Threshold - Bochum
05.09.2007 | 23:1203.09.2007, Matrix
Wenn man THRESHOLD mit drei weiteren Kapellen auf Tour geschickt hat, um die Hallen nach der Festivalsaison sicher vollmachen zu können, ist diese Strategie zumindest in Bochum ins Höschen gegangen. Leute mit Platzangst finden heute allerbeste Voraussetzungen vor, einen entspannten Abend zu haben. Die Bandzusammenstellung ist allerdings auch mehr als unglücklich. Die Briten ziehen Volk, das sich zum Großteil aus Normalos und alten Prog-Recken zusammensetzt und von COMMUNIC, MACHINE MEN und SERENITY noch nie im Leben gehört hat. Und um sich den kleinen Band-Marathon bis zum Haupt-Act nicht antun zu müssen, sind scheinbar viele von vorneherein zu Hause geblieben.
SERENITY können jeden der Anwesenden zu Beginn fast noch mit Handschlag begrüßen. Zugute kommt den Ösis im Verlauf des Sets, dass sie mit ihrem Melodic Metal, der ab und an ganz dezent so was wie Prog andeutet, noch am besten zum Headliner passen und deshalb auf viel Wohlwollen stoßen. Zudem scheint der stimmlich äußerst fitte Fronter Georg Neuhauser ein angenehmer Zeitgenosse zu sein, was das affektierte Gepose seines Gitarreros Thomas Buchberger etwas ausgleicht. Die Musik des Quintetts ist gefällig, aber Begeisterung kommt trotzdem nicht auf. Es fehlen ein paar Klasse-Hooks, mit denen THRESHOLD später noch um sich werfen sollen. Mit dem abschließenden SAVATAGE-Cover 'Edge Of Thorns' ziehen sie sich aber gut aus der Affäre, und das mittlerweile angewachsene Publikum verabschiedet den Fünfer letztlich sehr freundlich.
Die Finnen MACHINE MEN sind mit ihrem von MAIDEN beeinflussten Metal zwischen den anderen Combos völlig fehl am Platz und haben somit die schlechtesten Aussichten, irgendeinen Stich zu machen. Und als Sänger Antony Parviainen nach dem bärenstarken Hit-Eröffnungsdoppel des aktuellen Albums, 'Circus Of Fools'/'No Talk Without The Giant', zum ersten Mal das Wort an die Matrix richtet, scheinen sich alle Befürchtungen zu bewahrheiten. Seine Frage, wie es denn so gehe, erntet keine Antwort, keinen Pieps, keinen Mucks. Links neben mir höre ich eine Stecknadel fallen. Der zunächst sichtlich verwirrte Frontmann, der nicht nur genauso klingt wie Bruce Dickinson, sondern mit über den Daumen gepeilten 130 Zentimetern auch genauso groß ist, meistert die Situation noch halbwegs und haut schließlich noch die coole Beleidigung "Are you dumb?" raus. Aber die scheint niemand zu verstehen oder zumindest nicht persönlich zu nehmen. Denn ab dem folgenden 'Apathy' tauen die Leutchen plötzlich auf. Die Performance der Nordländer lässt auch nichts anderes zu. Vor allem Antony ist ständig unterwegs, und Gitarrist J-V Hintikka post mit seiner schön weit unten hängenden Flying V lässig. Und die Songs sind ohnehin fein – egal, ob das rhythmisch interessante 'The Shadow Gallery', 'Dying Without A Name' oder das sehr eingängige 'Scars & Wounds'. Einzige Schwachstellen dieses schwer unterhaltsamen Gigs, an dessen Ende die Burschen von den Zuschauern fast noch zu einer Zugabe animiert werden: die kurze Dauer und die Optik von Klampfer Jani Noronen, der sein Instrument unterm Kinn hängen hat (dafür spielt er aber auch schicke Soli) und ein Shirt der eigenen Mannschaft trägt.
COMMUNIC können den Stimmungspegel weiter nach oben treiben und sich über die bis dahin größten Sympathiebekundungen freuen, was auch damit zusammenhängt, dass sie ein paar eigene Fans in der Halle haben. Dennoch bleiben sie hinter MACHINE MEN zurück. Der künstlerische Gehalt von Songs wie 'Waves Of Visual Decay', 'Ocean Bed' und insbesondere 'They Feed On Our Fear' und 'Fooled By The Serpent' steht vollkommen außer Frage, aber auf den Brettern macht das sympathische Trio nach wie vor zu wenig her. Das ist zum Teil auf den Fluch der Dreierbesetzung zurückzuführen, den Gitarrist Oddleif Stensland loszuwerden versucht, indem er immer dann, wenn er nicht am Mikro pappen muss, Action macht. Sein Basskumpel Erik Mortensen assistiert ihm dabei allerdings nicht im Geringsten und bewegt sich keinen Millimeter. Und es ist nichts Neues: Ein zweiter Sechssaiter auf der Bühne wäre sehr, sehr hilfreich. Eine Mucke, die so komplex ist wie der COMMUNIC-Prog-Metal, muss live mitreißender und weniger statisch rübergebracht werden, ansonsten erspielt man sich über die Tourschiene viel weniger neue Freunde, als es theoretisch möglich wäre. Musikalisch ist das Ganze geil; trotzdem hat das Konzert der Norweger kaum Vorteile gegenüber dem Genuss ihrer beiden formidablen Alben über Kopfhörer im heimischen Wasserbett liegend.
Nach dem überraschenden Abgang von Sänger Andrew "Mac" McDermott ist es fast zur Nebensache geworden, dass die "Dead Reckoning"-Tour die erste THRESHOLD-Rundreise ist, die ohne Gitarrist und Gründungsmitglied Nick Midson abgespult wird. Und so steht auch weniger dessen Ersatz Pete Morten (SOLILOQUY) unter besonderer Beobachtung, sondern Rückkehrer Damian Wilson. Dass die Tracks der Mac-Ära mit seinen Vocals ein anderes Profil bekommen würden, war vorher klar – zu groß sind die Unterschiede zwischen den beiden Frontern –, aber in der Praxis braucht man trotzdem den Opener 'Slipstream' und das folgende 'Pressure', um sich wirklich damit zu arrangieren. Danach läuft die Sache aber, woran auch der neue alte Sänger einen Anteil hat, der entgegen seines Rufs, ein fähiger Anti-Entertainer zu sein, Publikumskontakt sucht und über beide Backen strahlt. So was steckt an. Und 'ne Übernummer wie 'Mission Profile' kann ein Mann mit seiner Stimme eh nicht in die Tonne singen.
Wilsons Kollegen kommen ihm erwartungsgemäß auch mit Material entgegen, das er im Original eingeträllert hat, was zur Folge hat, dass mal wieder der "Wounded Land"-Zehnminüter 'Sanity's End' und 'Exposed' (von "Extinct Instinct") erklingen. Ansonsten liegt der Schwerpunkt natürlich auf "Dead Reckoning"-Zeug. 'Elusive', bei dem Keyboarder Richard West genau wie bei 'Slipstream' die Dan-Swanö-Growls übernimmt, 'Hollow', das unsinnigerweise als Single ausgekoppelte 'Pilot In The Sky Of Dreams', 'One Degree Down' und das als Rausschmeißer platzierte 'This Is Your Life' sind auch live echte Bringer, die in der spärlich besetzten Halle prima ankommen.
Aus dem auch heute perfekt funktionierenden THRESHOLD-Kollektiv ragt (wieder mal) der mit Preisen dekorierte Johanne James heraus, der sein Kit übel vermöbelt, präzise wie ein Uhrwerk ist und extrem facettenreich über sein Arbeitsgerät wirbelt. Eine Schlagzeug-Festung als Ego-Booster hat der Kerl nicht nötig. Gitarrist Karl Groom nimmt's seinerseits wie immer gelassen und hält von Anfang bis Ende sein großartiges Checker-Grinsen ins Auditorium, als wäre er sich sicher, später noch zehn Groupies in die Koje ziehen zu können, ohne dafür viel tun zu müssen. Somit gibt's genug, das all jene, die nicht da sind, verpassen. Äußerst kurzweilige Show mit einem sehr gut aufgelegten Damian Wilson, der – und da lege ich mich mal fest – trotzdem nicht auf der nächsten THRESHOLD-Platte zu hören sein wird.
- Redakteur:
- Oliver Schneider