Straight Out Of Vennesla - Kristiansand (NOR)

05.05.2006 | 11:09

28.04.2006, Østsia/Bingen

Freitag, 28.04., Østsia

Von Oslo nach Kristiansand sind es fünf Stunden Busfahrt, die allerdings einigermaßen kurzweilig ausfallen, wenn man so wie ich [Elke] zum ersten Mal über die norwegische Metropole hinauskommt. In allen skandinavischen Ländern sind mir die Hauptstädte eigentlich relativ egal. Was ich sehen will, ist diese herrliche Natur, und ich drücke mir die Nase am Fenster des äußerst sauberen und bequemen Gefährtes platt angesichts der grauen schroffen Felswände, der großen Waldflächen, der letzten Schneehügel und des vielen, vielen Wassers überall. Halb Norwegen ist an diesem Tag unterwegs, um das lange Wochenende mit der Familie zu verbringen, und so müssen Caro, die am Flughafen in Torp, ca. eine Stunde von Oslo entfernt, landet, und ich bis zur Hälfte des Weges warten, bis endlich aus zwei Bussen einer wird, der freundliche und äußerst gut deutsch sprechende junge Mann neben mir bereitwillig seinen Platz räumt und wir die zweite Hälfte gemeinsam genießen können. Bei unserer Ankunft in Kristiansand werden wir sogleich auf das Herzlichste von Kjetil Nordhus (TRAIL OF TEARS, GREEN CARNATION) und Mit-Veranstalter Jon Vassbø (SECOND SHADOW) empfangen und in unser Hotel geleitet.

Die herzliche Gastfreundschaft der Leute hier sorgt dafür, dass wir uns sofort wohl fühlen. So etwas hätte man in einem nördlichen Land eigentlich nicht erwartet und auf meine [Caros] Schwärmerei über die Freundlichkeit der Menschen erklärt uns Ronny von TRAIL OF TEARS später, dass die Norweger hier zwei Gesichter hätten, und sobald es warm wird, zu den freundlichsten Menschen mutieren, im Winter sollte man allerdings lieber nicht herkommen.

Ein Kaffee später stößt auch die letzte Vertretin der anwesenden "foreign press", Samira Alinto vom Stalker-Magazin, nebst "Straight Out Of Vennesla"-Erfinder Dagfinn Bjelland zu uns. Dieser drückt uns sofort einen Stapel CDs von lokalen Bands in die Hand und bestätigt unseren Eindruck, dass diese Gegend einfach vor kreativen Köpfen nur so strotzt. Die Zeit bis zum Konzertbeginn um 21 Uhr vergeht somit wie im Flug und wir stürzen uns auf das Beste gerüstet in den öffentlichen Nahverkehr in Richtung des Østsia-Clubs.

Norwegen hat für uns sehr merkwürdig anmutende Gesetze, was den Genuss von Tabak und Alkohol betrifft. Während die Raucher gnadenlos vor die Tür geschickt werden, ist der Konsum von Bier außerhalb von entsprechend abgeschirmten Außengastronomien (wobei diese Abschirmung zuweilen auch nur aus einer durchsichtigen Glaswand besteht) strengstens verboten. Grund dieser Regelung ist das Verbot des Bierausschanks für Personen unter 18 Jahren, die offenbar von der Existens eines solchen Getränkes vor Erreichen der Volljährigkeit noch gar nichts wissen sollen. Härtere Getränke sind sogar erst ab 24 Jahren erlaubt. Dieser Umstand hat auch einen großen Einfluss auf die Altersbeschränkung bei öffentlichen Veranstaltungen. Im Østsia wird Bier ausgeschenkt und das Jungvolk somit ausgegrenzt. Dank VIP-Status ist der Gerstensaft mit rund 3,40 Euro für 0,4 Liter für uns noch halbwegs bezahlbar; normale Gäste müssen nochmals 1,20 Euro drauflegen. Beim Gang vor die Tür knüpfen die Nikotinsüchtigen unter uns die ersten Kontakte mit den anwesenden Gästen. Sobald ersichtlich ist, dass wir nicht von dort stammen, zeigen sich die Menschen äußerst wissbegierig und geben uns das Gefühl, herzlich willkommen zu sein. So etwas haben wir in einer deutschen Stadt noch nie erlebt!

[Elke Huber und Caroline Traitler]

SCROTUMBABES
Wenn es eine Band an dem Wochenende gibt, die den ersten Preis für das bescheuertste und lustigste Stageacting verdient, dann die SCROTUMBABES, die früher unter dem seltsamen Namen "NAZIPENIS" aktiv waren. Die Jungspunde sind der beste Beweis dafür, dass es in Norwegen nicht nur bierernste Panda-Blackies gibt. Die Exzentriker bewegen sich musikalisch irgendwo zwischen NIRVANA und PEARL JAM (was auch ein folgendes NIRVANA-Cover beweist) und bieten neben einem guten Sänger auch eine absolut kultverdächtige Show: Zwei junge Herren mit Pilzfrisur stehen in Boxershorts und Jacke auf der Bühne und führen uns lustige Tanzchoreographien und Grimassen bis zum Abwinken vor. Die beiden haben sichtlich Spaß an ihrer Funktion als Band-Clowns und lassen sich vom Publikum anfeuern, auch noch die Jacken auszuziehen, bis sie mit nacktem Oberkörper da stehen und dumm grinsen. Unsere Befürchtungen, sie würden am Ende alle Hüllen fallen lassen, werden zum Glück nicht bestätigt, und als die Freaks dann noch zum Ententanz bei einem von PEARL JAM insprierten Song ansetzen, ist die Party perfekt. Was für ein Einstieg!
[Caroline Traitler]

Wobei man sich des Eindrucks nicht ganz erwehren kann, dass die beiden Fast-Nackedeis, von denen einer in den Bewegungen immer etwas hinterherhinkt (zu viel Alkohol oder zu wenig Taktgefühl?), etwas über das fehlende Live-Talent der Combo hinwegtäuschen sollen. Trotzdem eine super Opener, der selbst so viel Spaß auf der Bühne hat, dass man ihn einfach lieben muss!
[Elke Huber]

THE LAUNDRY
THE LAUNDRY? Weichspülmucke? Irgendwie schon, aber das hat hier sicher keinen negativen Beigeschmack, denn die melancholische Rockmusik der jungen Talente bewegt und überrascht. Vor allem Sänger Martin ist mit seinen süßen 20 ein absoluter Könner mit einer eingängigen Stimme. Da kommt kein krummer Ton und es überrascht nicht, dass hier eine gute Ausbildung dahinter steckt. Die leider spärlichen Anwesenden im Saal sind auf jeden Fall genauso begeistert wie wir und können sich das Staunen ob der tollen musikalischen Leistung der Herren nicht verkneifen. Irgendwo zwischen R.E.M und den Schweden KENT (die Martin nach eigenen Angaben auch sehr gerne hört) findet man die Ausrichtung von THE LAUNDRY wieder, die leider viel zu schnell die Bühne verlassen. Kaum hat man sich an die schönen Songs der Band gewöhnt, schon ist es Zeit für die nächsten Talente - und schon jetzt wird klar, dass das hier ein Abend der Überraschungen wird. Immerhin gibt es bis zum Ende des Konzertes keinen einzigen Totalausfall, und trotz weiterer guter Bands bleiben THE LAUNDRY für mich die Entdeckung des Abends. Von den Jungs wird man bestimmt noch etwas hören!
[Caroline Traitler]

ASK B
Keine Ahnung, wer B ist und was man ihn fragen soll. Vielleicht, warum Norweger auf die Idee kommen, Stoner Rock zu spielen, wo doch weit und breit keine Wüste ist? Fronter der Formation ist INCHI-Chef "D" alias Dagfinn Bjelland, und der Typ ist ein echter Exzentriker. Kaum auf der für seinen Bewegungsdrang viel zu kleine Bühne angekommen, gibt dieses Showtalent alles - ganz im Gegensatz zu seinen eher stoischen Mitstreitern. Auf den ihm zustehenden mageren zwei Quadratmetern springt das komplett in weiß gekleidete, barfüßige Energiebündel wie ein Irrer, brüllt sich die Seele aus dem Leib, stranguliert sich mit dem Mikrofonkabel und wirkt trotzdem völlig in sich und seine Musik versunken. Musikalisch bewegt sich die Band (soweit ich das aus dem norwegischen Infoheft entschlüsseln kann) zwischen KYUSS und den DEFTONES, was man nach dem leider sehr kurzen Live-Eindruck auch so stehen lassen kann. Passend zu der zwar energiegeladenen, aber gleichzeitig verschlossenen Performance des Sängers ist auch sein abrupter Abgang von der Bühne, während Gitarre, Bass und Schlagzeug den letzten Song ausklingen lassen.
[Elke Huber]

Vielleicht wollte er nur wieder Klamotten wechseln? Immerhin schafft er es, über den Abend verteilt mit mindestens vier verschiedenen Outfits zu glänzen! Die Live-Premiere von ASK B kann auf jeden Fall überzeugen, und Dagfinn scheut auch den Kontakt zum Publikum nicht, springt in den kleinen Fotograben und animiert das Publikum zum Mitmachen. Zwar ist die Reaktion der Fans nicht ganz so enthusiastisch wie später bei Dagfinns anderer Band INCHI, doch lassen sich die Anwesenden schnell vom coolen Stoner Rock mit Hardcore-Einflüssen mitreißen.
[Caroline Traitler]

UNITED UNDERWORLD
Der Mann hinter dem Mischpult des gemütlichen Østsia-Clubs hat offenbar ein Herz für Bassisten, denn selten erlebe ich den Tieftöner so präsent wie in diesem überhaupt sehr ansprechenden Sound. Wenn man bedenkt, dass der Laden sehr klein und übersichtlich ist, kann sich so manch größere Halle bei uns daran nur ein Beispiel nehmen. Der Bass spielt bei UNITED UNDERWORLD aber auch eine große Rolle, die in ihren besten Momenten an die RED HOT CHILI PEPPERS, nur mit weniger Funk und mehr Rock, erinnern, aber natürlich wie die meisten finnischen Combos dabei recht eigenständig klingen. Sehr cool auch das Schlagzeugspiel von Matti sowie die insgesamt sehr energiegeladene Performance. Allerdings können die Jungs das hohe Niveau der ersten beiden Songs über die volle Spielzeit nicht so ganz halten und beginnen irgendwann, sich lediglich selbst zu kopieren. Vor allem, wenn die Stücke etwas rockiger und ansatzweise sogar punkiger werden, fehlt mir einfach das gewisse Etwas. Dafür sind sie die erste Band, deren Ansagen wir verstehen. Ihr besonderer Dank geht demzufolge an "Mister D", der Mann, auf dessen Einladung sie gekommen sind und der natürlich auch als Gastsänger auf die Bühne darf. Dabei präsentiert er sich in seinem dritten komplett gewechselten Outfit, von denen er wie bereits erwähnt sogar insgesamt fünf oder sechs über den kompletten Tag verteilt verschleißen dürfte - mehr Klamotten also, als wir für das ganze Wochenende im Gepäck haben.
UNITED UNDERWORLD liefern bei weitem keinen schlechten Gig, aber hinterlassen das etwas unbefriedigende Gefühl, dass sie eigentlich noch viel besser sein könnten. Diese noch sehr junge Formation sollte man aber auf jeden Fall im Auge behalten.
[Elke Huber]

INCHI
Dagfinn ist echt ein kreativer Kopf und hat auch nach dem Auftritt mit ASK B noch genug Energie, um bei INCHI, seiner Hauptband, wieder Gas zu geben. Doch auch das Publikum ist an diesem Abend zum ersten Mal voll dabei und singt textsicher sämtliche INCHI-Songs mit. Für uns ist es das erste Mal, dass wir die scheinbar populäre Band zu sehen bekommen, und wir werden nicht enttäuscht von dem, was uns schon einige Fans vorgeschwärmt hatten. INCHI machen Spaß und haben einen Hang zu kreativen Melodien und Breaks. Vor allem die abrupten Rhythmuswechsel zwischen den hardcorlastigen schnellen Parts und den langsamen Emo-Passagen machen das Ganze zu einem äußerst spannenden Erlebnis. An manchen Stellen erinnern die langsamen Melodiebögen mit ihren vertrackten Drums und schrägen Melodien sogar an TOOL, doch so richtig vergleichen kann man INCHI eigentlich nicht. Am meisten beeindruckt mich ihr Drummer im Hippie-Outfit, der technisch perfekt und präzise für immer wieder neue Tempowechsel sorgt. Und auch die bis in die Kniekehlen gestimmten Saiteninstrumente verleihen INCHI einen eigenen Charme und eine groovige Dynamik, der man sich nur schwer entziehen kann. Dagfinn variiert seine Vocals zwischen düsterem Gekreische und flüsterndem cleanen Gesang, was zusätzlich Abwechslung ins Spiel bringt. Selbst wenn die Musik beim ersten Hören noch nicht so eingängig wirkt, so ist nach einiger Anlauf- und Aufwärmzeit das Eis gebrochen und INCHI haben zumindest mit mir einen Fan mehr in ihren Reihen.
[Caroline Traitler]

EL CACO
Die Band aus dem norwegischen Lillestrøm erhält an diesem Abend so viele Vorschusslorbeeren, dass die Erwartungshaltung eigentlich schon viel zu hoch ist. Kaum einer, der nicht müde wird zu betonen, wie großartig EL CACO sein sollen. Okay, die Jungs um Sänger/Bassist und Kurt Cobain-Lookalike Øyvind Osa, der sich auch stimmlich von dem Seattle-Helden beeinflusst zeigt, liefert eine mehr als ordentliche Leistung ab. Schlagzeuger Thomas Fredriksen ist ein Berg von Mensch, der trotz seiner Speckrollen ein sehr tightes Brett trommelt. Besonders beeindruckt mich jedoch Gitarrist Anders Gjesti. Ich könnte stellenweise schwören, dass da noch eine Rhythmusgitarre von Band eingespielt wird, aber Gitarrist Tommi von UNITED UNDERWORLD erklärt mir in einer Zigarettenpause, dass es mit einer speziellen Technik durchaus möglich sei, eine einzelne Gitarre nach sehr viel mehr klingen zu lassen - Hut ab! Auch bei EL CACO ist der Sound bestechend gut und bietet ihrer energiegeladenen Rockmusik den richtigen Rahmen. Der sympathische Mensch vom Merchandising-Stand wird zum letzten Song vor der Zugabe als growlender Gastsänger auf die Bühne geholt, was sehr gut rüberkommt. Allerdings hat sich die Halle, die zwischendurch von geschätzten 200 Personen gefüllt wurde, bis zu diesem Zeitpunkt schon merklich geleert. Angesichts der späten Uhrzeit (2 Uhr morgens) aber auch kein Wunder - ich freue mich auch schon sehr auf mein Bett...
[Elke Huber]

Redakteur:
Caroline Traitler

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