Wave Gotik Treffen 2000 - Leipzig
28.10.2000 | 10:5609.06.2000,
Notprogramm in Messehalle 2, Sonntag 11.6.2000
Nachdem in der Notpressekonferenz am Mittag die Zahlungsunfähigkeit der Veranstalter des WGT bekanntgegeben worden war, einhergehend mit der Schließung der Bühne am Völkerschlachtdenkmal und ebenso der Parkbühne, war auch das Programmheft „Der Pfingstbote“ weitgehend überflüssig geworden, da nun, bedingt durch die Absagen mehrerer Bands und die Unmöglichkeit, andere wegen fehlender Locations auftreten lassen zu können, das gesamte ursprüngliche Sonntagsprogramm auf den Kopf gestellt war. So konnte man nie wirklich genau vorhersagen, welche Künstler als nächstes in welcher Halle oder Zelt auftreten würden. Glücklicherweise war das Pressebüro so freundlich, an alle diejenigen, die ihre Handynummer im Renaissance Hotel hinterlegt hatten, per SMS die Notprogramme der verschiedenen Locations zu schicken, und so fand ich mich nach reichlichem Hin und Her um etwa 18 Uhr in Messehalle 2 ein. Die Aussicht, doch noch einen geglückten letzten Tag des Festivals zu erleben ( es wurde ja um einen Tag verkürzt), hatte eine große Anzahl von erwartungsvollen Leuten in die Halle getrieben. Und bei der öffentlichen Verkündung des folgenden Programms jubelte das zahlreich anwesende dunkle Volk denn auch begeistert: „Die Untoten“, „Spirit of Silence“, „Scream Silence“, „Tanzwut“, „Das Ich“, „L’Ame Immortelle“, „Garden of Delight“, „Die Schinder“, „Dreadful Shadows“ und „Haggard“ hatten sich bereit erklärt, ohne Anspruch auf Gage für ihre Fans aufzutreten.
Die aus Berlin stammenden „Untoten“ legten dann auch gleich nach kurzem Aufbau los. Ihre sexy aufgestylte Frontfrau Greta Csatlos begeisterte durch ihre aufreizenden Tanzeinlagen und ihre schöne volle Stimme. Während einer kurzen Pause zwischen den Songs munterte sie das Publikum bezüglich der chaotischen Lage des Festivals auf und ermutigte die Anwesenden, sich trotz allem diesen Abend eine gute Zeit zu machen, was von der Menge mit Beifall aufgenommen wurde. Was das Musikspektrum der „Untoten“ angeht, so wurden sowohl schnelle treibenden Stücke als auch Balladen wiedergegeben, teils in deutscher, teils in englischer Sprache. Auf eine große Lightshow wurde dabei verzichtet, eher ließ man alleine die Musik wirken. Und diese kam auch sehr gut an, auch ich denke daran, mir demnächst eines ihrer bisherigen drei Alben „Kiss of Death“, „Nekropolis“ und „Schwarze Messe“ zuzulegen. Leider konnten die lauten „Zugabe“-Rufe am Ende nicht berücksichtigt werden, da das ohnehin schon hektisch geplante Programm sonst noch mehr aus dem Zeitrahmen gefallen wäre, und so verabschiedeten sich die Berliner von der Bühne, nicht ohne, daß Greta noch mit ihrem Camcorder, mit dem sie schon zu Anfang des Auftritts eifrig hantiert hatte, zum Abschluß die Menge filmte (für die lieben Verwandten daheim?).
Nach einer kurzen Umbaupause ging es mit der belgischen Band „Spirit of Silence“ weiter, welche mich jedoch nicht sonderlich vom Hocker gerissen hat. Die Musik plätscherte so vor sich hin und der Frontmann glaubte wohl, er müsse einen auf cool machen mit seiner Sonnenbrille a la Bono, außerdem paßte diese Gruppe irgendwie überhaupt nicht zum Ambiente. Nicht nur ich schien dieser Meinung zu sein, denn „Zugabe“-Rufe blieben diesmal gänzlich aus, und das war auch gut so.
Die nachfolgende Formation „Scream Silence“ machte ihre Sache da schon wesentlich besser. Die dunkle Stimme des charismatischen Sängers, der es schaffte, nach nur wenigen Minuten die Box vor sich in ihre Bestandteile zu zerlegen (tja, man sollte sich auch nicht unbedingt da draufstellen...), erinnerte zuweilen sehr an die „Dreadful Shadows“. Mit ihren melodischen und kraftvollen Songs hatten sie schnell die Sympathien des Publikums auf ihrer Seite, zudem war die Ein-Mann-Show des Schlagzeugers, welcher hinter seinen Drums Grimassen zog und unnötig wild mit seinen Sticks herumfuchtelte, sehr amüsant. Neben eigenen Stücken, von denen eines so brandneu war, daß es noch keinen Namen besaß (Ideen dafür können der Band zugeschickt werden!) gaben sie auch eine Coverversion des „Wolfsheim“-Klassikers „Sparrows and the Nightingales“ wieder. Mit „To Die For“, einem Song ihres aktuellen Albums, verabschiedeten sich „Scream Silence“ nach etwa einer halben Stunde auch schon wieder, auch diesmal konnten leider keine Zugaben gegeben werden, schade.
Die Ankündigung von „Tanzwut“ ließ die Halle brodeln. Nach einer weiteren etwas längeren Umbaupause stürmte die berliner Kombo auf die Bühne und ließ es auch gleich so richtig krachen. In phantasievollen Kostümen, wie etwa Metzgerschürzen mit Metallapplikationen, SM-anmutenden Lederoutfits oder natürlich dem „teuflischen“ Dress des Frontmannes, wurden Dudelsäcke, mittelalterliche Blasinstrumente, Gitarre und Schlagzeug berserkermäßig bearbeitet. Die Musik, die an eine Mischung aus In Extremo, Rammstein und Umbra Et Imago erinnert, kam bei den „Tanzwütigen“ in der Halle sehr gut an, vor der Bühne wurde gehüpft und getanzt, was die Beine hergaben. Dies führte natürlich auch zu einem enormen Temperaturanstieg in der Halle, durch herumgereichte Wasserbehälter wurde versucht, den Fans etwas Linderung zu verschaffen. Ab und zu hatte man auch mal das Glück, von einem Wasserstrahl aus dem vorderen Bühnenbereich getroffen zu werden, herrlich erfrischend. Während ihres etwa 45minütigen Auftritts verbreiteten „Tanzwut“ Partystimmung pur, und auch hier ließ man es sich nicht nehmen, das Publikum aufzumuntern; ihr Song „Lug und Trug“ wurde denn auch spontan dem Veranstaltungsteam gewidmet.
Als nächstes folgte meiner Ansicht nach das Highlight des Abends: Schon beim Aufbau der schwenkbaren Metallflügel für die Keyboards und dem abstrakten Mikroständer war klar, wer jetzt gleich kommen würde: „Das Ich“! Während Bruno Kramm und Daniel Galda schon Stellung hinter ihren Tasteninstrumenten bezogen, ließ Stefan Ackermann noch ein Weilchen auf sich warten, sein Make-Up nahm wohl doch etwas mehr Zeit in Anspruch als erwartet. Als er dann aber endlich in seinem gewohnten Outfit (schwarz-weiß-geschminkter Oberkörper) auf der Bühne auftauchte, ging ein begeisterter Aufschrei durch die Menge. Stefans einmalige Performance während Stücken wie „Kain & Abel“ oder „Destillat“ riß alle mit: Er fegte wie ein Derwisch über die Bretter, rollte wild mit den Augen, verrenkte seinen drahtigen Körper, posierte grimassenschneidend am Bühnenrand für die Fotografen oder simulierte bei „Destillat“ eindeutige Fixerhandgriffe. Auch an die Kommunikation mit dem Publikum wurde gedacht, erneut wurden die Fans aufgefordert, sich nicht den Abend vermiesen zu lassen. Als sie sich nach ihrem großartigen Auftritt anschickten, zu gehen, ging ein Raunen durch die Halle: Sollten „Das Ich“ etwa die Bühne verlassen, ohne vorher ihren größten Hit „Gottes Tod“ zum Besten gegeben zu haben? Natürlich nicht. Nachdem das Publikum eingehend von Bruno und Stefan befragt wurde, welchen Song es denn gerne noch zum Finale hören würde, bezog letzterer Position an seinem mannshohen Mikroständer und intonierte, „gekreuzigt“ an jenen, das gewünschte Stück. Zum endgültigen Abschied wurde nochmals das Wort an die Fans gerichtet, Zitat: „Heute haben wir ohne Gage gespielt, und es war die geilste Show, die wir je gemacht haben!“
Schwer vorstellbar, daß dieser Auftritt von „Das Ich“ noch getoppt werden könnte, „L’Ame Immortelle“ hatten da wirklich keine leichte Aufgabe zu bewältigen. Jedoch schafften die Österreicher es trotzdem nach kurzer Zeit, mit ihren mitreißenden Elektro-Beats und der super Stimme von Sängerin Sonja, die Leute zu begeistern. Neben hauptsächlich Material aus ihrem aktuellen Album „Wenn der letzte Schatten fällt“, z.B. dem gleichnamigen Song „Wenn der letzte Schatten fällt“, „Heart of Europe“ oder „Changes“, bewies die in Silber gewandete Sonja vor allem beim L’Ame-Immortelle-Klassiker „Life Will Never Be The Same Again“ ihre gesanglichen Qualitäten. Mit „Bitterkeit“ beschloß man den Auftritt, begleitet vom Applaus und „Zugabe“-Rufen der Fans. Meine Hoffnung, daß die Ballade „Another Day“ noch gespielt werden würde, erfüllte sich leider nicht.
Den weiteren Bands des Abends „Die Schinder“ und „Dreadful Shadows“ wohnte ich nicht mehr bei, die tropischen Zustände in der Halle und das lange Stehen forderten ihren Tribut. „Garden of Delight“ und „Haggard“ hatten im Verlaufe des Abends ihre Auftritte leider absagen müssen, da man sie zeitlich nicht mehr ins Programm aufnehmen konnte, bedingt durch den Umstand, daß die PA-Anlage bis zu einem bestimmten Zeitpunkt abgebaut sein mußte. „Haggard“ erwiesen ihren Fans sogar noch eine persönlich Geste, indem sie auf die Bühne kamen, um sich für ihr Fernbleiben zu entschuldigen. Eine doppelte bittere Pille für ihre Anhänger, da die anberaumte Tour ebenfalls ausfallen muß... .
Trotz aller Pannen des Tages ist es wirklich erstaunlich, was man mit Hilfe der Künstler und freiwilligen Helfer, rekrutiert aus den Besuchern des WGT, an diesem Sonntag noch erreicht hat. Allen, die dazu beigetragen haben, daß dieser letzte Tag des Festivals doch noch ein Ereignisse der Sonderklasse wurde, gebührt großer Dank und Anerkennung; ein solch vorbildliches und freundschaftliches Verhalten ist wahrlich nicht auf jeder Großveranstaltung Gang und Gebe... .
- Redakteur:
- Kathy Schütte