SAMAEL/OOMPH! - Freiberg
25.12.2004 | 10:0512.12.2004, Tivoli
Diese Zusammenstellung von Bands für eine kurze Tour durchs deutschsprachige Europa ist auf jeden Fall gewagt. SAMAEL als Vorband von OOMPH zu verheizen ist nahe an der Schmerzgrenze. Da steht es eigentlich schon von vornherein fest, dass Fans der Hauptband kaum ein Auge auf die Schweizer Düstermetaller werfen werden, während es umgedreht nur für Belustigung sorgen kann, wenn auf das brachiale Klangfeuerwerk des bereits erfolgreich durch Europa getourten Black-Metal-Urgesteins schlagertaugliches Elektro-Rock-Gestampfe folgt. Nur die Vorband der Vorband scheint mit Geschmacksgrenzen kein Problem zu haben.
Metaller, Gotikgirlies und Vokuhila tragende Mittvierziger samt Frau - Das Publikum im Tivoli bietet einen bunten Anblick. Allzu viele haben sich an diesem Sonntag leider nicht hergewagt. Das als Ballsaal eingerichtete Haus mit Holzbodentäfelung und weihnachtlich geschmückten Kronenleuchtern wirkt erst einmal abschreckend, als man voller Sehnsucht nach Bier und Metal eintritt. Allerdings zieht die energische Frontfrau von AFTER FOREVER sofort alle Blicke auf sich. Im Propellerwind wirbeln ihre langen dunklen Haare engelsgleich im goldenen Licht der Scheinwerfer. Doch nicht nur die Erscheinung ist bezaubernd, sondern auch ihre Stimme. Da vergisst man gleich mal alle Vorurteile, die man sonst gegenüber der kommerziell verruchten Anordnung "Metalband mit Sängerin" hegt. Floor dagegen strotzt nur so vor Power, Sexappeal, und ein bisschen Evilness ist auch dabei. Ihr nimmt man zumindest ab, dass sie wirklich auf Metal steht. Das sieht man schon an der Art, wie sie headbangt: Klassisch, besonders bei dem überzeugenden MAIDEN-Cover 'The Evil That Man Do'. Glotz, Sprachlosigkeit. Letzte Widmung an die Größen des Metal ist 'Glorifying Means', welches heute Abend zum Nachruf auf den jüngst ermordeten DAMAGEPLAN-Gitarristen und PANTERA-Gründer Dimbag Darrell umfunktioniert wird. Danach gibt es ein allerdings etwas abgeschmackt wirkendes 'Following The Cry' mit einer Samba-Einlage - AFTER FOREVER versuchen zumindest, das träge am Parkettboden haftende Publikum zu motivieren. Immerhin, auf Vorklatschen reagiert es. Das wird heute Abend noch öfters notwendig sein. AFTER FOREVER können sich jedenfalls keinen Vorwurf machen. Sie legen eine ehrliche und solide Show hin und haben sichtlich viel Spaß dabei. Damit haben sie auch ihr Versprechen gehalten und das abgesagte Konzert vom Sommer nachgeholt.
Setlist AFTER FOREVER:
Childhood In Minor
Beautiful Emptiness
Sins Of Idealism
Pledge 1
The Evil That Man Do
Monolith Of Doubt
Glorifying Means
Following The Cry
Eigentlich hätten AFTER FOREVER von Anfang an viel besser als Vorband für die Tour von SAMAEL gepasst anstelle der wenig mitreißenden FLOWING TEARS. Schließlich geht es darum, würdevoll auf die vielleicht energischste Metalband der Welt einzustimmen. Lange muss man auch gar nicht auf sie warten, schnell selber noch einmal Energie getankt und ein Bierchen die trockene Kehle hintergestürzt - schon wird es dunkel und das Intro ertönt. Schluck, SAMAEL starten mit dem brachialen 'Shining Kingdom', also einem sehr dunklen und harten Song vom 96er-Album "Passage". Yeah, augenblicklich macht das Herz Hochsprung, rast und hüpft es mit den heftigen Gitarren hinauf in den Himmel, stürzt ganz tief, aufgefangen von Vorphs warmer, kräftiger Stimme. Es dauert keine Minute, und schon haben SAMAEL zumindest meine Wenigkeit und noch ein paar Dutzend weitere Fans vollkommen ergriffen. Der Kopf muss bangen, am besten vom einen Ende des Saales zum anderen. Automatisch wandert die geballte Faust zur Decke, stampft der Fuß den Parkettboden durch, wird der Nacken zum Seismograph für die Erschütterungen der bombastischen Riffs in 'Inch Allah' oder 'Telepath'. Wie sich schon auf der neuen CD erahnen ließ gestaltet sich 'Reign Of Light' als echte Mitbang-Hymne in concerto. Leider ist die Spielzeit viel zu kurz. Alte Death-/Black-Metal-Schätze wie 'The Baphomet's Throne' oder 'Into The Pentagramm' fehlen. Nicht einmal die 'Ceremony Of Opposites' wird zelebriert, obwohl sich der Song natürlich symbolisch durch das gesamte Schaffen der Band zieht. Stattdessen beschränkt man sich auf die Klassiker von den letzten zwei Alben "Passage" und "Eternal", die dem neuen Werk "Reign Of Light" am nächsten stehen. "The electric storm of ecstasy"? Nein, nicht in Tablettenform, sonder reinfrequent. Das ist keine Musik mehr, sondern Reizstrom, der den ganzen Körper schockt. Man muss sich nur mal anschauen wie Masmein an seinem Bass herumspringt. Statistisch gesehen befindet er sich mit den Füßen wahrscheinlich mehr in der Luft als am Boden. Und dabei rotiert auch noch sein Nacken im Tempo eines technoid rasenden 'The Ones Who Came Before'. Im Hintergrund schlägt sich Xy in gewohnter Manier die Stirn an den Drums und Keyboards wund. Metal und Techno - zwei Gegensätze, die keine andere Band so brillant zusammenführt wie SAMAEL. Eine Union, die live gleich noch mal so intensiv und heavy rüberschwingt wie auf Platte.
Setlist SAMAEL:
Shining Kingdom
Insh Allah
Reign Of Light
On Earth
The Cross
Telepath
High Above
Moon Gate
Infra Galaxia
The Ones Who Came Before
Trotz der kurzen Spielzeit ohne Zugabe könnte jetzt eigentlich Feierabend sein. Immer noch elektrisiert stromert ein Fangrüppchen zum Merchstand neben dem riesigen Mischpult, wo es nicht nur "Reign Of Light"-Digipacs sondern auch minimalistische "Ceremony Of Opposites"-Schlüpfer zu kaufen gibt. Daneben gibt Floor Autogramme und macht Erinnerungsfotos mit den Fans. Langsam wird es hier hinten richtig gemütlich, der Sound ist auch prima, dann gesellen sich nach und nach auch noch die Musiker von SAMAEL hinzu. Doch noch steht der Hauptakt des Abends aus, und ein bisschen Neugier herrscht schon, als nach den Umräumarbeiten auf der Bühne auf einmal weiße Neon-Röhren erstrahlen und fünf komplett in Weiß gekleidete Musiker auf die Bühne stürmen. Eigentlich weisen sie mehr Ähnlichkeit mit geflüchteten Patienten einer Irrenheilanstalt auf, als mit einer Rockband. Frontmann Dero steckt sogar noch in der Zwangsjacke fest und dreht erst einmal ein paar Runden, bevor er mit irrem Blick ans Mikro tritt und 'Tausend neue Lügen' anstimmt. Frisurtechnisch könnte man bei ihm eine kurz zuvor erlittene Elektroschock-Therapie vermuten. Oder sind SAMAEL schuld an den zu Berge stehenden Haaren? Vielleicht auch der Anblick des lahmen Publikums? Abgesehen von ein paar Mädels in hochpubertärem Alter und einigen langjährigen Fans in der ersten Reihe, die begeistert aufjohlen, herrscht wenig Enthusiasmus unter den zweihundertfünfzig Leuten vor der Bühne. So ein kleines Publikum sind OOMPH sicherlich nicht mehr gewohnt. Entsprechend verloren wirkt Dero dann auch, als er sich wagemutig in die Menge fallen lässt und eine kurze Runde stagedived. Irgendwie wäre der im Allgemeinen doch recht simpel gestrickte aber trotzdem fette Sound der bereits seit 1989 umhergeisternden Niedersachsen in einer großen Halle vor mindestens zweitausend kreischenden Fans besser platziert. Die Chartstürmer OOMPH dann im Ballsaal des Tivoli zu erleben hat etwas Putziges. Herrscht hier doch eher ein Weihnachtsfeier-Feeling denn kopflose Massenhysterie. Um die wenigen Herumpogenden stehen immerhin noch ein paar textsichere Fans herum. Mancher tanzt auch im Gotenschritt das Konzert durch. Aber Stimmung kommt nicht so recht auf. Da nützt es wenig, wenn Dero in jedem zweiten Lied versucht die Leute mit Kasperle-Klatschen anzufeuern. Am Ende sieht es doch so aus, als würde er die Hände über'm Kopf zusammenschlagen. Insofern muss man der Band echt zu Gute halten, dass sie das Konzert souverän durchzieht und zumindest, denen, welche nur wegen OOMPH hergekommen sind, einen schönen Abend bereiten. Meiner einer versucht auch umzuschalten, sich zurück zu erinnern, als die Welt noch ausschließlich aus Industrial und Gothic-Rock bestand. Nein, leider haben mich OOMPH schon damals nicht vom Hocker gerissen, weder lyrisch noch musikalisch. Auch heute Abend bleibt's dabei. Der Nummer-Eins-Hit 'Augen Auf' verleitet maximal zum Mitschunkeln, Larifari-Softy-Nummern wie 'Sex hat keine Macht' sind einfach langweilig. Allemal das stampfende 'Gekreuzigt' oder die diabolische SM-Fantasie 'Fieber' zeigen die Qualitäten von OOMPH auf: fette Gitarren, kranke dunkle Atmosphäre, kindlich wirre Gedankenwelten und ein Hauch Fleischeslust. Da muss man ja fast fragen ob diese Musik denn für die Minderjährigen geeignet ist, welche die erste Reihe vor der Bühne okkupieren. Über den Entwicklungsstand mancher Fans gibt das Zitat aus dem Post eines jungen Mädchens im OOMPH-Forum Auskunft: "Hallo erst mal! Bin erst seit kurzem Oomphfan, ganz neu hier und kenn mich noch nicht so aus. Ich wollte eigentlich nur fragen, ob sich das Publikum bei den Konzerten so rumschubst?? Meine Freundin hat gesagt das nennt man poken, weiß aber nicht wies richtig geschrieben wird. Könnt ihr mir da helfen??" Ob dieses Mädel konzerttauglich ist? Allerdings hätte das zarte Geschöpf heute Abend nichts zu fürchten gehabt. Am Ende bleibt es wirklich bei einem gemütlichen Dritten Advent: OOMPH geben a capella ein rühriges "I am dreaming of a white christmas..." zum Besten. Damit sprechen sie ein heikles Thema an: was ist die Bergbaustadt Freiberg am Fuße des Erzgebirges schließlich ohne weiße Weihnacht?! Momentan kann man sich hier maximal den Allerwertesten abfrieren, von Schnee aber keine Spur. Hat auch seine Vorteile, sonst hätte ich am Ende vor lauter Übermut noch Schneebälle auf die Bühne geschmissen. So sind OOMPH aber noch einmal glimpflich davon gekommen. Und zugegeben: bei "Das weiße Licht" habe auch ich mal amüsiert mitgebrüllt. Außerdem muss man OOMPH mal zu Gute halten, dass sie noch lange nicht solche Starallüren wie die Konkurrenz von RAMMSTEIN an den Tag legen. Hier gibt es jedenfalls keine Bierbecher mit Bandaufdruck zu kaufen, auch kostet der Eintritt für die drei Bands 25 und nicht 45 Euro.
Setlist OOMPH:
Tausend neue Lügen
Wenn du weinst
Viel zu tief
Unsere Rettung
Fieber
Burn your eyes
Keine Luft mehr
Dein Feuer
Mitten in's Herz
Sex hat keine Macht
Supernova
Feiert das Kreuz
Das weiße Licht
Gekreuzigt
Dein Weg
Niemand
Brennende Liebe
Augen Auf
Willst du frei sein?
Mein Herz
White Christmas (à capella)
Übrigens war das heute ein ganz besonderer Tag, denn wie sich später am SAMAEL-Meetingpoint herausstellt, feiert ein Bandmitglied feuchtfröhlich Geburtstag. Drei Mal dürft ihr raten, wer... Nachträglich Happy Birthday von dieser Stelle und frohes Neues Jahr an alle Metaller und Aufgeschlossenen da draußen!
- Redakteur:
- Wiebke Rost