Straight Out Of Vennesla - Kristiansand (NOR)

05.05.2006 | 11:09

28.04.2006, Østsia/Bingen

Samstag, 29.04., Bingen

Wir genießen eine echte Rundum-Betreuung: Nach einem von einem Feueralarm (!) abrupt beendeten Frühstück (als wir das Restaurant wieder betreten dürfen, sind die Speisen bereits hinterlistig abgeräumt worden) führt uns Kjetil Nordhus durch die sehr überschaubare Innenstadt, die durch die alten Häuser und die Meer-Lage einen hübschen Charme besitzt. Wir bekommen sogar den Fischmarkt und die Insel, auf der das jährliche QUART-Festival stattfindet zu sehen. Auffällig ist auch, wie sauber die Straßen sind: Alle zwanzig Meter befindet sich ein Mülleimer, und wir haben in den zwei Tagen vielleicht insgesamt eine Hand voll Hunde und entsprechend keinen einzigen Hundehaufen gesehen - für eine Berlinerin wie mich [Elke] eine absolute Wohltat!

Bei einem nachmittäglichen Kaffee in der Fussgängerzone (natürlich draußen, umgeben von mollig warmen Heizstrahlern) stoßen immer wieder Freunde des offensichtlich sehr beliebten Kristiansander Unikats zu uns, und es fällt auf Dauer schwer, sich all die Namen und Gesichter zu merken. Nach einem verspäteten Mittagessen (wir ziehen Pizza und Pasta für rund 8,60 Euro dem Döner Kebab für unverschämte 7 Euro eindeutig vor) entführt Dagfinn uns in die Heimatstadt der meisten Bands des Festivals, das noch kleinere Vennesla, wo wir einen Blick in das äußerst professionelle, komplett in Eigenregie gebaute Jailhouse Studio werfen dürfen. Nach einem kurzen Zwischenstopp im Hotel starten wir zur zweiten Location des Festivals, dem Bingen Club.

Heute ist eine "no age limit"-Veranstaltung angesetzt. Aber es gibt nicht nur kein Bier, es gibt überhaupt nichts zu trinken! Wir besorgen uns zwischendurch Cola und Wasser bei der nächsten Tankstelle und wundern uns insgeheim, warum sich die Veranstalter die Zusatzeinnahmen durch einen Vor-Ort-Getränkeverkauf durch die Lappen gehen lassen. Merkwürdige Sitten sind das in Norwegen...

Positiv fällt hingegen das leider wieder viel zu spärliche Publikum (unter dem sich auch COMMUNIC-Sänger Oddleif Stensland und SIRENIA-Mastermind Morten Veland befinden) auf. Neben einigen Jugendlichen, die aufgrund einer norwegischen Tradition wegen des bestandenen Schulabschlusses in albernen roten Latzhosen herumlaufen und diese auch mal mit Metal-T-Shirts und Nietengürteln (kultverdächtig!) kombinieren, findet sich vom Gothic-Girl über den Metalhead bis hin zu eher "normal" aussehenden Fans alles dort ein. Wenn ein blondes Püppchen im roten Spaghetti-Top und ein Kerl im knallgelben Muskelshirt sich später als die größten Headbanger im Publikum herauskristallisieren, fragt man sich, ob wir in Deutschland den weit verbreiteten schwarzen Metaller-Dresscode nicht etwas überbewerten. Das richtige Outfit ist eben nicht alles!

[Elke Huber und Caroline Traitler]

MANIA
MANIA rücken mein Weltbild dann wieder etwas gerade. Ich bin nämlich fast enttäuscht, dass im Black-Metal-Land Norwegen überhaupt keine Pandabären-Fraktion auf dem Billing steht und wir insgesamt bisher von harten Klängen verschont blieben. Die jungen (angeblichen) Lokalhelden aus Vennesla spielen immerhin ein sehr grooviges Todesblei, das mit abwechslungsreichem Schlagzeugspiel, gut dosierten schleppenden Passagen und hin und wieder aufblitzenden melodischen Gitarrenklängen aufhorchen lässt. Abgesehen vom grunzenden Sänger also eigentlich auch gar nicht so böse, wie es sich für Norwegen gehört.
[Elke Huber]

RELATIONSHIP OF COMMAND
Huch, Dagfinn steht schon wieder auf der Bühne? Hat er noch eine Band? Als dann auch noch die ersten Töne des INCHI-Songs "Kill Your Idol" ertönen vermute ich zuerst, dass diese für die abgesagten SECOND SHADOW einspringen. Doch weit gefehlt, denn der Vater vom INCHI-Trommeltalent erklärt mir, dass RELATIONSHIP OF COMMAND einfach INCHI sind und diese aus Spaß unter einem anderen Namen spielen. Einen triftigen Grund für dieses Namens-Wirrwarr kann er mir aber auch nicht nennen. Macht nix, der Gig macht Spaß, und selbst wenn das Zielpublikum heute nicht wirklich anwesend ist, so ist die Stimmung doch ganz gut. Wenn man die INCHI-Songs schon etwas besser kennt, macht das Ganze tatsächlich noch mehr Spaß, und vor allem die unendliche Energie von Dagfinn ist beeindruckend. Respekt, denn neben dem Veranstalterstress noch so eine Show auf der Bühne abzuliefern ist nicht Jedermanns Sache! Als Dank dafür gibts eine Jubelorgie nach der anderen von den Finnen von UNITED UNDERWORLD, die alle in der ersten Reihe stehen, headbangen und feiern.
[Caroline Traitler]

PARHELIA
PARHELIA aus Dublin sind eigentlich der Rest der irischen Band REVILE und haben ohne Sänger einfach dieses neue Projekt gegründet. Als ich vor dem Gig stilsicher mit einem PRIMORDIAL-Girlie ankomme, reißen die Herren erst dumme Sprüche, freuen sich aber, dass ich mich sichtlich für die Musik aus ihrem Land interessiere. Allerdings bleibe ich skeptisch, was eine Band ohne Sänger angeht, und selbst wenn PARHELIA auch rein akustisch eine tolle Atmosphäre zaubern, so schaffen sie es nicht auf Dauer, die Aufmerksamkeit des Publikums für sich zu gewinnen. Schöne Gitarrenmelodien, melancholische Sounds und ruhige Momente machen aus dem Gig eine Zeit zum Träumen und Entspannen, doch ohne Gesang fehlt hier einfach was. PARHELIA haben durchaus das Potenzial und Talent für großartige Musik, das Gefühl für tolle Melodien und die Leidenschaft für emotionale Klänge, schaffen es aber nicht, durch eine reine instrumentale Darbietung zu überzeugen.
[Caroline Traitler]

SECOND SHADOW
Der Sänger dieser Death-Metal-Fraktion aus Vennesla, Jon Vassbø, ist im persönlichen Gespräch ein sehr ruhiger und angenehmer Mensch, soll auf der Bühne allerdings zum wilden Tier mutieren, wie überhaupt SECOND SHADOW nach Auskunft von Dagfinn Bjelland eine Killer-Liveband sein sollen. Leider bleiben sie uns an diesem Abend den Beweis dafür schuldig, weil sich ihr Schlagzeuger aus wohl nicht ganz einleuchtenden Gründen irgendwo im Landesinneren befindet und Jon den Auftritt daher schweren Herzens abblasen muss. Die Enttäuschung darüber steht ihm ins Gesicht geschrieben, und auch wir finden es sehr, sehr schade!
[Elke Huber]

TRAIL OF TEARS
Sie sind die echten Lokal-Helden der Stadt! Und nachdem TRAIL OF TEARS anfangs eine eher belanglose Er-Grunzt-Sie-Trällert-Gothic-Band waren, wurden sie nach dem Zugang von GREEN CARNATION-Sänger Kjetil Nordhus mit dem letzten Album "Free Fall Into Fear" (das auch einen Großteil der Setlist ausmacht) richtig spannend. Neben dem sehr abwechslungsreichen Sound aus Blastbeat-Grunz-Passagen und ruhigeren Momenten mit Kjetils wunderschönem Gesang macht die um die GREEN CARNATION-Gitarristen Michael Krumins verstärkte sechsköpfige Formation auch optisch ordentlich was her. Der glatzköpfige und rotbärtige Kjetil und der dürre schwarzhaarige Ronny Thorsen könnten unterschiedlicher kaum sein. Kjetil wie immer freundlich-natürlich, Ronny in Lack und Leder mit theatralischen Gesten und finsterer Mimik. Umringt wird das Gesangs-Duo von drei sehr blonden und langhaarigen Menschen an Gitarren und Bass, die sich einen drolligen Wettbewerb darin liefern, wer breitbeinig am tiefsten in die Knie gehen kann. Der Siegerpokal geht dabei eindeutig an den Grimassen schneidenden Bassisten Kjell Rune Hagen. Aber auch Gitarrist Michael wirkt nach der letzten Tour mit GREEN CARNATION, wo er noch schüchtern in der zweiten Reihe stand, wie ausgewechselt und ist derart agil, dass es eine helle Freude ist, ihm zuzuschauen. Diese Energie geht natürlich fließend auf das feiernde Publikum über, und wenn man bedenkt, dass TRAIL OF TEARS in letzter Zeit angeblich nur ein einziges Mal geprobt haben, ist diese Leistung doppelt beachtlich. Die ausländischen Gäste werden freundlicherweise mit zum Teil englischen Ansagen bedacht, was mir die Jungs nur noch sympathischer macht. Und auch wenn ich mit dem Songmaterial nicht allzu vertraut bin, so sind vor allem die Stücke vom "Free Fall Into Fear"-Album mitreißend und begeisternd. Toll!
[Elke Huber]

TRAIL OF TEARS in der Heimatstadt zu sehen ist etwas ganz Besonderes, und seit dem letzten Gig, den ich von ihnen zu sehen bekam, haben sich die Jungs noch um einiges gesteigert. Es ist einfach beeindruckend zu sehen, wie viel Spaß die Herren auf der Bühne haben und wie sicher und vertraut sie mittlerweile mit den neuen Songs sind. Was positiv auffällt, ist dass unter den Fans auch einige bekannte Gesichter sind, und so bangt Ex-Gitarrist Terje Heiseldal in den vorderen Reihen mit, präsentiert uns nachher seinen TRAIL OF TEARS-Pulli mit dazupassendem Shirt und outet sich als größter Fan der Band und von Gitarrist Michael. Auch Ronnys Familie ist anwesend, seine Frau, ebenfalls im TRAIL OF TEARS-Outfit, bangt gemeinsam mit Terje, und seine Mutter ist nach dem Gig ganz Stolz auf ihren Sohn und freut sich über den gelungenen Auftritt - Zu Recht!
[Caroline Traitler]

Setlist:
Joyless Trance Of Winter
The Architect Of My Downfall
(Intro - A Fate Sealed In Red)
The Face Of Jealousy
(Intro - Ecstatic)
Crashing Down
(Intro - Splendid Coma Visions)
Watch You Fall
Cold Hand Of Retribution
Carrier Of The Scars Of Life

ILLDISPOSED
ILLDISPOSED sind live immer wieder ein Erlebnis, allerdings lebt ein ILLDISPOSED-Gig auch von den Ansagen, die heute leider allesamt auf Dänisch sind. Anscheinend verstehen die Norweger aber alles, was Sänger Bo Summer so erzählt, und der Reaktion nach zu urteilen, sind diese Ansagen genauso lustig wie ihre kultigen "Wir sind die schwulen Dänen"-Präsentationen im deutschen Raum. Schon alleine das traditionelle "We Suck"-Shirt von Bo ist einfach cool, und das erste Konzert von ILLDISPOSED in Norwegen versetzt alle Fans in Bewegung. In der ersten Reihe bangen erstaunlich viele Mädels, und auch die Blondine mit den arschlangen Haaren schmeißt ihre Mähne fast über den Fotograben. Beeindruckend! Ein wenig peinlich ist es fast, dass Bo mich anscheinend erkennt und mitten in der Ansage in perfektem Deutsch und etwas verwundert fragt "was machst du denn da, bist du umgezogen?". Überhaupt scheut der Sänger den Kontakt zum Publikum nicht und sing gerne Arm in Arm mit den Fans, springt immer wieder in den Fotograben und freut sich über jede Reaktion in der ersten Reihe.
Showtechnisch lassen die Dänen wieder nichts anbrennen und präsentieren endlos groovige Riffs, die ,gepaart mit Bos fiesem Gebelle, einfach den letzten Zweifler zum Mitmachen und Moshen bewegen. Leider ist der Sound zum ersten Mal während der zwei Tage nicht gerade rosig, und einige der ILLDISPOSED-Feinheiten gehen etwas unter. Aber wen wunderts, der Soundmensch ist anscheinend abgehauen und irgendjemand erklärt uns trocken: "Er wollte ein Bier". Prost! Aber die Anwesenden lassen sich davon nicht die Laune verderben und gerade bei Hits wie 'Now We're History' oder 'Dark' tobt die Menge. ILLDISPOSED präsentieren uns am Ende mit 'Illdispunk'd' sogar noch einen Song vom nächsten Album "Burn Me Wicked" und hinterlassen ein glückliches Publikum, dessen ältere Fraktion noch bis in die Morgenstunden mit den Dänen bei der Aftershowparty feiert.
[Caroline Traitler]

Setlist:
Submit
Still Sane
Near The Gates
Now We're History
Purity Of Sadness
I Believe In Me
Dark
Throw Your Bolts
Psychic Cyclus
When You Scream
In Search Of Souls
Illdispunk'd

Jon Vassbø von SECOND SHADOW attestiert der Band hinterher, dass sie einen der besten Gigs des gesamten Festivals hingelegt hat. Auf die Frage, ob seine Laune wegen des geplatzen Gigs seiner eigenen Band inzwischen wieder etwas besser sei, meint er nämlich nur lächelnd: "ILLDISPOSED were so fucking great, I feel much better now." Das zu hören freut mich fast am meisten!

Vor allem die Finnen von UNITED UNDERWORLD, die während des Festivals das Image des stetig betrunkenen Suomi nach Kräften bestätigten, dürften der Aftershowparty im På Hjornet entgegengefiebert haben. Und auch "Mister D" erreicht mit zehn Bieren innerhalb von drei Stunden spielend ein alkoholseliges Level. Wir trinken auf dem Weg dorthin heimlich und immer wieder kritisch auf die Straße blickend, ob vielleicht ein Polizeiauto in Sicht ist, unseren ersten Gerstensaft des Abends, wobei vor allem unsere norwegischen Begleiter großen Spaß daran zu haben scheinen, das Gesetz zu brechen, genießen dann einen letzten Abend inmitten von alten und neugewonnenen Freunden und feiern bis zur "last order" um 3 Uhr früh.

Der Kater am nächsten Morgen bleibt natürlich nicht aus. Vor allem für die Veranstalter: Dagfinn und Jon sitzen jetzt leider auf einem Berg Schulden in Höhe von 4000 Euro, weil insgesamt deutlich weniger Gäste zu den beiden Events kamen, als zur Kostendeckung erforderlich gewesen wären. Trotzdem zeigt man sich optimistisch, auch nächstes Jahr wieder ein "Straight Out Of Vennesla"-Festival an den Start zu bringen. Und wir werden ganz sicher wieder dabei sein!
[Elke Huber]

Redakteur:
Elke Huber

Login

Neu registrieren