SAXON, FM, RAVEN - Hamburg
07.10.2018 | 09:5525.09.2018, Grosse Freiheit 36
Das NWoBHM Urgestein lässt den Adler wieder fliegen.
Die Liste der Tourneen der Altvorderen ist momentan unendlich lang. Auch die Recken um Biff Byford jockeln mal wieder durch deutsche Lande und stoppen dabei auf der Sündenmeile an der Waterkant. Obwohl SAXON zu meinen ganz frühen Helden zählt, habe ich sie eine gefühlte Ewigkeit nicht live gesehen. Obendrein waren die letzten Erlebnisse allesamt auf Festivals, sodass ich denke, sie zum letzten Mal in den 80ern als Hallenband gesehen zu haben. Kaum zu glauben. Dieses Mal ist auch das Supportprogramm extrem lecker, denn mit den überenergischen Hummel-Metallern RAVEN macht man nie etwas falsch und auch die etwas gemäßigteren Kollegen von FM, die kurzerhand für die ausgefallenen Y&T einspringen, sind gut anhörbar. Natürlich hätte ich sehr gern Dave Meniketti und seine Mannen gesehen, aber die Gesundheit geht vor. Von daher: Alles Gute, Dave! (Anmerkung: Dave Meniketti hat eine Rückenverletzung und wird bald wieder auf dem Damm sein, aber für diese Tour hat es nicht gereicht - FJ)
Sieht also alles nach einem tollen Abend aus. Allerdings ist das Trio Infernale von RAVEN beinahe fertig als ich um halb Acht in der Halle aufschlage. Wenn ich den Niagara-Fall an Johns' Gesicht als Maßstab werte, ist die Halle aber wieder in ein Tollhaus verwandelt worden. Dies bestätigen auch alle befragten Anwesenden, die außerdem von einem feinen, neuen Song schwärmen. Offenbar haben die Herrschaften wieder alles richtig gemacht. Mit einer Gerstenschale in der Hand geht es nun zu FM. Sofort fällt der extrem gute Klang auf, der alle Instrumente fein in Szene setzt. So sollten Konzerte klingen. Auch handwerklich kann ich den Herren einiges abgewinnen. Man merkt der Band die langjährige Erfahrung an. Für mich hapert es allerdings ein wenig am Songwriting. Da spukt häufig der Begriff "bieder" in meinen Gehörgängen herum, denn so richtig zünden wollen die guten Nummern nicht. Da hilft auch der erstklassige Gesang im Endeffekt nicht weiter. So bleibt unterm Strich ein gelungener Auftakt.
Als dann das Quintett um Biff die Bühne entert, dreht die Meute vom ersten Ton an sofort komplett ab. Nach dem Intro der aktuellen Scheibe legt die Band sofort mit 'Thunderbolt' mächtig nach. Bassist Nibbs Carter wähne ich bereits nach dieser Nummer untern Sauerstoffzelt, denn der gute Mann schraubt sich dermaßen den Schädel vom Körper, dass man denken muss, er besitze keine Nackenmuskulatur. Im Gegensatz zu anderen Bands, die bereits länger am Start sind, begeht die Band nicht den Fehler, fast nur alte Schmachfetzen aus dem Koffer zu ziehen. Man hat ein neues Album am Start und man ist überzeugt von dessen Qualitäten. Logische Schlussfolgerung: Man spielt ordentlich Material von eben jener Scheibe. Nach dem Titelsong gibt es mit 'Nosferatu (The Vampires Waltz)', 'Predator', 'The Secret Of Flight', Auszügen aus 'Sons Of Odin' und der Lemmy Homage 'And They Played Rock'n'Roll' etliche Nummern von "Thunderbolt" zu hören, die allesamt ohne Stimmungsabfall vom Publikum abgefeiert werden. Natürlich ist man sich auch im Hause Angelsachsen bewusst darüber, dass man ohne einige Klassiker nicht von den Brettern gehen darf, aber diese müssen nicht alle aus der Zeit der Dinosaurier stammen. So gibt es Zwischendrin mit dem megaharten 'Battering Ram' und dem Singalong 'Solid Ball Of Rock' kleine Überraschungen zu hören. Habe ich eben bereits die Leistung von Mister Carter gewürdigt, so muss ich hier auch noch einmal ganz ausdrücklich erwähnen, dass auch Mister Byford noch sehr gut bei Stimme ist. Dass er als Frontmann einen ausgezeichneten Job macht und man ihm und auch allen anderen Beteiligten den Spaß an der Sache ansieht, muss ich nicht extra erwähnen, oder?
Als wäre dies alles nicht schon toll genug, ist der Griff in die Mottenkiste dieses Mal mit der Baggerschaufel ausgeführt worden, denn die Anzahl an Klassiker lässt sich nur mit Mühe an zehn Finger abzählen: 'Motorcycle Man', Wheels Of Steel', Dallas 1PM', Strong Arm Of The Law', 'And The Bands Played On', 'Heavy Metal Thunder', 'Crusader', 'Power And The Glory', '747 (Strangers In the Night)'', 'Princess Of The Night', 'Denim And Leather' und mein Favorit 'The Eagle Has Landed'. Da bleiben keine Wünsche offen! Einziger Wehrmutstropfen für mich ist allerdings die übertriebene Lautstärke und der Verlust der eigenen Originalität bei den alten Nummern. Der gern genommene Boogie-Effekt geht im neuzeitlichen Heavy-Metal-Gewand leider unter. Nichts Neues, aber für jemanden wie mich, der die Band seit Dekaden nicht unter diesen Umständen gesehen hat, anfänglich etwas störend. Schlussendlich bin aber auch ich bestens gelaunt aus der Halle gegangen. Toll!
- Redakteur:
- Holger Andrae