With Full Force 2012 - Roitzschjora

05.08.2012 | 11:47

29.06.2012,

Deutschlands härtester Festival-Acker entpuppt sich diesmal als wirklich hart: Nicht nur musikalisch, sondern mit Sturm, Hagel und Blitzeinschlag.

Sonntag

Nach der denkwürdigen Samstagnacht gleicht unser Lieblingsacker am darauf folgenden Sonntagmorgen eher einem Schlachtfeld. Die Crew ist kurz vor 13 Uhr noch beschäftigt, die Reste zu beseitigen, während der aufmerksame Beobachter bemerkt, dass das Red Bull Zelt rechts vor der Bühne bereits ein paar Stunden vorher beseitigt wurde. Da sich fünf Minuten vor Auftrittsbeginn von GUNS OF MOROPOLIS nur ein einziger kleiner Mensch vor der Bühne befindet, erwacht das Gefühl, dass die Besucher nach vergangener Nacht einfach aufgegeben haben. Doch wie würden ELSTERGLANZ nun sagen: "Hast du ne Macke oder was?!" Pünktlich zur ersten Note rückt das Volk an, um sich von dem Trio die Sorgen um kaputte Zelte und Co. wegrocken zu lassen. Fronter Paul: "Ich frag lieber nicht wie eure Nacht war. Unsere war genauso scheiße." Also nicht quatschen, sondern rocken zu den sehr wohl an Elvis und Volbeat erinnernden, jedoch nicht abgekupfert wirkenden Glanzstücket der Marke 'In Dynamite We Trust' oder 'Robert the Hero'. Einen Vorgeschmack auf das neue Album im Herbst gibt es mit 'Under the Sun'. Doch der Tanzpalast findet seinen Höhepunkt bei 'Mc Boogie', bei dessen Text sogar Paul lachen muss. Fein gemacht!

[Nadine Ahlig]

Vorgestern LAMB OF GOD, gestern das Wetter und heute trifft es GOJIRA. So hält jeder der drei Tage dieses Jahr seine ganz eigene Überraschung für sich bereit. Aus gesundheitlichen Gründen mussten die Franzosen ihren Gig für heute leider absagen, was zu einigen langen Gesichtern führt. Doch Grund zur Freude für NEAERA, die als Ersatz einspringen dürfen und massig Frühstücks-Crowdsurfer aufkommen lassen. Da springt doch die Wurst vom Brot! Mit einer riesigen Wall of Death und einem Circle Pit ums FOH lassen die Melodic-Death Metaller aus Münster eine körperliche Aktivität aufkommen, wie sie eine Band um 13.45 Uhr nur selten schafft. Fronter Benny Hilleke ist fassungslos und äußert seinen absoluten Respekt vor den Leuten, die nach der "nächtlichen Scheiße" immer noch hier sind. Hut ab für Band und Publikum!

[Nadine Ahlig]

Eine Band, die wie eine Mischung aus BLACK SABBATH, ALICE IN CHAINS und COC klingt, gibt’s dieses Jahr auch auf dem Full Force. Ob der Großteil der jungen Death-Breakdown-Core-Anhänger eigentlich weiß, wer hier auf der Bühne steht, bezweifle ich mal. PANTERA, BLACK SABBATH, PISSING RAZORS, WASP, die Liste der ehemaligen Bands dieser vier Musiker ist noch weiter fortsetzbar. Wenn man das Allstar-Team des Groove Rocks wählt, kommt KILL DEVIL HILL raus. Das klingt jetzt alles verdammt toll und verspricht einen rockigen Metalgig mit Hitpotenzial, ist allerdings auch recht unspektakulär. Mal schneller mit 'Vodoo Doll', mal langsamer á la 'Hangman' rocken KILL DEVIL HILL die Songs vom Debütalbum herunter. Zwar verleiht insbesondere die wirklich gut passende Stimme von Sänger Dewey Bragg den Songs eine eigenständige Note. Doch auch wenn der Schlusspart vom Rausschmeißer 'Revenge' nochmal ordentlich scheppert und ein bisschen PANTERA-Feeling aufkommen lässt, bleibt die ganz große Begeisterung heute leider aus.

[Oibert Ginnersen]

Metalcore ist schon verdammt geil, zumindest wenn man UNEARTH als solchen beschreibt. Die Band aus Massachusetts besticht auf Platte durch Inspiration und Eigenständigkeit. Und live ist das Ganze, auch heute wieder, einfach nur brutal. Breakdowns, Thrashriffs und Gitarrensoli in bester Göteborger Manier vermischen sich zu einem Energie-Cocktail, der selbst den schlimmsten Kater endgültig vertreibt. [Wieder mal zu tief ins Glas geguckt? - augenzwinkernd, Carsten] Wo inzwischen viel zu oft nur noch eine Aneinanderreihung von möglichst uneinprägsamen Frickeleien mit extremer Verzerrung ausreicht, schaffen es UNEARTH, wirklich geile Metalsongs wie 'My Will Be Done' oder 'Endless' auch live eindrucksvoll umzusetzen. Also am besten gleich nochmal 'Watch It Burn' nachgelegt und ab in den Pit.

[Oibert Ginnersen]

Sucht man in Amerika nach einer Antwort auf das Deutschrock-Urgestein BÖHSE ONKELZ, dann wird man um PRO-PAIN nicht herum kommen, die Streetcore-Haudegen mörsern schon seit vielen Jahren durch harte Szene und sind auch gute Freunde von Weidner und Co. Das äußert sich ab und zu auch darin, dass sie live den Onkelz-Klassiker 'Terpentin' zum Besten geben, worauf heute allerdings verzichtet wird. Dafür gibt es ein HATEBREED-Cover von 'Destroy Everything' zu hören beziehungsweise etwas, das so klingt wie HATEBREED, weiter hinten fällt es nämlich schwer, die rauen Auf-Die-Fresse-Hymnen der Amerikaner zu zuordnen, während weiter vorne eine aufgepeitschte Menge den New Yorkern aus der Hand frisst. Und das obwohl sie im direkten Vergleich mit ihren Weggefährten MADBALL doch etwas statisch wirken. Trotzdem schaffen sie es, eine sehr intensive Stimmung zu erzeugen. Die Hardcorler feiern ihre Helden vorne ab und die Reihen sind auch weiter hinten dicht geschlossen. Es ist ein sehr solider Auftritt, aber es ist auch nicht so, als ob die Männer von der Ostküste den Gig ihres Lebens abziehen würden. Hier ist viel Routine mit an Board, was aber nicht zwangsläufig etwas Schlechtes sein muss. Zumindest merkt man, dass es sich bei PRO-PAIN um Profis und Meister ihres Faches handeln, die völlig zu Recht positive Reaktionen ernten.

[Adrian Wagner]

Hit an Hit gibt es von den ungestümen Jungs von TRIVIUM. Wie gewohnt gibt es mit 'In Waves' einen Ohrwurm auf die Trommelfelle geknallt, den man den ganzen Tag über nur noch schwer los bekommt. Der Sound lässt zwar heute einiges zu wünschen übrig, doch davon lässt man sich nicht die Laune vermiesen. Mit Ziegenmaske auf dem Kopf geht es ab in den Pit. Schuhe und Handbälle fliegen durch die Luft – die Kids rasten völlig aus. Fronter Matthew Heafy genießt dies sichtlich und stachelt die Menge mit Hüpfanimationen an. Nachdem die Sonne mittlerweile Erbarmen mit uns hat und nicht bei jeder Bewegung der Schweiß in Strömen fließt, reißt man sich bei 'Down From The Sky' Arme und Beine aus. Wuchtige Riffs und Festivalhymnen vom Feinsten. Während sich nackte Männerarsche auf dem Boden wälzen, suhlt sich Matthew samt Gefolge im Freudenrausch des With Full Force. Immer wieder ein Knüller!

[Nadine Ahlig]

Als eine der wohl kuriosest platzierten Bands des With Full Force stellen sich die BROILERS herraus. Auf dem sonst mit hauptsächlich Hardcore, Metalcore und Variationen derselben gefülltem Festival, sticht der punkige Stil der Düsseldorfer aus dem Line Up heraus wie ein bunter Hund. Daran stört sich aber hier kaum jemand, denn die Band wird nicht nur mit offenen Armen empfangen, sondern auch von der Menge gefeiert und bejubelt. Durch punkige Riffs mit Rockabilly-Einflüssen und der gelegentlich aus dem Hintergrund erscheinenden Ska-Unterstützung, stellen BROILERS eine eindeutige Abwechslung in der Beschallung dar, die von vielen wohlwollend aufgenommen wird. Statt kreisendem Moshpit steht hier ein Pulk aus hüpfenden Gestalten die zur fröhlichen Musik das Tanzbein schwingen, während auf der Bühne streng genommen das gleiche geschieht und sich die Bierstände langsam mit genervten Metalheads füllen. Dem doch gut gefüllten Publikumsbereich vor der Bühne ist allerdings zu entnehmen, dass sich am Stilbruch mit der Musik nicht alle stören und eine Band mit Punkallüren auch auf einem Hardcore Festival gern gesehen sein kann. Trotzdem hinterlassen die Musiker mit ihren teilweise zu ruhigen Liedern und emotionsüberladenen Texten bei vielen hartgesottenen Musikliebhabern kaum mehr als ein müdes Gähnen, die Fans allerdings feiern eben jene als Abwechslung in dem Musikspektrum. Und der Rest bleibt einfach unentschlossen.

[Johannes Lietz]

Wie eine glühende Dampfwalze rollen nun CHILDREN OF BODOM an und machen alles platt, was ihnen im Wege steht. From now on we are enemies you and I – mit 'Warheart' wird sofort die Haut vom Schädel gezogen und samt Haupthaar in den Himmel befördert. Episch rückt sich Alexi vor der fahrbaren-Untersatz-Deko ins rechte Licht. Mit 'Hate Me' wird sofort ein weiterer Klassiker aus der Hit-Kiste gezaubert und der Metalknüppel ausgefahren. Doch wie erklärt man sich eigentlich, dass der Platz vor der Bühne so überschaubar ist. Entweder grüßt der Sonnenbrand oder die Vermutung, dass der heutige With Full Force Besucher neben dem Hard Core Billing mit Größen des Melodic Death Metal nicht mehr viel anfangen kann. Mit 'Silent Night Bodom Night' rappelt es erneut feierhaft in der Kiste. [Nur das Musclecar auf der Bühne hätte sie weglassen können. Und dann auch noch in der Mitte - da gehört das Schlagzeug hin! - grummelnd, Carsten] Das Bier perlt, der Kopf schwingt, die Finger wackeln auf der imaginären Klampfe mit. Tastenmann Janne "Warman" scheint schon von der Grill-Lust gepackt zu sein und spielt mit feuerfesten Handschuhen. Feuer frei für einen hochwertigen Auftritt. Sunday Night Bodom Night!

[Nadine Ahlig]

Kurz vor 21 Uhr starren alle gebannt gen Himmel: Schon wieder nähert sich eine fette, dunkle Wolke. Doch zum Glück zieht sie über Roitzschjora hinweg, ohne ihre Last abzuwerfen. Und somit können wir ungehindert zur Regel kommen, dass definitiv entweder SLAYER, MOTÖRHEAD oder SOULFLY auf einem Full Force spielen müssen. So auch bei der 19. Auflage, und so dürfen diesmal die Latino-Thrasher um Mastermind Max Cavalera ran. Früher als eigentlich geplant – denn ohne deutsche Beteiligung am EM-Finale gibt es auch keinen Anlass, der Metal-Schar im großen Kollektiv eine Verschnaufpause vor der Video-Leinwand zu gönnen. Und so werden kurzerhand alle Bands des Abend vorgezogen. Wer's noch nicht mitbekommen hat, wird gleich mit dem Todesbleiartigen Opener 'World Scum' wachgerüttelt. "Open the fucking pit!" brüllt der Meister der Filzlocken, und die Menge gehorcht. Etwas moppelig isser geworden, der wie immer Armeekleidung und mehr Armbändchen als Wolle Petry tragende Brasilianer. Seinem Charisma tut das keinen Abbruch, wenn er die Fans zum Mitgrölen auffordert oder sein Mikro für Gitarrensoli missbraucht. Die Crowdsurfer veranstalten derweil einen wahren Marathon, überholen sich immer wieder gegenseitig und klatschen die erste Reihe ab. Nach der obligatorischen Drumsolo-Tribal-Percussion-Einlage packt das Quartett den heftigen SEPULTURA-Klassiker 'Arise' aus. Kein Wunder, hat man mit Basser Tony Campos nun einen weiteren Grunzbären der alten Schule an Bord. 'Rise Of The Fallen' dürfen dann auch noch Max' Sohn Igor und DEVIL-DRIVER-Fronter Dez Fafara mitträllern. Eine kurze Pause nach einem weiteren, unverzichtbaren SEPULTURA-Hit (natürlich 'Roots Bloody Roots') – dann kehrt Senhor Cavalera im Deutschland-Trikot zurück auf die Bühne. Ein letztes "Jump da fuck up!", ein letztes "olé, olé, Soulfly!", dann ist Schluss auf der Hauptbühne. Der Force-Klassiker schlechthin.

Setlist: Resistance (Intro), World Scum, Blood Fire War Hate, Refuse / Resist, Frontlines, Prophecy, Back to the Primitive, Seek 'N' Strike, Intervention, Arise / Dead Embryonic Cells, Tribe, Rise Of The Fallen, Revengeance, Roots Bloody Roots, Jumpdafuckup / Eye For An Eye (Zugabe)

[Carsten Praeg]

Den Anfang vom Ende beim Last Supper bilden die finnischen Spaßbomber von ELÄKELÄISET. Geboten wird landestypischer Humppa, welcher in Cover Songs mündet, die irgendwie fast alle auch Humppa im Titel tragen. Wie bei Mutters Kaffeekranz wird geblödelt, gelacht und Schmarrn gemacht, dabei viel über den Präsidenten geredet und geflucht (Vittu!). Unangefochtenes Highlight bleibt jedoch der spontane Auftritt von CHILDREN OF BODOM Gitarrist Roope, der gemeinsam mit dem Quintett den Nackenschlachter 'Hate Me!' vertont. Circle Pits brechen aus, Ellenbogen knacken. Das Partytent wird zum tanzenden Spaßpalast. Luftmatratzen fliegen und Suffleichen liegen – da schaut sogar Rumpelstilzchen um's Eck. Doch während all dies im Publikum geschieht, sind die Mannen von ELÄKELÄISET auf hohen Flügen, so dass das Keyboard eben auch mal mit Füßen, Armen, Beinen, Rücken und schließlich mit gänzlichem Körpereinsatz bearbeitet wird. Die letzten Überlebenden haben ihren Spaß und so soll es sein!

[Nadine Ahlig]

Verwunderlich, dass es vor der Zeltbühne schon vor Mitternacht vergleichsweise leer ist. Zwar wird mancher immer noch davon geschwommene Zeltteile suchen, während andere bereits mit ihren letzten Habseligkeiten die Heimreise angetreten haben. Aber immerhin steht doch jetzt die norwegische Viking-Legende EINHERJER auf der Bühne. Und das inzwischen ziemlich bodenständig, mit Jeans und T-Shirt statt Düster-Tünche und Kettenhemden. Front-Glatze Frode Glesnes alias Grimar lässt Klassiker wie 'Crimson Rain' oder 'Ironbound' einfach für sich sprechen, während Sidekick Aksel Herløe bei seinen "oh yeah"-Anfeuerungsrufen sein Micro bis zum Knirschen strapziert. Und man sieht den Jungs an, dass sie bei ihren Gitarrenduellen einfach Spaß haben. Heidenmetall meets Rock 'n' Roll. "Erm, we have something for you", meint Frode ganz beiläufig, ehe der Nordvierer Merchandise ins Publikum schmeißt. "It's christmas-time!" Prompt sind die bis dahin etwas müden Fans wieder hellwach und schmettern gemeinsam 'Far Far North' mit. Hoch die Methörner!

Zur letzten Band motivieren alle nochmal die letzten verbliebenen Kräfte: FLESHGOD APOCALYPSE laden zur finalen Dröhnung und servieren einen orchestralen Knüppeldessert. Fünf Italiener in zerfetzten Opernfracks, mit Klavier, untermalt von Streicher-Samples und ziemlich Geblaste. Blutrotes Bühnenlicht, weiß-schwarze Tünche und jede Menge Teufelshörnchen. Ein ordentlicher Abgang für's diesjährige With Full Force, dem zugleich – vor allem ungewollt – heftigesten aller Zeiten. Anschließend wird mit den Kollegen noch auf's eigene Überleben angestoßen, hoffentlich sind alle Force-Gänger noch einigermaßen wohlbehalten nach Hause gekommen!

[Carsten Praeg]

Redakteur:
Carsten Praeg

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