Wacken Open Air 2016 - Wacken
19.08.2016 | 00:1904.08.2016,
Metal, Schlamm und gute Laune.
Freitag, 05. August 2016: Let's keep this party going!
Freitagmorgen ist man schon nicht mehr ganz so frisch, auch wenn die Party da eigentlich erst losgeht. Da kommt THE HAUNTED gerade recht, um einem den Kater, die Müdigkeit und die (möglicherweise) aufkeimende Schlammdepression aus der Visage zu prügeln. Thrash mit einer ordentlichen Kante Melo-Death gibt es schließlich nirgends besser als hier. Der Einstieg gestaltet sich mit 'No Compromise' und '99' dann aber derartig drückend, dass sowohl Freund als auch Feind der Band sofort auf 180 sind. Ich bin es im positiven Sinne: THE HAUNTED ist mein kalter Schlag Wasser ins Gesicht. Alt- und Neusänger Marco Aro ist derjenige, der dieses eimerweise verteilt und offensichtlich Bock für ein ganzes Dutzend Brüllhälse hat. Die Band ist, wenn man denn so will, runderneuert (nur Patrick Jensen, Gitarre, sowie Jonas Börler, Bass, hackten auch 2012 schon auf ihren Instrumenten herum) und wirkt in der aktuellen Form außerordentlich frisch. Das Infield ist der Uhrzeit entsprechend mäßig gefüllt, doch umso dankbarer zeigt sich THE HAUNTED für jeden Einzelnen, der seinen Hintern vor die Bühne geschleppt hat. Bei all den positiven Worten sei jedoch eines angemerkt: Peter Dolving war etwas Besonderes, gesanglich wie als Bühnenfigur. Das fehlt und ist auch mit noch so viel Engagement nicht zu ersetzen. Nichtsdestotrotz werde ich mir THE HAUNTED in dieser Form jederzeit wieder geben!
Es verwundert mich schon sehr, als ich bemerke, wie überschaubar es zur Mittagszeit des Wacken-Freitages vor den Hauptbühnen ist. Klar, der Donnerstag war sicher wieder einmal grandios und kräftezehrend, aber die Mittagssonne gibt am Freitag ihr Bestes, den Schlamm wieder einzuschmelzen und auf der True Stage passiert etwas, das es in Wacken anno 2016 selten zu sehen geben wird: eine Kapelle der härteren Gangart auf einer der Hauptbühnen! Denn wer nach durchzechter Nacht den Kopf wieder richtig in Schwung bringen möchte, ist bei LEGION OF THE DAMNED eigentlich goldrichtig. Die vier Holländer um Frontzottel Maurice Swinkels spielen ihren eingängigen Mix aus Thrash und Death Metal unnachgiebig runter und geben der zwar kleinen, aber trotzdem hellwachen Menge schon mit dem ersten Song, der eigenen Bandhymne 'Legion Of The Damned', die Marschrichtung vor: Kompromisslos nach vorne! Dass LEGION OF THE DAMNED so gut aufspielt und niemanden im Publikum ungerührt verharren lässt, liegt aber nicht nur an einem ordentlich pushenden Sound, sondern zu allererst auch an der besonderen Setlist, die sich die heutigen Bandmitglieder zu Ehren ihres verstorbenen Bandkollegens und Gründungsmitglieds Twan Fleuren (damaliger Bassist, ✝ 20.5.2011, Suizid) haben einfallen lassen. Zum Gedenken an ihren alten Weggefährten gibt es das komplette Debütalbum "Malevolent Rapture" aus dem Jahre 2006 auf die Ohren der erwartungsfrohen Meute, die nicht nur altbekannte Klassiker ('Death's Head March', 'Werewolf Corpse', 'Bleed For Me'), sondern teilweise auch den kompletten Longplayer frenetisch mitsingen können. Im Gegensatz zum Graspop Metal Meeting, bei dem das holländische Quartett auch mit dem kompletten Debütalbum aufgewartet war, gibt es für das Wacken zum Abschluss noch 'Son Of The Jackal' vom zweiten Album obendrauf, bevor das Publikum gut aufgewärmt und mit steifen Nacken in den restlichen Freitag entlassen wird. Optimaler Start in einen langen Tag!
[Nils Hansmeier]
Wo der Donnrestag mit einem Wacken-Debüt endete, beginnt der Freitag für mich einem weiteren, längst überfälligen Debüt: LOUDNESS aus Japan darf den frühen Nachmittag auf der True Metal Stage musikalisch gestalten. Zu Beginn kämpft die Band jedoch mit dem starken Wind, der das Herablassen des Bühnenvorhangs erschwert und so dauert es einige Zeit, bis die Herren für alle sichtbar losrocken können. Das tun sie dann aber ohne viel Federlesen und mit viel Energie und Enthusiasmus. Seit immerhin 35 Jahren ist LOUDNESS nun aktiv und heute stehen drei Originalmitglieder auf der Bühne, lediglich Drummer Munetaka Higuchi, der 2008 verstarb, fehlt aus dem klassischen Line-up. Der Stahl, den LOUDNESS so schmiedet, ist straight und laut, wie man es bei dem Namen nun mal erwarten kann und voller ausladender Gitarrensoli von Bandkopf Akira Takasaki. Wer bei den brachialen Riffs das eine oder andere Mal an ACCEPT denken muss, hat sicher nicht ganz Unrecht, so klingt aber nun mal guter alter 80er Heavy Metal und die sichtlich begeisterte Band spielt diesen so authentisch wie nur wenige. So füllt sich nach und nach auch der Platz vor der Bühne und der Sonnenschein tut sein übriges, um für mich den Auftritt zu einem gelungenen Start in den Wacken-Freitag zu machen. LOUDNESS zeigt, wie auch METAL CHURCH am kommenden Tag, dass der klassische Metal auch in Wacken immer noch ein Publikum findet und, wenn er mit so guten Songs und von engagierten Musikern präsentiert wird, dürfte sich das auf absehbare Zeit nicht ändern. Starkes Konzert.
Wenn L.G. Petrov mit seinen Mannen auftaucht, ist gute Laune angesagt. Egal wann, egal wie, egal wo. Ob wir das Kind nun ENTOMBED oder ENTOMBED A.D. nennen, ist dabei nicht weiter wichtig, denn dieser so überaus sympathische Schreihals hat einfach immer Bock auf Metal, auf seine Band und scheint dabei so wahnsinnig dankbar für alles zu sein. Das kann man selbst heute, an einem Tag, der gesanglich sicherlich nicht zu seinen Glanzstunden gehört, einmal mehr beobachten. Da der räudige Knüppel auf den Hauptbühnen nicht wirklich gut vertreten ist (ENTOMBED A.D. ist genau genommen die einzige reinrassige Death-Metal-Band!), hat sich die todesmetallische Gemeinde in der Mittagshitze versammelt, um sich eine Stunde lang dem Groove des Sterbens hinzugeben - und wo geht das besser als bei den schwedischen Urgesteinen? Mit der starken neuen Platte "Dead Dawn" und natürlich unzähligen Klassikern im Gepäck wird der Gig zu einem Selbstläufer, bei dem selbst der Sound, der zeitweise ähnlich matschig wie der Boden ist, der Sache keinen Abbruch tut. 'Wolverine Blues', 'Left Hand Path' und 'Supposed To Rot' beenden einen Gig, bei dem es zu keinem Zeitpunkt eine Alternative zum breiten Grinsen gibt. Bis die Tage, L.G.!
Das einzige Problem, das EQUILIBRIUM zu Anfang des Auftritts auf der Party Stage hat, ist der unbarmherzige Wacken-Wind: Eigentlich erahnt man die langhaarigen Jungs mehr als dass man sie sieht und "Robse" Dahn klingt bisweilen verdächtig undeutlich. Der Show der Pagan-Metal-Band tut dies jedoch keinen Abbruch: Gewohnt martialisch heizt EQUILIBRIUM dem Publikum schon mit dem großartigen Intro des 'Waldschrein' ein - einmal Augen zu und genießen bitte! Egal ob Nummern wie 'Blut im Auge' oder das fast schon fröhliche 'Uns'rer Flöten Klang' - Robse und Co ziehen alle Register ihres Könnens und fegen sämtliche Stürme und störende Elemente von der Party Stage. Eigentlich ist diese für so viel Bühnenpräsenz viel zu klein. Headbanging par excellence und Dominik und Réne, die synchron genial in die Saiten greifen - schmacht! Einen kleinen Ausblick auf das neue Album "Armageddon" bieten die Bayern an diesem Tag übrigens auch: 'Born To Be Epic', eine (man verzeihe das schlechte Wortspiel) wirklich epische Nummer, macht jetzt schon richtig Bock auf die neue Scheibe und sorgt damit für etwas Verwunderung unter den Zuschauern: Fast schon nach Dub-Step klingt der neue EQUILIBRIUM-Song, ehe Dominik und Réne den elektronischen Sound mit ihren Riffs zerreißen. So macht man neugierig auf die neue Platte!
Über die Auftritte von AXEL RUDI PELL zu schreiben, ist, als müsse man über das Wacken-Wetter schreiben: Es ist eben wie immer. Das wäre vielleicht noch vertretbar, wenn die Musiker wie andere Bands auf dem Wacken Open Air per se die Bühne abreißen würden, doch Fehlanzeige: Die Alt-Herren um Bandleader Axel Rudi Pell zeigen sich krampfhaft bemüht mit jugendlichem Spirit das Publikum zu rocken. Anstrengungen, die in mir eher bedauerndes Mitleid als wahre Begeisterungsstürme auslösen. Vielleicht bin ich einfach nur zu jung für den Kram? Schon die Tatsache, dass ich während des Auftritts überhaupt die Zeit für derlei Überlegungen habe, macht mir klar: Über längere Zeit fesseln kann die Performance von AXEL RUDI PELL mich an diesem Tag nicht. Richtig aufhorchen tue ich erst, als es auf einmal still wird um den blonden Gitarristen. Eben noch die Zeile "the night is gone" gesungen aus dem Song 'Saint Of Fool', scheint auf einmal die komplette Technik ihren Dienst quittiert zu haben. Ein raffinierter Kunsttrick, denn nach wenigen Sekunden schauspielerisch zweifelhaften Erstaunens vom Bochumer auf der Bühne, brettern die Gitarren schon wieder los. Chapeau, AXEL RUDI PELL. Wenigstens einmal habt ihr mich kurz zum Staunen gebracht.
Bei ELUVEITIE hat sich vor kurzem einmal mehr das Besetzungskarussell gedreht und so steht Bandkopf Chrigel Glanzmann heute mit einer gänzlich neuen Mannschaft auf der Black Stage, um das zahlreich anwesende Publikum mit der Band-eigenen Mischung aus melodischem Death Metal und Celtic Folk zu bespaßen. Dabei wird dem unbedarften Beobachter schnell eines klar: Die neue Besetzung ist komplett männlich und für die zahlreichen weiblichen Gesangseinsätze, die den Sound von ELUVEITIE bisher prägten, muss sich Herr Glanzmann etwas einfallen lassen. Die einmalige Lösung für Wacken werden wir im Verlaufe des Sets kennenlernen, bis es soweit ist, stürmt ELUVEITIE erst mal forsch voran und setzt auf den rauheren Teil des Bandkatalogs und auf neueres Material. Die neu angeheuerten Livemusiker tun ihr möglichstes, um die teils komplexen Arrangements umzusetzen, hier und da holpert es aber noch ordentlich im Gebälk. Dann kommen wir aber zum ersten Bandschlager, dem kitschig-volksmusikalischen 'Call Of The Alps' und Chrigel präsentiert als Gast auf der Bühne Liv Kristine, die selbst ja erst kürzlich von ihren Bandkollegen bei LEAVES EYES vor die Tür gesetzt wurde. Liv liest die Texte vom Blatt ab und ist soundtechnisch ziemlich weit in den Hintergrund gemischt, was dem Auftritt nicht hilft und auch ihr elegischer Gesangsstil will nicht so recht zum Stück passen. Ob dies also eine Lösung ist, die über Wacken hinaus Bestand hat, wage ich an dieser Stelle zu bezweifeln und auch der zweite Song, der mit Livs Hilfe präsentiert wird, hilft hier nur unwesentlich weiter. Im Anschluss informiert uns Chrigel dann darüber, dass man im Herbst ins Studio gehen wird (wobei ich den Verdacht nicht loswerde, dass sein 'wir' ein Pluralis Majestatis ist), um den Nachfolger zum Akustikalbum "Evocation Part I" aufzunehmen, der logischerweise "Evocation Part II" heißen wird. Aus diesem bekommen wir sodann eine erste Kostprobe präsentiert, die sich als harmloses, aber nettes Stück instrumentalen Folks entpuppt. Nach dieser Verschnaufpause geht der Auftritt dann aber langsam seinem Ende zu und es gibt nochmal brachial auf die Schnauze. Mit einem Kracher vom Debüt und der Bandhymne 'Inis Mona' geht ein insgesamt merkwürdiger Auftritt zu Ende. Wie sich die Karriere von ELUVEITIE weiterentwickelt, werde ich mit Interesse beobachten, kreative Alleinherrschaft und regelmäßiger Musikertausch haben jedoch schon so mancher Band geschadet und ich hoffe sehr, dass Chrigel Glanzmann es schafft, eine stabile Besetzung um sich zu sammeln.
Auf der True Metal Stage lässt sich nun beobachten, wie es sich anhört, wenn eine Metalcore-Band erwachsen wird. BULLET FOR MY VALENTINE war zuletzt vor acht Jahren in Wacken und kann sich heute über eine große Fanschar vor der Bühne freuen. Die Waliser lassen sich dann auch nicht lumpen und geben vom ersten Takt an mächtig Gas. Mit gutem Sound und perfekt eingespielt schleudert die Band Song nach Song in die Menge und kann sich über begeisterte Reaktionen aus dem Publikum freuen. In den Ansagen gibt man sich bescheiden und sympathisch, was ja gerade in diesem Genre nicht immer der Fall ist und zeigt sich so als würdige Band für die große Bühne zur allerbesten Festivalzeit. Bei 'Army Of Noise' kommt zusätzlich noch die Sonne raus und so ist dann allerbeste Open-Air-Stimmung garantiert. Jüngere und ältere Metaller feiern gemeinsam und es gibt sogar den einen oder anderen Versuch, in der holsteinischen Seenplatte vor der Bühne einen Pit zu starten, was jedoch mehr nach Wattwanderung auf Speed aussieht. Selbst für ein Drumsolo ist heute Platz und kurz danach gibt es mit 'Scream, Aim, Fire' und 'Tears Don't Fall' nochmal eine Vollbedienung für all jene, die wie ich mit dem Schaffen der Band eher wenig vertraut sind. Das alles wird so professionell und stark präsentiert, dass ich zwar nicht zum Fan werde, aber voller Respekt anerkennen muss, dass BULLET FOR MY VALENTINE zu Recht zu den ganz großen im Metalcore gehört. Nach kurzer Pause gibt es noch 'You Want A Battle? Here's A War' als Zugabe und während ich mich in Richtung Party Stage und Kai Hansen aufmache, verlassen zahllose glückliche Fans das Gelände nach einer rundum überzeugenden Show ihrer Lieblinge.
TARJA, meine Göttin! Dem Auftritt der stimmstarken Finnin fiebere ich schon seit Tagen entgegen - und ich scheine nicht alleine zu sein: Die vielen "Tarja"-Rufe hinter mir verursachen bei mir echte Gänsehaut. Die Ex-Frontfrau von NIGHTWISH lässt zu Beginn ihres Gigs jedoch singen: Und zwar sich selbst auf einer atmosphärischen Aufnahme des 'Ave Maria'. Kaum ist der letzte Ton verklungen, geht TARJA jedoch in die Vollen: Von der ersten Sekunde an voll da, rockt sie die Menge mit 'No Bitter End', dem Opener ihres neuen Albums. Überhaupt hat TARJA die Setlist ihres Auftritts stark auf ihren Doppelschlag "The Shadow Self" und "The Brightest Void" beschränkt. Erst am nachfolgenden Freitag erschienen, sind die meisten Songs vielen Fans noch unbekannt - schade, gerade das hymnische 'Eagle Eyes' lädt eigentlich geradezu zum Mitsingen ein. Der Höhepunkt von TARJAs Wacken-Show ist für mich jedoch ihr fulminantes Duett 'Demons In You', bei welchem Alyssa White-Gluz von ARCH ENEMY Tarjas glockenhelle Stimme mit Screams UND cleanem Gesang unterstützt. Die ARCH ENEMY-Leaderin stellt den eigentlichen Star des Abends mit einer unglaublichen Bühnenpräsenz fast schon in den Schatten und macht schon am Donnerstag richtig Lust auf den Slot ihrer eigenen Band am Samstag. Denn obwohl TARJA es auch ohne NIGHTWISH überraschend gut gelingt, sich und ihre Musik auf der großen Wacken-Bühne zu inszenieren: Irgendwie wirkt die Finnin an diesem Abend etwas kieksig und neben der Spur. Stimmlich brillant wie immer, doch bisweilen stakst TARJA etwas planlos über die Black Stage - da kann auch ihre Engelsstimme ihre beinahe unsichere Art nicht kaschieren.
Dass Kai Hansen mit seinem Soloprojekt KAI HANSEN & FRIENDS, welches noch keinen einzigen veröffentlichten Tonträger nachweisen kann, einen so guten Slot mit entsprechender Spielzeit bekommt, ließ schon erahnen, dass es den ein oder anderen Coversong geben würde. Dass dies jedoch unmittelbar vor seinem zweiten Auftritt mit UNISONIC auf der gleichen Bühne der Fall ist, irritiert zumindest mich ein wenig. Aber eins nach dem anderen: Kai Hansen feiert dreißig Jahre Bühnenjubiläum und hat sich zu diesem Zweck ein paar Freunde geschnappt, um dies mit einer Studioplatte zu feiern. Mit dabei sind Alex Dietz (HEAVEN SHALL BURN) am Bass, Gitarrist Eike Freese (DARK AGE) und CARCASS-Drummer Daniel Wilding - Letzterer muss heute allerdings vertreten werden. Überhaupt finden sich im Laufe des Sets, das gut zur Hälfte aus Songs des bald erscheinenden Albums besteht, immer wieder Gastmusiker und somit Freunde von Herrn Hansen auf der Bühne wieder, unvermeidlicher- und gleichzeitig großartigerweise natürlich Michael Kiske, der es sich nicht nehmen lässt, die HELLOWEEN-Klassiker 'I Want Out' und 'Future World' zu performen. Für viele ist in solchen Momenten die Metal-Welt schwer in Ordnung; ich bin einer davon. Mit 'Ride The Sky', Victim Of Fate' und 'Save Us' gibt es weitere alte Kürbisschätzchen, die das neue Material des KAI HANSEN & FRIENDS-Projekts natürlich im Vorrübergehen abhängen. Jenes wirkt im Direktvergleich hüftsteif sondergleichen, aber dieser ist zugegebenermaßen auch mehr als unfair. Am Ende bleibt ein solider Gig mit einigen Ausreißern nach oben. Glückwunsch zum Dreißigjährigen, Mr. Hansen!
Der Freitagsheadliner zieht die Massen, daran gibt es keinen Zweifel: BLIND GUARDIAN hat sich einmal mehr aufgemacht, das Wacken-Land zu verzaubern. Dass dies eine der kleineren Herausforderungen der Krefelder Legende ist, wird kaum jemanden verwundern. Bemerkenswert ist am heutigen Abend viel mehr die Schlichtheit, mit welcher die Herren Kürsch, Olbrich, Siepen & Co. überzeugen. Abseits von Hansis routiniert-unroutinierten und immer wieder (unfreiwillig?) eigenartig stumpfen Ansagen ist das ein Gig, der für meinen Geschmack mit einem ganz geringen Maß an Selbstinszenierung auskommt, dafür jedoch Musik aller Schaffensphasen deutlich in den Vordergrund stellt. Die Eröffnung macht heute 'The Ninth Wave' der (noch immer) aktuellen Platte, anschließend gibt es 'The Script For My Requiem', 'Nightfall' und 'Fly'. Die auf Konserve teils doch sehr unterschiedlichen wirkenden Stücke kommen in einem einzigen Fluss auf die Schlammgeplagten, wodurch der Gesamteindruck extrem gewinnt. Im Mittelteil bildet 'The Last Candle' mein heimliches Highlight, auch wenn der angehängte Mitsingteil wirklich nicht sein muss, zumal es einen solchen inzwischen ja obligatorisch bei 'Valhalla' gibt. Sei es drum, das folgende 'The Lord Of The Rings' lässt keine Zeit zum Grummeln. An diesem Freitagabend ist allerdings jeder Song ein Hit für sich: 'Time Stands Still (At The Iron Hill)', 'Time What Is Time' und 'Imaginations From The Other Side' treffen genau so sicher ins Ziel wie die das aktuelle 'Twilight Of The Gods'. Und über den Abschluss, bestehend aus 'The Bard's Song (In The Forest)', 'Mirror Mirror' und dem unvermeidlichen 'Valhalla', müssen wohl keine Worte mehr verloren werden. Musikalisch lässt BLIND GUARDIAN überhaupts nichts anbrennen; die Mannschaft wirkt extrem eingespielt und André Olbrich zeigt dabei einmal mehr, warum er einer der charakteristischsten und besten Lead-Gitarristen seiner Zunft ist. Ansonsten bleibt mir zum Abschluss dieses starken Auftritts nur noch einmal zu betonen, dass ich BLIND GUARDIAN noch nie zuvor so unmittelbar, direkt und (positiv!) schlicht wahrgenommen habe.
[Nun noch etwas Grundsätzliches, was vielleicht nur einen Bruchteil der Anwesenden betraf und BLIND GUARDIAN nicht zur Last gelegt werden kann: Wie kann es sein, dass ein Konzert, das man sich von vorne rechts anhört, nicht laut genug ist, um das Gelaber des Nebenmannes zu übertönen? Wenn meine eigenen schiefen Töne in jedem Refrain lauter sind als die von Hansi, dann tun mir zum einen meine Mitmenschen leid und zum anderen hat dann irgendwer seinen Job nicht ordentlich gemacht. Ganz ehrlich: Das war eine Lautstärke, die selbst meine Oma als Hintergrundbeschallung beim Kaffeeklatsch nicht gestört hätte - und das bestimmt nicht, weil sie schwerhörig ist. Unfassbar ärgerlich und schade. Das hat die durchaus vorhandene Konzerteuphorie mal locker um die Hälfte gesenkt. Murks, sowas!]
Sie sind gekommen um zu zerstören. Die Herren aus dem weit entfernten Texas machen musikalisch keine Gefangenen. Während unsere Fotografin im Graben mit den Strobos kämpft, kämpfe ich damit, gleichzeitig im Moshpit auszurasten und zu schreiben. Elektronische Klänge wie aus der Hölle, eine Lichtschau wie in der Mitte einer Supernova und eine Bühnen-, also Video-Show, bei der sich der Magen umdreht, nachdem die politische Lage der Welt einem voll reingehauen hat - all das ist MINISTRY. Und nicht ein Inch weniger. Irgendwo zwischen blinder Wut, brachialer Gewalt und so etwas wie Spaß, reißen Al Jörgensen und seine Crew eine Show ab, die die heutigen Chart-Bands aus dem Universum pusten würde. Die Botschaft ist klar: Kein Zentimeter den politischen Idioten! Und das brüllt MINISTRY so laut in den kleinen beschaulischen, norddeutschen Ort, dass man das in deren Heimatland mit Sicherheit auch noch hören kann. Das Publikum hat sich ein wenig gewandelt: Viele haben Buttons, Aufnäher oder T-Shirts mit linkspolitischen Botschaften drauf an. Punks und Veganer (ja, auch hier gibt es Patches etc.) mischen sich in die große Gemeinschaft der Fans und singen, moshen und pogen die Welt ein bisschen besser. Einfach grandios, der Auftritt.
Kai Hansen, Klappe die zweite. Aber noch viel wichtiger: Michael Kiske, Klappe die erste richtige. Mich beschleicht insbesondere heute Nacht einmal mehr das Gefühl, dass genau dieser Mann der Grund dafür ist, dass nicht wenige Leute UNISONIC verfolgen und auch genau für ihn vor dieser Bühne stehen. Ich oute mich als eine dieser Personen und freue mich wirklich riesig über jeden Ton, den er von sich gibt. Dazu reichen schon die diversen eigenen Songs der Truppe aus, die mal poppig mit Stadion-Refrain und locker-rockig daherkommen, sich ein anderes Mal aber auch sehr schnellmetallisch durch die Luft schneiden. Letzteres liegt mir einfach noch mehr, aber egal was UNISONIC anfasst, das wird auch entsprechend kompetent umgesetzt. Instrumental ist das ganze so solide wie deutsche Wertarbeit nun einmal ist, die wirklichen Höhepunkte sind aber alle im Gesang zu finden. Meine Highlights: das flotte 'Your Time Has Come', das tonhöhentechnisch beinahe stellare 'Exceptional' sowie der namensgebende Track der Band. Und meine wahren Highlights: 'March Of Time' und 'A Little Time'. Ja, wie soll es auch anders sein? Zwei perfekte Lieder aus der besten Zeit des deutschen Metals vom vielleicht besten Doppeldecker aller Zeiten, da gehen die Gäule mit mir durch. Ach, und das JUDAS PRIESTs 'Victim Of Changes' mal eben in 'A Little Time' eingebaut wird, sollte an dieser Stelle vielleicht auch noch Erwähnung finden - stilecht mit Sonnenbrille von der stets an Überheblichkeit kratzenden Darstellung Kiskes untermalt. Doch im Gegensatz zum "Solo"-Auftritt von Herrn Hansen zuvor fällt die Differenz zwischen Kürbis-Klassikern und Eigenmaterial bei UNISONIC wesentlich geringer aus. Starker Auftritt zu später Stunde!
... und auf den anderen Bühnen?
Black Metal ist auf dem Wacken inzwischen maßlos unterrepräsentiert. Auf den großen Bühnen spielt in diesem Jahr eine einzige (!) Pandatruppe und auch im Zelt muss man schon verdammt gut suchen. Da mit DER WEG EINER FREIHEIT aber eine meiner Lieblingsbands am Start ist, komme ich nicht umhin, um ein Uhr mittags einen Abstecher in den "Bullhead City Circus" zu unternehmen. Draußen scheint die Sonne und drinnen soll ein Gefühl der gegenteiligen Tageszeit hergezaubert werden. Skeptisch darf man ob so suboptimaler Umstände schon sein, aber wenn die folgenden 45 Minuten dann derart fantastisch sind, wird jeder Zweifel mit Freuden verworfen. Heute nur zu dritt unterwegs (Bassspuren kommen vom Band), bekommen es die drei Herren von DER WEG EINER FREIHEIT bemerkenswert spielerisch auf die Kette, zum einen Köpfe nach allen Regeln der Kunst abzuschrauben, und zum anderen das Wacken in den ruhigen Passagen tatsächlich zum andächtigen Zuhören und Schweigen zu bringen. Es scheint, als würde hier niemand zufällig vor der Bühne stehen - und am Ende des Gigs, welcher einen mit 'Zeichen' erfüllt in den weiteren Tag entlässt, kratze ich mir nicht zu knapp am Kopf, wie viele Menschen sich in der Zwischenzeit in dieser riesigen Lagerhalle eingefunden haben und DER WEG EINER FREIHEIT mehr als nur den verdienten Respekt zollen. Stark in jeder Hinsicht und damit eines meiner persönlichen Highlights in diesem Jahr!
Es gibt für alles ein erstes Mal und heute bin ich dran, DIE KRUPPS zum ersten Mal in meinem Leben live sehen zu dürfen. So viele Jahre des Wartens und des Hoffens haben nun ein Ende und die Woche danach beim Mera Luna Festival kann ich sie gleich noch ein zweites Mal sehen. Was für ein Jahr. 45 Minuten Zeit haben die Herren aus dem Rheinland im Zelt bekommen und ich erwarte eine quasi leere Halle. Was ich aber dann sehe, überrascht mich sehr: Es ist zum Bersten voll. Gut, der Altersdurchschnitt ist etwas höher, was bei einer Band mit der Historie auch nicht verwunderlich ist. Die Ansagen sind in einem Mix aus Englisch und Deutsch, kurz, knapp und sehr sympathisch. Dass die Herren es auch live immer noch drauf haben, ist schon nach einigen Minuten klar. Sie produzieren elektronische Töne vom feinsten, gepaart mit allem, was man im Metal so braucht. Inklusive Metall, genauer gesagt riesiger Metallröhren, auf welche der Sänger wild drauflos hämmert, als zweites Schlagzeug sozusagen. Es klingt wie Industrial klingen soll: wie die Industrieanlagen im Düsseldorfer Hafen. Entgrenzend und auflösend zwischen den Tönen werden die Zuhörer in andere Dimensionen getragen. Wer hier still stehen kann, ist entweder Banker oder hört sonst nur Hip Hop. Es wird gestompt, getanzt, gemosht, gesungen und am Ende der Songs winkt tosender Beifall. Am Anfang wirkt das Set sehr Metal-lastig, doch gegen Ende dürfen natürlich Klassiker wie 'Nazis auf Speed' und 'Fatherland' nicht fehlen. Man merkt auch hier an den Texten und an den Ansagen die eindeutig linken Tendenzen. Schön, dass sich dieses Jahr so viele Bands mit Worten der Toleranz und gegen Nazis an das Publikum wenden. Und da bildet die Industrial-Legende keine Ausnahme. Wir sind alle eine Gemeinschaft. Und so macht das Konzert in Mitten der Metal-Gemeinschaft nochmal doppelt so viel Spaß. Ich lass mich gehen und tanze, als würde das Konzert nie enden. Freudentränen sind nicht nur auf meinem Gesicht zu sehen. Dieser Auftritt wird unvergesslich für mich bleiben.
Im letzten Jahr noch das Debütalbum "Auf dunklen Schwingen" veröffentlicht, in diesem Jahr stehen sie am Freitagabend schon auf der Wackinger Stage: Die schwarzen Vögel von KRAYENZEIT als Senkrechtstarter zu bezeichnen, wäre fast schon zu einfach. Und die Band hat eine ordentliche Fan-Base auf das Wacken Open Air mitgebracht: Bis zu den Ständen des Mittelalter-Marktes stehen die Menschen, obwohl parallel die Folk-Metaller von ELUVEITIE spielen. Von der ersten Sekunde an feiern die Zuschauer das Krähenpack - verdient, denn dass die Musiker das Wacken-Debüt genießen, hört man schon beim Opener 'Krähenzeit'. Großartiger Gesang von Frontmann Markus "Engel", tolle Leistung der Saitenmeister Alex, Chris und Joachim und mit Martin ein Schlagzeuger wie ein Uhrwerk: So klingt gelebte Spielfreude! Auch die beiden Mädels Meike und Jessi stehen den Jungs darin in nichts nach. Eigentlich lässt sich keiner der Krähen als Star des Abends hervorheben - der Star ist in diesem Fall wirklich die Band selbst. Für die Nummer 'Wüstenregen' bekommt KRAYENZEIT schließlich sogar Show-Unterstützung von den Wasteland Warriors. Damit liefern die Stuttgarter auch optisch definitiv einen der Höhepunkte auf der Wackinger Stage. Besser als mit dem mitreißendem Ohrwurm 'Fegefeuer' hätten die Krähen ihren Auftritt auch nicht beenden können: Markus hätte die Menge gar nicht zum Mitsingen auffordern müssen - schon bei der ersten Wiederholung hat die Hymne aus dem neuen Album "Tenebra" die Menge fest in der Hand. Schon beim ersten Wacken-Auftritt gleich ein Höhenflug der schwarzen Vögel.
HIER geht's zum Samstag.
- Redakteur:
- Oliver Paßgang