WACKEN 2023 - Wacken

22.08.2023 | 16:16

31.07.2023,

...oder Grenzerfahrungen für alle Beteiligten.

Nach der morgendlichen Feststellung, dass mir aufgrund des nächtlichen Dauerregens Wasser ins Zelt gelaufen ist, nimmt der Vormittag eher gemächlich seinen Lauf: Zelt trockenlegen, frühstücken, Auto aufräumen, sofern das möglich ist und irgendwann gegen Mittag das erste Kaltgetränk zuführen: Wenn es außen feucht ist, sollte schließlich auch von innen systematisch gegengehalten werden!

Jedenfalls ist heute der große Tag des endgültigen Festival-Beginns! Und so watschle ich in einem meiner zwei Paare richtiger Stiefel gegen 13:00 Uhr warm eingepackt und mit Regencape an der Hüfte los, um pünktlich zu SKEW SISKIN vor der Louder-Stage zu stehen. Dies gelingt mir trotz einiger Beinahe-Bauchplatscher in Schlammlöcher recht flott, nur SKEW SISKIN lässt ziemlich auf sich warten. Irgendwann geht es dann endlich los, und die Berliner Sängerin Nina C. Alice sowie der Gitarrist Jim Voxx zeigen mit ihren Mitstreitern, was sie können: druckvollen, schnörkellosen und rocknrollenden Rotzrock, der nicht von ungefähr häufig an den bekanntesten Freund und Mentor der Band, LEMMY und daher an MOTÖRHEAD erinnert. Sound und Spielfreude passen und die Musiker können aufgrund des ihnen für eine der ersten Bands des Tages doch recht enthusiastisch engegengebrachten Zuschauerinteresses, sehr zufrieden sein. Ich stapfe währenddessen begeistert und so agil wie ein rheumatisch angeschlagener Storch über den verschlammten Boden und versuche, beim Bangen nicht mit im Schlamm feststeckenden Füßen nach vorne umzukippen.

Die etwas später auf derselben Bühne aufspielende brasilianische Band NERVOSA zapft das stimmungsmäßig angebrochene Fass von SKEW SISKIN mit ihrem modern-thrashigen Death Metal weiter an. Die vier Frauen wirken sehr konzentriert und vor allem in den filigraneren, leadgitarren-orientierten Parts hört man bisweilen Nervosität (sic!) und Anspannung heraus. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die inzwischen auch singende, beziehungsweise growlende Gitarristin Prika Amaral mit ihren drei neuen Mitstreiterinnen einen guten, mitreißenden Gig auf die Bretter bringt, der Teile des recht zahlreich anwesenden Publikums sogar hellauf begeistern kann, wie über die Screens gut erkennbar ist.

Leider ist im, das muss hier angemerkt werden, terminlichen und organisatorischen Durcheinander des Tages (als Ursachen sind wohl anzunehmen: nächtlicher Fahrzeug-Brand auf Campingplatz V, ständiger Regen, Anreisestopp etc.) irgendwie HOLY MOSES verloren gegangen. Jedenfalls taucht die Band nirgends auf, weder in der App noch auf den Anzeigetafeln, obwohl sie um 16:00 Uhr auf der Faster-Stage angekündigt ist. Da es meine wahrscheinlich letzte Möglichkeit war, Sabina Classen mit HOLY MOSES vor der Bandauflösung live zu sehen, bin ich deswegen schon ziemlich "verschnupft". Wie ich eine Woche später zu Hause durch Recherche auf Magenta Musik erfahre, hat die Band nachts um 0:00 Uhr auf der W.E.T.-Stage gespielt. Schade, dass das so schlecht ans Publikum kommuniziert wurde.

Vor Ort wackle ich nach NERVOSA jedenfalls erst einmal Nahrung suchend und schließlich aufnehmend umher. Das Infield ist bis auf den vorderen Bereich schon geöffnet und irgendwann (...das Zauberwort des Wacken-Mittwochs) erstrahlen die Faster- und Harder-Stage in feierlichem, geradezu weihnachtlich anmutendem bläulichen Schein, von unzähligen sie umrahmenden Scheinwerfern. Nun ist auch der vordere, extrem verschlammte Bereich vor den beiden größten Bühnen in Wacken geöffnet. Nach dem obligatorischen Daddelautomaten-Einspieler (Bei drei gleichen Bandnamen geht es los!), explodiert SKINDRED nach einem fabelhaften Imperial March-Intro mit skurril-famoser Crossover-Mischung aus ...nun ja, irgendwie allem, von Reggae und Dancehall, über Groove-Rock und Disco Sounds, bis hin zu brechhartem Metal, regelrecht auf der Bühne und beweist vom ersten Ton an, dass man sich den Platz auf der größten Location in Wacken mehr als verdient hat. Ich verfolge das Spektakel der Waliser, anders kann ich diesen unerwartet guten Auftritt kaum bezeichnen, von weit hinten und bin erstaunt über die ekstatische Power, die SKINDRED im Publikum bereits zu so früher Stunde entfacht. Ein absoluter Blickfang ist dabei der gegen Schluss sogar seine Kleidung wechselnde Frontmann Benji Webbe, der die nach Rockpower lechtzenden Massen mit vollstem Körper- und Charisma-Einsatz dirigiert und aufpeitscht, wie er es gerade braucht, inklusive "If you're happy and you know it"-Singalong. Als die Band VAN HALENs 'Jump' anspielt, ist die nächste Stufe des auf dem Infield um sich greifenden Irrsinns erreicht und quasi das komplette Publikum vor der Faster-Stage frisst Benji und der Band im übertragenen Sinne aus den Händen.

Danach habe ich eine Stunde Zeit, die ich mit Sven und "Mütze", welche mir bereits während SKINDRED über den Weg liefen, biertrinkend verbringe. Ersterer ist zwischenzeitlich zur völligen Charisma-Offensive übergegangen, und schafft es ohne Probleme, mit wirklich jedem Passanten ein Gespräch in Gang zu bringen, bei dem binnen einiger Minuten 5 - 6 Wacken-Besucher, die sich vorher nicht kannten, eifrig über ein Thema diskutieren. Jedenfalls beginnen um 19:45 Uhr, "Überraschung", die kurzfristig anstatt BATTLE BEAST angekündigten BROILERS ihr Set auf der Faster-Stage und bauen die von SKINDRED hinterlassene Stimmung noch weiter aus. Mit einem sehr ausgewogenen Set, das massig alte Schoten wie 'Ruby Light & Dark', 'Held in unserer Mitte' oder '33rpm' beinhaltet, machen die Düsseldorfer definitiv nichts falsch. Zwar nervt Sammys, wohl der sichtbaren Nervosität geschuldeter, heute besonders süßlicher Kindergartensprech mit viel "Pipi" und Ausdruckslauten wie "Bäh", und auch das sehr an das für die BROILERS eher untypische Publikum anbiedernde 'Breaking The Law'-Cover hätte nicht unbedingt sein müssen, aber das tobende Infield gibt den Jungs und der Dame recht: Allerspätestens beim siebzehnten und letzten Song 'Meine Sache' grölen die zigtausend Wackinger vor der Faster-Stage in voller Lautstärke mit. Danach wird die nachgerückte Band das vollständige 'Don't Stop Believin' von JOURNEY hindurch singend abgefeiert, als wären sie der Headliner gewesen. Auch das ist Wacken!

Die zweite spontane Überraschung folgt sogleich auf der W.E.T.-Stage, nachdem mich meine bereits müden Füße dorthin getragen haben: PHIL CAMPBELL & THE BASTARD SONS. Diese rotzen mit viel Hingabe ein aus 14 Liedern bestehendes Set ins Publikum, von dem nur fünf Lieder Eigenkompositionen sind. Von wem der Rest ist, fragt ihr? Das dürft ihr jetzt mal raten, ich löse nicht auf. Ein HAWKWIND-Song ist mit 'Silver Machine' auch dabei. Phil und seine drei Söhne, zuzüglich Sänger Joel Peters, machen ihre Sache jedenfalls super, wenn auch ziemlich routiniert. Zum letzten Song kommt noch Mikki Dee auf die Bühne und trommelt. Das overkillende Liedchen bekomme ich aber gar nicht mehr mit, weil ich noch mal nach vorne zum Infield stapfe, um den Beginn von DOROs 40-Jahre Jubiläumsshow zu sehen. Dieser besteht aus diversen, per Videobotschaft eingeblendeten Grußworten von z.B. DEE SNIDER und anderen Weggefährten. Da ich die Quasi-Generalprobe am Freitag zuvor auf dem "Rock Of Ages"-Festival erlebt hatte, beschließe ich bei den ersten Klängen von 'I Rule The Ruins', gleich wieder zur Headbangers-Stage zu gehen (ein maßlos übertriebenes Wort für meine Fortbewegungsweise...), wo mein persönlicher Headliner aufspielt.

Ich bin kein Kenner von PENTAGRAM. Ich besuchte aber letztes Jahr das "Headbangers Open Air" und war dort nachhaltig geflasht von Bobby Liebling und seiner Begleitmannschaft. Erneut reißt mich die völlig aus jeglichem Rahmen fallende Bühnenperformance des 69-Jährigen total aus den Socken (Dazu gehört was, bei dem ganzen Schlamm!). Der schamanenhafte, teils schleichende, teils animalisch theatralische Fortbewegungsstil, zieht jeglichen Blick auf sich, genauso wie seine, auf den Screens gut sichtbare, zwischen bösen, verstörenden und kaspernden, irren Gesichtsausdrücken wechselnde Mimik samt dazugehörenden Körperhaltungen. Begleitend rocken die anderen Bandmitglieder, Greg Turley am Bass, Pete Campbell am Schlagzeug und vor allem Matt Goldsborough an der Gitarre ein Brett auf die schlammigen Wiesen hinter dem uns wohlbekannten Dorf, das sich gewaschen hat. Im mittlerweile mit Unterbrechungen 52. Jahr seit der Bandgründung 1971 versteht es Catweazle-Lookalike Bobby Liebling als einer der Gründerväter der Stilrichtung "DOOM" Metal immer noch, aufwühlende, bewegende Musik mit einem im wahrsten Sinne des Wortes "wahnsinnigen" Energieschub auf seine Anhängerschaft niederprasseln zu lassen. Weil ich hier keinen einzigen Song namentlich benennen könnte (vielleicht beim nächsten Mal endlich!), und weil es ein Gig mit einer Jubiläums-Setlist zum 50-jährigen Bandbestehen ist, gibt es eben jene nachfolgend präsentiert.

Setlist PENTAGRAM: Death Row; All Your Sins; Review Your Choices; The Ghoul; Sign Of The Wolf (Pentagram) / Sinister; Be Forwarned; When The Screams Come; Dying World; Devil’s Playground; Relentless; Broken Vows; Relentless (Reprise); Last Days Here; Wartime; Forever My Queen; 20 Buck Spin (Snippet)

Zum Abschluss meines Tages ziehe ich noch einmal, inzwischen erhaben humpelnd, an der Faster-Stage vorbei, um den Schluss von DORO zu sehen. Plötzlich steigen hinter der Bühne kleine Lichter auf und auf einmal lese ich im schwarzen Himmel über dem Infield "DORO". Heiliger Hübner, so besoffen bin ich doch nun keineswegs! Schließlich bemerke ich verdaddert, dass es sich um eine Drohnenshow mit 50, 60 kleinen, ferngesteuerten (vermutlich computergesteuerten) Drohnen handelt, die sogar die Lichtfarbe wechseln können. Was für eine geile Idee! W:O:A wird nachfolgend auch noch an den Himmel geschrieben, und dann ist schon wieder Schluss mit dem dollen Zauber. Zeit für den "March Of The Crabs" zurück zum Zelt.

[Timo Reiser]

 

Zum Donnerstag

Redakteur:
Timo Reiser

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