Wave-Gotik-Treffen 2010 - Leipzig

14.06.2010 | 23:47

21.05.2010,

Leipzig sieht Schwarz - und POWERMETAL.de mischt die düstere Party auf!

Na, da wäre das Wave-Gotik-Treffen dieses Jahr doch fast ins Wasser gefallen. Doch wie es scheint, hat auch der Wettergott eine ziemlich dunkle Seele. Wie kann man es sich sonst erklären, dass die einzigen schönen Tage, die der Mai für die Messestadt Leipzig bereithält, ausgerechnet auf Pfingsten fallen? Perfekte Voraussetzungen für ein gelungenes Festival, und so pilgern auch dieses Jahr wieder 20.000 Schwarzkittel aus der ganzen Welt zum neunzehnten Wave-Gotik-Treffen, welches mit über 150 Bands im Pfingstboten protzen kann. Mit am Start große Namen wie LACRIMOSA, SAMSAS TRAUM, VELJANOV, SUICIDE COMMANDO, KIEW, MOONSPELL, ALIEN SEX FIEND - alles verteilt über etliche Lokalitäten in ganz Leipzig. Ein Potpourri aus alten Goth-Klassikern, elektronischen EBM-Krachern und feurigen Metal-Spitzen. Na dann auf ins Gefecht! Nachdem sich Leipzig bereits am Donnerstag vor Eröffnungspartys nicht retten konnte, werden die Tore offiziell wie gehabt am Freitag geöffnet.

Freitag, 21. Mai 2010

Die Ehre, das Festival auf dem Agragelände (durch den Campingplatz der Hauptaufenthaltsort der partywütigen Meute) musikalisch einzuläuten, haben heute die norwegischen Energiebolzen von ZEROMANCER. Vor drei Wochen haben sie bereits im Vorprogramm von UNHEILIG hier in der ausverkauften Halle spielen dürfen. So lasset die Spiele beginnen!

Gewohnt energiegeladen lassen die Jungs nichts anbrennen und trumpfen früh mit ihrem größten Erfolg 'Clone Your Lover' auf. Die Menge hüpft wie wild und ist auf Knopfdruck auf Tanzlaune gestellt. Mit ihrem packenden Synth-Rock ziehen die Jungs Hippies, Goth-Rocker, Bräute, Feen, Trunkenbolde und Blue-Jeans-Träger in ihren Bann.

Während Basser Kim mit seinen fast akzentfreien deutschen Einlagen animiert, pellt sich Fronter Alex aus seiner Oberkörperbekleidung und lässt das Röckchen bei einigen Besuchern schon mal höher rutschen.

Mit reißenden Hymnen wie 'Need You Like A Drug', 'Doctor Online' sowie fesselnden musikalischen Frischlingen der Marke 'It Sounds Like Love (But It Looks Like Sex)' oder 'The Hate Alphabet' hotten wir durch eine Odyssee mit neuen und alten Klassikern. Doch der Höhepunkt erfolgt für Fans erst am Ende der Show: 'Houses Of Cards', das ergreifendste Stück ihres Debütalbums wird heute im Duett mit Free Dominguez vorgetragen. Da die Sängerin heute auch zusammen mit CONJURE ONE vor Ort ist, bietet sich die perfekte Gelegenheit, das damals ebenfalls zusammen eingesungene Stück vorzutragen. Ein Stück, das das Herz aus seiner klebrigen Fassung reißt. Das Radar stellt sich auf Vodka-Romantik. Erstklassiger Opener, möge er ein Omen sein.

Auch wenn man sich ständig über die Informationen des Moderators zur nächsten Band aufregen kann - was SAMSAS TRAUM betrifft, hat er zumindest nicht unrecht. Der Fakt, dass Alexander Kaschte letztendlich immer polarisiert hat und die Lästermäuler auch in Zukunft stopfen wird, treibt ihn (zumindest fast) immer wieder zu Höchstleistungen an. Als diese Worte fallen, stehe ich ihnen ja ehrlich gesagt skeptisch gegenüber. Doch nach einer guten Stunde kann Herr Kaschte stolz auf seine Leistungen sein – und die Fans können vor Feierlaune eigentlich gar nicht mehr geradeaus gehen.

Angefangen bei der russischen Nationalhymne (ob das wohl an seiner neuen russischen Freundin liegt?) vernichtet er mit dem Opener 'Der Name im Kristall' von der sagenhaften Scheibe "A.ura und das Schneckenhaus" sämtliche Zornesfalten. Mit grünem Shirt einen deutlichen Kontrast zum Publikum setzend, sprudelt er vor Energie förmlich über. Doch leider bewahrheiten sich die heimlichen Zweifel doch, als auch schon mit dem nächsten Song 'Auf den Spiralnebeln' das "Heilige Herz" ausgepackt wird. Kaschte meets Metal? Funktioniert auch heute nicht! Glücklicherweise verschont uns die Setlist mit weiteren Ausrutschern dieser Art und katapultiert uns mit Klassikern wie 'Für immer', 'Stromausfall im Herzspital', 'Endstation Eden' oder 'Ein Fötus wie du' in eine goldene Hitparade.

Zu meckern hat hier niemand etwas - aber dafür natürlich Herr Kaschte. 'Allein unter Menschen', richtet sich gegen das Selbstbild von Marburger Studentinnen, musikalisch zwar nicht das stärkste Stück, inhaltlich aber bemerkenswert besonders hinsichtlich der Aufzählung der gemeinten Studiengänge.

Um zur nächsten Location zu gelangen (der Nachteil, wenn sich ein Festival über eine ganze Stadt ausdehnt), müssen wir SAMSAS TRAUM leider vorzeitig verlassen. Was bleibt? Ganz großes Kino und die wiederholte Erkenntnis, dass Herr Kaschte auf seine Metalauswüchse - den Fans zuliebe - live einfach verzichten sollte.

Wenn von einem Pluspunkt des diesjährigen WGT berichtet werden soll, dann ist dieser die Einführung der neuen Straßenbahnlinie, die uns ohne lästiges Umsteigen direkt von der Agra zum Kohlrabizirkus bringt. Erste Sahne, liebe LVB!

"Habt ihr uns vermisst? Erst ein paar hübsche Mädels und jetzt ein paar hässliche Männer". Nach den GENITORTURERS begrüßt uns Felix von CREMATORY schwungvoll und legt es mit 'Fly' direkt auf die Höhenflieger an.

Das Volk der Lotentonys hat sich auch dieses Jahr wieder an diesem Ort eingefunden, der schon fast obligatorisch zur Metalstätte geworden ist. Auch wenn das langhaarige Bombenpublikum zahlreich vereint ist, ein Highlight ist dieser Auftritt ehrlich gesagt nun nicht gerade. Felix' aufgesetztes Gegrunze nervt teilweise ziemlich stark, so dass Matthias' Klargesang im Kontrast dazu besonders positiv auffällt. Mehr davon!

So rocken und grunzen sich die Jungs durch ihr aktuelles Album "Infinity" und lassen an der einen und anderen Stelle wohltuenden Platz für Felix' Metunverträglichkeit und die Frage, ob Käpt'n Iglo wohl auch in die Kirche geht.

"Was können wir noch spielen, dass die Leute uns hassen? Alles außer SLAYER" Die Wahl fällt auf DEPECHE MODE und 'Black Celebration', und zumindest bei uns hat das Vorhaben auch vollen Erfolg – ein grauenvolles Cover.

Nach einer guten Stunde räumen die Jungs die Bühne und machen Platz für Liv Kristine bzw. wie Felix sie nennt: "Leaves Eye". Oder wie wir sie nennen: LEAVES EYES [oder wie wir sie nennen: LEAVES' EYES - d. Red.].

Der Bandcocktail aus THEATRE OF TRAGEDY und ATROCITY ist zwar solide, aber musikalische Höchstleistungen werden auch hier nicht geboten. Dominiert von Liv Kristines prägnanter Stimme schwingt einfach zu wenig Entwicklung und Abwechslung im Gesamtbild mit. Dennoch: Das Volk im Kohlrabizirkus lässt sich sauber einheizen und läutet mit dem heutigen Headliner die Geisterstunde ein. Allerdings ohne uns, denn wir sind bereits auf dem Weg zurück in die Agrahalle, um uns vom heutigen Mitternachtsspezial umnebeln zu lassen.

Die eineinhalbstündige Ehre gibt sich dort heute BRENDAN PERRY. Durch seine ruhige und multiethnische Musik mit DEAD CAN DANCE bekannt geworden, liegen die Wurzeln des gebürtigen Londoners interessanterweise im Punk, dessen Spuren allerdings verwischt worden sind. Aber definitiv keine Sache, um die man trauern muss. Nach der Trennung von Partnerin Lisa Gerrard war DEAD CAN DANCE gestorben und im Jahr 1999 BRENDAN PERRY mit dem ersten Soloalbum "Eye Of The Hunter" auferstanden.

Leider schloss sich daran nur ein einziges weiteres Werk, "Ark", an, welches erst in diesem Jahr veröffentlicht wurde. Nun ja, Kunst hat eben nichts mit Massenware zu tun. Perfekte Chill-out-Musik zum Ausklang des ersten WGT-Tages. Wer hier Partymusik erwartet hatte, wird bedient sein, wer David-Lynch-Filme liebt, wird sich wohl gut aufgehoben fühlen. Der Multi-Instrumentalist und Vollblut-Profi schießt uns in selten erreichte Sphären. Die perfekte Vertonung, um eine Hypnose einzuleiten. Musikalisch zweifellos der Höhepunkt des Tages. Daumen hoch.

 

Bericht: Nadine Ahlig

Fotos: Christin Kersten

 

Redakteur:
Enrico Ahlig
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