SCORPIONS - Zwickau

17.06.2010 | 11:10

30.05.2010, Stadthalle

An einem Sonntag in Zwickau ...

Aller Abschied tut weh, doch wenn er in eine dreijährige Rocksause mündet, dann sollten die Taschentücher in der Hose bleiben und stattdessen die Luftgitarren herausgeholt werden. Nach einem tollen Auftaktkonzert in der Leipziger Arena war schnell klar, dass man sich diese leckere Show ruhig noch einmal geben sollte. Kurz den Tourplan gecheckt: Holla, Zwickau steht auch noch auf dem Plan. Noch Fragen? Kaum. Einzig die Frage blieb, wie viele Fans den Weg zur Zwickauer Stadthalle finden. Denn in Leipzig war die Arena nur zu gut 75 Prozent gefüllt, an einem Freitag und bei einem Auftaktkonzert. Wie soll es da an einem Sonntag in Zwickau werden?

Los geht die Fahrt. Als das POWERMETAL.de-Team an der Zwickauer Stadthalle ankommt, wird bei der Parkplatzsuche klar, dass hier heute kaum ein Platz frei sein wird. Alles dicht, selbst die Fußwege sind mit Autos besetzt. Also tun wir es den Zwickauern gleich und stürmen zur Halle. Dort baut man schon die Zäune vor dem Eingangstor ab. Sind wir zu spät? Haben wir EDGUY verpasst? Spielen die SCORPIONS schon? Zum Glück sehen wir schnell, dass Tobi gerade erst die Bühne stürmt. Mit 'Dead Or Rock' scheppert's sofort in Zwigge. Während das Publikum in Leipzig den Hessen kräftigen Applaus schenkte, bei den Songs aber eher statisch blieb, kann man hier und heute schon mehr Action sehen. Tobi wirkt etwas lockerer als beim Tourstart und hat seine gewohnte Alleinunterhalterstimmung erreicht.

Die kommt auch beim (recht alten) Publikum wunderbar an. Haben wir hier etwa einen neuen Schwiegermamaliebling. Mit 'Tears Of A Mandrake' zieht man einen alten Haudegen aus dem Hut. Ja, heute geht es rund in Sachsen. Tobi spürt dies und scherzt immer wieder mit dem Publikum. Die Halle ist rappelvoll, gut 6000 Menschen haben sich in diesem wunderschönen neuen Rundbau eingefunden. Selbst in der letzten Reihe (welche beim FOH ist, wie gesagt: Rundbau) hat man einen tollen Blick auf die Action.

Tobi gibt zu, dass der folgende Song 'Save Me' nur entstanden ist, um mal mit einer Ballade richtig Kohle zu machen. Hat nicht geklappt. Egal! Also Feuerzeuge hoch und mitgeträllert. Wenn nicht mitgesungen wird, kommen die SCORPIONS nicht auf die Bühne. Und alles singt mit.

Nach 'Lavatory Love Machine' befiehlt der Frontmann, dass das Licht bitte immer auf ihn gerichtet werden soll. "Ich bin zwar der Kleinste, habe aber den Längsten." Upps. "Zwickau, ich verspreche euch, wir kommen wieder. EDGUY und Zwickau – das passt einfach!" Recht hat er. Die Menge tobt, man feiert neue Helden. Ob da die SCORPIONS mithalten können? Nach 'King Of Fools' endet ein wirklich starker EDGUY-Gig. Daumen hoch!

Setlist EDGUY:
01. Dead Or Rock
02. Superheroes
03. Tears Of A Mandrake
04. Ministry Of Saints
05. Save Me
06. Lavatory Love Machine
07. King Of Fools

Pause = Bier, Rauchen, Warten! Klassisch wird die Umbaupause zelebriert. Nach einer guten halben Stunde mit alten METALLICA- und AC/DC-Hits ist es endlich so weit. Das Licht erlischt, und die unglaublichen Bilder aus dem San Bernadino Valley erhellen die Leinwand. 1983 traten die SCORPIONS bei dem US-Festival vor 300000 Menschen auf. Und diese 300000 Menschen rennen auf der Leinwand alle Richtung Bühne. Unfassbar!

Dann erhellen Pyros diesen unwirklichen Moment, und unsere Lieblingshannoveraner rocken mit dem Titelsong ihres aktuellen Albums 'Sting In The Tail' ordentlich los. Ein wenig verdutzt schauen die Zwickauer schon, denn offenbar haben die meisten Fans ein Hitfeuerwerk erwartet und nicht aktuelle Songs, die eh keiner kennt. Daher dauert es auch bis zu 'Bad Boys Running Wild' vom '84er Klassiker "Love At First Sting", bis sich das Publikum zu etwas Bewegung hinreißen lässt. Rocken jedoch wollen heute nur die SCORPIONS. Das Publikum bleibt gemütlich auf den Sitzen, und wer tatsächlich auf den Hinterbeinen steht, schaut mit glänzenden Augen nach vorne. Und wenn man mitsingt und den Kopf wackeln lässt, erntet man ungläubige Blicke. Ein großer Spaß!

"Hallo Zwickau, schön euch zu sehen!" Klaus Meine ist bester Laune, schaut wie ein großes Kind immer wieder auf die großflächigen Tribünen und freut sich sichtlich. Für 'Is There Anybody There' hat er sich seine Rassel geschnappt, macht ein wenig Krach und versucht, das Publikum zu animieren. Klappt besser als das Werfen des Instruments zum Roadie. Während in Leipzig wirklich jeder Wurf saß, geht heute alles daneben. Gut, es ist Sonntag.

Weil wir gerade bei den alten Krachern sind, folgt mit 'The Zoo' gleich der nächste. Oh Mann, ein Song für die Ewigkeit. Da passt auch nach dreißig Jahren wirklich alles.

Während Klaus etliche Drumsticks in die Meute wirft, darf Matthias Jabs mittels der Voicebox glänzen. Old School at its best! Mit 'Coast To Coast' dominieren weiterhin die harten Gitarren. Schenker bleibt zunächst alleine auf der Bühne und zockt seinen Part, bis Pyros die Arena erhellen und die restlichen Skorpione dazukommen. Selbst Klaus Meine hat sich den Sechssaiter umgeschnallt. Hach, pure Nostalgie. Genau die gleiche Performance hat schon vor über 25 Jahren die Arenen zum Kochen gebracht. Dazu läuft ein abgefreaktes Wüstenvideo auf den riesigen Leinwänden. Wer hier Bier holen geht, hat nichts begriffen. Großartig, und auch die Fans zeigen ihre Wertschätzung für das eben Gesehene.

Mit 'Loving You Sunday Morning' bleiben die SCORPIONS beim '79er Überalbum "Lovedrive", bevor sie bei 'We'll Burn The Sky' erstmalig (und letztmalig) bis ins Jahr 1977 zurückgehen.

"Danke Zwickau. Heyyyyyy!" Nach diesem langen und hitgewaltigen Ausflug in die Zeit vor meiner Geburt geht es wieder zurück in das Jahr 2010 – auch als Gegenwart bekannt. Mit 'The Best Is Yet To Come' wird es nicht nur ruhiger, es schwingt auch zum ersten Mal so etwas wie Abschied mit. Denn dieser Song ist der letzte des letzten SCORPIONS-Albums.

Und dann sage mal einer, dass dies emotionslos an einem vorbeigehen soll. An den Zwickauer Fans auf jeden Fall nicht, denn zum ersten Mal platzt der Applaus wie ein Hurrikan aus ihnen heraus. Aha, Balladen kommen also an. Also rücken die Jungs ihre Hocker an den vorderen Rand des Laufsteges und bringen gleich den nächsten Gefühlskracher: 'Send Me An Angel' (den Klaus Meine dem großartigen Ronnie James Dio widmet). Von vielen Metallern verspottet, von unsereins verehrt. Kitsch gepaart mit einer wunderbaren Atmosphäre. Was kann daran schlecht sein? Gänsehaut überzieht den Körper. Als der letzte Ton verklingt, reißt es Zwickau aus den Sitzen. Wie schon in Leipzig folgen minutenlange Standing Ovations. Was ist denn nur los? Darf man heute endlich zugeben, dass man diesen Song seit zwanzig Jahren immer heimlich unter dem Kopfkissen gehört hat?

Klaus Meine schaut ergriffen in das weite Rund. Es menschelt. Für 'Holiday' geht es zurück in die großen Jahre, doch man bleibt im Akustikgewand vorne am Steg, bevor man für das brandneue 'The Good Die Young' wieder die ganze Breite der Bühne nutzt. Schenker wechselt während des Songs häufig zwischen Akustik- und E-Gitarre, während das Publikum weiterhin in der Balladeneuphorie verweilt.

Nun ist Schluss. Es wird wieder gerockt. 'Raised On Rock' (ganz frisch), 'Tease Me Please Me' (bissel angestaubt) und  '321' (nicht alt, aber fast schon vergessen) dröhnen durch die Stadthalle. Pyros überziehen die Bühne, und Schenkers Gitarre spuckt Feuer. Heiß, Baby!

Heiß ist auch das folgende Drumsolo von James Kottak, welches von einer wunderbaren Videoshow begleitet wird. Diese führt den Drummer nämlich durch vier Jahrzehnte SCORPIONS-Discografie und beamt ihn in die Storys hinter den teils ziemlich skurrilen Albumartworks. Unterhaltung pur! Am Ende schließen sich alle Skorpione dem Ausnahmedrummer an und zelebrieren 'Blackout'. Den Vogel schießt dabei Schenker ab, der im "Blackout"-Outfit die Bühne entert: Eine schräge Mütze und ein falscher Bart sorgen für ein fettes Dauergrinsen. Dann wird die Großstadt Zwickau via 'Big City Lights' zur Metropole und für einen Song zur Hauptstadt des Heavy Metal! Eine tolle Bildershow sowie fette Pyros beenden das reguläre Set höchst spektakulär.

Doch Zwickau will noch nicht nach Hause gehen. Die Fans klatschen, pfeifen und trampeln mit ihren Füßen auf den Boden. Es wird laut! Das kann selbst der taube Rockstar nicht überhören, und so kehren die SCORPIONS für ein Klassikertrio zurück. Zunächst geht es an das Herz: 'Still Loving You' schmettert Meine in die Runde. Feuerzeuge all over the place! Feuerfontänen sorgen für Gänsehautattacken.

Genauso wie bei 'Wind Of Change', das überschwänglich mitgesungen wird. "Vor zwanzig Jahren hat sich die Welt vor unseren Augen verändert." Zwickau erinnert sich, und bei manchen Fans ist ein Glitzern in den Augen deutlich zu erkennen. Doch zum Abschluss muss es noch einmal richtig krachen. Logisch, mit 'Rock You Like A Hurricane' bleibt man windfrisch und zelebriert zum letzten Mal große Rock-'n'-Roll-Kultur.

Hammer! Die SCORPIONS verabschieden sich mit einer Show, die es verdient hat, mehrmals gesehen zu werden. Über die Setlist braucht man gar nicht zu diskutieren. Natürlich setzt man primär auf die großen Jahre zwischen 1977 und 1984, doch auch neuere Songs kommen zum Zug. Das ist nicht nur mutig, sondern zeigt auch, dass die SCORPIONS anno 2010 noch genügend Rock 'n' Roll in ihren Eiern haben. Rock 'n' Roll forever!

Setlist SCORPIONS:
01. Sting In The Tail
02. Make It Real
03. Bad Boys Running Wild
04. Is There Anybody There?
05. The Zoo
06. Coast To Coast
07. Loving You Sunday Morning
08. We'll Burn The Sky
09. The Best Is Yet To Come
10. Send Me An Angel
11. Holiday
12. The Good Die Young
13. Raised On Rock
14. Tease Me Please Me
15. 321
16. Kottak Attack (Drumsolo)
17. Blackout
18. Big City Nights
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19. Still Loving You
20. Wind Of Change
21. Rock You Like A Hurricane

Redakteur:
Enrico Ahlig
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