Stoned From The Underground 2024 - Erfurt

12.09.2024 | 21:46

12.07.2024, Alperstedter See

Nach Jahren der Enthaltsamkeit in diesem Jahr wieder ein SFTU besucht. Hauptgründe: Stimmung, Bands und Alles sowieso.

Endlich wieder mal auf dem Stoned sein! In diesem Jahr 2024 passt es zeitlich wunderbar; das Virus, was uns zwei Jahre in Atem hielt – im wörtlichsten Sinne – oder auch hauptberufliche Verpflichtungen haben mich einige der Geschehnisse verpassen lassen. Leider, wie ich dann am mittleren Juliwochenende feststellen darf. Es hat mir gefehlt! Vollbedienung ist leider nicht. Der Donnerstag gehört dem Alltag. Freitag schweben wir ein.

Das Gelände hat sich verändert, vergrößert, professionalisiert. Der Austragungsort liegt direkt am Alperstedter See. Er ist der größte der so genannten "Erfurter Seen". Der Name des Sees hat sich schon seit vielen Jahren eingebürgert, obwohl er fast vollständig im Territorium der Gemeinde Nöda liegt. Man kann sich sehr plastisch vorstellen, wie hier sonst Familien, Kurzurlauber oder radelnde Wochenendler zum Baden auftauchen.

Und die Crew hat es geschafft, über die Jahre hinweg eine sehr stabile Basis und Kommunikation mit den örtlichen Behörden zu schaffen und aufrechtzuerhalten – die Besucherschaft wirkt wegen der wohlwollenden Szenerie vollkontaktentspannt, zufrieden und glücklich, dabei sein zu können.

Familiär ist das Wort, was hier am meisten zutrifft.

Das SFTU 2024 beginnt mit einer beeindruckenden Gigliste schon am Donnerstag, wobei ich vor allem den Auftritt von SLOMOSA ohne mich bedaure. Ich lasse mir berichten – neben besagten Melodic Stonern aus Norwegen haben sich die vortäglichen Fachbetrachter vor allem von den Berliner Post Metalern RYR einfangen lassen. Aber schon dieser erste Abend zeigt die Stärke des Festivals, die mich in diesem Jahr besonders glückserfüllt gespannt anlockte: die stilistische Vielfalt des Bühnenprogramms. Am ersten Abend drückten die Israelis THE GREAT MACHINE das Pedal durch, im Zelt neben besagten Berliner Instrumentalisten RYR wateten die Kieler KOMBYNAT ROBOTRON durch das Rock-Kraut, folgte mit ECHO SOLAR VOID die erste Doomwalze des Festivals auf der Hauptbühne, bevor die schwedischen Drucktannen SKRAECKOEDLAN übernahmen, die ihr aktuelles Album '“Vermillion Sky“ vorstellten. Der Abend wurde mit dem Gewilde von LUCIFER STAR MACHINE beendet.

Nun wir. Dabei. Auch wegen des heftigen Gewitters, das die Autobahn langsamer macht, steige ich direkt mit EARTHBONG ein, dem Trio aus dem Norden, was tiefsttriefenden Doomschmalz anrührt. Das Dortmunder Duo THE PIGHOUNDS und die Leipzig-Berliner Band HALL sind da schon durch – aber beide habe ich vor kurzem in kleineren Clubs sehen dürfen.

EARTHBONG aus Kiel also ist mein Einstieg, und so werde ich unbarmherzig in das Wochenende geschubst mt einem Sludge der Sorte Magengrubenbetonierung, aber das holt mich gleich auf den zertretenen Rasen der Realität zurück. Bekömmlich unbekömmlich, was da in der Thüringer Nachmittagssonne auf uns hinunterdrillt.

Es folgt wieder ein Trio, das vor allem auf Soundeffekte setzt: Aus Sardinien stammt BLACK CAPRICORN, die ich mir auf die Must See-Liste gelegt habe. Es ist eine verschrobene, etwas tapsig wirkende Truppe, die es aber hinbekommt, mit fortschreitender Auftrittslänge mehr und mehr den Sog der Alben zu verbreiten. Teilweise aber scheint es auch so, als verwalteten sie ihre an sich einfach gebauten Retrorummser, was ein wenig schade ist. Na gut. Scheu trifft es auch.

Es folgen die Niederländer BISMUT, wir bleiben konsequent international, aus Nijmegen. Hier ist das Wort Gefrickel ganz gut aufgehoben, aber derart, dass die Stücke immer wieder nicht an den Seiten ausfransen, sondern im rechten Moment zusammenfallen, auferstehen, durch die Glieder fahren. Ein Trio, nicht unerwähnt bleibt dieses nummerische Phänomen auch hier. Der Gitarrist ist wie seine Mitstreiter ein Virtuose der oberen Liga, und das bemerkt man dem sich immer mehr gefesselten Publikum auch an. Für nicht wenige ist BISMUT einer der Gewinner der Bandlinie auf dem hiesigen Schwoof. Ich werfe in den Ring, weil sich hier Math Rock und Psychedelic in einer guten Nachbarschaft befinden.

EREMIT ist kurzfristig in das Programm gerückt. Zu einer sehr attraktiven Zeit. Huch, wieder nur Drei. Zwei Fragmente des Entwurfes, angesiedelt zwischen Funeral Doom und Bombastic Sludge kann ich nun mein eigen nennen, dann benötigt das Ich-System die erste Pause. Nehm ich mir. Später, abgemixt und als Album auf dem heimischen Kopfhörer, bemerke ich, was das für eine struppige Wunderbarheit ist. Festivals sind Inspirationsquellen. Auch.

Und ich kehre später zu den Kaliforniern HIPPIE DEATH CULT zurück, vor die bestens abgemischte sowie eingefangene Bühne im übrigen. Achja, zu einem Trio, übrigens. Die Zelebration von altbewährtem, staubigem Retrorock in Kombination mit etwas modernden moderneren Stückstrukturen weiß zu gefallen, aber es ist einer dieser Auftritte, die erinnerungslos so durchlaufen.

Die Exoten sind da. Die erste Frau in Rot heute. Ein Duo. Aus Neuseeland. Der Paargesang, das Arrangement, die bluesig-entspannte, genauestens aufeinander abgestimmte Dynamik sind ein Erlebnis, das den gut gefüllten Platz vor der Bühne noch voller macht. Die Leute folgen den beiden gebannt und lassen sich einfangen. [Die Band, von der hier die Rede ist, heißt übrigens EARTH TONGUE. Nur falls ihr euch fragt... - Anm. d. Red.]

Und gleich noch GHOST WOMAN hinterher. Kanadier. Zwei. Schlagzeugerin, Gitarrist, der hauptsächlich auch singt. Der Mann schüttelt die Riffs, die Ideen so nebenbei wie nur möglich aus seinem roten dunklen Nebel da oben, furios begleitet von der Drummerin, der man gern von der Seite beim Rhythmusspiel zusehen darf. Ein Spektakel der Uneitelkeit und musikalischen Einheit, mit Sommerwindabendhaarzerzausung und einem Einblick in eine Repertoirebreite, die man nur als ungewöhnlich und mitnehmend bezeichnen kann. Und da reden wir auch von den Ursprüngen der Gitarrenmusik. Ich erwische mich, wie ich darüber staune. Noch heute.

Danach folgt die Südstaatensumpffiktion von WEEDEATER, ein breitwandiges, aber auch eintöniges Effektset, das in krassem Kontrast zu den vorherigen feinfühligeren Ausflügen steht.

Und da wäre dann noch HECKSPOILER, ein dynamisches Duo aus dem südlichen Anrainer Österreich, das sich hyperaktiv durch sein nächtliches Set kloppt und von den Aufgespulten vor Ort im Partyzelt tragen lässt.

Schlaf. Schöner Tag.

Ich finde mich, frisch geseebadet und bester Laune in der Strandbar wieder, in der die Dortmunder LAST BOLT CEREMONY zum Mittagsschoppen bei Käsebrötchen und handcrafted Coffee geladen haben. Man sieht, wie die ersten Besucher über ein erstes Samstagsbier nachsinnen, schwach werden oder die Nachtbekanntschaften wiedertreffen. Sehr sympathische Combo, die neben Punkanleihen, Stonerattitüde und Hardrockwahwahs eine schöne Nische besetzt. Genau das Richtige zum Straffen und Wachwerden.

Achja, da gibt es ja noch diese Tradition des mittäglichen Zeltplatzgigs, dieses Mal erfüllt von SPACE RAPTOR, die instrumental die Leute aus den Zelten und Bussen schütteln. Erfrischend.

THUNDERDOPE aus Berlin, gute Musiker, die aus anderen Bands kommend ein - Taadaa! - Trio geformt haben. Es geht gut nach vorn, vor allem der Anblick des sich offiziell verausgabenden Sängergitarristen dürfte den anschwitzenden Zeltgästen in Erinnerung bleiben. Musikalisch ist es eher Mittelschnitte.

Danach folgt eine Art Band-Firma, scheint mir. [Nennen wir sie HIGH DESERT QUEEN, nur damit der Name hier auch mal erwähnt sei. - Anm. d. Red.] Der Eindruck entsteht schon bei der Vorbetrachtung der Szenerie. Ein durchtrainierter, unverschämt fit wirkender Firmenchef und Sänger checkt alle neuralgischen Punkte der Umgebung vom Kabel 254 bis zum Lächeln der Wartenden, auf dass es unbedingt ein "guter Job" wird. Ein klassisches Quartett mit einem Zweimeterschlagzeuger, einem ungleich kleineren Gitarristen, der im Habitus an PANTERA erinnert, einer sehr stillen Bassistin ganz links, die wirklich unaufgeregt "ihren Job" verrichtet. Und als unbedingter Mittelpunkt der Show besagter wuseliger Mittfünfziger. Da sitzt jede Bewegung, jeder Blick, jede Ansprache, kein Schweißtropfen achselt, kein Abweichen von der Linie. Aber eben auch: Jeder Ton sitzt, jedes Break entfaltet seine Wirkung, jede Animation nimmt die ersten zehn Reihen auch mit. Gute, durchentworfene Show. Die Amis sind da schmerzfrei. Wie man raunzen hört, sind da alle Protagonistinnen auch irgendwie familiär verbandelt. Gewinner des Festivals, so oder so. Mittagspause, Wasser trinken, hier, da, abklatschen.

GLASGOW COMA SCALE aus Frankfurt. Ou, Überraschung. Bisher in meinem All unbekannt, ist das achja... Trio mit einem Post Rock gesegnet, der sich nicht in zu langen Nachsinnfäden verheddert, sondern immer wieder eine formidable Dynamik entwickelt. Dabei sehr bescheiden, werden die Band- Gebrüder Marek und Piotr Kowalski von der Bühnenseite von den mitgereisten Bandkindern abgefeiert und auch im Nachgang sieht man die Sympathen gemeinsam über das Festivalgelände streifen. Wie schön, direkt gute Laune. Diese Band aus dem Post-Rock-Untergrund sollte sich unbedingt vermerkt werden.

Halle an der Saale schickt einen interessanten Act, bei dem ich nach zwei besuchten Wohnzimmerkonzerten gespannt war, wie er auf der großen Bühne wirkt. Schwer zu übersetzen, fällt mir auf. Das Quintett hat eine sehr ursprüngliche Punkenergie für sich entdeckt und in einen Genremix einhäkeln können, wird auch bald mit dem ersten Album über Noisolution Records glänzen, aber hier verfliegt der Flair dann doch etwas in drei Metern Höhe und Thüringer Weite. Denen aber ist das egal, die feiern ab, stehen hinter ihrem Entwurf und ich wünsche mir, dass sich diese Unbefangenheit auch weiterhin verbreiten wird. TOMMY AND THE TELEBOYS, der Drummer ist besagter Tommy, die Band ein Geheimtipp. Für unter 100-Leute-Räume definitiv.

Für mich das "zentrale Momentum", wie Bundesliga-Kommentatoren es schwülstig auszudrücken wissen, ist EINSEINSEINS, meine persönliche Entdeckung und Euphoriegarant, und damit scheine ich nicht allein zu sein. Die Stücke, die auf Konserve schon vielversprechend klingen, entfalten zusammen mit der zurückhaltenden Tendenz der galant Gekleideten einen wundervollen Flair, eine konzeptionelle Meisterleistung, die überhaupt nicht peinlich, konstruiert oder fremdorientiert wirkt, sondern mit einem Gitarrensound jenseits verbreiteter Effekthascherei, einem dauerlächelnden Drummer sowie einem elegant tanzenden Vocoderbassisten aufwartet. Ich bin beseelt. Was für eine mutige Mixtur, trotzdem auf die sonnenrote Zwölf.

Es folgt das diesjährige Opateam, die Grandpas aus Nordengland. PSYCHLONA schließt sich sehr gut an den vorherigen Eindruck an, der Gig strotzt vor Entspanntheit, trotzdem hier die Stonersilberrücken ein eingängiges Riff nach dem anderen in der Abendsonne abladen. Melodie hinzu, passt.

Stilbruch, DAEVAR. Es ballert. Eine Entweder-Oder-Band. Vom Rand betrachtet, schreibe ich hier gern "wohlwollendes Mitwippen" auf.

Apropos Melodie. LOWRIDER tritt auf. Die sind gut drauf. Profis durch und durch. Schweden, beherrschtes Ausrasten, Soundcollagen mit einzigartigem Anspruch, Freunde auch, wie es scheint. Die tauchten Ende der Neunziger auf, brachten ein genrebekanntes Debüt heraus, was jeder irgendwie mitsummen kann, dann wieder vor fünf Jahren die gut kalkulierte und trotzdem mitreißende Wiederkehr. Jetzt stehen sie, auch mit vollkommen neuem Material, da oben, und sie blasen einen weg, mit Sound, mit Präsenz, mit stoneriger Hausmannskost, die trotzdem alle auf dem vernebelten Teller haben wollen. Ein erwartet perfekt organisierter Konzeptabend, ich ziehe die obligatorische Truckerrespektmütze.

Staffelstab an GREENLEAF. Ähnlicher Entwurf. Hochmelodiös. Durchdacht. Präsenz, der man sich nicht entziehen kann. Ein Querschnitt durch die Alben, Derwisch auf der Bühne inklusive.

ZERREs Thrash beschließt Festival und Abend. Wer jetzt noch Lust darauf hat, die vielen vielen kleinen, auch zart dahingehenden SFTU-2024-Eindrücke aus der Kurzzeiterinnerung gebügelt zu bekommen, der steht genau jetzt vor der Bühne.

Redakteur:
Mathias Freiesleben

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