The Rock 2009 - Dresden
02.07.2009 | 14:1827.06.2009, Junge Garde
Landflucht auch bei The Rock. Wer will schon auf einer staubigen Burg spielen, wenn die große Stadt so viel mehr möglich macht. Oder doch nicht?
Wieder ist ein Jahr vorbei – und wieder pilgern die Schwarzgesinnten aus Dresden und Umgebung zu The Rock, welches dieses Jahr in die wunderschöne Junge Garde verlegt wurde. Auf dem Programm steht 2009 wieder eine feuerfeste Mischung hochkarätiger Künstler, die den Fans gewaltigen Dampf unterm Hintern machen sollen. Schade nur, dass Homepage und Flyer nicht aktualisiert wurden. So vernehmen wir bei unserer eigentlich pünktlichen Ankunft um 16.40 Uhr (offizieller Beginn: 17.00 Uhr) bereits flehenden Frauengesang. Ah ja, ist sicher der Soundcheck. Moment mal, in den heutigen Line-ups ist aber kein einziges weibliches Wesen als Sängerin vorgesehen. Kurzer Blick auf das Programm an der Abendkasse schafft Klarheit: LUCIA BURANA sollen als Opener dem Volk einheizen. Na wunderbar! So beendet die Berliner Rockformation ihr Set, als wir das Amphitheater betreten.
Kurz nach 17.00 Uhr ist es aber nun Zeit für sagenumwobenen Nordic Folk! Die Schweden FEJD um das Brüderpaar Rimmerfors stehen in den Startlöchern und wollen uns nun zeigen, wo der Hammer hängt. Das bis jetzt noch sehr überschaubare Publikum wirkt zu Beginn noch leicht verwirrt, lässt sich nach einer kurzen Aufwärmphase aber ziemlich schnell mitreißen. 2008 erst ihr Labeldebüt "Storm" auf den Markt gebracht, gibt sich das Quintett den Mythen und Legenden ihres Heimatlandes hin.
Dabei handelt es sich hier keineswegs um unerfahrene Draufgänger. Gitarrist und Keyboarder Lennart Specht, Basser Thomas Antonsson und Drummer Esko Salow gaben sich schon bei den vorherigen Projekten NOSTRADAMEUS und PATHOS die Ehre und kamen schließlich auf die Idee, die Folk-Einflüsse der Rimmerfors-Gebrüder, die schon seit langem als Duo durch die Lande zogen, mit ihren krachenden Metal-Instrumenten zu kombinieren. Fazit der Geschichte ist nun pfeffernder Folk Metal mit schwedischen Sackpfeifen, Hurdy-Gurdy, Bouzouki, Moraharpa und anderen Instrumenten, die der eine oder andere nicht aussprechen kann. Hut ab, musikalisch wird hier echt einiges geboten. Auch wenn die Stimmung allgemein noch mit Anfangsschwierigkeiten zu kämpfen hat, so richtig kann sich niemand diesen schwedischen Sagenwelten entziehen.
Mit TANZWUT geht es danach sofort knüppelhart zur Sache. Das Publikum frisst Sänger Teufel, heute mit schwarzen Hörnchen, sofort willenlos aus den Händen. Dieser ziert sich natürlich nicht und schmettert einen mittelalterlichen Rockschinken nach dem anderen auf das begierige Volk. Aus CORVUS CORAX entsprungen, die als Vorreiter des Mittelalterkultes gelten, wollte das Projekt TANZWUT diesen Kult etwas erweitern und verfeinern. So vermischen sie typische mittelalterliche Instrumente mit Klängen der Neuzeit: Gitarre, Bass, Schlagzeug. Das Ergebnis ist beim Publikum überaus beliebt, was nicht zuletzt auch an Frauenschwarm und Dudelsackspieler Ador liegen mag.
Ja, man fühlt sich teilweise wie zur Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, als der sogenannte Schwarze Tod Europa heimsuchte und die Menschen so lange und voller Ekstase tanzen ließ, bis sie vor Erschöpfung elendig zusammenbrachen [sind das die brandneuen Erkenntnisse über den Schwarzen Tod? - d. Red.].
Songs wie 'Auferstehung', 'Vulkan' und 'Wächter' lassen eingefleischte Fans körperliche Höhenflüge erreichen, während Gassenhauer wie 'Ihr wolltet Spaß' oder 'Meer' das nahezu komplette Publikum in unentwegte Feierlaune versetzen können. Angesichts der heute spärlich gefüllten Jungen Garde ist ohne Zweifel von einer Mordsstimmung zu sprechen.
Teufel legt Kniehebeübungen wie damals in der Turnstunde aufs Parkett, während andere mit Meisterleistungen in drehenden Mittelaltertänzen von sich reden machen – eine riesige Sause ist im Gange. Lehrer Teufel instruiert: "Haltet euch fern von den Lügnern, man trifft sie überall, ob in der Einkaufspassage oder am Parkplatz. Verdammt sollen sie sein!" Na dann zum Wohl!
Nach dem ungezähmten und heißblütigen ÄRZTE-Cover 'Bitte bitte' und 'Schattenreiter' ist die Arbeit für heute mit einer glänzenden Ausbeute erfüllt, und wir wechseln mal eben das Genre.
Jetzt darf bei fiesem Nieselregen kräftig gerockt werden! Die Goth-'n'-Roller THE 69 EYES, die stilistisch in diesem Programm einen Ausreißer darstellen, wollen nun ordentlich Gummi geben. Cool und lässig besteigen sie die Bretter und geben mit dem Opener 'Framed In Blood' Stoff ohne Ende. Gewohnt in Lederkluft und mit Sonnenbrille (aber vergiss dabei niemals deine Chucks) lassen die Finnen die Frauenherzen höher schlagen.
Frontmann Jyrki 69 holt seine Rockvoice raus und betört mit lasziven Hüftschwüngen, Drummer Jussi wird erbarmungslos eingenebelt, während Basser Archzie und die Gitarristen Bazie und Timo-Timo die Lage checken und intensiven Blickkontakt zu den Fans herstellen. Jyrki, noch nicht ganz auf der Höhe, kündigt erst einmal den falschen Song an, bevor er sich wieder – die Coolheit eimerweise gepachtet – rockertypischen Moves hingibt.
Mit dem genialen 'Never Say Die' vom letzten Album "Angels" werden jetzt schon einige der heißesten Geschütze aufgefahren, bevor bei dem Klassiker schlechthin 'Gothic Girl' die Schlüpfer fliegen. Doch Jyrki haut nichts um. Eiskalt demonstriert er seine Steppkünste und legt in Gedenken an den verstorbenen King Of Pop einen kleinen Moonwalk aufs Tanzparkett.
Nach dem mehr als faden 'Rocker' folgt die ultimative Ankündigung des im September erscheinenden Albums "Back In Blood". Kurz darauf hagelt es das altbewährte 'Betty Blue'. Jawoll! Die Mädels sind reihenweise begeistert und versuchen, die Jungs mit ihren wilden Tanzeinlagen für sich zu gewinnen. Selbstdarstellerisch befreit Jyrki sich daraufhin von seiner Sonnenbrille und entblößt seine eisblauen Augen, während Jussi wie besessen auf seine Felle einprügelt und Archzie, Timo-Timo und Bazie ihre üblichen Posen nicht lassen. Aber auch wenn jeder Move schon x-mal präsentiert wurde: Wer auf dieser Welt kann sich so auffordernd im Kreise drehen und lasziv die Lenden bewegen wie Jyrki 69?
Mit 'Feel Berlin', dem voller Sehnsucht steckenden 'Dance D'Amour' und dem Dauerbrenner 'Perfect Skin' hat man das Gefühl, dass man von eingefahrenen Griffen einfach nicht lassen will. Schade drum, etwas mehr Abwechslung wäre an dieser Stelle wohl begrüßenswert.
Pünktlich zum kultigen 'Brandon Lee' regnet es natürlich nicht mehr, dabei hätte es an dieser Stelle endlich mal gepasst. Zeit für Trommelteufelchen Jussi, der uns am Ende des Songs ein leckeres Drumsolo zaubert. Mit dem obligatorischen 'Devils' verabschiedet sich die Rockerfraktion, und da richtiger Rock 'n' Roll immer damit enden muss, dass irgendjemand irgendetwas zerstört, nimmt Jussi kurzerhand sein Drumkit auseinander. So muss es sein und ab!
Setlist THE 69 EYES:
Framed In Blood
Turn Your Back On Fear
Never Say Die
Gothic Girl
Rocker
Betty Blue
Sister Of Charity
Feel Berlin
Perfect skin
The Chair
Brandon Lee
Dance D'Amour
Devils
Kommen wir nun zum Höhepunkt dieses Abends. Ich darf wohl anmerken, dass SUBWAY TO SALLY eine Band ist, die mit ihrer ständigen Präsenz auf den Bühnen nicht bei jedermann für heftige Vorfreude sorgt, aber dennoch jedes Mal aufs Neue so mitreißt, dass jeder Auftritt zu einem absoluten Erlebnis wird. Mit einem beeindruckenden Pyrostart erobern die Helden des Folk Metal die Junge Garde – im Fokus Frontmann Eric Fish, der mit einer Fackel in der Hand Besitz von uns ergreift. Diese wild hin und her schwingend, stimmt er den zweifellos flammenden Opener 'Meine Seele brennt' an. Unendliche Leidenschaft bricht im Volk aus!
Er begrüßt seine Lieblingsstadt Dresden und fackelt nicht lange, bevor er und seine Folk-Crew tüchtig Dampf ablassen. Mit dem noch relativ frischen Album "Kreuzfeuer" am Start tauchen wir auch prompt in dessen unendliche Weiten ein. Die Single 'Besser du rennst' besticht mit ihrer unaufhaltsam rhythmischen Anziehungskraft, während 'So fern, so nah', ein Rockschmachtfetzen detailgetreu aus dem Bilderbuch, ein emotionales Chaos verursacht. Die Freilichtbühne, die in violettem Licht erstrahlt, verwandelt sich in ein Meer aus unendlich vielen Händen, während die Sonne am Firmament allmählich untergeht. Ich, äh, meine Nachbarin ist den Tränen nahe.
Eric, euphorisiert von dem gewohnt grandiosen Zuspruch seiner Fans, bearbeitet die Bühne wie ein Berserker und schwebt zugleich über diese – und auch mal gegen den Gitarristen Bodenski. Sein unverwechselbares Organ legt sich wie Balsam auf die Seele der hier Anwesenden, und wirklich niemand kann sich gelangweilt auf seinem Sitz halten. Mit mittelalterlichem Flair, brachial-energischen Metal-Hymnen und Gänsehaut erzeugenden Düsterballaden werden wir fest in den Bann der Musiker gezogen. Letzteres natürlich erstklassig und einzigartig zum sagenumwobenen 'Kleid aus Rosen', welches zerbrechlich und steinhart die Schallmauer zu durchbrechen droht. Eine Himmelslaterne erleuchtet den Himmel.
Eric erleuchtet die Bühne mit seinen Feuerspuckkünsten, während hinter ihm ein Trommelfeuerwerk explodiert. Mit weiteren Songs wie 'Eisblume', 'Einsam' oder 'Tanz auf dem Vulkan' tauchen wir immer weiter in einen unendlichen Ozean voller Tiefgang, emotionaler Verworrenheit und atemberaubender Schönheit ein, hergerichtet mit rockenden Gitarrenriffs, einprägsamen Melodieführungen und raffinierten Violinen.
'Auf Kiel' verwandelt Dresden in einen ausgelassenen Tanzpalast, bevor schon wieder der Abschied sein Haupt erhebt. Doch Eric, der sich der erwiderten Liebe nicht entziehen kann, sucht eben seine Instrumente zusammen, bevor wir uns mit 'Ohne Liebe', welches kracht und hämmert, als gebe es kein Morgen, und 'Sieben' noch einmal auf sicherem Wege verlieren.
Nach weiterem "Zugabe!"-Gebrüll – wir alle wissen doch, was noch fehlt – erscheint Eric nun mit Dudelsack auf den Brettern: "Haben wir was vergessen?" Natürlich, es ist Zeit für 'Julia und die Räuber', das klassische unterhaltsame Tanzlied, bei dem sich Hinz und Kunz zum wiederholtem Mal dem Veitstanz hingeben müssen. Doch dann ist Ende im Gelände, und wir gehen wieder unserer Wege.
Setlist SUBWAY TO SALLY:
Meine Seele brennt
Aufstieg
Besser, du rennst
Knochenschiff
So fern, so nah
Judaskuss
Veitstanz
Kleid aus Rosen
Einsam
Eisblumen
Falscher Heiland
Mephisto
Tanz auf dem Vulkan
Auf Kiel
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Ohne Liebe
Sieben
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Julia und die Räuber
[Gastautorin: Nadine Ahlig]
- Redakteur:
- Enrico Ahlig