Shelter - München

28.10.2000 | 11:22

30.06.2000, Backstage

Zwischen ihren diversen Festivalauftritten absolvieren die amerikanischen Hardcore-Veteranen von SHELTER derzeit auch den einen oder anderen Clubgig, dabei verirrten sie sich erfreulicherweise auch in meine Nähe. Nach ihrer exzellenten Show im Rahmen des \"With Full Force\"-Festivals vor Wochenfrist war ich auch dementsprechend ziemlich erwartungsfroh, zumal dies die letzte Möglichkeit überhaupt war, die Truppe aus New York vor ihrer in Bälde erfolgenden Auflösung in hiesigen Gefilden noch einmal live zu sehen.

Zunächst aber hiess es für die Vorgruppe STIMILION, das Publikum schon mal auf Betriebstemperatur zu bringen. Trotz verspäteten Beginns war das 600 Nasen fassende Backstage nur zu etwa einem Viertel gefüllt, was angesichts des wirklich interessanten Packages eine herbe Enttäuschung war. Zumal es sich bei dem vielversprechenden Support Act auch noch um eine einheimische Band handelte. Sei´s drum, die Münchener liessen sich davon nicht verdriessen und legten von Beginn an einen mitreissenden gig hin, der bei einem Großteil der Anwesenden auch unverzüglich für gute Laune sorgte. Die jungen Musiker -allen voran der sympathische Frontmann Flo- präsentierten sich voller Bewegungsdrang und Spielfreude und hatten zudem mit dem Material ihres full length Debüts \"In And Through The Fight\" ein paar echte Kracher zu bieten. Nicht nur die erstklassige Coverversion der REMBRANDTS-Popnummer \"I´ll Be There For You\", auch die eigenen Songs der Lokalmatadoren konnten auf der ganzen Linie überzeugen. Stilistisch in der Schnittmenge zwischen flottem Punkrock und -insbesondere gesanglich- Westcoast Melodycore á la MILLENCOLIN (jaja... ich weiss selber, daß das Schweden sind) angesiedelt und vor allem mit einem gehörigen Esprit intoniert, sorgten die grösstenteils recht eingängigen Nummern eine Dreiviertelstunde lang für Stimmung. Ein rundum überzeugender Auftritt einer hungrigen jungen Band, von der man mit Sicherheit noch einiges erwarten darf.

So bemerkenswert gut sich die Vorgruppe STIMILION auch verkaufte, für das Highlight des Abends sollte natürlich der Headliner SHELTER sorgen. Unmittelbar vor dem Auftritt hatten die Amis noch davon gesprochen, daß sie ihren set Rays ziemlich kaputter Stimme wegen auf 40, maximal 45 Minuten begrenzen müssten; glücklicherweise allerdings liessen es sich die New Yorker dann doch nicht nehmen, eine insgesamt 65-minütige Show hinzulegen.
Von Beginn an herrschte im mittlerweile zur Hälfte gefülllten Backstage eine ausgezeichnete Stimmung, was die Band sichtlich beflügelte und sie ihre durch die Strapazen der letzten Wochen bedingte Erschöpfung sowie den angeschlagenen Gesundheitszustand einzelner Musiker vergessen liess. In gewohnt energischer Manier hüpfte, wuselte und sprang vor allem Frontmann Ray Cappo über die kleine Bühne, während ein konstanter Regen von Stagedivern auf die pogende Meute hernieder ging. Dank starker Backings der Giraristen Porcell und Graham und eines enthusiastisch mitgrölenden Publikums fielen auch Meister Cappos Stimmprobleme nicht übermässig ins Gewicht, zumal der gute Mann bei aggressiveren Parts das Mikro desöfteren an einen am Bühnenrand plazierten Roadie weiterreichte. Mir persönlich imponierte es dennoch gewaltig, wie sich der ungeheuer sympathische Sänger förmlich durch den set quälte -vor der Show hatte er kaum einen Ton herausgebracht- um die Fans nicht zu enttäuschen. Ausgesprochen löbliche Einstellung!
Sah auch das Publikum so und störte sich offensichtlich überhaupt nicht an Rays Gekrächze, sondern genoss stattdessen in vollen Zügen ein mitreissendes Konzert. Dank eines ordentlichen Sounds kam die exzellente Songauswahl auch voll zur Geltung: naturgemäß legten SHELTER das Schwergewicht auf ihre glorreiches \"Mantra\"-Album sowie den exzellenten aktuellen \"When 20 Summers Pass\"-Output: \"Civilized Man\", \"Here We Go Again\", \"Song Of Brahma\", \"In The Van Again\", \"I Can´t Change History\" u.v.a.m.; bis zur letzten Zugabe \"Shelter\" reihte sich ein Glanzlicht des melodischen Ostküsten-Cores an das andere, intoniert in gewohnt souveräner Manier von einer Band auf dem absoluten Höhepunkt ihres Könnens.
Eine sehr nette Einlage war es auch, als Ray ein ganzes Rudel junger Damen dazu überreden konnte, sich zu ihm auf die Bühne zu gesellen. Nachdem er die Herren der Schöpfung dazu angehalten hatte, sich möglichst gentlemanlike zu benehmen, forderte er die Mädels auf, sich ohne Rücksicht auf das starke Geschlecht von der Bühne zu stürzen. So hechteten denn einen Song lang etwa 10, 12 Hardcore-Schwestern unermüdlich von der Stage ins Publikum und hatten sichtlich ihren Spaß dabei. Klasse, daß das schöne Geschlecht mal in Ruhe diven durfte!
Insgesamt einmal mehr ein großartiges Konzert einer der für meinen Geschmack besten, vor allem aber sympathischsten HC-Gruppen aller Zeiten, deren baldiges, selbstverordnetes Ende ein echtes Vakuum hinterlassen wird. So verliess ich denn den Ort des Geschehens mit ziemlich gemischten Gefühlen: einerseits restlos begeistert von diesem äusserst unterhaltsamen Abend (wozu auch STIMILION ein gehöriges Scherflein beigetragen hatten); andererseits traurig, weil dies das letzte Kapitel in der Geschichte von SHELTER war.
Da könnte man nun darauf hoffen, daß Urgestein Ray Cappo irgendwann die Lust an seinem zukünftigen Dasein als Hotelier, Surf-, Yoga- und Karateschulbesitzer verliert und er in die Musikszene zurückkehrt. Wäre allerdings nicht fair gegenüber dem guten Mann, also wünschen wir ihm nach gut 20 Jahren als Hardcore-Grösse ein möglichst erfülltes Leben als Ex-Musiker und bewahren uns die Erinnerungen an diese aussergewöhnliche Band. In einer Zeit, wo es vollkommen überflüssige Renunionen nur so hagelt, müssen wir es eben auch mal respektieren, wenn eine Band aus freien Stücken einen Schlußstrich zieht.
Amen.

Redakteur:
Rainer Raithel

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