THRESHOLD, ENOCHIAN THEORY und CRYPTEX - Augsburg
13.03.2013 | 23:5712.03.2013, Spectrum
Ein geniales Progmetalgewitter, das selbst für diese Band einen Höhepunkt markiert!
Während nur wenige hundert Kilometer entfernt Autos ineinanderrasen und Räumfahrzeuge der Schneemengen nicht Herr werden können, herrschen in Augsburg lauschige Plusgrade. Das Wetter ist schon seltsam an diesem Dienstag. Glücklicherweise aber nicht hier, so dass ich sehr pünktlich im Spectrum, einem kleinen, feinen Club am Rande Augsburgs, eintreffe. Ich bin aber bewusst früh, denn entgegen der Ankündigungen spielt noch eine dritte Band. Und wie immer, da behalte ich recht, beginnt dadurch der Konzertabend früher als geplant. Nach ein paar kurzen Gesprächen geht es kurz nach acht los.
CRYPTEX aus Salzgitter dürfen nämlich den Abend eröffnen. Ungewohnt ist die Instrumentierung, neben Schlagzeug und Gitarre sitzt der dritte Musiker am Keyboard. Kein Bass. Eher reduziert, aber dafür doch mit erheblicher musikalischer Fülle und ordentlichem Sounds erfreut mich die angenehme Stimme von Frontmann Simon Moskon. Liegt es am Keyboard, dem er anfangs vor allem Pianoklänge entlockt? Vielleicht daran, dass er auch eher groß gebaut ist und durchaus körperlich präsent wirkt? Jedenfalls erinnert er nicht nur mich gelegentlich an Jon Oliva, sowohl von seiner Erscheinung als auch von seiner kraftvollen Stimme. Dazu Gitarrist Martin Linke, der in reichlich unmetallischer Kluft seine Saiten bedient und ein gut sichtbarer Drummer (der Vollständigkeit halber sei auch hier der Name erwähnt, bei uns werden keine Drummer diskriminiert: Ramón Fleig). Speziell die außergewöhnlichen Songs wie 'Camden Town' oder 'Dance Of The Strange Folk' (ich hoffe, dass ich das richtig in Erinnerung habe, für die Richtigkeit letzterer Angabe übernehme ich keine Gewähr) erwecken die Aufmerksamkeit der Anwesenden, mehr als es üblich ist bei Bands, die den undankbaren Platz des Openers vor dem Opener einzunehmen. Die Band spielt fast vierzig sehr kurzweilige Minuten und erntet mehr als Höflichkeitsapplaus. Sehr beachtlich und auch auf Konserve sei CRYPTEX hiermit aufgeschlossenen Musikfans ans Herz gelegt.
Nach kurzer Bier- und Umbaupause geht es mit dem eigentlichen Supportact los. ENOCHIAN THEORY aus England sind für mich eine Freude, denn ihr Album "Evolution: Creatio Ex Nihilo" ist ein ganz großartiges Werk. Dessen Hörspielcharakter macht es mir zwar schwer einen Live-Gig der Band vorzustellen, aber ich kenne das neue Album "Life...And All It Entails" noch nicht, weil ich es mir nämlich heute Abend kaufen möchte. Ich wusste ja, dass ich diese Tour besuchen will, und dann kann ich die Scheibe auch gleich von der Band direkt erwerben. Übrigens für lobenswerte zehn Euro. Ein Schnäppchen. Das weiß ich früh, denn die Band legt mit zwei Stücken los, die ich nicht kenne. Ruhige, atmosphärische Progklänge, zerbrechlich und durch die noch nicht ganz überzeugende Stimme ihres Frontmannes Benedict Harris-Hayes auch irgendwie roh und irgendwie improvisiert, bilden einen interessanten Kontrapunkt zu CRYPTEX.
Intelligenter, auch ein wenig verkopfter Brit-Prog voller Spannung und Harmonien, dargeboten von einer Band, die ein wenig den Charme einer High School Kapelle aus Prog-Nerds verströmt und ob der Keyboards und Samples vom Band auch erst einmal wenig organisch wirkt. Dazu meist eher introvertiert, wenn nicht gerade Basser Shaun Rayment die Sau rauslässt. Doch schon mit Song drei ändert sich das Bild ein wenig, denn 'Tedium' vom Debüt verzaubert das Publikum mit einer wunderbaren Melodie, und auch Benedicts Stimme klingt fester und sicherer. Da wäre möglicherweise eine Viertelstunde warmsingen gut investierte Zeit bei zukünftigen Gigs. Im Laufe des Sets steigert sich ENOCHIAN THEORY ganz gehörig, der Aufbau in der Songauswahl ist spannend und lässt die progressive Ruhe nach und nach in metallische Vehemenz inklusive Growls umschlagen, wobei das neue Album in der Setlist leichtes Übergewicht hat. Diese ist perfekt abgestimmt auf den Anlass und reißt durchaus fast den ganzen Saal mit. Die drei Bands, die auf den ersten Blick nicht besonders gut zusammenpassen, bringen heute Abend eine spannende und abwechslungsreiche Mischung auf die Bühne, bei der auch die beiden Vorbands glänzen können. Besonders am Merch-Stand von ENOCHIAN THEORY sieht man immer wieder eine CD den Besitzer wechseln. Ich war schon vorher überzeugt, aber wenn nicht wäre ich es nach dem Gig auf jeden Fall. Diese Band sollten Progfans unbedingt im Auge behalten.
Setlist: This Aching Isolation, Hz, Tedium, Movement, The Fire Around The Lotus, Distances, Inversions, Singularities
Doch trotz der überzeugenden Anheizer gibt es von dem Moment an, als die Musiker von THRESHOLD die Bühne betreten, keinen Zweifel wem der Abend gehört. Ist es die Qualität von "March of Progress" oder sind die Anwesenden alle THRESHOLD-Fans der ersten Stunde? Ein T-Shirt der "Wounded Land"-Tour 1994 lässt Raum für letzteres, ein früher Zwischenruf nach dem Rausschmeißer der aktuellen Scheibe 'Rubicon' weist eher auf die erste Theorie hin. Jedenfalls fressen die Anwesenden vor allem Damien Wilson, dem neuen, alten Sänger aus der Hand. Sympathisch, lächelnd und in seiner guten Laune einfach ansteckend, startet die Band das Set mit 'Mission Profile'. Auch wenn es bereits häufig gesagt wurde in Reviews zum Album und Live-Berichten, möchte ich erwähnen, dass trotz der fraglosen Güte Damiens bei diesem Song ein wenig Wehmut aufkommt. Andrew 'Mac' McDermott war nicht nur ein überragender Sänger, der immer vermisst werden wird, sondern auch ein essentieller Bestandteil der Band. THRESHOLD ohne Mac wirkt irgendwie seltsam. Immer noch.
Doch für Trauer ist keine Zeit, denn Damien und speziell auch Gitarrist Pete Morten rocken die Bude von der ersten Minute an. Bandleader Karl Groom und Basser Steve Anderson bilden die eher ruhenden Pole, auch wenn Groom im Laufe des Gigs gelegentlich auftaut. Aber optisch und akustisch ist Damien Wilson natürlich das Zentrum der Aufmerksamkeit. In ganz neuem Look präsentiert sich der Brite, nämlich mit Vollbart, worüber er im Laufe des Abends auch Witze macht, genauso wie über Prog-Metal im Allgemeinen und THRESHOLD im Besonderen. Sympathisch und nerdig, dabei zwischen Frontsau und gefühlvoll wechselnd, strahlt Wilson eine unbändige Spielfreude aus. Eine besondere Erwähnung bedarf Drummer Johanne James. Der Mann ist eine Groove-Maschine. Nicht umsonst nennt ihn Wilson gleich mehrfach im Laufe des Abends ihr "Powerhouse". Es macht Spaß, nur ihm zuzusehen, wie er scheinbar mühelos die schwierigsten Licks spielt, dabei Band und Songs antreibt und gleichzeitig zusammenhält. Der eher technische und oft als kopfgesteuert verschriene Progressive Metal-Stil bekommt bei ihm eine ganz verspielte Andersartigkeit, die für THRESHOLD ein Alleinstellungsmerkmal unter allen Progbands darstellt.
Der Abend steht ganz im Zeichen des "March Of Progress". Etwa die Hälfte der Setlist stammt vom aktuellen, neunten Album und nur durch die Zugaben ist es nicht sogar mehr als fünfzig Prozent des Abends. Zusätzlich findet sich mit 'Hollow' noch ein seltener Gast auf der Setlist wieder, so dass auf dem Papier ein eher mehrwürdiger Abend zu erwarten ist. Aber trotz fehlender Klassiker - zum Beispiel wird kein Song vom Debütalbum gespielt, obwohl dieses ja damals von Damien eingesungen worden war, so dass zum Beispiel 'Paradox’ heute nicht zum Zuge kommt - wirkt keiner der neuen Songs fehl am Platz. Sogar als letzten Song des regulären Sets haben die Engländer mit dem geforderten 'Rubicon' einen neuen Song platziert. Die Sechs von der Insel sind von ihrem Album offensichtlich sehr überzeugt und die Publikumsreaktionen geben ihnen recht.
Im Laufe des Auftritts nutzen die Musiker die kleine Bühne im Spectrum nach Kräften aus. Karl und Pete wechseln die Seiten, treffen sich in der Mitte und spielen auch mal gemeinsam ihre zwei Gitarren, jeder eine Hand an den Saiten des anderen. Damian bleibt eigentlich kaum einen Moment stehen, und Steve pumpt auf seinem Bass meist mit Blickkontakt zum Publikum die letzten Lücken zu. Als die Band die Bühne verlässt, ist wohl jeder im Saal begeistert, auch wenn die Zuschauer anfangs noch recht reserviert waren. Dass THRESHOLD nochmal für zwei Zugaben zurückkehren müssen, ist da keine Frage, die negativ beantwortet werden kann. 'Light And Space' sorgt für Freude unter den Fans und zum Abschluss gibt es eine der größten neueren Hymnen, 'Slipstream'. Auch wenn das Publikum sicher noch könnte, nach über einhundert Minuten ist Schluss. Leider.
THRESHOLD haben heute eine großartige Show abgeliefert. Bodenständig, rockig, fesselnd. Da blieb kein Fuß ungewippt, kein Kopf ungebangt, und niemand im Saal konnte widerstehen, in die großartigen Chöre mit einzustimmen. Die äußerst ungewöhnliche Setlist, bei der nur vier Songs der ersten sieben Alben gespielt wurden und der Rest von den letzten beiden Scheiben stammt, wirkt ob der Vielzahl an brillanten Tracks zwar ungewöhnlich, stellt aber keinen wirklichen Kritikpunkt dar. Heute hätte THRESHOLD spielen können, was sie wollten, jeder Song wäre ein Ereignis gewesen. Zumal Wilson auch die Mac-Songs mit Bravour meistert und ihn angemessen ersetzt. Mac wird unvergessen bleiben, aber THRESHOLD bleiben trotz dieses Verlustes auf dem gleichen, schwindelerregenden Niveau. Beeindruckend.
- Redakteur:
- Frank Jaeger