SCORPIONS und THUNDERMOTHER - Stuttgart

24.05.2023 | 17:20

21.05.2023, Hanns-Martin-Schleyer-Halle

Fast wie die jungen Hüpfer!

Es ist Sonntag, es ist nachmittags, was machen die Leute alle auf der Straße? Wir sind eigentlich mehr als pünktlich losgefahren, aber jetzt ist bereits Einlass und wir sind noch über eine Stunde vom Ziel entfernt, aber bereits mehr als eine Stunde unterwegs. Für 110 Kilometer! Autobahn! Nur dass auf der Autobahn 20 Kilometer Stau sind und die Umgehungsstrecke... na ja, reden wir nicht drüber. Vor Ort treffen wir Andre, der heute für die Fotos zuständig sein wird. Für Begrüßungsrituale haben wir keine Zeit, los geht es, immerhin schaffen wir es, nur ein paar Minuten zu spät in der Halle zu sein, wenn auch etwas weniger entspannt als erwartet.

Das gilt in diesem Jahr sicherlich auch für die erste Band des Abends, THUNDERMOTHER. Wie bereits vor sechs Jahren einmal hat es bei den vier Schwedinnen kräftig gekracht und Bandleaderin Filippa Nässil hat eine komplett neue Band zusammenstellen müssen. Wie entspannt ist man in einer solchen Situation? Wie es scheint, macht es THUNDERMOTHER recht wenig aus, denn das Treiben auf der Bühne wirkt ansteckend und keinesfalls irgendwie improvisiert.

Wobei die Bühne reichlich überdimensioniert ist. Meine Güte, das ist ja ein Fußballplatz. Klar, die Halle ist groß, die Hanns-Martin-Schleyer-Halle fasst über 15000 Besucher und ist heute sehr gut gefüllt, da kann man nicht mit einer mickrigen Bühne aufwarten, aber das hier? Die Schwedinnen versuchen, ein paar Kilometer zu machen, während sie den 'Hellevator' besingen, der sie nach ganz unten bringen solle. Offensichtlich haben wir nur zwei Lieder verpasst, denn die Setliste ist ja bekannt, schön, denn ich sehe THUNDERMOTHER zum ersten Mal.

Kraftvoll, musikalisch auch sehr passend zum Hauptact, rocken die Vier einen relativ einfachen, riffbasierten und gelegentlich auch mal an große australische Vorbilder erinnernden Hardrock in die Runde, dass der Fuß von selbst wippt. Die neue Sängerin Linnéa Vikström hat ein starkes Organ und brüllt uns eine Auswahl aus den fünf Alben der Band vor den Latz, natürlich mit einem Fokus auf dem aktuellen Werk "Black And Gold", das in den deutschen Albumcharts sogar Platz 6 erreicht hat! Nässil und ihre Damen haben vierzig Minuten Spielzeit bekommen und schaffen dabei glatt zehn Lieder, beachtlich, und dabei ein Indiz dafür, dass hier eben ohne Firlefanz geradeaus gerockt wird. Das ist musikalisch zwar alles nichts Neues, aber eben gut gemacht und für vierzig Minuten genau das Richtige, um die Temperatur ein wenig anzuheben. Dafür erntet THUNDERMOTHER verdient auch mehr als nur Höflichkeitsapplaus.

Setliste: Loud And Free; Try With Love; Hellevator; Dog From Hell; Into The Mud; I Don't Know You; Whatever; Shoot To Kill; Watch Out; Driving In Style

Die Umbaupause ist angenehm kurz, gerade einmal dreißig Minuten, das ist bei so großen Hallen nicht immer selbstverständlich. Es wird ein großes Banner gespannt mit dem Band Schriftzug SCORPIONS, sollte sich jemand aus der Porsche-Arena, in der parallel die BLUE MAN GROUP auftritt, hierher verirrt haben, weiß er spätestens jetzt, dass es Zeit ist, die Halle zu wechseln. Pünktlich um 21:10 Uhr geht es los, der erste Vorhang fällt, dahinter ein zweiter, der fragt, ob wir bereit sind zu rocken. Ja klar, nun mal Gas! Ihr habt doch noch was im Tank, oder?

Kleiner Scherz, der Opener ist auf dieser Tour nämlich 'Gas In The Tank' vom aktuellen Album "Rock Believer". Ich sage gleich einmal etwas vorweg, das gilt dann für den gesamten Text: Meine Güte, wenn ich mal 74 Jahre alt sein werde, möchte ich auch noch so rocken! Ja, genau, 74, so alt sind Sänger Klaus Meine und Gitarrist Rudolf Schenker und Matthias Jabs geht mit 67 auch nicht mehr als Berufsjugendlicher durch. Gleich beim Opener rocken die beiden Gitarristen kräftig und Rudolf scheint genauso wenig zu halten zu sein wie früher. Klaus ist da doch deutlich ruhiger, bleibt zumeist an seinem Mikroständer und konzentriert sich auf seinen Gesang, der wiederum absolut stark ist, greift mal zu Perkussionsinstrumenten und wird erst im späteren Teil des Sets exaltierter rocken.

Die SCORPIONS scheinen Spaß zu haben, gut so, sonst müssten sie sich sicherlich eine solche Tour-Tortur nicht mehr antun, aber das überträgt sich auch auf das Publikum, vor allem, weil mit 'Make It Real' und 'The Zoo' gleich mal zwei Klassiker aus dem Köcher geholt werden. Die Bühne ist riesig in der Breite, aber vor allem wird die Hallenhöhe auch weidlich ausgenutzt, um Projektionen passend zu den einzelnen Songs darzubieten. Diese Grafiken sind bei 'The Zoo' schon wirklich cool und werden im Laufe des Abends immer wieder witzige oder unterhaltsame Akzente setzen.

19 Alben, darunter ein aktuelles, das man natürlich besonders präsentieren möchte, denn, das muss auch ganz klar gesagt werden: Die SCORPIONS anno 2023 sind keine Kapelle auf Alterstour, die mit ihrem Best Of nochmal Kasse machen will. Die Setliste enthält vier Stücke vom neuen Album, das ist ein Viertel, wenn man Soloeskapaden mal außen vor lässt. Die Herren glauben an ihre neue Musik wie eine junge Band und genauso fühlt sich der Gig an.

19 Alben also, aus denen man schöpfen kann. Manches muss, vieles kann, kaum etwas könnte heute falsch sein, und ganz sicher wird jeder am Ende sagen, dass ihm das Lied X oder der Song Y gefehlt hat. Wenn man das weiß, kann man ganz locker eine Setliste zusammenstellen, oder? 'Coast To Coast' gibt Klaus Meine eine erste Erholungspause, in der er aber selbst zur Gitarre greift und mitrockt. Seine Stimme zwischendurch ein wenig zu schonen, ist sicher eine gute Idee, und im Laufe des Abends wird es mehrere Instrumentalpassagen geben, die wahrscheinlich diesem Umstand geschuldet sind. Obwohl die SCORPIONS, als Rockband der alten Schule, schon immer gerne Soloteile in ihre Shows eingebaut haben.

Es folgen mit 'Seventh Sun' und 'Peacemaker' wieder zwei neue Stücke, vor allem letzteres überzeugt mit großer Power. Aber natürlich hebt sich die Stimmung bei dem Klassiker 'Bad Boys Running Wild' erheblich. Die Band ist gut drauf, zumeist in schwarz gekleidet, viel Leder, dazu etwas Metall, klassisches Hardrockoutfit, die Musiker werfen sich oft in Pose und zeigen die bekannten Figuren, die auf keinem Konzert der SCORPIONS fehlen dürfen, vor allem Rudolf Schenker mit seiner Flying V stellt sich immer wieder hübsch zu Schau, während man musikalisch nichts anbrennen lässt.

Dann folgt eine Soloeinlage für Matthias, der das Stück 'Delicate Dance' spielt, das für den MTV-Unplugged-Auftritt 2011 komponiert wurde. Ein paar fragende Gesichter gibt es schon, aber als es dann in den Balladenteil übergeht, ist die Stimmung natürlich überbordend. Ja, 'Send Me An Angel' und 'Wind Of Change' müssen gespielt werden. Das sind die Hannoveraner ihrem Erfolg schuldig und wenn über zehntausend Kehlen mitschmettern, kann man sich der Magie des Abends auch nicht entziehen. Zumal ja beide Stücke, wenn man mal einen Schritt zurücktritt und vergisst, dass man vor allem das zweite davon gefühlte drölfzigtausendmal gehört hat, zu den besten Rockballaden gehören, die die letzten 2000 Jahre hervorgebracht haben. Ich persönlich mag den Engel ja lieber, aber der größte Applaus brandet auf bei dem gelb-blauen Peace-Zeichen am Ende des Blocks. Natürlich positioniert sich die Band, die in ihrer Karriere weitgehend unpolitisch war und ist, aber trotzdem vor Statements nicht zurückschreckt, auch in diesem Punkt deutlich.

Ich habe an dem Gig gar nichts zu meckern? Doch. 'Tease Me Please Me' mag ich nicht. Das ist doch wirklich keiner der Kracher der Band, warum es ausgerechnet dieses Lied in die Setliste geschafft hat, ist mir ein Rätsel. Ein andauerndes allerdings, ist der Song doch seit Jahrzehnten immer wieder dabei. Ja, da hätte ich lieber etwas Ungewöhnliches gehört, zum Beispiel 'Alien Nation' oder '321' oder 'Raised On Rock' oder, oder, oder. Immerhin folgt der grandiose Titelsong des aktuellen Albums und versöhnt mich wieder, bevor Mikkey Dee an seinem Schlagzeug loslegen darf. Ein Schlagzeugsolo gehört immer zur Show und der ehemalige MOTÖRHEAD-Drummer passt ganz ausgezeichnet in die Band. Ist ja auch knapp 60 Jahre alt, was man wiederum nicht merkt, denn er verdrischt seine Trommeln ganz gehörig. Nun bin ich kein Fan solcher Soloeinlagen, das durfte bei mir nur Neil Peart, aber die visuelle Untermalung im Hintergrund ist gut. Zum Schluss gibt es noch einen Spielautomaten, der mehrfach keinen Erfolg zeigt in Form von fünf Skorpionen, was dann das Solo beschließt, sondern ein paar witzige andere Symbole wie beispielsweise einen Lemmy-Kopf als Hommage an den Rock 'n' Roll-Helden und Mikkeys vorherigen Arbeitgeber.

Zum Abschluss gibt es noch ein paar Klassiker, natürlich, und als Rausschmeißer werden wir wie ein Wirbelwind gerockt von einer tatsächlich spritzigen und aktiven Band, die es schafft, ihre sicherlich altersbedingt vorhandenen Notwendigkeiten an das nicht mehr so ausufernde Tourleben so zu planen, dass sie alle zwei, drei Tage eine energiegeladene Show auf die Bühne bringen kann. Sicherlich hätte ich gerne noch ein paar Lieder mehr gehört, vor einigen Jahren bestand eine Show meist aus zwei bis vier Liedern mehr, aber fast neunzig Minuten sind eine normale Konzertlänge, mehr machen auch die jungen Hüpfer nicht. Die haben nur eben nicht so viele unsterbliche Klassiker wie die SCORPIONS.

In dieser Form sind die Norddeutschen eine Bank, die Unterstützung aus der Grafikkanone ist top und kaschiert eventuell mal im Vergleich zu früher verringerte Kilometerzahlen. Musik und vor allem Klaus' Stimme sind großartig. Egal, mit was die Jungs live um die Ecke kommen, es ist stark. Ich hoffe, wir können noch einige Nachfolgetouren und Festival-Auftritte erleben. Heute Abend sehe ich überall grinsende Gesichter.

Setliste: Gas In The Tank; Make It Real; The Zoo; Coast To Coast; Seventh Sun; Peacemaker; Bad Boys Running Wild; Delicate Dance; Send Me An Angel; Wind Of Change; Tease Me Please Me; Rock Believer; Drum Solo; Blackout; Big City Nights; Zugabe: Still Loving You; Rock You Like A Hurricane

 

Redakteur:
Frank Jaeger
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