Summer Breeze 2018 - Dinkelsbühl
11.11.2018 | 13:1515.08.2018, Flugplatz
Auch dieses Jahr waren wir wieder beim Summer Breeze und hatten viel Spaß. Wieviel, das berichten wir hier.
Für den Freitag habe ich mir den Wecker extra früh gestellt: Bereits um 11:00 Uhr gibt es auf der Main Stage des SUMMER BREEZE 2018 (mal wieder) etwas zu feiern. Denn die nächste Band hat die Veröffentlichung ihrer neuen Platte auf das Festival gelegt. ANNISOKAY weckt das Gelände nicht nur mit dem lautstarken Gekreische der vergleichsweise jungen Fanbase, sondern auch mit saftigem Metalcore – und eben Titeln des neuen Albums "Arms". Die Musiker scheinen Fans der großen Gesten zu sein, denn trotz des eher weniger aufregenden oder auffälligen optischen Auftretens der Jungs wird an Posen einiges geboten. Besonders Sänger Dave Grunewald springt wie ein Derwisch über die Bühne, headbangt und wirft die langen Haare, dass man Angst haben muss, ihm falle gleich die Brille herunter. Musikalisch liefert die Band soliden Core. Auf dem gut gefüllten Infield kommt das gut an, für mich persönlich fügt sich der Auftritt nahtlos in den ersten visuellen Eindruck ein: weniger aufregend.
Da freue ich mich doch viel mehr auf die nachfolgende Gruppe, der man für den Auftritt in der knallenden Hitze besonderen Respekt zollen muss. Denn MEGAHERZ führt das Konzept der "Komet"-Tournee auch auf den Festivalshows weiter fort und tritt in Raumanzügen auf, welche die Jungs ganz schön zum Schwitzen bringen. Eröffnet wird die Show der NDH-Band durch den Opener des aktuellen Albums "Komet", an den Lex und Co neben weiteren neuen Stücken eine muntere Auswahl an Livebrechern wie 'Jagdzeit' (Zitat: "für alle männermordenden und geldgeilen Weiber dieser Welt") oder dem hymnenhaften 'Himmelsstürmer' anschließen. Angesichts der euphorischen Stimmung, die bei diesem Set der Münchner herrscht, sei auch darüber hinweggesehen, dass das Makeup bei diesen Temperaturen irgendwann nicht mehr ganz einwandfrei sitzt. Zumal bei diesem Auftritt ganz andere Dinge zählen: So heißt MEGAHERZ auch für das Publikum im Süden mit Rolf Hering einen neuen Drummer in der Mitte willkommen, der nach der Tournee im Frühjahr Tobias Derer am Rhythmusinstrument ersetzte. Die Feuerprobe besteht der Neuling mit Bravour, die Kirsche auf dem Sahnehäubchen liefert MEGAHERZ letzten Endes mit DEM Stück, ohne welches die Herrschaften niemals von der Bühne gehen: Das allseits geliebte... äh... gehasste 'Miststück'.
Was ist schlimmer als Death Metal? Blackened Death Metal. Okay, stimmt vielleicht nicht allgemeingültig, war aber meine Erwartung zu GOATWHORE, die die Band nicht enttäuscht. Manche Riffs sind ganz gut und der Black-Anteil sorgt für einen leichten atmosphärischen Touch, den die Blastbeats mit Wonne wieder zunichte machen. Nein, nicht meins, ich gehe mich jetzt mit Kollegin Leoni treffen, um den Headliner-Fotopass zu übernehmen, da ich den Rest des Festivals allein übernehmen werde.
Diesem Unterfangen fällt dann NORTHLANE zum Opfer, aber pünktlich zum Fotografieren von TOXIC HOLOCAUST bin ich wieder am Start und hole mir eine Ladung US Thrash ab. Die Buben machen in klassischer Drei-Mann-Besetzung einen ziemlichen Lärm und sind natürlich durch die Tatsache, nur eine Sechsaitige zu haben, deutlich weniger technisch und filigran, als es so einige andere Kapelle auf dem SUMMER BREEZE vormachen. Auch lässt sich mit zwei Musikern an der Front wenig Show machen, sodass der Auftritt gut ist, aber mich nicht mitreißt. Ordentlicher Thrash, aber auch nicht mehr. Einen Bonuspunkt verdient sich Mainman Joel Grind für sein Old-School-SLAYER-T-Shirt.
Auf der Hauptbühne spielt immer mal wieder auch etwas Normales, was nicht entweder peinlich ist oder einen gleichfürmigen Schreihals am Mikro hat. AMARANTHE gehört dazu, zumindest teilweise. Eine klar singende Frontdame versucht, sich gegen zwei schreiende Kerle zu behaupten. Ich behaupte, ohne die beiden wäre das besser. Aber mich fragt ja keiner. Wahrscheinlich mit Recht. Trotzdem ist Elize Ryd eine starke Sängerin, die den Härtefaktor Growls eigentlich gar nicht braucht. Das kraftvolle 'Maximize' wäre auch ohne selbigen ein Hit, und als klare männliche Vocals dazukommen, wünsche ich mir, dass es doch so bleiben möge. Das klingt gut, hat euch das noch niemand gesagt? Musikalisch nimmt AMARANTHE mal den Fuß vom Gaspedal, was wohltuend zur Kenntnis genommen wird. Okay, dass "Na-na-na" im zweiten Song patscht dann doch ein wenig zu heftig in die Kitschpfütze, aber als Kontrapunkt zum generellen SUMMER BREEZE Programm ist das vertretbar, auch wenn ich mich nicht in die enthusiastisch mitsingende Fanmenge einreihen werde. Aber für so ein Festival ist AMARANTHE auf jeden Fall eine Bereicherung, zumindest für eine gewisse Spielzeit. Gegen Mitte des Gigs habe ich deutlich genug und gehe mich erst einmal setzen, der Tag wird lang, schließlich bin ich von nun an allein unterwegs.
Mein Tagesablauf geht dann weiter mit MISERY INDEX, der als Baltimore stammenden Death Metal Band. Hier bin ich tatsächlich nur ganz kurz zwischen AMARANTHE und DANKO JONES für ein paar Fotos, aber es bleibt keine Zeit für mehr und nach ein paar Tönen mag ich nichts über die Band aussagen, aber mein Hauptgenre ist ja Death Metal eh nicht.
Deswegen schnell wieder zurück zur Hauptbühne, wo der Kanadier DANKO JONES seinen stinknormalen, wohltuend ungrowligen Hard Rock in die Menge feuert. Selbstbewusst bis zur Selbstüberschätzung ist Danko ein echter Star, der diesem Begriff auch Ehre bereitet und die Bühne mit Charisma ausfüllt. Musikalisch ist das Ganze Hard Rock, der stilecht mit 'I Gotta Rock' vor einem Backdrop mit einer schwarzen Katze begangen wird. Die Band ist nur als Trio unterwegs, doch Danko und John Calabrese versuchen nach Kräften, ein paar Meter zu machen, wenn nicht gerade Dienst am Mikrophon angesagt ist. Mit 'Sugar Chocolate' erhöht die Band nochmal das Tempo und spielt sich dann sechzig Minuten lang durch mehr als ein Dutzend Songs, die alle enden, bevor sie langweilig werden können. Clever und dem Publikum angemessen lässt DANKO JONES die meisten bluesigen Sachen weg und stattdessen die Punkeinflüsse durchschimmern, was vor der Bühne zur einer angemessenen Eskalation führt. Eingängiger Hard Rock ist auf Festivals immer passend, besonders auf dem SUMMER BREEZE, wo es musikalisch häufig komplizierter wird. Bei diesem Wetter ist jedenfalls Herr Jones das richtige Mittel, um anzutesten, ob das Bier auch heute noch schmeckt. So bilden sich erste Schlangen Begeisterter vor den Zapfstellen, während ich mich wieder in den Pendelverkehr zwischen den Bühnen einreihe. Das wird ein langer Tag werden. Am Ende werde ich eine Rille in die Wiese gelaufen haben, befürchte ich.
Das folgende Kontrastprogramm führt mich wieder auf die andere Seite des Geländes. Egal wieviele Kilometer ich heute Abend auf dem imaginären Tacho haben werde, aber für die Frankfurter TANKARD muss ich den Weg auf mich nehmen, nicht wahr? Genau. Thrash heißt das Spiel und Gerre ist der Gamemaster, der uns mit 'One Foot In The Grave' gleich mal einstimmt auf 45 Minuten Riffs, Bier und Humor, bei der auch seine berüchtigte "Bierpocke" aus dem T-Shirt lugen wird. Die Truppe ist gut eingespielt und hat gefühlt bei jedem Auftritt in der Republik ein Heimspiel, so wird TANKARD auch heute gebührend gefeiert. Ich habe TANKARD bereits häufig gesehen und auch heute wird es ein Auftritt wie immer, ohne dass ich ihn damit schlecht machen will. Aber TANKARD ist keine Showband, hier wird ehrlich gethrasht, mehr oder weniger zündende Witzchen gerissen und ein wenig gepost, aber man darf kein ausuferndes Entertainment erwarten. Stattdessen eifriges Kopfnicken und Biertrinken, das ist, wofür TANKARD steht. Die Fans wissen das und frönen gehorsam den beiden besagten Hauptbeschäftigungen.
Ich dagegen muss leider den Bierkrug hinter mir lassen und zur Hauptbühne zurückkehren, wo eine Band auftreten wird, von der ich sage, dass ich kein Lied von ihnen kenne, das länger als einmal Hören witzig war, und die meisten nicht einmal das: J.B.O.. Irgendwie ist rosa einfach nicht meine Farbe. Das aktuelle Album "Deutsche Vita" enthält eine Reihe von Coverversionen, die ich größtenteils nur als überflüssig empfinde und ich wittere Schlimmes, als die Band mit der PRINZEN-Coverversion 'Alles Nur Geklaut' in den Set einsteigt und danach mit 'I Don't Like Metal' nachlegt, einer Coverversion von 'Dreadlock Holiday' von 10CC, alles in rosafarbener Nachmache. Und so geht das weiter, als nächstes wird 'Bolle' verarztet und die Meute singt begeistert mit. Kann man um 16 Uhr schon einen Alkoholpegel haben, der einen J.B.O. nicht nur aushalten, sondern sogar feiern lässt? Dieser aufgesetzte Frohsinn auf niedrigstem Humorniveau ist nicht mein Fall, Lieder wie das von Nina Hagen geborgte und modern vom 'Farbfilm' ins Heute transferierte 'Du Hast Dein Smartphone Vergessen' oder 'Gehn Mer Halt Zu Slayer', dass im Original 'Vamos A La Playa' heißt, animieren mich nicht zum Tanzen oder Mitsingen, sondern zur Flucht.
Gesagt, getan. Auf der Camel Stage spielt NIGHT IN GALES, die ich seit ihrem zweiten Album "Towards The Twilight" kenne und speziell wegen des großartigen Werkes "Necrodynamic" schätze, auch wenn ich weiß, dass ich davon heute sicher nichts zu hören kriegen werde. Trotzdem muss ich da unbedingt mal vorbeischauen. Die Deather vom Nordrhein haben nur eine halbe Stunde Zeit, um die zahlreich anwesende Meute auf ihre Seite zu ziehen, haben sie doch 2018 mit dem neuen Album "The Last Sunsets" einen erneuten Anlauf mit dem aktuellen Sänger Christian Müller gewagt, der Björn Goosses ersetzt hat. Müller macht einen souveränen, coolen Eindruck und führt seine Kollegen sofort mit Vollgas in die Show, da man ja keine Zeit zu verschwenden hat. Der Gig ist eine schweißtreibende Angelegenheit und nach besagten dreißig Minuten würde ich sagen, dass die Band sich eindrucksvoll zurückgemeldet hat. Leider blieben bei dem Auftritt zwar einige der Melodien auf der Strecke, die die Stücke der Band so wertvoll machen, aber das war live zu erwarten. Willkommen zurück, NIGHT IN GALES.
Das genaue Gegenteil erwartet mich bei DYING FETUS. "Wrong One To Fuck With", ah ja. So heißt das aktuelle Album, das steht deutlich auf der Bühne und mit dem Titelsong steigt die Band in den Set ein. Hier ist alles vorhanden, was ich nicht so gerne mag: Blastbeats, ein Sänger, der Geräusche macht, als ob man einen verstopften Abfluss versuchen würde freizubekommen, und ein zweiter Sänger, der auch nur wenig mehr als einen gegurgelten Ton sein eigen nennt. Ja, das kann gar nichts, ich verziehe mich.
Zum Glück muss ich sowieso gleich wieder weg, denn mit SALTATIO MORTIS steht mal wieder eine deutsche Band auf der Hauptbühne, die dem Mittelalterrock zuzurechnen ist, der sich auf dem SUMMER BREEZE immer großer Beliebheit erfreut. Zuletzt konnte SALTATIO MORTIS große Erfolge feiern und sich eine große Fanschar erspielen. Tatsächlich harrt ein beachtliches Publikum vor der Hauptbühne aus. Es hat sich mittlerweile deutlich zugezogen und es besteht eine Unwetterwarnung. Na ja, vielleicht haben wir ja Glück. In jedem Fall tritt SALTATIO MORTIS mitreißend auf. Hier wird eine Show geboten, die diesen Namen auch verdient. Das neue Album ist heute erschienen und kann bereits hier auf dem SUMMER BREEZE 2018 gekauft werden, worauf die Band natürlich hinweist. Ich bin leider mit den Liedern der Mittelalterrocker nicht allzu vertraut, aber unterhaltsam ist das allemal, denn die Musik hat Kraft und Schmiss, egal ob sie nun rockt, popt oder folkt, und wiegt für mich SCHANDMAUL wieder auf, die ich gestern ertragen musste. Danke, SALTATIO MORTIS. So kann das nämlich auch gehen, mit echtem Humor und guten Texten, dafür vielleicht weniger feierwütig-platt, aber nachhaltiger.
Aber lange kann ich nicht bleiben, denn ich möchte die Nippon-Metaller GYZE sehen, die jetzt die Camel-Stage unsicher machen. Ich treffe wegen der Qualität SALTATIO MORTIS' erst ein, als die Band aus dem Land der aufgehenden Sonne bereits begonnen hat. Auch bei GYZE handelt es sich um eine Band, die dem Extreme Metal zugeordnet werden kann, aber mit nur einer Gitarre und einem Drang, ihren Metal mit nachvollziehbaren Melodien zu spicken, ist das eher meine Wellenlänge. Zwar kenne ich keinen Song und nach einer halben Stunde unnachgiebigen Ostmetals mit Exotenbonus und schwer verständlichen englischsprachigen Ansagen reicht es mir dann auch, aber es war den Besuch der Camel-Stage auf jeden Fall wert.
Und dann sind wir auf dem Weg zu DORO zur Hauptbühne. Wir, das sind ein paar Fotografenkollegen und ich. Es beginnt zu tropfen. Ein Blick nach oben, ein kurzes Innehalten. Ich sage, notfalls hätte ich ein Foto vom BANG YOUR HEAD vor vier Wochen, und wir drehen um, zurück in den Pressebereich, wo man die Musik von der Hauptbühne hören kann und mit Hilfe eines großen Bildschirms sogar sieht, was auf die beiden LED-Wände neben der Bühne projiziert wird. Und kaum sind wir im Trockenen, öffnet der Himmel seine Schleusen für einen kurzen, aber heftigen Schauer. Ein paar Kollegen, die es nicht mehr schafften, rechtzeitig umzudrehen, kommen klatschnass zurück. T-Shirts auswringen, Kameras prüfen und abwarten, wann es wieder sicher ist, zur Bühne zu gehen, ist die Devise. Bald darauf ist das Schlimmste vorbei, ich gehe nochmal los und schieße ein paar Bilder, wirklich nur für eine Minute, dann kehre ich zurück, bin aber durchaus auch nass geworden. Eine halbe Stunde später ist alles vorbei und das Wetter beruhigt sich. DORO hat eine Best Of-Show geboten mit zahlreichen WARLOCK-Songs, ein paar wenigen DORO-Liedern und einer Coverversion von 'Breaking The Law', die ich aber auch heute immer noch nicht toll finde. Mehr kann ich nicht sagen, denn gesehen habe ich wenig und bei Wind und Regen auch nicht viel gehört, aber zum Glück ist das Schlimmste überstanden. Nur kühl ist es jetzt geworden.
Für mich neigt sich der Abend aber langsam dem Ende zu, ich werde lahm und müde. TRIVIUM als erster Headliner darf wieder im Trockenen ran und hat auch wieder das gesamte Publikum. Da das Gelände vor der Hauptbühne gepflastert ist, steht dem Fortgang des Programms nichts im Wege, sodass die Band pünktlich mit dem Titelsong des aktuellen Albums "The Sin And The Sentence" loslegt. Ja, die Band passt ausgezeichnet auf das SUMMER BREEZE, hier ist genug Metalcore enthalten und ausreichend Melodie eingestreut, sodass ich TRIVIUM als gemeinsamen Nenner der meisten Festivalbesucher bezeichnen möchte. Die Band konzentriert sich auf die neuere Phase ihrer Diskographie und beackert die letzten zehn Jahre, angefangen bei "Shogun", allerdings mit einem dicken Augenmerk auf dem aktuellen Werk. Hier hätte man eventuell ein oder zwei Klassiker mehr aus dem Köcher ziehen können, denn fünf von dreizehn Liedern sind für ein Festival schon eine beachtliche Menge neuer Kompositionen, und dass der alte Stoff Freunde hat, merkt man bei 'Like Light To The Flies' von "Ascendency", bei dem die Menge steil geht. Interessant ist, dass vor allem das "In Waves"-Album einen prominenten Platz in der Setliste einnimmt. Da muss ich nochmal nachhorchen, unterschätze ich die Scheibe vielleicht? Kurz vor Schluss gehe ich, um Fotos von den anderen Bühnen zu schießen, aber der Sound begleitet mich noch ein wenig, bis ich durch die brachiale Gewalt von VREID auf dem Weg zur T-Stage aus den TRIVIUM-Melodien gerissen werde.
Auf der T-Stage folgt jetzt die Truppe mit dem seltsamen Namen MR. HURLEY UND DIE PULVERAFFEN, die mir bereits von einigen Kollegen ans Herz gelegt wurde. Die Bühne ist beachtlich dekoriert worden, ein großes Backdrop gibt uns eine Fantasy-Kulisse einer Pirateninsel, genau so, wie man sich die Freibeuterkaribik in seiner Pseudoromatik so vorstellt. Dazu stehen diverse Requisiten auf der Bühne und zeugen von einer gewissen Kreativität der Band, ihre Musik und ihr Image auch visuell auf den Brettern, die die Welt bedeuten, wobei ich dachte, für die Korsaren wären das die Planken mittschiffs, umzusetzen. Dann kommt die Band auf die Bühne, standesgemäß in Pluderhosen, Stulpenstiefel, weite Hemden und ausladende Hüte gekleidet, und beginnt den Set mit hauptsächlich akustischen Instrumenten, von denen vor allem das witzige Drumset Eindruck macht. Von diesem Moment an wird es allerdings ziemlich schrecklich. Wer hat denn diesen Niedersachsen gestattet, Osnabrück zu verlassen? Der Party-Folk ist für genau zwei Lieder erträglich, danach wird es mir zu stumpf, aber um mich herum sind Hunderte, ach was, Tausende feiernder Freizeitpiratenjünger, es muss also an mir liegen. Aber egal, ob die Band ihre eigenen Lieder spielt oder in einem schwer auszuhaltenden Medley Hits wie 'Whiskey In The Jar', 'Ring Of Fire', 'Yellow Submarine', 'The Final Countdown', 'Barbie Girl', 'Looking For Freedom' und andere mit Quetschkomode und akustischer Gitarre malträtiert, wieder bin ich sicher, dass ich zwei Promille zu wenig im Blut habe, um einen Ansatz von Mitmachwillen in mir zu entdecken. Ich frage mich, wieso jemand glauben konnte, dass ich an dieser Darbietung meine Freude habe würde? Und ich frage mich noch viel mehr, warum es hier so voll ist wie den ganzen Tag noch nicht? Ich bin also offensichtlich selbst schuld und nicht die Band, das Publikum geht voll mit, die Grabenschlampen haben alle Hände voll zu tun, aber ich bin mir nach einer Weile sicher: Nein, ich will nie wieder nach Tortuga.
Also schnell wieder rüber zur Hauptbühne, denn da folgt nun eine der Metalbands der Stunde, ARCH ENEMY. Die schwedische Kapelle ist schon seit mehr als zwei Jahrzehnten im Geschäft, aber in den letzten Jahren ist sie erst zu einer großen Nummer geworden. Dass ich der Band auf Konserve nicht so viel abzugewinnen weiß, dürfte hier niemanden überraschen, da ich mit Death Metal allgemein nicht ganz so viel anfangen kann, es sei denn, man kann den Vocals noch Bedeutung entnehmen, was bei ARCH ENEMY nur selten der Fall ist. Allerdings ist das live eine ganz andere Baustelle, denn die seit vier Jahren bei den Halmstadern growlende Alissa White-Gluz ist ein absolutes Energiebündel. Meine Güte, was für eine Powerfrau! Ihre Päsenz, ihr Charisma allein macht den Auftritt zu einem mitreißenden Erlebnis. Dazu kommen die brillanten Riffs der beiden Gitarristen Michael Amott und eines mir unbekannten Herrn, der für Jeff Loomis, der aus familiären Gründen heute Abend nicht dabei sein konnte, eingesprungen ist, die für die Melodien sorgen, die stilbedingt im Gesang fehlen. Diese Kombination funktioniert ausgezeichnet und während sich die Saitenfraktion einen abfiedelt, animiert Sängerin Alissa das Publikum und headbangt, was die Nackenmuskeln hergeben. Die Lichtshow ist auch brachial und unterstützt die Kombination aus Kraft und Aggression, die nur einmal während der ersten Stunde des Sets heruntergefahren wird, nur um im Anschluss wieder von einem rasend schnellen 'Race' gekontert zu werden. Dass diese Kehle solche Geräusche von sich geben kann, ist ein Mirakel. In jedem Fall hat sich ARCH ENEMY den Headliner-Slot redlich verdient und wird von einem gewaltigen Publikum gefeiert. Wow.
Bei SICK OF IT ALL komme ich noch ein letztes Mal zum Einsatz. Die Urgesteine der New Yorker Hardcore-Szene um Pete und Lou Koller sind immer einen Besuch wert. Hier wird nicht herumgeredet, hier gibt es keine Showelemente, sondern nur echten, gradlinigen, kernigen Hardcore mit Attitüde und Melodie. Die Band hat Hummeln im Hintern und Pete Kollers Gerenne und Gehüpfe ist legendär. Da muss man einfach mitmachen. Leider ist das aber auch das Einzige, was mich noch warm halten kann, denn es hat sich doch merklich abgekühlt, und einen Pullover habe ich natürlich bei angesagten dreißig Grad nicht mitgenommen. Das Problem ist auch, dass mir mittlerweile doch die Füße lahm sind. Der Tag war lang und die Wege weit, es ist Zeit für das Bettchen. Morgen geht es weiter, jetzt geht es heim, während SICK OF IT ALL mich akustisch noch vom Gelände begleitet.
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- Redakteur:
- Frank Jaeger