hingegen konnte er unbemerkt reinschmuggeln. Soviel zum Thema "Sicherheit auf Konzerten".

Das Konzert:

Dafür, dass RUSH sich alle Schaltjahre in Deutschland blicken lassen, war's in der SAP Arena nicht gerade voll. Höchstens die Hälfte der Sitzplätze war belegt, während der Innenraum gut gefüllt, aber nicht zu voll war. Roger, Roberto (ein Freund vom Roger) und ich drängten ganz nach vorne vor die Bühne. Wenn schon RUSH, dann richtig! Im Vergleich zur Jubiläumstour vor drei Jahren war der Bühnenaufbau fast identisch, nur mit dem Unterschied, dass, statt der Waschmaschinen, drei Hühnchengrillstationen aufgebaut waren. Dabei sahen die Gummiadler, die sich die ganze Zeit drehten, verdammt echt aus. Ich weiß nicht, ob's eine ironische Anspielung war, aber auf den Gitarrenverstärkern von Alex Lifeson waren jede Menge Plastikdinosaurier drapiert. Um's vorneweg zu nehmen: Von den Rockdinosauriern RUSH können sich manche Jungspunde noch was abschauen.
[Während die Grillhähnchen in der Spielstätte der arg flügellahmen Mannheimer Adler doch wunderbar aufgehoben sind - grinsend, Kollege Rouven]

Um 20.05 geht's endlich los. Mit tosendem Beifall wird das Erlöschen der Hallenlichter und das Video-Intro empfangen. Darin hat Alex Lifeson einen Traum, in dem Schlangen vorkommen. Kaum ist er wach, steht Drummer Neal Peart senkrecht auf der Matte, woraufhin Alex erschrickt und anfängt zu schreien. Geddy Lee hingegen sitzt am Tisch und hängt in den Seilen, als plötzlich ein Pirat (Geddy in einer Doppelrolle) ihn ermahnt und auffordert, seinen Arsch in Richtung zu Bühne zu bewegen und seine Arbeit zu verrichten.

Genau in dem Moment legt die Truppe mit 'Limelight' los und der Jubel kennt absolut keine Grenzen. Es ist schwer, ein RUSH-Konzert in Worte zu fassen. Alle Superlative, die einem zur Verfügung stehen, reichen bei Weitem nicht aus, um das Erlebte in Worte zu fassen. So ein Event muss man hören, sehen und fühlen. Apropos Fühlen: Das Mädel, was sich in der zweiten Hälfte des Sets neben mich gesellt hat, konnte ich fast durchgehend fühlen. So wie die schon fast auf mich draufgehopst ist, konnte man sich seinen Teil denken, wenn nicht der Freund die ganze Zeit neben ihr gestanden hätte. War auf jeden Fall obenrum gut bestückt, aber es sollte nicht sein.

Doch zurück zum Geschehen: Die Setlist hat es wahrhaft in sich! Nach dem angesprochenen 'Limelight' werden Klassiker wie 'Digital Man', 'Entre Nous' und 'Mission' aus dem Hut gezaubert. Gerade zu Beginn ist mir wieder mal klar, was für ein begnadeter Gitarrist Alex "Men In Black" Lifeson doch ist. Allen voran in den Solopassagen durchzucken wohlige Schauer stroboskopartig meinen kompletten Körper. Angefangen von den kurzen Haarspitzen bis zum kleinen Zeh. Neil Peart thront auf seinem Drumhocker Gene Hoglan-like (u. a. STRAPPING YOUNG LAD) und verzieht bei den komplizierten Parts keine einzige Mine. Geddy Lee ist die gute Laune in Person und hüpft wie eine Wüstenspringmaus mit seinem viel zu großen Bass über die Bühne, sofern er nicht die Keyboards bedienen muss. Ein weiteres Plus ist das Publikum, das ohne irgendwelche Animations-Instruktionen mit Johlen, Klatschen und "Ohh Ohh"-Chören das Trio unterstützt, wie z.B. bei 'Free Will', wo spontan rhythmisch im Takt geklatscht wird. Auf der anderen Seite ist es immer noch bemerkenswert, dass Geddy die hohen Schreie, speziell in dem Song, immer noch auf die Reihe bekommt.

Beim "Snakes And Arrows"-Track 'The Main Monkey Business' flimmern auf den drei Leinwänden Aufnahmen von Affen, die sich gegenseitig auf den Kopf hauen und ansonsten ihren ureigenen Instinkten nachgehen und sich zum selbigen machen. Auf der Bühne werden unterdessen von einem knackigen Mädel die täuschend echt aussehenden Hendl nachgefettet. Prost Mahlzeit! Nach dem Ohrwurm 'Dreamline' vom '91er-"Roll The Bones"-Album verabschiedet sich die Band zu einer Pause ...

... die nach etwas weniger als dreißig Minuten wieder um ist. Diese wird mit einem sehr obskuren Video-Intro eingeleitet, in dem die Bandmitglieder (allen voran Alex) in verschiedene Rollen schlüpfen und in einem Brettspiel gewisse menschliche Stimmungen erklären. Danach wird das neue Werk "Snakes And Arrows" mit fünf Tracks gewürdigt, die bei den meisten allerdings nicht so euphorische Reaktionen hervorrufen wie die Klassiker. Erst ab 'Subdivisions' vom "Signals"-Album geht wieder so richtig die Post ab. Sehr beeindruckt bin ich persönlich von 'Natural Science', wo das Publikum in "Ohh Ohh"-Chöre einstimmt. So was hab ich damals in Frankfurt nicht erlebt. Klasse! Da kann es sich Geddy Lee nicht nehmen lassen, seine Digicam auszupacken und das Publikum zu filmen, das dies mit Schreien und Johlen quittiert.

Bei 'Witchhunt' auf der anderen Seite wird der Anfang mit Feuerbällen, die aus dem hinteren Teil der Bühne nach oben geschossen werden, heiß untermalt. Das Drumsolo hingegen ist erneut wieder eine Klasse für sich. Ähnlich wie in Frankfurt vor drei Jahren dreht sich Mitten im Solo das Drumkit, woraufhin Neil fast im Technotakt seine E-Drums bearbeitet. Auch hier endet das Finale in einen Jazzpart, der mit passenden Bildern untermalt wird und jedem anwesenden Hobbydrummer dazu treiben wird, seine Stöcke einzubuddeln.

Während 'The Spirit Of Radio' gibt sich der Hahn im RUSH-Korb die Ehre, nach seinen Hennen Ausschau zu halten. Schon komisch, wenn einer in einem Hahnkostüm über die Bühne wackelt, doch die Jungs haben seit jeher den Schalk im Nacken. Dies ist auch bei 'Tom Sawyer' der Fall, wo "South Park"-Figuren den Song spielen, um danach in eine Diskussion einzustimmen, welches denn nun der richtige Text ist. Beim zweiten Anlauf legen RUSH los, was um einiges besser und druckvoller rüber kommt als die "South Park"-Variante.

Danach ist erstmal Schluss, doch das Trio bequemt sich für drei Zugaben zurück auf die Bühnenbretter. Den Auftakt macht 'One Little Victory', bei dem der Drache wieder von der Leinwand aus Feuer spuckt. 'Passage To Bangkok' wird mit Aufnahmen von Bekifften und natürlich Bangkok untermalt. Den Abschluss bildet das unnachahmliche Instrumental 'YYZ', bei dem nochmal jeder Anwesende an seine Reserven rangeht und im Takt rauf und runter springt.

Epilog:

Bleibt - wie immer eigentlich - ein genialer Abend festzuhalten. Neben der Band und den Licht- und Video-Effekten war das Publikum der eigentliche Star an dem heutigen Abend. So viel Interaktion und frenetischen Beifall zwischen den Songs hab' ich noch nie auf einem RUSH-Konzert erlebet. Bleibt zu hoffen, dass das sympathische Trio schon bald eine neue CD raushaut und das "alte Europa" mit einer Tour erfreut. Weitere drei oder vier Jahre will kein RUSH-Jünger auf seine Helden warten. Ich auch nicht!

Setlist:

Set 1:

Video-Intro
Limelight
Digital Man
Entre Nous
Mission
Freewill
The Main Monkey Business
The Larger Bowl
Secret Touch
Circumstances
Between The Wheels
Dreamline

Pause

Set 2:

Video-Intro
Far Cry
Workin' Them Angels
Armor And Sword
Spindrift
The Way The Wind Blows
Subdivisions
Natural Science
Witch Hunt
Malignant Narcissim
Drum Solo
Hope
Distant Early Warning
The Spirit Of Radio
Tom Sawyer
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One Little Victory
A Passage to Bangkok
YYZ

Redakteur:
Tolga Karabagli

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