With Full Force 2012 - Roitzschjora

05.08.2012 | 11:47

29.06.2012,

Deutschlands härtester Festival-Acker entpuppt sich diesmal als wirklich hart: Nicht nur musikalisch, sondern mit Sturm, Hagel und Blitzeinschlag.

Samstag

Zu früh aufgewacht? Die Sonne nervt jetzt schon? Ach, fickt euch doch – wenn es um ELSTERGLANZ geht, hat keiner mehr was zu meckern. Die Brummer Gilbert Rödiger und Sven Wittek aus Eisleben haben mittlerweile Kultstatus erreicht – allerdings nur in den geographischen Regionen, in denen ihr eigensinniger Dialekt auch verstanden wird. Zur Begrüßung kippen die beiden erst mal ein schönes Sterni auf Ex weg und werfen mit 'Waldemar der Brombeerblueser' sofort eines ihrer stärksten Stücke ins Feuer. Es wird überlegt, den Basser rauszuwerfen, die Putzmänner schrubben die Bühne, als der Mann mit der eisernen Maske selbige nach seinem kurzen Besuch wieder verlässt, auf Steffi Grafs Leserbrief wird Bezug genommen, kurz bevor sich Ed und Bubu an der Stange duellieren. Musikalisches Highlight ist dabei wie immer 'Kaputtschlahn'. "Einen können wir noch spielen, dann haben wir die ganze Gage verknallt." Bei 'Fantomas' machts puff und peng und Ende im Gelände. Keiner verlässt die Bude und mache Eier, du Brummer!

[Nadine Ahlig]

Bei den EXCREMENTORY GRINDFUCKERS fängt die Party schon beim Soundcheck an. Mit zwar früher Spielzeit aber unvermindertem Spaß an der Sache, covern und albern sich die Extrememetaller durch das Mittagsprogramm und werden von der treuen und oft sturzbetrunkenen Fanbase dabei auch kräftig unterstützt. Publikumsnäher ging es kaum zu auf diesem Festival, chaotischer wohl auch nicht. Mit ihrem fast schon in Deutschland patentiertem Genremix aus knallendem Spaßgrind und mitklatschbaren Ulkliedern sind die Stimmungsmacher auf dem Festival beim Publikum gern gesehene Gäste, vor allem bei denen, die es mit der Musik nicht ganz so ernst nehmen. Auch wenn zum Beispiel mal die Einsätze der Trompete nicht ganz stimmen, oder die wirren Ansagen zwischen den Songs nicht ganz das gewünschte Gelächter entzünden, bleibt der Auftritt einer der Unterhaltsamsten, wenn auch wohl nicht musikalisch anspruchsvollsten.

[Johannes Lietz]


Der Tag ist noch jung und das Wetter unbeschreiblich heiß. Die Sonne brennt und jedes Stückchen Schatten wird aufs Äußerste verteidigt. Da passt brutaler Deathcore eigentlich gar nicht. Dennoch lassen sich die Kalifornier CARNIFEX, die solche Temperaturen wahrscheinlich gewohnt sind, nicht davon abhalten, eine brutale Granate nach der anderen aufzulegen und auch Vokalist Scott Lewis verlangt stets mit aggressiver Stimme, dass mehr Ciricle Pits aufgemacht werden sollen. Bei dem Klima eine heftige Aufforderung, aber die vielen Core-Jünger im Publikum erfüllen ihm diesen Wunsch gerne und rotten sich trotz tropischer Verhältnisse zusammen. Die zutätowierte Kapelle auf der Bühne wird von ihren Fans in die höchsten Höhen gehoben, wobei man sich echt fragen, muss woran das liegt. Der Sound ist nichts Besonderes und bietet exakt das, was der Löwenanteil der Szene auch bietet, nur dass das Gekreische hier noch unerträglicher ist und die Breakdowns noch vorhersehbarer und überstrapazierter wirken. Man muss wohl überzeugter Fans der Amis sein, um zwischen Songs wie 'Deathwish'. 'Lie To My Face' und 'Hell Chose Me' Unterschiede zu erkennen. Trotzdem ist die Stimmung in Anbetracht der Uhrzeit und Hitze außergewöhnlich gut und begeistert die Anwesenden Supporter auf ganzer Linie, was ich wohl nie verstehen werde.

[Adrian Wagner]

Potenzierten Standard Metal Core bieten I KILLED THE PROM QUEEN. Growls und cleanen Gesang aus der 08/15 Kiste. Gewöhnliches Gerumpel, unspektakuläre Gitarrensoli – dass das Publikum so gar nicht in Fahrt kommen möchte, liegt entweder daran oder an dem Sonnendämon, der sich gerade direkt über uns befindet. Stücke wie 'Say Goodbye' – alles standard. Man fragt sich ob es wirklich nötig war, dass sich die Australier 2011 wieder zusammenrafften, nachdem sie sich 2008 bereits aufgelöst hatten. Zumindest hier auf dem With Full Force wäre wohl niemand traurig gewesen auf den neuen Sänger Jamie Hope und Anhang verzichten zu müssen. Ob sich die Formation mit neuem Line Up durchsetzen kann, bleibt abzuwarten. Fest steht: hier und heute haben sie dies nicht!

[Nadine Ahlig]

Dass das Publikum von der Sonne geschafft ist, ist offensichtlich. Doch für EKTOMORF ist es bereit, bis an seine Grenzen zu gehen. Während Regenschirme als erbärmliche Schattenspender fungieren, schwingt das Tanzbein zu Beginn noch eher schlecht als recht. Doch das lodernde Temperament von Fronter Zoli schwappt schnell über. In bester Laune rotzt er seine aggressiven Texte herunter und bedankt sich ehrfurchtsvoll bei den Fans, die die Band aus ihrem ungarischen kleinen Dorf herausgeholt haben. Siegessicher lachend holt Zoli bei 'I Know Them' seinen Bass spielenden Bruder auf die Bühne – und spätestens jetzt ist alle Müdigkeit verflogen. Die Fans flippen aus wie Grashüpfer, Ellenbogen fliegen mitten in die Fresse und schlagen dem ein oder anderen Mädel auch mal die Kauleiste blutig – Autsch! Angefressen ist auch Zoli als plötzlich eine Schuhsohle auf die Bühne fliegt. Doch nach einer angepissten Aufforderung das Konzert doch einfach zu verlassen, wenn er keinen Bock auf die Band hat, schnappt er sich die Akustikgitarre und zockt 'Sea of My Misery' und 'Who Can I Trust.' Während Teens im Borat-Badeanzug fremde Mädels dazu nötigen auf ihre nackten Hinterteile zu schlagen, fordert Zoli das Publikum auf ihren ganzen Hass rauszuschreien. Feurig! Innbrünstig! Eben EKTOMORF!

[Nadine Ahlig]

Technikpannen gehören bei einem Festival dazu wie das Angepisst-Sein zu einem Metaller. Bei Jens Kidman, Fronter von MESHUGGAH, dauert es ganze anderthalb Songs bis dem Techniker irgendwie klar wird, dass das Mikro nicht funktioniert. Nun ja, Meshuggah auf instrumental? Mal was anderes... [Die halbe Menge reckt schon den Mittelfinger in Richtung Tonturm. - Anm. v. Carsten] Doch danach gibt Jens umso mehr Gas und bringt den Acker zum Krachen, dass sogar der Plastebecher zerspringt und das Bier darin Blasen schlägt. Mit ihrer Kombination aus diversen Metal-Spielarten, ihrem ungewöhnlichen Schlagzeugaufbau, den vielen Samples und der maschinellen Präzision von Drummer Tomas Haake locken sie so jeden Dreckballen hinter der Wurstbude hervor. Die Kopfhaut brennt, der Nacken spannt. Die Schweden siegen wie eh und je – wie sollte es auch anders sein? Volltreffer!!!

[Nadine Ahlig]

Wir alle Wissen es, aber einer muss es dann auch mal aussprechen: Jeder CANNIBAL CORPSE Auftritt gleicht dem anderen. Brettharter Death Metal Sound, wilde Schlagzeugorgien und mittendrin der ewige Haarwirbelwind "Corpsegrinder" Fisher, der dem Windmilling ganz neue Bedeutung einzuhauchen scheint. Fakt ist leider allerdings, dass Variationen der Show höchstens in der Tracklist des Auftrittes bestehen können, oder in der ein oder anderen Ansage des Frontmanns, der die Gleichförmigkeit ihrer Shows schon lange erkannt hat und selbige gelegentlich auf die Schippe nimmt. Trotzdem liefern die Jungs hier eine Show ab, die man aufgrund genannter Tatsachen nur als durchaus "solide" bezeichnen kann: Gitarrengestütztes Gegrunze Marke CANNIBAL CORPSE verliert nur durch den etwas durchwachsenen Sound etwas an Geltung, dröhnt aber sonst in bester Tradition über das gesamte Gelände und animiert als bekanntere Metalband, selbst hier die Leute zur Bewegung. Abgerundet mit dem Live-Kracher 'Hammer Smashed Face' bleibt keine Enttäuschung zurück, von Euphorie kann allerdings auch nicht gesprochen werden. Wer diesen Gig verpasst hat muss sich also nicht grämen, die nächste Wiederholung kommt bestimmt.

[Johannes Lietz]


Dann wird es Zeit für die einzigen Pandabären, welche die Hauptbühne entern dürfen. Doch hat man sich an das posige Leder-Nieten-Auftreten der Black-Metaller IMMORTAL schon längst gewöhnt wie an die traditionellen Kuscheltierwürfe des Force-Publikums, wird der Gig darüber hinaus zunächst unfreiwillig komisch: Zum einen durch Abbaths Ansagen-Faux-Pas ("Hello Hellfest... erm, Full Force!"), zum anderen durch den viel zu leisen Sound bei Klassikern wie 'Sons Of Northern Darkness'. Nach drei Songs verlassen die Norweger vorübergehend die Bühne, mancher befürchtet schon einen Abbruch. Doch das Trio kehrt zurück, und spätestens bei der Bandhymne 'Damned In Black' stimmt die Lautstärke. Passend wechselt die Beleuchtung der vom "All Shall Fall"-Backdrop mit der Sonnenfinsternis gezierte Bühne von blau auf rot, ehe der nächste Klassiker 'Tyrants' folgt. Zum Abschluss gibt’s noch die Granate 'One By One' – ein lauter Knall, dann verlässt ein angesichts der Tonprobleme sichtlich genervter Abbath mit einem kurzen "see ya!" die Bühne. Grenzt ja auch schon fast an Majestätsbeleidigung!

[Carsten Praeg]

Nun dürfen die Himmelsabfackler zum Quasi-Heimspiel blasen: Vor zwei Jahren zeichneten sich die Thüringer HEAVEN SHALL BURN bereits für den größten Circlepit aller Zeiten rund um den Tonturm verantwortlich, das will man nun natürlich toppen. Doch Petrus will sein Heim nicht abfackeln lassen und legt Veto ein, doch dazu später mehr. Lange wird am Bühnenbild rumgewerkelt, ein Banner erscheint samt Weltkriegsdenkmal mit roter statt US-Flagge. Dann groovt das Metalcore-Quintett mit 'The Weapon They fear' los. Fronter Marcus springt in AS I LAY DYING-Manier auf eine Erhöhung am Bühnenrand und schiebt sogleich das EDGE OF SANITY-Cover 'Black Tears' hinter. Doch als die Band ihren Gassenhauer 'Endzeit' anstimmt, kommt der passende Beigeschmack: Der Himmel öffnet seine Schleusen, das Wasser schwappt Niagara-artig vom Bühnendach – Glück für den, der sich zufällig just in dem Augenblick einen Cheeseburger am überdachten Stand holt. Weder Band noch Fanscharen lassen sich davon aber beeindrucken: Während von einem ganzen Song fast komplett nichts zu hören ist außer zufällig aufflackerndem Monitorknacksen, spielt die Band unbeirrt weiter. Und das Publikum rastet im (eigentlich nicht vorhandenem) Takt komplett aus. Da wird sich in die Riesenpfützen geschmissen und völlig durchnässt einfach weiter gemosht. So bleibt dieser Headliner-Gig auf seine ganz eigene Weise in der Erinnerung. Die Sintflut hört zwar nach einer halben Stunde auf und hinterlässt so manch durchnässtes Zelt und zusammengebrochenen Pavillon – doch das soll erst die Vorhut gewesen sein...

[Carsten Praeg]

Das erste Unwetter des Abends, das den Auftritt von HEAVEN SHALL BURN fast ruiniert hat, ist vorbei. Nun geht es ins trockene Partyzelt, wo THE BROWNING schon darauf warten anfangen zu dürfen. Ich muss ehrlich sein. Ich kannte diese Band vorher nicht und die Bandbeschreibung auf ihrer Facebook-Seite, in der es heißt, dass man Metal mit elektronischer Musik verbindet, ist nun wirklich kein Qualitätsmerkmal. Trotzdem pilgern sehr viele von der Hauptbühne ins Zelt, um sich den Gig der Texaner zu geben. Allerdings bleibt es nicht bei neugierigen Blicken. Irgendetwas scheint an mir vorbeigezogen zu sein, denn nachdem die ersten Töne die Boxen verlassen rastet das Publikum aus, und zwar so richtig. Kaum eine andere Band im Partyzelt schafft es so gut, die Menge zum feiern zu bewegen wie die Ami-Truppe. Es wird getanzt, gepogt, gemoscht und gehüpft. Kaum eine Ecke im Zelt verspricht ein wenig Ruhe. Allerorts wird zu Songs wie 'Time Will Tell' oder 'No Escape' das Tanzbein geschwungen. Während ernsthafte Metalheads nur dumm aus der Wäsche gucken und nicht wissen, wo die eine Trancecore-Hyme aufhört und die nächste schon wieder anfängt. Der Mix aus AS I LAY DYING und SCOOTER ist aber nicht nur deswegen für Metaller schwer zu ertragen, sondern vertreibt sie außerdem auch durch die entstandene Love-Parade-Atmosphäre aus dem Zelt. Laut Kollege Johannes kann man die Band als "Definition des Festivals" umschreiben und ich muss ihm da zustimmen. Denn wie auch das With Full Force sind THE BROWNING ein Mix aus Musikgenres, die man eigentlich nicht mischen sollte und trotzdem kommt es bei dem Publikum irgendwie gut an. Da merkt man wieder, was für ein Purist man als Extreme-Metal-Fan doch ist.

[Adrian Wagner]

Rock 'n' Roll Samstagnacht mit einer Feuer- und Funkenshow in einem prallgefüllten Zelt? Richtig, es ist Saturday Night Fever! Der Sound bei THE CARBURETORS ist derart dreckig, dass einem die eigenen Klamotten trotz des vorherigen Starkregens und erheblicher Schlammbildung wieder sauber vorkommen. Klar, man wird immer eine Spur MOTÖRHEAD erkennen, wenn man eine gute Rock 'n' Roll Band sieht.  Aber wenn gleich die Songs dadurch immer recht ähnlich klingen, überzeugt der Auftritt und animiert zum feiern. 'Alright Alright' singen die Norweger, doch schon kurze Zeit später ist hier gar nichts mehr alright. The "perfect storm reloaded" wird dieses Jahr auf dem WFF gedreht. Obwohl man bereits 20 Meter innerhalb des Zelts steht, bekommt man auf einmal eine Dusche ab, dass ich mich frage, ob es eigentlich auch waagerecht regnen kann. Und es wird noch extremer als ein Vertreter der Full-Force-Crew die Bühne betritt und sich mit etwa folgender Ansage ans Publikum wendet: ''Verlasst sofort das Zelt, es ist Windstärke 11, ihr seid hier nicht mehr sicher! Egal wo Ihr hingeht, aber geht sofort!'' Dann geht alles sehr schnell. Die Musik ist aus, der Bierstand wird überflutet und die Security treibt das Publikum in den Regen. Knapp 15 Minuten später ist alles vorbei. Zum Glück das Unwetter, leider auch die Party vor der Tentstage.

[Oibert Ginnersen]

Wer dachte, bei HEAVEN SHALL BURN bereits alles überstanden zu haben, der irrt gewaltig: Mit über 100 km/h bläst das nächste Unwetter über Roitzschjora, Zäune fliegen um wie nichts, ein Blitz schlägt in einen Cocktailstand ein und verletzt 51 Menschen, drei müssen reanimiert werden. Das Saturday Night Fever wird noch vor den Auftritten von SMOKE BLOW und THE TURBO AC'S abgebrochen, das große Zelt evakuiert. Auch die Coverband HIGH VOLTAGE, die gerade im VIP-Zelt aufspielt, muss ihr Treiben unterbrechen. Die Flüchtenden versuchen, ihre Habseligkeiten vor dem Ertrinken zu bewahren und können ihre davon geflogenen Pavillons sowie Zelte mehrere Autoreihen weiter suchen. Die Gesichter der völlig durchnässten und dauergestressten Securities und Einsatzkräfte sprechen Bände. Sogar Hagelkörner wurden gesichtet. Während im ganzen Land in dieser Nacht über 200.000 Blitze gezählt werden, grenzt es an ein Wunder, dass auf Deutschland diesmal wahrhaftig härtesten Acker nicht noch Schlimmeres passiert. Und das Festival am Sonntag wie geplant fortgesetzt werden kann.

[Carsten Praeg]

Redakteur:
Nadine Ahlig

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