STAHLMANN, LICHTGESTALT und NERVENBEISSER - Bremen

20.10.2015 | 18:24

27.09.2015, Tivoli

Und die Luft war voller Eisenstaub.

STAHLMANN ist auf dem Vormarsch. Seit der Gründung 2008 geht es für die Göttinger stetig bergauf. Trotz zahlreicher Besetzungswechsel - von der ursprünglichen Truppe ist nur noch Bandchef Martin Soer übrig - scheint die Faszination ungebrochen. Das aktuelle Album "CO2" erreichte Platz 22 in den deutschen Charts, Grund genug, den Erfolg mit einer Headliner-Tour zu feiern. Mich persönlich konnte STAHLMANN bislang noch nicht wirklich abholen. Zu sehr verehre ich das Original mit dem großen "R", als dass mich die Göttinger wirklich überzeugen konnten mit ihrem nicht aus dem Genre-Standard ausbrechendem Songwriting. Doch ein Headliner-Auftritt kann in solchen Fällen Wunder bewirken. Der eigentliche Grund für mich, die Tour zu besuchen, heißt allerdings LICHTGESTALT. Doch dazu später mehr.

Nach einem anstrengenden Sonntag freue ich mich eigentlich auf ein frühes Zu-Bett-Gehen, bis mir einfällt... da war doch was! Klar, heute geht's ins Tivoli! Die Aussicht auf einen feinen Abend voller Neuer Deutscher Härte weckt die müden Knochen. So wird der Fotograf geschnappt und nach einer stärkenden Kartoffelsuppe geht's los nach Bremen-Hemelingen. Das Tivoli, direkt neben dem weitaus größeren Aladin gelegen, ist eine kleine Halle. Doch heute wirkt sie recht groß. Viel los ist nämlich noch nicht, kurz vor Beginn der Sause.

Ein paar Leute versammeln sich aber dann doch vor der Bühne, als eben jene ohne großes Brimborium von NERVENBEISSER geentert wird. NERVENBEISSER? Nie gehört. Ich bin wohl nicht der Einzige, dem es heute so geht. Ohne Plakatierung und Ankündigung sehe ich einige ratlose Gesichter vor der Bühne. Dabei liegt die Bandgründung schon 14 Jahre zurück. Nun gut, vor etwa zehn Jahren löste sich das Projekt in Wohlgefallen auf, wirklich wachsen konnte man bisher also nicht.

2015 soll alles anders werden. Motivierte Menschen betreten die Bretter, die NDH wird hart in die Ohren gekloppt. Und natürlich kann zu den stampfenden Drums, den Elektro-Sounds und den harten Gitarren nicht gelächelt werden. Ganz ohne Begrüßung und auch anschließend eher wortkarg spielt der NERVENBEISSER sein Ding runter. Während mir die namensgebende Bandhymne noch Tage später in den Ohren dröhnt, bleibt vom etwa 30-minütigen Auftritt eigentlich nur die Frage nach der Temperatur auf der Bühne übrig. Während sich Bassist und Schlagzeuger nämlich mit dicker Lederjacke bzw. Wollmütze wärmen, trägt die tanzende Keyboarderin lediglich knappe Unterwäsche. Soll wohl Aufmerksamkeit erregen, was aber nur bedingt klappt.

Nach kurzer Ruhepause (umgebaut werden muss nicht viel) steigt zumindest in meinem Körper spürbar Adrenalin. Mit LICHTGESTALT betritt nun nämlich die Truppe die Bretter, die ich für die kommende Wiedergeburt der NDH-Szene verantwortlich machen möchte. Nachdem mich die erste EP letztes Jahr ziemlich und unerwartet aus den Socken gehauen hat, konnte das diesjährige Album "Motorenherz" diesen Eindruck tatsächlich untermauern. So macht sich dann auch Gänsehaut breit auf meiner Haut, als ich bestaune, mit welcher Freude die vier gestandenen Männer, die ihre Band Ende 2013 aus "reiner Energie" formten, ihre Musik darbieten.

Während Bassist Lippmann großartig maschinell sein Ding durchzieht und Schlagzeuger Brukke lächelnd aber mit Gewalt zuschlägt, grinst und post Der Heizzer (Gitarre), als hätte er nie etwas anderes in seinem Leben getan. Die vielen Soli, die in diesem Genre je eher unüblich sind, feiert er so sehr ab, dass es auch auf das immer noch nicht wirklich zahlreiche Publikum abfärbt. Ich schwebe derweil eh schon in ganz anderen Sphären.

Denn besonders beeindruckend ist der Auftritt von Frontmann Thomas C. Hertz. Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass der auf dem ersten Album sehr extrovertiert klingende Gesang auch live so gnadenlos fehlerfrei dargeboten werden kann. Wir haben es hier immerhin mit einer noch sehr jungen Band zu tun, die in dieser Konstellation vermutlich noch nicht viele Auftritte gespielt hat. Die Gesangsleistung am heutigen Abend zeugt also auch von großem Mut. Wobei schon auffällt, dass LICHTGESTALT während der ersten Minuten noch eher schüchtern auftritt. Das legt sich mit der Zeit. Auch die Setlist lässt kaum Wünsche offen, wenngleich ich auch gerne das komplette Album hören würde statt nur 30 Minuten daraus. Besonders freue ich mich über 'Der kalte Mann' - nur zwei Tage vor dem Konzert zündeten irgendwelche minderbemittelten Feiglinge eine zukünftige Flüchtlingsunterkunft an, diese Kriegserklärung an eben solches Pack tut heute verdammt gut! Oben drauf gibt's mit 'Böse Fee', das mit einem famosen Solo aufwartet, noch einen brandneuen Song vom nächsten Album, an dem die Mannen schon arbeiten. Ich bin begeistert.

Lobte ich eben noch die kurze Umbauzeit, benötigt die Crew für den STAHLMANN-Aufbau schon etwas mehr Zeit. Zeit, die das Bremer Publikum nutzt, doch noch eine beachtliche Zuschauermenge vor die Bühne zu hieven. Sogar Chöre branden auf, während ich für mich und meinen fotografierenden Kompagnon für etwas Biernachschub sorge. Von weiter hinten hat man neben dem Zapfhahn außerdem einen guten Blick über das düstere Treiben in der Halle. "Eisenstaub" heißt zwar die Tour, doch statt glitzernd-grau beschmiert wie gewohnt, erscheinen die norddeutschen Senkrechtstarter heute schick im weißen Hemd und Hut auf der Bühne. Mit tiefer Stimme führt Martin Soer durch das Programm. Da entsteht auch manche Peinlichkeit, generell wirkt die Band sehr jung, beinahe pubertär. Stumpfsinn wie die Frage "Wird in Bremen etwa nicht gefickt?" macht mir nachhaltig zu schaffen. Das exaltierte Rumgepose wirkt extrem unsympathisch. Die Jungs fühlen sich geil, ist ja auch völlig in Ordnung. Doch man muss das wirklich nicht so raushängen lassen.

Zumal die Musik mich auch heute wieder nicht überzeugen kann. 'Spring nicht' oder die aktuelle Single 'Plasma' kommen zwar gut an, doch auf mich wirken die simplen Riffs und das offensichtliche Nachahmen der Songtexte des großen Vorbilds ermüdend. Da hilft auch die Umziehpause (!), nach der es dann endlich mit Eisenstaub beschmiert postapokalyptisch weiter geht, nicht wirklich. Ich falle heute dennoch glücklich ins Bett. Dank LICHTGESTALT.

Fotos: Hauke Sperling

Redakteur:
Marius Luehring

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