Wacken Open Air 2016 - Wacken
19.08.2016 | 00:1904.08.2016,
Metal, Schlamm und gute Laune.
Samstag, 06. August 2016: Der letzte Tag
Die unglaublich flinken Gitarren-Soli von Herman Li und Sam Totman und der brilliante Heldentenor von Marc Hudson um zwölf Uhr morgens? Es sollte verboten sein, eine Band mit dem Format von DRAGONFORCE um eine solch unchristliche Uhrzeit spielen zu lassen. Dennoch haben erstaunlich viele Wacken-Besucher ihren Weg zu den Engländern vor die Black Stage gefunden und werden von den Jungs mit einer Wahnsinns-Show belohnt. Mühelos singt sich Marc durch sein Wacken-Debüt: 'Operation Bound And Ground', 'My Story Goes On' oder 'The Symphony Of Darkness'. Nicht ein Mal verpatzt der langhaarige Sänger auch nur einen einzigen Ton und die Einsätze seiner meisterhaften Gitarristengötter verursachen bei jedem verdammten Song einfach nur Gänsehaut. Den flinken Fingern von Herman Li zu folgen, ist kurz nach dem Aufstehen fast schon eine Art Frühsport. Für Fans mittlerweile ein Muss bei den Auftritten der Power Metaller und daher auch heute frenetisch begrüßt: Die epische DRAGONFORCE-Version des Evergreens 'Ring Of Fire'. Beinahe werde ich schon ein wenig wehmütig als die Band mit 'Through Fire And Flames' ihren letzten Song (wenigstens ein Stück epischer Länge) ankündigt. Das erste Mal Wacken für Marc, alles richtig gemacht - mit ihrem Auftritt haben sich die Briten für Gigs zur Prime Time auf dem Festival empfohlen.
ESKIMO CALLBOY sind für mich die Gummibärchen des Metals. Sie sind süß und ohne große Vorbereitung mal eben konsumierbar. Meist werden sie zum Ausklang eines Tages oder zu Feierlichkeiten serviert. Ein kleiner Bissen ist okay, aber wenn man sich einmal die "volle Packung" gegeben hat, dann kann einem schnell mal schlecht werden. Aber weg vom Kulinarischen: Es ist wirklich erstaunlich, welche Massen an Menschen sich am letzten Festivaltag um 12 Uhr mittags in Bewegung setzen, um sich diesen wirklich hirnfreien Mix aus Elektro und Metalcore zu geben. Für mich hat diese Musik in ihrer ganzen Anlage fast gar nichts mehr mit Metal oder gar Hardcore zu tun, das ist Tanzmusik zum Abspacken - und das ist jetzt wirklich mal ausdrücklich als Lob zu verstehen. Wer Musik mit wenig Gehalt sucht, um mit ausgeschaltetem Kopf durch die Gegend zu atzen, der ist bei ESKIMO CALLBOY, die das auf der Bühne bestens vorleben, mal genau an der richtigen Adresse. Dabei sind die sechs Herren vom Nordpol fast schon eigenartig sympathisch. Asozial ist das neue Schwarz - oder so ähnlich. Wie dem auch sei, die Party ist in vollem Gange, für mich könnte das Ganze aber, wenn man den Grundgedanken dieser Band konsequent zu Ende denkt, sogar noch viel trashiger sein. Denn wenn schon scheiße, dann auch bitte richtig, oder? Dafür folgen die Tracks dann aber doch einer zu ähnlichen Schablone ohne dauerhaften Unterhaltungswert. Denn so schade der Umstand auch sein mag: Gummibärchen machen nicht satt. Gut, dass heute noch andere Bands folgen werden, die einen mit den entsprechenden Nährstoffen versorgen.
Seit Jahren gehört SYMPHONY X zu den besten Livebands, die der klassische Prog Metal zu bieten hat und denoch ist heute das Debüt der Amerikaner in Wacken. Das ist für sich genommen schon ein kleiner Skandal, andererseits durfte ja selbst DREAM THEATER erst letztes Jahr zum ersten Mal den Acker in Schleswig-Holstein bespielen. Im Vergleich zum Traumtheater legt die Band um Frontberserker Russell Allen jedoch direkt mit voller Power los und macht keine Gefangenen. Allen singt in allen Lagen perfekt und mit so viel Kraft, dass er kaum ein Mikro braucht, während sich die Instrumentalisten um Gitarrengott Michael Romeo und Basstier Mike LePond mächtig ins Zeug legen. Entsprechend wird es auch zusehends voller vor der True Metal Stage und im prallen Sonnenschein sieht man die eine oder andere Haarpracht fliegen. Der Fokus der Setlist liegt naturgemäß auf dem aktuellen, wieder starken Album "Underworld", von dem wir neben dem Titelsong auch den flotten Opener 'Nevermore' zu hören bekommen. Der Bandklassiker "The Divine Wings Of Tragedy" wird mit seinem Opener 'Of Sins And Shadows' gewürdigt und vom tollen "Paradise Lost" bekommen wir das mächtig groovende 'Serpent's Kiss' um die Ohren gehauen. Wie im Fluge vergeht so die Zeit und als die Band von der Bühne geht, schauen viele verdattert auf die Uhr. Zu Recht, wie sich herausstellt, denn vor lauter Spielfreude und Jetlag hat man glatt eine Viertelstunde zu früh Schluss gemacht. So kehrt SYMPHONY X zurück um uns mit der Frage "What time is it?" die Antwort "time to 'Set The World On Fire'" direkt zu servieren. Mit jenem Überhit von "Paradise Lost" geht ein extrem starker Gig zu Ende, der die Band als besten Liveact im Prog bestätigt und hoffentlich eine zweite Einladung nach Wacken nach sich zieht. Starker Beginn für den letzten Festivaltag.
Episch und ruhig geht es derweil bei BORKNAGAR zu. Die Norweger lassen sich von dem kalten und wechselhaften Wetter bestimmt nicht abhalten, ihre Show durchzuziehen. Melodischer Black Metal ganz im Sinne der Musik. Ohne Schnickschnack, ohne Bühnenshow, ohne überflüssige Ansagen. Hier bekommt jeder, was er erwartet. Ob man nun mit geschlossenen Augen der tragischen Stimme lauscht oder ganz langsam und andächtig sein Haar schüttelt: BORKNAGAR berührt auf emotionaler Ebene und ist live so faszinierend, wie die kalte raue Landschaft ihrer Heimat. Die nordischen Herren erfüllen keine Hochglanz-Humpa-Humpa-Klischees und dafür sind die Fans auch sehr dankbar. Fast schon doomig kommen die Drums stellenweise daher, bis sie dann wieder brachial durchgreifen und in künstlerischen, verspielten Schlagzeug-Soli ihren Höhepunkt finden. Live ist BORKNAGAR keine Moshpit-Veranstaltung, kein Pagan-Rumgehüpfe und kein Mitgröl-Happening, sondern ansprechend solide Musik für alle, die sich dem ruhigen, norwegischen Black Metal verschrieben haben.
Mit DEVILDRIVER ist es schon seit einiger Zeit so eine Sache: Es gibt diese Gigs, da reißen die Herren um Dez Fafara einfach alles ab, was sich nicht vorab schon selbst zerstört hat, aber genauso jene Auftritte, die von einer komischen Gleichgültigkeit geprägt sind, was sich mit der Musik der Amis natürlich überhaupt nicht vereinbaren lässt. Und dann der Auftritt heute. Ich kann ihn guten Gewissens weder in das eine, noch in das andere Extrem einordnen. Auf der einen Seite sind die neuen Burschen (drei der vier kamen erst 2013 oder später hinzu) an Fafaras Seite außerordentlich am wirbeln, auf der anderen Seite kommt davon wenig an. Auf der einen Seite wird in den Ansagen viel Liebe und Dankbarkeit bekundet, auf der anderen Seite wird (in penetranter, nervig-hoher Frequenz) zum Mitmachen, Klatschen und Krachmachen aufgefordert. Auf der einen Seite ist die Songauswahl sehr fein, auf der anderen fehlt einem am Ende doch etwas. Dieses Spielchen könnte ich jetzt vermutlich noch über weitere 15 Zeilen ziehen, ohne auch nur einen Punkt zu haben, den ich ausnahmslos positiv oder auch negativ herausstellen könnte. Am Ende ist der Auftritt von DEVILDRIVER derjenige, der mich ratlosesten von allen in diesem Jahr zurücklässt. Sei es drum: Ich habe 'Clouds Over California' gehört und im gleichen Atemzug Fafaras Rat abgespeichert, eben jenen Ort doch einmal zu besuchen. Immerhin.
Im Bereich des klassischen Metals war die Rückkehr von Mike Howe zu METAL CHURCH wohl das größte Ereignis des letzten Jahres und auch wenn das neue Album "XI" nicht überall begeistert aufgenommen wurde, freuten sich doch viele darauf, den Ausnahmesänger mit der Metallkirche wieder live sehen zu können. Nach der Tour im Frühjahr und zahlreichen Festivalauftritten ist nun auch die True Metal Stage in Wacken an der Reihe und Mike und Bandkopf Kurdt Vanderhoof lesen den anwesenden Fans die Messe. Erster Choral ist 'Fake Healer' und wir merken schnell, dass Mike stimmlich in fantastischer Form ist. Vergessen sind etwaige Schwächen, die noch bei den ersten Auftritten bemängelt wurden, hier ist ein Spitzensänger in Spitzenform zu bestaunen, unterstützt von einer Band, die im herrlich rauhen Sound voll Gas gibt. So sehr, dass Kurdt bereits beim ersten Song seinen Verstärker ins Jenseits befördert und schnell mit Ersatz versorgt werden muss. Dies soll jedoch nicht der einzige Verlust im Laufe dieses Auftritts bleiben, denn später muss auch Jeff Plate noch sein Schlagzeug reparieren, das ebenfalls Opfer des Siegeszuges wird, welchen METAL CHURCH heute vollzieht. Songtechnisch ist das Repertoire sowieso gigantisch und mit 'Watch The Children Pray' findet auch wieder eine der bewegendsten Nummern des klassischen Stahls ihren Weg in die Setlist. Das neue Album ist natürlich auch vertreten und Songs wie 'No Tomorrow' entwickeln live und mit deutlich dreckigerem Sound auch die Durchschlagskraft, die ihnen auf Platte etwas fehlt. Die Band hat offensichtlich Spaß auf der Bühne und das Publikum dankt es ihr mit lauten "METAL CHURCH"-Sprechchören. So geht nach einer Stunde ein äußerst erfolgreicher Auftritt mit dem Bandklassiker 'Badlands' zu Ende und METAL CHURCH hat eindrucksvoll bewiesen, dass man wirklich wieder zurück ist. In dieser Verfassung möchte ich die Band gerne noch viele Jahre sehen und hoffe, dass die Energie, die man auf der Bühne entfesselt auch auf das nächste Album durchschlägt.
THERION gehört seit langem zu den Stammbands in Wacken und über die Jahre habe ich die Truppe schon auf der Party Stage, der True Metal Stage und eben heute auf der Black Stage gesehen. Jedes Mal war der Auftritt mindestens unterhaltsam und oftmals wirklich gut. Doch recht schnell wird mir klar, dass ich THERION in Wacken noch nie so gut gesehen habe wie heute. Die Band ist gut eingespielt und voller Spielfreude, die zwei Sängerinnen wie immer stimmlich brilliant und die Gitarrenfront um Bandkopf Christofer Johnsson und Christian Vidal zaubert das eine oder andere zweistimmige Lead hervor. Da man momentan kein neues Album zu promoten hat, gibt es in der Setlist einen Überblick über das bisherige Bandschaffen, von Frühem und Rohem wie 'Cults Of The Shadow' bis zu der späteren Phase von "Gothic Kabbala" gibt es einen schönen Überblick. Lediglich von "Sithra Ahra" und dem in Eigenregie veröffentlichten "Les Fleurs Du Mal" bekommen wir nichts zu hören. Dafür hat man aber die Gelegenheit genutzt und den ebenfalls in Wacken auftretenden Snowy Shaw für einen Gastauftritt mit seinen alten Bandkollegen auf die Bühne geholt, wo er 'Typhon' zum Besten gibt. Für 'Flesh Of The Gods' bleibt Hansi Kürsch jedoch als weiterer Gast aus und auch der restliche Auftritt birgt nur noch wenige Überraschungen. 'Son Of The Sun' über den ersten Monotheisten der Geschichte wird uns präsentiert und gefolgt von 'Son Of The Staves Of Time'. Zum Abschluss darf dann natürlich die Bandhymne 'To Mega Therion' nicht fehlen und so hinterlässt THERION einen mehr als überzeugenden Eindruck und das sehr zahlreich anwesende Publikum geht zufrieden seiner Wege.
Für alle Fans der Band sei vorangestellt, dass ich nur in den absoluten Anfangstagen mal ein Ohr für CALLEJON übrig hatte und deren Entwicklung in Sachen Metalcore seitdem eher konträr zu meinem persönlichen Geschmack verlief. Entsprechend skeptisch stehe ich vor der Bühne - und bekomme letztlich genau das, was ich erwarte. Die Band um Bastian Sobtzick spielt den poppigen Metalcore völlig souverän, die geschmeidigen Hooks treffen den Nerv des Publikums und gebangt werden kann hier und dort auch immer mal wieder. Die deutsche Sprache ist dabei kein Hindernis, sondern ganz deutlich ein Alleinstellungsmerkmal, mit dem auch in der Nachmittagssonne von Wacken gespielt wird, um entsprechende Wirkungstreffer zu erzielen. So weit, so gut. Ohne zu harte Worte wählen zu wollen: Für mich haben die Songs rein musikalisch einfach zu wenig Substanz, ganz unabhängig davon, ob man gerade eher den poppigen oder den metallischen Sektor bedienen möchte. CALLEJON liegt damit irgendwo zwischen den ein paar Stunden zuvor an gleicher Stelle aufspielenden ESKIMO CALLBOY und "ernsthaft gutem" Metalcore, welcher in wenigen Stunden ebenfalls am exakt selben Ort von einem Haufen Australiern zelebriert wird. Fazit: Ich kann den Erfolg CALLEJONs anerkennen, mein Fall wird es jedoch wohl nicht mehr werden.
STEEL PANTHER. Oh weh, oh weh. An dieser Stelle könnte nun wirklich alles stehen: "Peinlich bis zum geht-nicht-mehr! Titten, Lieder über Pimmel und ein bisschen billiger 80er-Abklatsch! Eine Schande für die Szene!" genauso wie "Die beste Parodie und gleichzeitig größte Hommage an den Hair Metal mit pointiertem Witz, riesigem Unterhaltungswert und zudem noch unglaublich starken Songs!" Ganz ehrlich, ich kann beide Sichtweisen wunderbar verstehen, sehe mich aber auch heute wieder stärker bei letzterer. Denn was STEEL PANTHER songtechnisch vom Pantherleder zieht, ist einfach richtig gut. Da ist fast jeder Song eine Partyhymne, mit stimmigen Hooks, tollen Riffs und Soli sowie einer Atmosphäre, die mich gefühlt in eine Zeit zurückkatapultiert, in der ich gerade mal geboren wurde. Nummern der Marke 'Eyes Of A Panther', 'Asian Hooker', 'Gloryhole' oder 'Community Property' kann man sich aus meiner Sicht kaum entziehen, es sei denn, ja, es sei denn man kommt mit dem Drumherum bei STEEL PANTHER nicht klar. Die einen stehen auf vulgären Humor (auf dem Wacken in der entsprechenden Atmosphäre wohl die meisten), auf die Präsentation von Brüsten (dürfte wohl ebenfalls auf die meisten zutreffen) und auf diesen doch recht speziellen Witz der Band - die anderen eben nicht. Auch heute gibt es wieder lange Laberpassagen, in denen von der Band Titten gefordert und Mädels auf die Bühne geholt werden. So weit, so gut. Dass eine davon aber gerade mal 16 (!!!) Jahre alt ist, scheint selbst die Band etwas zu verunsichern - nur um ihr im Anschluss eine improvisierte Strophe nach der nächsten zu widmen. Keine Ahnung, wie die feminin gekleideten Herren auf der Bühne es genau angestellt haben, jedenfalls haben sie sich extrem elegant aus der Affäre gezogen. STEEL PANTHER kann der eigenen Linie über die gesamte Zeit treu bleiben und das eigene Korsett mit Stolz und ohne mit der geschminkten Wimper zu zucken tragen. Nachdem man sich wundert, dass schon 75 Minuten um sind, kommt zum einen der lobende Gedanke von Kurzweiligkeit, zum anderen aber auch jener, dass statt des ganzen Gelabers gerne noch zwei Songs hätten mehr gespielt werden dürfen.
Eine erstaunliche Erkenntnis des diesjährigen Wacken Open Airs ist, dass so gut wie keine Black-Metal-Bands auf der Black Stage spielen. BORKNAGAR war die eine und mit gutem Willen könnte TRIPTYKON die zweite sein. Denn der Sound der Band um Tom Gabriel Warrior lässt sich genremäßig nur schwer kategorisieren, kann es in punkto Düsternis und Brutalität aber locker mit so ziemlich allem aufnehmen, was sich heutzutage Black Metal nennt. Vor imposanter Kulisse betritt die Band die Bühne und nimmt die Plätze ein, die während des Sets kaum verlassen werden. Dann bricht über Wacken die Hölle los und Tom zerstört stoisch die gute Laune seiner Zuhörer mit einem Rundumschlag aus CELTIC-FROST-Klassikern und TRIPTYKON-Stücken, die dem großen Erbe mehr als gerecht werden. Los geht es mit 'Procreation Of The Wicked' und es wird direkt klar, dass wir den fiesesten Gitarrensound des Festivals zu hören bekommen und hier heute nichts schiefgehen kann. Der muntere Reigen der Zerstörung geht weiter mit 'Dethroned Emperor' und 'The Ursurper', bevor wir zum ersten Mal auch einen TRIPTYKON-Song zu hören bekommen. 'Goetia' ist ein mächtiger Brocken und wird uns von Tom einfach so vor die Füße gebrüllt. Und dann kündigt Tom einen ganz speziellen Gast an. Simone Vollenweider, die als Gastsängerin bereits seit CELTIC-FROST-Zeiten mit Warrior verbunden ist, tritt heute zum ersten Mal leibhaftig auf die Bühne und wird ihn auch live unterstützen. Zunächst wird 'Obscured' zum Besten gegeben und anschließend 'Boleskine House'; zwei Stücke, die zeigen, das ruhigere Sounds und Frauengesang ganz und gar nicht weniger fies sein müssen als die rohe Gewalt von Stücken wie 'Morbid Tales' oder 'Circle Of The Tyrants', mit denen anschließend das Tempo wieder angezogen wird. Mit 'Aurorae' und 'The Prolonging' geht der Auftritt dann unerbittlich zu Ende und hinterlässt eine völlig geplättete Zuschauerschar vor die Bühne, die erst einmal verarbeiten muss, was TRIPTYKON da gerade abgeliefert hat. Dass Tom dabei für seine Verhältnisse gut gelaunt wirkt, macht diesen imposanten Auftritt eigentlich nur noch erstaunlicher und stellt einmal mehr die Ausnahmestellung klar, die Tom Warrior und sein Vermächtnis in der extremen Musik einnehmen. Das war jedenfalls ohne Zweifel eines der Konzerthighlights auf dem diesjährigen WOA.
Lange habe ich überlegt, was ich hier schreiben soll, ja überhaupt schreiben kann. Zuerst einmal die Fakten: Ich habe mir CLUTCH ausgesucht. In der Disco tanze ich gerne dazu, auf CD im Auto ist das super. Warum nicht gleich live sehen und was dazu schreiben? Pünktlich geht es los. Die Menge schläft. Die Band ist gut gelaunt, aber es geht erstmal ohne eine Ansage durch das halbe Set, bis das erste und auch vorerst einzige Wort "Danke" kommt. Die Liedauswahl ist irgendwie sehr gleichförmig und außer einigen bekifften, barfüßigen, rastazöpfigen Gestalten bewegt sich hier kaum jemand. Moment mal: die Sonne scheint, der Matsch hat etwas nachgelassen, es ist ganz passabel warm. Warum ist die Menge so unglaublich zurückhaltend? ich finde keine Antwort. Auch nun, ein paar Tage später, fällt mir nichts ein. Die Band ist motiviert, bei vielen Liedern greift der Sänger zusätzlich zur Gitarre, die Stimme ist gut, die Songs sind groovy, die Bühne ist groß genug, sie scheinen Spaß zu haben, aber irgendwie springt der Funke nicht über. Vielleicht ist es doch das falsche Publikum? Die geringe Interaktion? Aber hey, wenn TRIPTYKON auf der Black Stage parallel mehr Ansagen macht, wie der Vergleich mit meinem Kollegen Raphael später zeigte, dann läuft doch im Hause CLUTCH etwas schief. Schade, denn auf den Auftritt hatte ich mich wirklich gefreut.
Und nun heißt es Abschied nehmen von einer der coolsten und besten Livebands, die der Heavy Metal und Hard Rock je hervorgebracht hat. TWISTED SISTER spielt die letzte Show auf deutschem Boden und bevor wir mit dem Geunke über sogenannte Abschiedstouren anfangen können, übernimmt dies Frontmann DEE SNIDER selbst und stellt klar, dies sei kein SCORPIONS-Abschied, kein KISS-Abschied und kein OZZY OSBOURNE-Abschied, sondern tatsächlich das letzte Konzert von TWISTED SISTER in Deutschland. Und der charismatische und eloquente Herr Snider wirkt dabei so überzeugend, dass man nicht umhin kommmt, ihm das auch zu glauben. Bis dahin soll aber nochmal so richtig gefeiert werden und das Songmaterial der Band gibt das natürlich auch mehr als her. 'Stay Hungry' eröffnet einen Set, der natürlich all die Klassiker enthält, die wir kennen und lieben. 'You Can't Stop Rock'n'Roll', 'Under The Blade', das unvermeidliche 'We're Not Gonna Take It' und 'I Wanna Rock' werden gespielt, ein Hit jagt den nächsten. Zwischendurch erinnert Dee mehrfach an den im letzten Jahr verstorbenen Drummer AJ Pero, der auf eigenen Wunsch von Mike Portnoy vertreten wird. Zum allgemeinen Gedenken ruft Dee dann in einer bewegenden Ansprache vor 'The Price' auf und ruft neben AJ und Lemmy auch den DIO-Gitarristen Jimmy Bain in Erinnerung, der im Januar verstarb. Diese Ansprache, von jemandem, der selbst alle Höhen und Tiefen des Rock'n'Roll-Zirkus durchlebt hat, trifft genau den richtigen Ton und der Moment der Trauer um jene, die wir im letzten Jahr verloren haben, wird kurz danach direkt zu dem gewendet, wegen dem wir alle hier sind: einer riesigen Party für den Rock'n'Roll und den Heavy Metal. Doch auch das beste aller Abschiedskonzerte muss irgendwann zu Ende gehen und so kommen wir zu dem Punkt, an dem die Band sich von den Fans verabschiedet und zum letzten Mal ihre gesamte Crew präsentiert und sich bei allen bedankt. Hierzu hat man sogar Phil Carson auf die Bühne geholt, der TWISTED SISTER dereinst unter Vertrag nahm, um auch ihm nochmal für das Vertrauen zu danken. Dann ist es jedoch Zeit, Abschied zu nehmen und dies tut TWISTED SISTER mit dem Song, den die Band schon lange ihren Fans gewidmet hat: 'SMF' schallt über die Schlammwüste von Wacken und ich bin mir jetzt schon sicher, dass eine Band wie TWISTED SISTER dem Heavy Metal sehr fehlen wird. Der Humor, die großartigen Hits und auch der Mut zu klaren Ansagen, wenn diese nötig sind, schlicht eine Band mit Charakter und Klasse, von denen es immer weniger gibt. Dies war ein würdiger Abschied einer Legende und ich bin froh, dabei gewesen zu sein.
Sexy, kraftvoll, umwerfend. Ja, schon nach den ersten Sekunden bin ich mal wieder hin und weg. Das Outfit unterstreicht Alissas Körper perfekt, sie bewegt sich gekonnt über die Bühne und animiert das Publikum mit einer Stimme und einem Lächen, das Steine zum Schmelzen bringen kann. Für die Aufnahmen zur DVD ist eine schöne Bühnendeko aufgebaut und auch mit Lichteffekten wird nicht gegeizt. Mit Jeff Loomis als zweitem Gitarristen kommt noch mehr Dynamik in die Formation, die heute extrem gut gelaunt mit dem Publikum und untereinander interagiert und auch sehr gut eingespielt ist. Natürlich stammen die meisten Songs vom neuen Album "War Eternal", aber auch Klassiker wie 'We Will Rise' oder 'My Apocalypse' werden gespielt. Alissa reißt eine Hammer-Show runter und gibt anderthalb Stunden einfach alles. Die Menge dankt es ihr mit ekstatischem Klatschen, Moshpits und aufmunternden Zurufen. Die Stimmung kann nicht mehr besser werden und alle sind eine große Gemeinschaft, die im Bann dieser unglaublichen Kraft namens ARCH ENEMY steht. So ein Konzert darf nicht zu Ende gehen.
Das Wacken bot zwar die ein oder andere Metalcore-Truppe und hatte mit BULLET FOR MY VALENTINE sogar eine (persönliche) Überraschung im Gepäck, doch ich kann kaum ausdrücken, wie sehr ich mich seit Sekunde eins des diesjährigen Wacken Open Airs auf diese eine, alles überstrahlende, größte und beste Genre-Band gefreut habe. Vor Beginn könnten die Bedingungen allerdings kaum schlechter sein: Es ist die letzte Festivalnacht um 00:40 Uhr, parallel gräbt ARCH ENEMY nicht wenig interessiertes Publikum ab (wer hat das überhaupt bitte so angesetzt?) und der Boden ist durch den Schlamm zäh wie Kleister und lädt somit kaum zu großer Action ein. Aber eine Band, die strahlt, strahlt eben überall und trotz aller Widrigkeiten. Was PARKWAY DRIVE in dieser Nacht noch aus dem Publikum herausholt, was da noch an Atmosphäre herüberkommt, wie großartig sowohl Musik als auch Interaktion ist, ich vermag es kaum in Worte zu fassen. Ich habe selten eine Band gesehen, die so sehr von der Liebe zum Tun geprägt ist wie die Sunny Boys aus Down Under. Die Setlist bietet Schmankerl aus allen Phasen, wobei vor allem die aktuellen Stücke von "Ire" live noch einmal dramatisch an Durchschlagskraft gewinnen. Kraft ist überhaupt so ein Wort, das dem sympathischen Brüllalpha Winston McCall auf den Leib geschneidert zu sein scheint. Er ahnt, warum seine ersten Aufforderungen zum Circle Pit und Springen eher spärlich aufgenommen werden - der "Boden" klebt nun einmal wie Haftcreme an den Stiefeln - und bekommt das Publikum trotz totaler Erschöpfung dazu, auch diese vermeintlichen Ketten zu sprengen und noch ein letztes Mal zu eskalieren. 'Deliver Me' und 'Karma' wollen schließlich zelebriert werden. Die Licht- und Pyro-Show, die diesen Auftritt sehenswert unterstreicht, verkommt dabei zur Randnotiz. Okay, zugegebenermaßen überkommt es mich beim Feuerwerk des beschließenden 'Home Is For The Heartless', und die Welt ist für einen Moment eine völlig klare, ohne Fragen, ohne Sorgen. Danke, PARKWAY DRIVE. Danke für alles.
So geht ein weiteres Wacken Open Air zu Ende, bei dem wir von POWERMETAL.de einmal mehr viele tolle Erinnerungen aus dem kleinen Ort im hohen Norden mitnehmen. Wir werden auch im nächsten Jahr wieder berichten, wenn es heißt: "Rain or shine". Aber dann doch zur Abwechlsung mal konsequent "shine". Bitte, bitte!
- Redakteur:
- Oliver Paßgang