Schandmaul - Köln
28.03.2003 | 08:4711.03.2003, Live Music Hall
Dienstag, der elfte März Zweitausendunddrei. Neunzehn Uhr und fünfzig Minuten. Der Himmel ist bedeckt, Köln ist in tristes Grau getaucht. Wieder befindet man sich in der Lichtstraße zu Ehrenfeld in einer Warteschlange, wieder lockt die Live Music Hall.
SCHANDMAUL sind in die alte Römerkolonie gereist, um zu beweisen, dass ihr neues Album "Narrenkönig" auch live einiges zu bieten hat. Für läppische 12 Euro bekommt man schon Zugang in die Echtzeitmusikhalle. Wenn man bedenkt, dass die Band kontinuierlich besser wird und die Genremonopolisten SUBWAY TO SALLY für ein derartiges Konzert ruhig noch mal 16 Euro draufschlagen, fragt man sich unwillkürlich nach dem Preis/Leistungs-Verhältnis.
Die Halle war auf jedenfall gut gefüllt, ich würde die Zahl der Anwesenden auf gut 500 schätzen. Die Zusammensetzung des Publikums wundert mich in der Stadt überhaupt nicht mehr. Als geborener Provinzler ist man auf derartigen Konzerten bisher nur Szeneangehörige gewohnt und keine bunten Farbkleckse im Publikum.
So gesellten sich auch dieses Mal patchbekleisterte Kutten zu Gothic-Kleidern, gewandete Mittelalterfans zur jungen Baggygeneration und schrille Punks fanden ihren Platz neben dem IT-Spezialisten mit Fable fürs Nichttechnische.
Um fast Punkt Acht Uhr trat die Vorband auf die Bühne.
Vorband? Welche Vorband?
Erfreut und überrascht zugleich über das unerwartete Vorprogramm begann die Menge zu lauschen. Und irgendwie schienen auch nicht wenige aus dem Wirrwarr, das aus den Boxen drang, Musik heraus zu identifizieren. Der Sound war grottig, das war klar. Aber ebenso klar war die Tatsache, dass die Band, die da oben ihr Bestes zu geben versuchte, nicht zum Profikader gehörte und wohl gerade zum ersten Mal große Bühnenluft schnupperte. Wenn man sich lange genug an den Sound gewöhnte, konnte man auch ein Wenig Gefallen an dem Dargebotenen finden. Ich würde die Mucke auf "Mittelalter-Rock mit extensiv ausgelebtem und grässlich quietschigem Frauengesang" taufen, das kommt der Sache sicherlich am nähsten. Für reichlich Schmunzeln sorgten auch die mit deftig Galgenhumor versehenen Kommentare der Sängerin: "Unser nächstes Lied heißt genauso wie diese Band: SCHATTEN!" Lautes Gelächter folgt. "Ja, unsere Band heißt SCHATTEN, falls das irgend jemandem aufgefallen ist. Unsere Lieder kann man sich übrigens auch online anhören, falls das jemand will. Und falls jemand so begeistert von uns sein sollte, dass er noch mehr will, kann er dort hinten unsere CD erwerben. Ja, wir haben auch eine CD!!!" Weiterhin verwies man uns auf die Webpräsenz der Band, die unter www.schattenleben.com zu finden ist.
SCHATTEN gaben sich alle Mühe, ihr Set einigermaßen erträglich rüberzubringen, und einige Lieder wussten auch zu begeistern, was vom Publikum auch mit reichlich Applaus quittiert wurde.
Schließlich spielte die Band mit "Eins spielen wir noch, dann kriegt ihr endlich SCHANDMAUL!" ihr letztes und auch bestes Lied und wurde von einem zur Hälfte undankbaren Publikum (die "NA ENDLICH!!!"-Rufe sprechen für sich) in die Freiheit entlassen.
Nach diesem ersten "Mit dem Kopf ins kalte Wasser!"-Konzert machen SCHATTEN entweder weiter und trimmen sich selbst auf Höchstleistung, oder sie lösen sich aus Frustration auf. Ich für meinen Fall würde gern mehr von der Band hören, wenn sie nicht gerade vom riesigen Equipment einer Konzerthalle übermannt werden.
Nach gut 20 Minuten Umbauzeit wurde es endlich dunkel.
Lichter aller Farben flackerten auf und verschwanden wieder, Donner wurde laut und Nebel strömte von der Bühne herab, ein wahrhaft stürmisches Intro. "Sturmnacht" wurde der Opener des Konzerts, Thomas Lindner und seine Mannen/Frauen wurden beim Betreten der Bühne ebenfalls stürmisch begrüßt.
Der darauf folgende heftige Sound aus Gitarrengeplänkel und bravouröser Rhythmusarbeit ließ den Schluss zu, dass 'Mittelalter' am heutigen Abend definitiv hinter 'Rockmusik' gestellt wurde. SCHANDMAUL fetzten los und ließen von der ersten Sekunde an keinen Zweifel an ihrer Mission: Das Publikum sollte schwitzen.
"Teufelsweib" wurde mit Macht unters Volk gebracht. Die Texte wurden mitgesungen, mitgekreischt und mitgesummt. Das ganze Publikum war von Anfang an in den Bann des Sechsers dort oben gezogen. Die Setlist war quasi ein "Best Of Schandmaul". Von 'Hits' wie "Wahre Helden", "Talismann", "Der letzte Tanz" oder dem "Powerdudler" ging das Repertoire der Band zu den gute Laune 'erzwingenden' Reißern wie "Herren der Winde", "Waldmäär", "Die letzte Tröte" oder dem mehr als nur coolen Medley aus "Hexentanz", der "Henkersmahlzeit" und dem Klassiker "Gebt Acht". Auch mit Melodieromanzen wie "Dein Anblick", "Goldene Kette" und das wunderschöne "Sonnenstrahl" beglückte man das mehr als nur begeisterte Volk vor der Bühne.
Zu tun gab es genug für die Fans, der Moshpit wurde mit den schnellen Stücken am Ball gehalten, andere feierten die tanzbaren Stücke, indem sie sich gekonnt durch die Menge wirbelten und fast alle zollten der Band durch ihre eigenen Stimmen Tribut, die Texte SCHANDMAULs laden nun mal einfach zum Mitsingen ein.
Die Band selber schien auch mehr als nur glücklich zu sein, vor einem solchen Publikum spielen zu dürfen. Frontmann Thomas bedankte sich mehr als einmal bei den Fans für ihr reichliches Vorhandensein, vor einem Jahr hätte man es witterungsbedingt gerade mal auf 100 Anwesende gebracht. Fröhlich dudelte das Sextett seine Musik in Publikum, tanzte munter zum Rhythmus und stachelte das Volk zur immer wilderen Bewegung an. Die Atmosphäre war einfach toll, ein Publikum, dass den Auftritt genoss, eine Band, die genoss, dass ihre Fans die Show genoss, und eine gnädige LMH-Besatzung, die die Ventilation großzügig bediente. So blieb dieses Mal auch die stickige Luft und der einhergehende Verdruss durch Atemnot bei den Anwesenden aus.
Die Lichteffekte waren perfekt abgestimmt, zu fetzigen Liedern gab es auch wildes Lichterspektakel, zu ruhigen Stücken wurde per Nebel und weiche Farben die nötige Romantik erschaffen, und düster-fröhliche Lieder wie "Eine Waldmäär", "Walpurgisnacht" oder "Seemannsgrab" bekamen die zutreffende düstere Stimmung auf die Bühne projiziert.
Das Konzert kann man eigentlich nur als perfekte Performance einstufen. Jedes einzelne Mitglied der Band gab sein/ihr bestes, die Männer sorgten mit brachialer Instrumentalpower für die gehörige Portion Rock im Sound und die Frauen verfeinerten den Klang mit musikalischer Raffinesse per Geige, Flöte und Sackpfeife. Insgesamt boten die Männer und Frauen auf der Bühne einen faszinierenden Eindruck von dem Spaß, den eine Band an ihrer eigenen Musik und an der Reaktion des Publikums haben kann. Getanzt, gebangt, um die eigene Achse wurde gewirbelt, keine Sekunde lang stand die Band still. Die erstklassige Performance wurde durch die professionelle Darbietung ihrer Musik, dem tollen energiegeladenen Rocksound und den wunderschönen mittelalterlichen Instrumentalklängen perfektioniert. Das Publikum hatte alle Hände voll zu tun, zum Rhythmus tanzen, zu den Gitarrenriffs bangen und zum Text singen und dazu noch das Geschehen auf der Bühne im Auge zu behalten beanspruchte einiges an Körperfertigkeit.
Mitten im Konzert verließen SCHANDMAUL plötzlich die Bühne.
Nein, nicht alle: Der Bassist und der Drummer/Percussionist blieben auf der Bühne um ein 'Drums versus Bass-Solo' der Extraklasse abzuliefern. Der Bassist musste Finger aus Leder haben, um die mehr als fünf Minuten steten Bassgezeters durchzuhalten. Immer schneller wirbelte Matthias über die Bühne, ratterte immer schnellere Rhythmen durch den Äther und Drummer Stefan wirbelte immer fixer mit den Armen über Fell und Blech umher, um überhaupt in irgendeiner Art und Weise mit dem Bass mithalten zu können. Nach einem großen Finale stellten sich beide sichtlich erschöpft dem tosenden Applaus, und wie man nach dem Wiederauftauchen der Melodiefraktion der Band erfuhr, hatte der Bassist genau an jenem Abend Geburtstag. Das natürliche Resultat war ein Geburtstagsständchen für das Geburtstagskind, zwar wurden zwei Versionen übereinander hergesungen, der Wille war jedoch da. Matthias hilft bei der Tour als Bassist aus, da der Rest der Band noch keinen Ersatz für Hubsi Widmann gefunden hat.
Der "Powerdudler" war auch eine Klasse für sich, Birgit Muggenthaler dudelte wie bekloppt vor sich hin und bezirzte das ohnehin schon verzauberte Publikum ein Stück weiter ins Delirium.
Den Brüller des Abends brachten ein paar HipHop-Kids: Nachdem die Jungs sich über die vor ihnen stehende Frau in mittelalterlicher Gewandung lustig gemacht hatten, rempelte man sie "aus Versehen" im musikalischen Rausch an. Womit sie jedoch nicht gerechnet hatten war die Reaktion der Dame, die das als Aufforderung zum Pogen sah und sich mit Begeisterung in die Gruppe warf.
Alles in Allem war das Konzert ein Genuss. Die Band war mehr als froh vor einem so begeistertem Publikum zu spielen, das Publikum war auch froh vor einer so begeisterten Band abzugehen, und ich war froh, ein tolles Konzert miterlebt zu haben. Mit ganzen 21 Liedern nach guten anderthalb Stunden verließen SCHANDMAUL nach einer Zugabe von der vom Publikum trotzig geforderten "Letzten Tröte" und dem genialen "Sonnestrahl" geschafft und glücklich über das Konzert die Bühne und luden zu einem Trunk an der Theke ein, um sich erst mal wieder auf die Beine zu trinken.
SCHANDMAUL sind schon lange kein Geheimtipp mehr und wer Geld für Größen wie SUBWAY TO SALLY und IN EXTREMO ausgeben kann, sollte eins der beiden Konzerte ausfallen lassen und sich dafür SCHANDMAUL und CORVUS CORAX reinziehen.
SCHANDMAUL boten auf jeden Fall ein Konzerterlebnis erster Klasse und stellten eine Atmosphäre auf die Beine, die man bei manchen Rocksuperstars als vermisst melden kann.
Großes Kino für Augen und Ohren mit vertonter Poesie auf Deutsch, und für die körperliche Ertüchtigung kann man auch was tun.
Sehr empfehlenswert!
Setlist:
1. Sturmnacht
2. Teufelsweib
3. Wahre Helden
4. Weltmäär
5. Waldgeflüster
6. Seemannsgrab
7. Dein Anblick
8. Zwei Brüder
9. Talisman
10. Hexen/Henker/Gebt Acht
11. Bass vs. Drum (Solo)
12. Goldene Kette
13. Der Spion
14. Sichelmond
15. Vogelfrei
16. Walpurgisnacht
17. Herren Der Winde
18. Letzter Tanz
19. Der Powerdudler (Zugabe)
20. Die Letzte Tröte (Zugabe)
21. Sonnenstrahl (Zugabe)
- Redakteur:
- Michael Kulueke