SETYØURSAILS, RISING INSANE und VINTA - Hannover

16.05.2024 | 12:04

11.05.2024, Béi Chéz Heinz

Deutschland sucht die Headliner von morgen.

Wer mein Review zu "Bad Blood" gelesen hat, wird wissen dass es mir die Band um Frontfrau Jules schon sehr angetan hat. Das Teil ist sich seiner Stärken vollumfänglich bewusst und gibt einen Fick auf die Schwächen. Schön poppig und snackable. Und trotz dieser unverschämten Eingängigkeit sind die Texte durch die Bank wirklich gut und behandeln eine Vielzahl von nachdenklichen und wichtigen Themen. Wartet mal! Sowas Ähnliches hatte ich doch im Dezember 2021 auch schonmal geschrieben. Genau – zu RISING INSANE war das. Somit passt es thematisch erstklassig, dass beide noch frischen Bands sich dazu entschlossen haben, das kommerzielle Risiko einzugehen und zusammen eine CO-Headline-Tour zu bestreiten, bei der sich die Bands, je Location, mit dem letzten Slot abwechseln. Da beide Truppen zusammen mit DEVIL MAY CARE und VENUES zu den spannendsten Acts der nationalen Metalcore-, Post-Hardcore-Richtung gehören, ist es natürlich Ehrensache, der "Unite & Conquer"-Tour einen Besuch abzustatten. Da wir glücklicherweise auch die Chance bekommen, in Hannover mit Jules auch ein sehr interessantes Interview zu führen (folgt demnächst), ist das "Béi Chéz Heinz" die Wahl für den Genuss dieser modernen Vollbedienung. Allein dieses Veranstaltungszentrum, welches ikonisch unter einem öffentlichen Schwimmbad angesiedelt ist, spiegelt den DYI-Spirit der heutigen Bands wunderbar wider. Die Größe ist hervorragend gewählt und der Charme der Location passt wie der sprichwörtliche Arsch auf den Eimer an diesem Abend.

Auf allen 12 Daten der Tour werden die beiden Headliner von VINTA supportet. Ebenfalls eine blutjunge Band, welche mit ihrer starken DIY-Mentalität definitiv zum restlichen Line-up passt. Der Sound ist gar nicht so leicht zu beschreiben, wenn man sich die Aufgabe stellt, keine Referenzbands zu nennen. Das ist moderner, elektronischer, melancholischer Rock mit leichten Ausschlägen in die härtere Richtung. So weit so klar. Der Knackpunkt sind allerdings die durchgängigen deutschsprachigen Texte. Das hört man so nicht an jeder Straßenecke und sorgt sofort für eine sehr spezielle Note. Durch die Verwendung der Muttersprache, werden die Texte aber auch deutlich präsenter und unweigerlich schwergewichtiger. Und da ist VINTA ein zweischneidiges Schwert. Nein, schlecht ist hier überhaupt nix – ich würde sogar so weit gehen, dass Kim Frank und Bill Kaulitz mächtig stolz wären. Ach Mist. Doch nicht geschafft. Also gut. Solltet ihr mal Bock auf eine leicht härtere, moderne Variante von TOKIO HOTEL haben und euch die eher traurigen Nummern von ECHT ans Herz gehen, dann müsst ihr VINTA hören. Diese Band wäre Anfang der 2000er durch die Decke gegangen, da bin ich mir relativ sicher. Das ist bestes Teenie-Band-Material und das meine ich gar nicht despektierlich. Nur für mich selbst ist das auf mehreren Ebenen zu harter Tobak. Auch beim restlichen Publikum gehen die Meinungen auseinander, wobei es auch einen harten Kern gibt, der die Jungs wirklich abfeiert. Einen echten Crowd-Pleaser hat VINTA mit dem Cover 'Durch den Monsun' aber auch noch in Petto. Ähnlich wie beim Euro-Dance ist es erstaunlich, wie sehr solche Hits die Stimmung anheizen, insbesondere bei der Klientel, welches die gleichen Tracks beim Release verteufelt hat. Irgendwann wird ein Song, egal wie grenzdebil er sein möge, halt zum Soundtrack der eigenen Jugend. Und solche Erinnerungen und Gefühle sind stärker als jegliche Geschmackssensoren. Kurzer Spiegel-Check: Habe ich grade mitgesungen? Verdammte Axt. Das zweite Highlight ist die brandaktuelle Single (Release 10.05.2024) 'Gift', welche eine Kollaboration mit Jules darstellt und nochmal deutlich härter klingt als der Rest. Geht also nicht nur traurig, sondern auch mal wütender. Nur Schade, dass der Song nicht gemeinsam performt wird. In Summe trotzdem ein starker Auftritt, welcher die Weichen schon jetzt auf Erfolg stellt. Die Band hat übrigens eine Vergangenheit als DICKES GEBÄUDE und in dieser Inkarnation 2016 mit "Blitzlichtgewitter" ein Album rausgebracht. Und da muss auch ich zugeben, dass dieser Qualitätssprung zum aktuellen Material mehr als beachtlich ist.


Setliste: Schon Okay; Durch die Nacht; Durch den Monsun; Allein; Du fragst nicht mehr; Gift; Kopf zu laut

Da Bands dieser Größenordnung immer noch selbst für Auf- und Abbau tätig werden, wird relativ schnell klar, dass jetzt RISING INSANE folgt. Und das bedeutet, es wird nun nicht nur deutlich härter und schneller, sondern auch spürbar energischer. Der Wahnsinn im Bandnamen folgt Aaron Steineker auf Schritt und Tritt und greift wie ein parasitärer Schatten auf das Publikum über. Ich selbst bin erstmal etwas überrumpelt und habe das Gefühl, dass der Zug ohne mich abfährt. Das Publikum geht aber komplett steil. Im Gegensatz zu DEVIL MAY CARE geht es hier wohl eher um den kompletten Abriss als um die musikalische Sterneküche. Das hätte ich nach der Platte "Afterglow" nicht erwartet, welche immerhin auf Platz 19 in meinen Jahrescharts 2021 gelandet ist und diese Bereiche so schön und pointiert ausbalanciert hat. Heut wird es aber wilder. Okay, darauf kann ich mich aber einstellen. Mein zweites Problem ist aber auch, dass ich als sehr Alben-orientierter Hörer, eher weniger Zugang zu einzelnen Tracks oder EPs habe und daher die komplette Eröffnungstriade nicht kenne. Dabei sind das zumindest in der Studionachbetrachtung erneut gute Songs. Richtig Grip unter den Abend kriege ich erst mit dem 'Maniac'-Cover, das Teil ist halt immer ein Killer. Leider folgen dann direkt wieder zwei nagelneue Songs, welche ich erstmal gespannt hören möchte, statt zu eskalieren. Leute wir haben hier heute einen echten Zielkonflikt. Das ist schade, da grade 'Malicious' ein großartiges Geschoss werden kann. Heute hätte ich mir echt den Fluxkompensator gewünscht, um mich mit dem neuen Album "Wildfires" (Release am 23.08.2024) besser auf den Abend vorzubereiten. Somit gibt es insbesondere in der ersten Hälfte zu viel Unkenntnis von meiner Seite aus. Aber grade der Dreierpack von "Afterglow", welcher das reguläre Set abschließt, stimmt mich dann wieder deutlich zufriedener, auch wenn ich die Energie der Band einfach eine Spur zu drüber finde. Etwas mehr Rücknahme und dafür alle Instrumente etwas sauberer aufeinander abgestimmt und schon klingt das Gesamtergebnis harmonischer. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass ich diese Meinung relativ exklusiv habe. Das "Béi Chéz Heinz" eskaliert völlig und verwandelt den Dance-Floor in eine finnische Saunalandschaft.

Hannover will auf die Fresse und Hannover kriegt auf die Fresse! Spätestens mit dem Aggro-Aufguss 'When My Anger Burns' ist der Siedepunkt erreicht, den Schlusspunkt darf dann abermals eine Coverversion setzen. Zwar hätte ich auch hier gerne das DUA LIPA-Cover 'Physical' gehört, da ihr neues Album "Radical Optimism" bereits in Dauerschleife läuft, aber eigentlich ist die Wahl mit 'Blinding Lights' vollkommen logisch. Die RISING INSANE-Interpretation ist relativ nah am Original gehalten und sorgt neben dem TOKIO HOTEL-Cover für den größten Mitsingmoment des Abends. Wie fällt nun das Fazit aus? Da ich mich schon lange auf das erste Konzert mit den Jungs gefreut habe, überwiegt doch etwas die Enttäuschung. Zwar gefällt mir das Material auf den Alben sehr gut, aber die Band legt den Fokus live nochmal etwas anders. Zum einen gibt es viele Stand-Alone-Singles zu hören und zum anderen geht es hauptsächlich darum, die Fans zum Eskalieren zu animieren. Dafür werden halt alle Songs in wirklich vogelwilden Versionen runtergeholzt. Getreu dem Motto: Raum zum Atmen gibt's nach der Zugabe! Das ist für mich schade, da ich Musik anders aufnehme, aber im Endeffekt macht die Band anscheinend vieles richtig. Egal – Schwamm drüber und auf "Wildfires" freu ich mich trotzdem.

Setliste: Burn; Reign; Drag Me Under; Chemicals; Maniac; Malicious; Monster; High Hopes; Something Inside Of Me; Breakout; Meant To Live; Zugaben: When My Anger Burns; Blinding Lights

Ich will ja keinen Druck aufbauen, aber SETYØURSAILS hat jetzt die ehrenvolle Aufgabe, aus einem bis dato durchwachsenen Konzertabend noch eine runde Sache zu machen. Doch die Band aus Köln kann mit dem Druck umgehen. Der Einstieg ist mit dem Album-Opener und Titeltrack zwar erwartbar, zeigt jedoch gleich eine Stärke gegenüber RISING INSANE auf. Das ist zwar auch eine höllisch aggressive Nummer, jedoch ist der Klang deutlich transparenter als zuvor und ich kann mich je nach Bedarf auf einzelne Instrumente konzentrieren und höre diese deutlich heraus. Dadurch wirkt der Auftritt zwar zu Beginn auch etwas leiser, was das Publikum somit gemischt wahrnimmt, stellt sich über die gesamte Dauer aber als goldrichtige Entscheidung heraus. Dieser roughere Klang kitzelt die feinen Rock-Nuancen, welche sich immer stärker ihren Weg durch die Metalcore- und Post-Hardcore-Lieder von SETYØURSAILS bahnen, effizienter hervor. Das tut den Tracks verdammt gut. Den dadurch etwas hüftsteiferen und konditionell schwächelnden Mob vor der Bühne kriegt Jules auch so wieder auf Betriebstemperatur. Dafür ist sie als Frontfrau einfach zu agil, sympathisch und mit jeder Faser bodenständig.  Was aber nicht heißt, dass sie nicht innerhalb von wenigen Hundertstel vollkommen eskaliert und Vokals aus sich herauspresst, welche schon mehr als bestialisch klingen. 'Sweet But Psycho' ohne Frage. So eine ikonische Frontfrau ist die halbe Miete. Die Setliste setzt sich aus acht Songs des neuen Albums und sechs Tracks von "Nightfall" zusammen und ist somit eine sichere Kiste. Highlights zu nennen, fällt mir wirklich schwer, da das ganze Konzert auf einem gleichbleibend hohen Niveau umgesetzt wird.

Ob nun Headbanger mit Sahne-Pop-Referenzen wie 'Dangerous', 'Best Of Me', brutale Pogo-Hymnen wie 'T.F.M.F.' oder 'Into The Storm' - das Chèz Heinz heizt nochmal richtig durch. Mit dem Live-Hammer 'Bad Company', welcher durch seinen leicht anderen Schwerpunkt eine wunderbare neue Note reinbringt, einer fantastischen Version von 'Halo', gibt es auch noch zwei persönliche Ausschläge nach oben zu spüren. Das macht richtig Laune. Ja, selbst mit 'Lately', das mich auf "Bad Blood" am wenigsten abholt, im Albumkontext aber durchaus Sinn macht, schließe ich heute Abend Frieden. Man merkt einfach, was dieser Track der Band und insbesondere Jules bedeutet und sowas spürt das Publikum sofort. Toller Moment! Somit bin ich tatsächlich auch etwas wehmütig, dass 'Eternally' das reguläre Set schon sehr zeitig beendet. Aber wir bekommen ja noch drei "Nightfall"-Zugaben und insbesondere das Abschluss-Doppel aus 'Mirror' (was für ein Chorus!!) und 'Fckoff'' sorgen für das Zerbersten des Stimmungsbarometers. Da stört es auch kaum, dass wir uns mittlerweile erneut eher in einer finnischen Sauna befinden als in einem Veranstaltungszentrum. Klar, wir hocken unter einem Schwimmbad, aber dass ich so nass werde, hätte ich dann doch nicht gedacht. Aber das nehme ich gerne in Kauf, wenn ich dafür solche tollen Bands bei der Arbeit zusehen darf. Für mich ist SETYØURSAILS zwar der eindeutige Gewinner des Abends, aber auch nur aus persönlichen Gründen. Das schmälert die Performance der beiden anderen Bands zu keiner Sekunde. Es zeigt somit auch deutlich, was für bockstarke junge Bands hier heranwachsen und es nicht nötig ist, in diesem Bereich nur die Truppen mit amerikanischem Gütesiegel abzufeiern. Qualitativ sind wir mindestens ebenbürtig, wenn nicht sogar mittlerweile besser und spannender unterwegs. Gebt diesen Bands ruhig die Chance – ihr werdet es nicht bereuen.


Setliste: Bad Blood; Halo; Nightfall, Into The Storm, Dangerous, Best Of Me, Why, Bad Company, Lately, T.F.M.F.; Eternally; Zugaben: Ghosts; Mirror; Fckoff

Redakteur:
Stefan Rosenthal

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