With Full Force 2017 - Gräfenhainichen

25.07.2017 | 14:07

22.06.2017, Ferropolis

Der selbsternannte härteste Acker Deutschlands zwischen neuem Areal, Unwetterfront und einer wahren Flut an Topbands.



Am nächsten Morgen ist es bewölkt, aber es drohen wohl keine weiteren Unwetter. Somit machen wir uns gegen 13 Uhr (eine Stunde vor der ersten Band) auf den Weg zum Festivalgelände. Der frei gewählte Fußweg (es werden auch Shuttle-Busse angeboten) wird allerdings zum Iron Man. Wahnsinn, wie lang wir unterwegs sind. Mit nur einem Wegbier ist da definitiv nichts zu machen, da musst du schon einen Bollerwagen mitnehmen.

Endlich angekommen ist es nicht das erste Mal, dass ich die tschechische Porngrind-Rumpellcombo SPASM live sehe. Von daher ist mir bereits bewusst, wie verstörend diese Auftritte anfänglich wirken können. Borat-Tanga mit Dildomaske bei entsprechender Körperfülle ist sicherlich ein gewagtes Outfit, aber auch heute verfehlt der Charme von Sänger Radim wieder einmal nicht das Ziel und die Stimmung im Circlepit ist großartig. Ob es vielleicht auch an dem basslastigen Gesamtsound (Gitarren verwendet SPASM erst gar nicht), an den erheiternden Songtiteln wie 'Beautiful Human Toilet' oder doch daran liegt, dass das Publikum nach dem gestrigen Tag einfach dankbar für jede Art von Lärm ist, kann nicht mit Sicherheit beantwortet werden. So fällt einem ein ernsthaftes Review auch tatsächlich schwer, denn selbst wenn man gerne auch mal die extremsten Unterarten der extremen Metalgenres hört, ist das Ganze vor allem soundtechnisch zu banal. Vielleicht wäre es mit einer E-Gitarre eine andere Nummer, aber weder ist der Auftritt ästhetisch wertvoll, noch sind die Texte erheiternd.
[Chris Gaum]

Mit deutlich mehr instrumentalem Einsatz und einer ganzen Portion mehr Stil erwartet man nun auf der Mainstage (in diesem Jahr FeroX-Strage getauft) die Spaßmacher KNORKATOR. Für mich insofern eine Premiere, da ich sie bisher nur unter dem Dach des Hardbowlzeltes bestaunen konnte. [Wie, hast du sie 2013 nicht auf der Hauptbühne gesehen? – Augenzwinkernd, Carsten] Und auch unter freiem Himmel wird von originellen Outfits bis zu massig Bühnen-Action alles geboten, um die Laune steigen zu lassen. Sänger Stumpen und Kollegen (inklusive Sohnemann Theo) bieten mit Hits wie 'Ich bin der Boss', 'Böse' und 'Wir werden alle sterben' eine klasse Songauswahl und machen Freude auf das nächste Mal.
[Tobi Schneider]

Premiere auf der Big Wheel Stage für KVELERTAK: Die vierte Bühne des Festivals bietet reichlich Platz und dieser ist für das norwegische Sextett mit insgesamt drei Gitarristen auch notwendig. Obgleich der Sound der Norweger nun wirklich nicht mit IRON MAIDEN vergleichbar ist, schafft es KVELERTAK ebenfalls, ein bombastisches Inferno aus Melodie und Brutalität zu entwickeln. So verwundert es auch nicht, dass sogar eine auf Platte eher belanglose Nummer wie '1985' live doch richtig schön knallt. Nach diesem ordentlichen Start geht’s mit dem für mich besten Song 'Berserkr' zurück zum aktuellen Album "Kvelertak". Nachgelegt wird die Mitgrölhymne 'Ewig Vandrar' und spätestens jetzt gibt’s kein Halten mehr. Wie immer agil und voller Spielfreude schafft es die Band, ihre derbe Mischung aus Rock, Punk und Metal dermaßen energiegeladen zu präsentieren, dass man sich etwas Gedanken um die Stabilität des Big Wheel Baggers machen muss. Die Stadt aus Eisen scheint aber heute dieser heftigen Urgewalt gewachsen zu sein. Abermals ein sehr starker Auftritt und man kann nur sagen: KVELERTAK – immer wieder gerne!
[Chris Gaum]

Bei Dirty Rotten Imbeciles, kurz: D.R.I., kommt richtiges Strandfeeling auf... zumindest, was die Bodenbeschaffenheit vor der Metal Hammer Stage angeht. Hier stehen die Leute auf tiefem Sand und fallen bei Gleichgewichtsverlust in den Circlepits entsprechend weich. Von diesen gibt es bei dem dargebotenen Old School Crossover jede Menge und die vier Thrash-Pioniere versprühen mit Klassikern wie 'Thrashard' und 'Beneath The Wheel' sichtlich Spielfreude sowie gute Laune.
[Tobi Schneider]

Eine ganze Weile (WFF 2007) ist mein letztes Treffen mit den DROPKICK MURPHYS bereits her und seitdem habe ich deren Diskographie leider nur halbherzig verfolgt. Zu meinem Pech werden ausschließlich Songs der letzten vier Alben dargeboten (Ausnahme 'I'm Shipping Up To  Boston' und ein SHAM 69-Cover). Dennoch ist die Show absolut kurzweilig und der charismatische Frontmann Al Barr sowie der Bassist und Kopf der Band, Ken Kasey, suchen stets den Kontakt zum mitfeiernden Publikum. Zu Beginn des Sets hapert es noch etwas an der Soundqualität, doch die verbessert sich ziemlich schnell. Die ganze Palette an Instrumenten, mit welchen die MURPHYS ihren irischen Folk-Punk verfeinern, gekonnt in Szene zu setzten, mag auch kein Kinderspiel sein. Ein klasse, energiegeladener Auftritt, der trotz der Co-Position wie eine Headlinershow wirkt und mich sehr bald meine DROPKICK MURPHYS-Plattensammlung erweitern lässt.
[Tobi Schneider]

Die Band TRIPTYKON von Tom Warrior Fischer schaue ich mir eigentlich nur aus nostalgischen Gründen und einer großen Liebe für CELTIC FROST an. Und dann passiert einem das, was auf Festivals immer wieder ein echt geiles Erlebnis ist: Ich bin völlig überwältigt von dem bombastischen Sound und den schlicht und einfach brillanten Songs von TRIPTYKON. Hier ist mir die letzten sechs Jahre etwas Geniales entgangen. Los geht’s mit 'Procreation Of The Wicked', wobei gleich auffällt, dass V. Santura an der Gitarre und Vanja Slajh am Bass perfekt in die Band passen. Die netten Ausflüge in uralte Zeiten mit 'Dethroned Emperor' und 'Morbid Tales' gelingen ebenso überzeugend wie aktuelle Darbietungen à la 'Goetia' oder 'Tree Of Suffocating Souls'. Sehr düster und spartanisch fällt zwar die Bühnenshow der Band aus, aber der Sound macht jegliche klischeehaften Inszenierungen überflüssig. So fuckin heavy ist keine andere Band! Dabei muss erwähnt werden, dass man nach 'Circle Of The Tyrants' auch tatsächlich ein paar erste Risse in den gewaltigen Baggern erkennen kann. TRIPTYKON beenden diese Show allerdings, bevor ernsthafter Schaden entsteht. Das war überragend! Noch bevor ich am Sonntagabend völlig erschöpft und wieder mal glücklich vom Full Force Festival in mein Bett fallen werde, werde ich mir bereits beide aktuellen Alben gekauft haben.
[Chris Gaum]

Nachdem die Headlinershow von IN FLAMES vor 2 Jahren einem heftigen Unwetter zum Opfer fiel und es vergangenes Jahr aus anderen terminlichen Verpflichtungen nicht gepasst hat, soll heute endlich alles nachgeholt werden. Da ich die letzten vier Alben der Band vollständig ignoriert habe, ist das für mich heute also schon fast wieder etwas Neues. Allerdings muss ich gleich zu Beginn sagen, dass mein Desinteresse an IN FLAMES insbesondere durch das neue Material bestätigt wird. 'Before I Fall' oder 'Where The Dead Ship Dwells'  klingen mir zu glatt, zu poppig und einfach zu langweilig. Im Rahmen einer tollen Lightshow mit gelegentlichen Pyroeffekten spielt IN FLAMES routiniert ein – zu meinem Bedauern – "neuzeitliches Set". Jede Note sitzt inzwischen synchron mit dem Lichtblitz eines Scheinwerfers. Obwohl das auch große Kunst ist, nehme ich beim Publikum nicht die ganz große Begeisterung wahr. Dieser Eindruck wird mir in den folgenden Gesprächen am nächsten Tage zwar nur teilweise bestätigt, aber ich bleibe dabei: Auf dem Full Force war zur besten Sendezeit schon bessere Stimmung. Als zu 'Only For The Weak' wieder mal im Takt gehüpft wird, ist das wie die monotone Routine des Wegs zur Arbeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Das Feuer der Band, die ein ganzes Genre prägend beeinflusst hat, ist für mich erloschen. Vielleicht tue ich den Schweden damit Unrecht, aber ein guter Sound und eine tolle Show machen für mich keinen eindrucksvollen Metalgig mehr aus. In diesem Sinn verabschiede ich mich zu den Klängen von 'Take This Life', um der nostalgischen Lärmorgie von NAPALM DEATH zu lauschen.
[Chris Gaum]

Es wird dunkel bei der Knüppelnacht im Zelt und es erklingen die schrägen Geräusche vom Intro der aktuellen Platte. 'Apex Predator', was für ein fieses Intro... und die perfekte Einstimmung auf geballte Grindcore-Power aus Birmingham. NAPALM DEATH ist auch in den folgenden 45 Minuten eine Bank. Barney am Mikro wie immer als hyperaktives Energiebündel, Shane am Bass das Abbild eines verrückten Genies, Danny an den Drums ein Duracell-Hase auf Speed und John als Aushilfe an der Gitarre hat sich inzwischen perfekt eingefügt. So richtig Bewegung in die Menge kommt dann mit dem obligatorischen Oldschool-Ausflug 'Scum', 'The Kill', 'Deceiver' und 'You Suffer'. Da NAPALM DEATH direkt anschließend auch noch 'From Enslavement To Obliteration' und 'Suffer The Children' nachlegt, merke ich, dass ich alt geworden bin. So lausche ich einigen folgenden brandneuen Stücken vom Rand des Moshpits aus. Zum krönenden Finale mit 'Nazi Punks Fuck Off' und 'Siege Of Power' habe ich wieder ausreichend Luft und gebe mir nochmal Bierduschen, Schweiß und Ellenbogenstöße. Genauso habe ich mir das vorgestellt und bin auch diese Mal glücklich und beeindruckt!
[Chris Gaum]

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Redakteur:
Carsten Praeg

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