SAMAEL/FLOWING TEARS - Aschaffenburg
26.11.2004 | 02:0225.11.2004, Colosaal
Zwischen mir und SAMAEL liegt am Abend des 25.11.2004 ein langer Weg. Denn obwohl es geographisch keine wirklich lange Strecke ist, stehen mir einige logistische Problemchen im Weg. Diese heißen: Stau und eine übel volle Blase, die mir das Pippi fast aus den Glotzhöhlen drückt. Nach einer abenteuerlichen Schussfahrt in den Süden Deutschlands kommen wir, Holger, Uli und ich, etwas angepisst, und zwar innerlich und äußerlich, am Colosaal in Aschaffenburg an. Einen dezent geschwollen Hals kann man nach wie vor am besten mit einem eiskalten Schoppen in die Flucht schlagen und so treibt es uns an der Security vorbei direkt zu den zwei hübschen Glücksfeen, die an diesem Abend für die nötige Grundlage zuständig sind.
Lange Rede, ein Bier später vernehmen wir die ersten Klänge des Openers FLOWING TEARS, die mir zugegebenermaßen noch kein wirklicher Begriff sind. Ich kenne zwar einige Songs, finde sie auch nicht unbedingt schlecht, ordne sie aber eher der Kategorie "unauffällig" zu. Live liegt die Sache völlig anders. Der schwere, gothiclastige, sehr tanzbare Rock des Fünfers fährt direkt ins Gebein und lässt mit seinen Hooks und Grooves keinen Zweifel daran, dass FLOWING TEARS eine gute Wahl für den Openerslot vor SAMAEL waren. Denn auch wenn die beiden Bands vom Härtegrad her nicht richtig zusammenpassen wollen, fühl ich mich in der Umbaupause bestens auf den Hauptact eingestimmt. Sängerin Helen Vogt ist mit ihren 22 Lenzen eine absolute Entertainerin, singt sehr geil, scheut sich auch vor Growls und Gekeife nicht und dirigiert das Publikum nach Belieben durch die schwer groovenden Songs. Dabei sind mir hauptsächlich die Tracks der "Serpentine"-Phase im Ohr, die unter anderem mit dem Hits 'Serpentine', 'Starfish Ride' und 'Merlin' mächtig rockend in Szene gesetzt werden. Aber auch das neue Material von "Razorbliss" pumpt in einem glasklaren Sound in die Magengrube. Vor allem das wirklich superbe und ohrwurmelige 'Believe' hat es dem Saalpublikum angetan, das gut mit dem Rock der FLOWING TEARS mitgeht. Sympathisch gibt sich die Band auf der Bühne. Das Stageacting von Gitarrist Benjamin und Bassist Frederic ist fast synchron und vor allem die Augenweide Helen macht aus den 45 Minuten FLOWING TEARS einen wirklich gelungenen Einstand in meiner Livegallerie. Das Publikum scheint meine Meinung zu teilen und bereitet der Band unter massig Applaus einen Abschied nach Maß. Fazit: Stark, stark, stark und bitte weiter so!
It´s time to drink some beer, denn es ist inzwischen in der Halle schweineheiß geworden. Kurz bevor ich mich in diesem Schmelztigel zu verflüssigen drohe, gibt es Abkühlung durch ein Weizen, bevor es nach erstaunlich kurzer Umbaupause schon wieder so weit ist.
Bislang konnte ich mich ausschließlich der auditiven Folterung SAMAELs hingeben und habe die Schweizer livetechnisch verpasst. Sechs lange Jahre hörte man von den Jungs nichts und außer dem Summer-Breeze-Gastspiel aus dem Jahr 2002 gilt für das Sehen dasselbe. Sechs lange Jahre begrub man die Band unter rechtlichen Scharmützeln und nahm ihr, gerade in der wichtigsten Phase ihrer Entwicklung, jede Luft zum Atmen. Es gilt also verlorenen Boden gutzumachen. Und da ich weiß, wie stark die Schweizer zumindest im Studio sind, erwarte ich für diesen Abend einiges. Wie intensiv die kaltmechanische Melange jedoch in Verbindung mit einer hypergeilen Light- und Sightshow wirkt, werde ich wohl so schnell nicht vergessen. Klotzen, nicht kleckern heißt die Devise SAMAELs an diesem Abend. Und so gehen mir nicht nur die Ohren über, sondern wissen meine Augen eigentlich gar nicht so richtig, wie sie diesen visuellen Overkill überwinden sollen. Dabei fahren SAMAEL nicht unbedingt viel auf. Zwei Projektionswände reichen, um diesen Effekt hervorzurufen.
Vorph, Xy, Makro und Mas sind auf der Bühne so präsent wie ein Eisberg im Polarmeer. Wie aus Stein gemeißelt stehen sie da oben und schmettern ihre musikalischen Riffmonumente in die Menge. Meine Wenigkeit steht mit sperrangelweit aufstehendem Maul davor und genießt Tausende von Schauern, die meinen Nacken im Millisekundentakt überfluten. Herrlich, Hymnen der Marke 'Rain', 'Shining Kingdom', 'The Cross', 'Baphomets Throne' und 'The Ones Who Came Before' zu hören, zu spüren, zu erfahren. Und genauso herrlich, innerhalb dieser Klassikerperlen neue Göttergaben wie 'Moongate', 'High Above', 'Inch´Allah' oder 'Telepath' willkommen zu heißen. Material, das live wie auch auf Konserve kein Deut gegenüber den Klassikern abfällt. Im Gegenteil: Das Publikum klinkt bei den Überhymnen 'Reign Of Light' und 'On Earth' ordentlich aus und zeigt der glücklich wirkenden Band, dass sie nach wie vor auf dem richtigen Weg ist. Das sind SAMAEL, wie sie die Fans sehen wollen.
Vorphs eisiges Organ setzt sich an diesem Abend glasklar aus dem druckvollen Sound durch, in dem sich die Gitarren zu Gebirgen unendlicher Riffweiten auftürmen. Der Sound ist zwar nicht zu laut, droht mich niedere Kreatur aber trotzdem mit Links unter sich zu begraben. Lediglich ist zu bedauern, dass der Gesamtsound nicht differenziert genug ist und sich in den hallastigen Sounds Xys zu verheddern droht, was aber schlussendlich der einzige Streit- und Meckerpunkt an diesem Abend bleibt.
Vor mir die tosende Meute, die jeden Laut aus Vorphs Hals mit dem Sprachrohr der Fans fundamentiert. Die ganze Show kommt mir wie eine lockere Metalparty vor, denn wenn auch mit schätzungsweise 300 zahlenden Gästen nicht viel los ist, fungieren die Anwesenden wie ein etwas größeres Empfangskomitee, das die verlorenen Söhne dankbar in die Arme schließt und mit ihnen die verlorenen Jahre feiert. Vorph spielt mit dem Publikum und gibt mit seiner imposanten Statur den charismatischsten Frontmann der gesamten Metalszene ab. Er könnte aber zwischen den Songs ruhig etwas mehr mit dem Publikum kommunizieren. Ich konnte am ganzen Abend lediglich drei Ansagen aus seinem Munde vernehmen. Andererseits passt diese kühle Distanz wunderbar zur eiskalten und schweinedüsteren Welt SAMAELs. Die Lightshow setzt dem Ganzen das Krönchen auf. Die Scanner brennen einem fast die Glotzpickel aus den Höhlen. Überall zucken Blitze in ekstatischer Hingabe. Eine derart durchdachte Lichtchoreographie habe ich selten erlebt. Der ganze Gig wirkt wie ein perfekt inszenierter Spielfilm, die überwältigende, audiovisuelle Dramaturgie einer Metalshow.
Anderthalb Stunden später ist der Spuk vorüber und wir treten überglücklich und mit butterweichen Knien den Heimweg an. SAMAEL sind zurück und es ist, als wären sie nie weg gewesen. Sie reißen anno 2004 mit einer ernstzunehmenden Selbstverständlichkeit mit und die Reaktionen der Menschen dürften der Band haufenweise Selbstvertrauen und Schub fürs kommende Jahr geben. Kurzum ein absoluter Killergig und ein herber Verlust für jeden Metaller, der SAMAEL auf dieser Tour nicht zu sehen bekommt.
- Redakteur:
- Alex Straka