Winternoise Festival - Osnabrück

15.03.2009 | 11:34

24.01.2009, N8

Das kann doch nicht wahr sein! Schon wieder stehlen die finnischen Herzblutstromkrieger TURISAS der Konkurrenz einfach so die Show. Als ob das eine Mal beim Tomahawk vergangenen Jahres nicht schon genug gewesen wäre. Der Rest der auftretenden Mannschaft beim Winternoise 2009 verblasste leider angesichts dieser einzigartigen Pompparade.

Anfangs als mehr als viel versprechend interpretierte Veranstaltung für den paganistischen Suchtkranken entpuppt sich das Winternoise Festival in der Reminiszenz als mittelprächtiges Event mit einigen seltenen und im Grunde genommen berechenbaren Höhepunkten. Nichtsdestotrotz wurde feierlich feucht-fröhlich gebechert, Kopf geschüttelt und den eskapistischen, eine Wirklichkeit der Vergangenheit oder Fantasie symbolisierenden Acts gelauscht, die uns teils Besorgnis erregend langweilig und gewollt stimmungsvoll, teils leidenschaftlich-theatralisch ihr Programm darboten.

Draußen ist es noch kalt zu dieser Jahreszeit, und deshalb geziemt es sich mehr recht als schlecht, zumindest mit dem Ziele der körperlichen Erwärmung sich ein paar Schlücke eisgekühlten Feuerwassers durch die Gurgel zu schleudern. Die journalistische Beobachtungsgabe soll diese Maßnahme nicht schmälern, nein, bei meiner Person sorgt sie primär dafür, das stickige Hallenklima und die potenziellen Ärgerlichkeiten strikt zu ignorieren, auf dass dem eigentlichen Geschehen auf der Bühne uneingeschränkt gefolgt wird. Mein Diktiergerät ist geladen und gesichert, und ich bin bereit, selbiges mit irrsinnigen Kommentaren zu bombardieren.

An dieser Stelle könnte eine akkurat chronologische, in etwa paritätische Dokumentation des mir Dargebotenen folgen, doch halte ich es bei einer Veranstaltung, die durchaus Enttäuschungen, Eintönigkeiten und Einförmigkeiten beinhaltete, für sinnvoller, lediglich jene Musizierenden näher zu beleuchten, welche Publikum und Presse gleichermaßen begeistern konnten (was nicht heißen soll, dass Randfiguren außen vor gelassen werden oder bloß die Truppen belobhudelt werden, die dem persönlichen Geschmack des Rezensenten entsprechen; es gebührt denen Ehre, die sich um diese verdient machen – ganz einfaches Prinzip).

Die Atmosphäre zu Beginn des Winternoise ist zumindest äußerst entspannt, gemütlich und versprüht den typischen N8-Charme; nur, dass in punkto Raumverteilung sich das ein oder andere getan hat. Die einst noch rechts vor der Bühne befindliche Theke wurde abgerissen. Positiv! Mehr Raum, eine weniger brownsche Molekularbewegung und mehr Blick auf die Bühne von verschiedenen Blickwinkeln. Genau das richtige für einen photographisch umherstolzierenden Tausendsassa wie mich, der darauf erpicht ist, sich die einzelnen Bands aus jeder denkbaren Ecke anzutun. Das hat nicht nur Vorteile bezüglich der Bewertung der verschiedenen Qualitäten der Bühnenmusiker, sondern auch Auswirkungen auf die Beurteilung des Gesamtsounds, wie dieser sich durch die letzten Windungen der Halle zieht und wie gut er tatsächlich jede Fanansammlung letzten Endes beschallt.

Aber genug der einleitenden Worte! Kommen wir zum eigentlichen Geschehen. Als erstes möchte ich polarisieren, eine Dichotomie zwischen Gewinnern und Verlieren vollziehen. Okay, Dualismus ist nicht gerade das Gelbe vom Ei, aber zur Orientierung reicht er zumindest aus. Die Verlierer der ersten Hälfte des Abends heißen auf jeden Fall: STINA OG STORA, MIDNATTSOL und WAYLANDER. Erstere kann man mit ein paar kurzen Worten schnell abhandeln: jugendlich, unerfahren und nicht wild genug. Okay, die Leutchen sind noch echt knabenhaft, und gerade deswegen schien jede Mühe Sisyphosarbeit oder vergebene Liebesmüh. Leider reicht die pubertäre Geschäftigkeit nicht aus, um ausreichend punkten zu können. Der Refrain des Songs 'Ragnarök' (klischeehafter geht's wirklich nicht, oder?) bleibt im Ohr hängen, jedoch mehr klebrig und schleimverseucht denn genießbar. So wie der Ohrwurm eines aufdringlichen Popsongs, der sich aufgrund seiner Eingängigkeit in das Endlosschleifensystems unseres Langzeitgedächtnisses verirrt. Schade, dass man für dergleichen keinen Papierkorb auf seiner mentalen Festplatte hat. Aber gut – im Vergleich zu MIDNATTSOL traue ich der Band doch für zukünftige Ambitionen und Expansionsgelüste durchaus mehr zu. Denn MIDNATTSOL, ja, MIDNATTSOL sind heute einfach nur atemberaubend zeitraubend. Dem Gitarristen wird von der werten Frau Sängerin Unmetallisch alles Gute zum Geburtstag gewünscht. Und ja, blabla, genauso gut hätte man auch seiner Großmutter gratulieren können oder dem Fürsten zu Lippe. Bedeutungsloser und langweiliger geht's kaum noch. Sorry. Die symphonisch durchzogene, sehr opernhaft vorgetragene Mucke weiß schon mit handwerklichem Können, gezielten Intonierungen und durchdachten Arrangements aufzuwarten, aber für eine energetische, mitreißende Live-Show reicht das noch lange nicht. Schade.

HEIDEVOLK! Endlich der erste Stimmungsmacher des Spektakels! Die Tierfellkluft riecht man zwar bis ganz hinten und selbst auf den "naturell belassenen" Toiletten, aber das tut der Durchschlagskraft der Performance schlussendlich keinen Abbruch. Mit äußerst tanzbaren, sehr illustren und eingängigen, wirklich folkloristischen Melodien gespielt auf altbackenen Instrumenten wissen die Niederländer zu hypnotisieren und die allseits bekannte innere Seelenbewegung aufzupeitschen, ja, ihr einen feurigen Tritt zu verpassen. Das Sängerduo wird seiner Rolle als kommunikativer Drahtzieher voll gerecht, und sein schalkhafter, juxvoller Spaß steckt das Publikum ohne Einschränkungen an. Wirklich astrein. Selbst Matthias und Jussi von TURISAS geben sich am Rande des Mischpultes die Ehre, mal einen Blick auf die "Mitfamilienschaft" zu werfen. Die Nüchternheit hält die beiden anscheinend davon ab, einen draufzumachen, was jedoch nicht weiter schlimm ist, da sie sich ansonsten aller Wahrscheinlichkeit nach selbst einen Strich durch die Rechnung ihres Auftritts machen würden. HEIDEVOLK, ein Volk heidnischer Freude und Vorfreude. Punkt.

Oh nein. Nächster Verlierer: WAYLANDER. Einmal sehen und schnell wieder vergessen. Eine Trendband auf den Wellen der Pagan-Kultflut. Sie spielen gelangweilt, routiniert und rein auf Professionalität bedacht. Das ist nicht Heavy Metal! Einfach schnell wieder vergessen. Die ewige Wiederholung des ewig Gleichen.

MAEL MORDHA hauen etwa in die gleiche Kerbe wie HEIDEVOLK, wenngleich das irisch durchzogene Gedudel nicht ganz an die emotionale Wirkungsmächtigkeit und bewusst inszenierte Selbstbeherrschung ihrer Landskollegen PRIMORDIAL heranreicht. Reaktionen von Seiten der Fanschaft sind ähnlich euphorisch und kräftig wie schon bei HEIDEVOLK, doch vermag die Band mich nicht ganz zu überzeugen. Das Publikum scheint da – wie gesagt – anderer Meinung zu sein, und bei dieser Abschlussbemerkung will ich die Kommentierung auch belassen.

Nasdrovje! Ich bekomme Lust, meinem Körper Wodka zuzuführen. Wie eine russische Revolutionärin, gänzlich unkommunistisch und revisionistisch tanzt die Angela Gossow des fernen Ostens in ihrem barbarischen Pelzmantel über die Bretter des N8. Ja, zeig den Marxisten, dass Konsum doch gut tut! Denn ohne den Konsum wären die Mütterchen-Russland-Paganisten ARKONA sicherlich zu Hause in der Kälte geblieben. Gut, dass der rote Ostblock vernichtet und der Metal von der Globalisierung profitierten kann. Kaum besser wird dies deutlich bei dieser Band. Die ersten wirklichen, wirklichen Gewinner. Klatschen, Frühlingsgefühle empfinden und Regentänze vollführen, toben und abspacken. Und immer so weiter. Genau auf so etwas habe ich gewartet.

THYRFING. Leider nicht mein Fall. Zu wenig Speed, zu wenig Groove und zu wenig Melodie. Für mehr extrem-metallisch Orientierte sicherlich einen Lauschangriff wert, für mich bedauerlicherweise nicht. Und leider Gottes fällt mir auch hier nichts Herausstehendes auf, was mein originär gefälltes Urteil wieder revidieren könnte. Solides Fisting, mehr nicht. Und wo ist das Stageacting?

Nun, sind wir auch schon beim eigentlichen Headliner angelangt. TURISAS, TURISAS, TURISAS! TURISAS sind immer geiler Shit, geilster Shit! Es ist kaum zu glauben, wie mitreißend, Freude und Wohlsein spendend und leidenschaftlich eine Band aus dem "militärischen Folk-Sektor" sein kann. Selbst FINNTROLL, KORPIKLAANI oder EQUILIBRIUM verblassen völlig im Vergleich zu diesem Spaßgiganten. Und mal im Ernst: Jeder neigt gerne in der Erinnerung und mentalen Rückbesinnung zu übertreiben, aber egal wie oft ich mir diese Band schon angesehen habe, kein einziges Mal wurde oder war sie langweilig. Jedes Mal hatte man so einen total feisten Nachdurst, sich die Prozedur gleich einem Schleudertrauma noch mal zu geben. Und was passiert heute? Nichts anderes. Songs wie 'Holmgard And Beyond' oder die Hitsingles 'Battle Metal' und 'Rasputin' sind einfach geboren für tiefseelische, hyperausgelassene Feierstimmung. Vergesst den Ballermann! Konsumiert TURISAS. Und als ob die episch dichte Qualität, konzentriert arrangierte Eingängigkeit und tanzbare Rhythmuskraft nicht schon genug für ein tolles Konzert wären, nein, die mit Kriegsbemalung und altbackener Folkkluft versehenen, bis in die letzten Reihen zu erriechenden Tierfellfinnen tanzen Arm in Arm um die eigene Achse bei 'In The Court Of Jarisleif'. Wie geil! Sympathische Ansagen, potentes Powerplay und eine tolle Songauswahl wie -reihenfolge perfektionieren das Erlebnis und hinterlassen vorgestellte und fatamorganahafte Staubwölkchen wie nach einer gigantischen Fußvolkschlacht.

Schaffen es MOONSORROW, da mitzuhalten? Leider nicht. Trotz des sehr individualistischen und exzentrisch gestrickten musikalischen Ausgangspunktes bleibt die Band über weite Teile des Sets auf der Strecke – nicht zuletzt wegen der fehlenden Ansagen und der eher für Heimkopfkino konzipierten Stücke in Überlänge. Nach dem Opener setze ich mich weiter nach hinten und schlürfe gemütlich mein Bierchen. Von hinten bleibt die Show weiter das, als was sie schon von vornherein anscheinend geplant war: vielleicht etwas für den eingefleischten Fan, nichts für die heidnische Freudentaumelolympiade.

Und so möchte man auch die Zeituhr im Kopf zurückstellen und träumerisch beim Abschluss von TURISAS verbleiben, nicht nur um der Band willen, sondern auch, um die Lücken füllenden Langweiler-Acts schnell zu vergessen. Auf ins Wikingerboot – besoffen mit TURISAS. Da ist es auch egal, ob man auf einer einsamen Insel strandet.

Redakteur:
Markus Sievers

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