Wacken Open Air 2016 - Wacken
19.08.2016 | 00:1904.08.2016,
Metal, Schlamm und gute Laune.
Wacken Open Air Nummer 27: Auch in diesem Jahr versammeln sich wieder die Massen, um im hohen Norden eine riesige Heavy-Metal-Party zu feiern. Manche nutzen dabei das - von den Mainstream-Medien in absolut überzogenem Maße präsentierte - unterhaltsame, teils sehr liebevoll hergerichtete Drumherum, den meisten geht es allerdings um die Musik und das Treiben vor den Bühnen. Da uns dies ebenfalls am meisten interessiert, soll es auch gleich zur Sache gehen, wobei wir uns wie in den letzten Berichterstattungen auch auf die drei Hauptbühnen konzentriert und diese mit einzelnen Konzerten der andere Spielorte ergänzt haben.
Lediglich eine Anmerkung zu den widrigen Bedingungen: Ich habe keinen Plan von der Materie, aber mir scheint es, als wäre der Boden in Wacken so zusammengestzt, dass wenige Tropfen ausreichen, damit sich feste Erde in die klebrigste Substanz seit Baumharz verwandelt. Letztes Jahr war schlammtechnisch die größte Katastrophe überhaupt, bei dieser Ausgabe liegt man mit viel gutem Willen ein My darunter. Es ist bekannt, dass die Veranstalter vieles tun, um auf entsprechende Situationen vorbereitet zu sein, was man vor Ort auch spürt, wenngleich natürlich nicht jedes Problem antizipiert werden kann. Die Besucher danken es mit viel Ruhe, Gelassenheit und einer fetten Party!
In diesem Jahr haben sich Leoni Dowidat (Fotos), Raphael Päbst, Yvonne Päbst, Nils Hansmeier und Oliver Paßgang für POWERMETAL.de durch den Schlamm gerobbt.
Mittwoch, 03. August 2016: Das Warm Up
VERSENGOLD ist für mich der Gewinner des Mittwochs: Eine grandiose Gesangsleistung von Frontmann Malte, atemberaubende Soli seiner Mitmusiker (besonders von Paul an der Geige) und auch von der Stimmung her liefern die Barden eine Show ab, die die Wackinger Stage gleich am ersten Tag zum Kochen bringt. Selbstverständlich eröffnet VERSENGOLD den Auftritt mit der bandeigenen Hymne 'Versengold' und schon bei den nachfolgenden 'Drei Weibern' bilden sich im Publikum erste Kreise, die munter Ringelreigen tanzen. Ihre Zuhörer haben Malte und Co. fest in der Hand und so singen die Gäste der Mittelalter-Combo 'Vater, Vater' fast schon alleine. Der Bereich vor der Bühne entwickelt im Laufe des Abends eine echte Eigendynamik und beim letzten Song von VERSENGOLD, '13 Tage lang gefeiert', kommt selbst Sänger Malte nicht mehr gegen die Lautstärke des Publikums an: Singende, tanzende, feiernde, eskalierende Festival-Besucher bereits zu Beginn - VERSENGOLD hat die Wackinger Stage gleich am ersten Tag gerockt. Mit der Auswahl der Songs bleibt VERSENGOLD leider jedoch die ganze Zeit in der Ulk-Schiene, mit der die Band erfolgreich geworden ist. Sicherlich keine schlechte Entscheidung, jedoch vermisse ich persönlich die ernsteren Stücke der Gruppe und finde es fast ein wenig schade, dass sich die Jungs so limitieren und auf eine Sauf-und-Feier-Band reduzieren.
Um MR HURLEY und seine Crew kommt man in der Folk-Rock-Szene schon lange nicht mehr herum - und auf dem Wacken Open Air ohnehin nicht. Vier Mal spielen die Piraten auf der Wackinger Stage und gehören für mich am Mittwoch zum Pflichtprogramm. Nachdem ich zuvor von KNASTERBART mit deren letztem Song 'Mein Stammbaum ist ein Kreis' einen eher dürftigen Start ins Programm hatte, sind das ulkige Akkordeon und die Reibeisen-Stimme von MR HURLEY für mich eine echte Wohltat. Mit 'Komm zur Marine' erobert MR HURLEY UND DIE PULVERAFFEN das Publikum gleich mit den ersten Songs im Sturm - spätestens im englischsprachigen Teil grölt es aus hunderten Kehlen: "Come to the navy...". Besonders schön auch das unheimlich skurrile 'Komm mal her', das MR HURLEY im Wechsel mit den anwesenden Wackingern wirklich zelebriert, einschließlich endlosem "Beschimpfungs-Solo" der Crew. Den Rausschmeißer macht am ersten Wacken-Tag der Song 'Blau wie das Meer'. Bestimmt fünf Mal lassen die Freibeuter den Refrain von den Zuhörern wiederholen: Mal nur die Frauen, mal nur die Männer - solange eben, bis wirklich jeder mitsingen kann. Eine tolle Show bis zum letzten Ton, ich salutiere vor dem Captain!
In einer besonders hellen Minute dachte ich mir, es wäre eine gute Idee, dass PANZERBALLETT meine erste Band des Festivals wird. Im Duden wird dieser Einfall demnächst neben der Definition von "Kaltstart" geführt. Man kann nur höchsten Respekt vor dem haben, was die Herren auf der Bühne abziehen. Dieses musikalische Äquivalent zu einer Sahnetorte mit Broccoli und Nüssen ist genau deshalb so faszinierend, weil man sich über die Gaumenfreuden der einzelnen Zutaten freuen kann, als wären die anderen gar nicht vorhanden. Jazz und Metal, das funktioniert auch in dieser abgedrehten, instrumentalen Variante von PANZERBALLETT, und erstaunlicherweise sogar zu Beginn des partywütigen Wacken Open Airs. Viele staunen still, manche verrenken ihre Körper zu den wildesten Takten und freuen sich darüber, wenn mal 10 Sekunden der gleiche Groove vorherrscht. Prädikat: tatsächlich irgendwie partytauglich. Um die Broccoli-Nuss-Sahnetorte als Gesamtkunstwerk wirklich genießen zu können, müsste man sie allerdings vorab wohl schon einige Male gekostet haben.
Das Zelt ist am Mittwoch zur besten Zeit proppevoll - wenig verwunderlich, wenn Phil Campbell aufspielt. Die Meute ist natürlich heiß auf ein paar MOTÖRHEAD-Klassiker, die selbstredend im Laufe des Sets auch folgen. Herr Campbell selbst bearbeitet seine Klampfe in der gewohnt rotzigen Art und Weise, "seinen" Sound hat er natürlich ebenfalls im Gepäck. Über den Rest der Truppe möchte ich an dieser Stelle nicht zu viele Worte verlieren, da sie natürlich keine Chance haben, die Magie des Motör-Dreiers zu erreichen - Bock auf die Songs ist den Herren an allen Positionen jedoch zu keinem Zeitpunkt abzusprechen. Besonders viel Freude machen heute 'Born To Raise Hell', 'Ace Of Spades' und das "wie Arsch auf Eimer passende", abschließende 'Killed By Death'. Phil verliert erwartungsgemäß ein paar Worte zu Ehren der zuletzt verstorbenen großen Musiker, von denen viele dem Allergrößten gelten: Es ist eine Party zu seinen Ehren. Zu Gast sind auch Nummern von BLACK SABBATH, ZZ TOP und DAVID BOWIE. Am Ende ist klar: PHIL CAMPBELL'S ALL STARR BAND ist eine schöne Sache, ein Tribut des Herzens, welcher jedoch umso schmerzlicher deutlich macht, was verloren gegangen ist. R.I.P. Lemmy!
- Redakteur:
- Oliver Paßgang