ÄRZTE, DIE - Dunkel
Mehr über Ärzte, Die
- Genre:
- (Pop) Punk
- ∅-Note:
- 7.50
- Label:
- Hot Actions Records
- Release:
- 24.09.2021
- KFM
- WISSEN
- DUNKEL
- ANTI
- DOOF
- SCHREI
- KRAFT
- SCHWEIGEN
- TRISTESSE
- KERNGESCHÄFT (FEAT. EBOW)
- NOISE
- EINSCHLAG
- ANASTASIA
- BESSER
- NACHMITTAG
- MENSCHEN
- ERHABEN
- DANACH
- OUR BASSPLAYER HATES THIS SONG
Nun wird es also wieder dunkler.
Diese Feststellung bezieht sich an dieser Stelle auf die musikalische Qualität des neuesten Outputs meiner drei Helden aus Berlin (AUS BERLIN!!!) und ist von völlig subjektiver Natur. Daher möchte ich hier vor meinen weiteren Ausführungen unbedingt zum Ausdruck bringen, dass es sich bei "Dunkel" objektiv betrachtet um ein sehr ordentliches Album handelt. Als Fan-Überbleibsel-Greis aus den Achtzigern, der die drei alten Säcke bis zum Album "auch" abgöttisch geliebt hat und immer noch gut findet, erlaube ich mir diesmal ein wenig detailliertere Ausführungen, als noch im letzten Herbst beim Vorgängeralbum "Hell". Damals hatte ich viel darüber geschrieben, was DIE ÄRZTE für mich ausmacht und die Songs nur kurz angesprochen, gefolgt von nostalgischen Erinnerungen und einer punktemäßigen Bewertung aller Studio-Alben. Diesmal lasse ich mich in einem kurzen Abschnitt über jedes Lied aus und gebe diesem eine eigene, individuelle Note zur Orientierung, natürlich völlig subjektiv, eben aus meiner Sicht. Zum Schluss wird alles addiert und durch 19 geteilt, das ergibt dann meine Endnote.
Durch die Aufteilung der neuen Lieder in zwei Alben namens "Hell" und "Dunkel" kann natürlich gemutmaßt werden, ob da eine gewisse Sortierung erfolgt ist. Für meine Begriffe könnte eine solche zum einen dahingehend vorgenommen worden sein, dass "Hell" etwas verspieltere, progressivere, aber inhaltlich auch extrovertiertere, albernere Songs beinhaltet, "Dunkel" hingegen ernstere, teils eher frusterierende Themen musikalisch geradliniger ausgerichtet präsentiert. Ganz schnippisch könnte einem auch über die Lippen kommen, dass "Dunkel" einfach aus dem Ausschuss der Lieder besteht, die es nicht auf "Hell" geschafft haben...
'KFM' beziehungsweise 'Karnickelfickmusik' bildet einen tollen Einstieg, beginnt mit einem freien Zitat der FANTASTISCHEN VIER und nagelt dann, von Farin gesungen, herrlich ABSTÜRZENDE BRIEFTAUBEN-mäßig los. Diese 87 Sekunden gehören mit zu den besseren Momenten auf dem Album. (8)
'Wissen' ist dann ein Farinsches Herzschmerz-Lied, dass ich ziemlich langweilig finde. Davon gibt es bei den ÄRZTEN und vor allem auf seinen Solo-Scheiben gefühlt bereits tausende. Das Ding rockt zwar ganz nett, klingt aber furchtbar beliebig. (6)
'Dunkel' heisst die folgende, textlich überaus charakteristische Bela-Düster-Pop-Nummer, die mit passenden Keyboard-Einsprengseln aufwartet und den Hörer leichtfüßig treibend auf die Tanzfläche einer imaginären Disco zieht. Der Song ist zu Recht namensgebend für das Album und hat in meinen Öhrchen das Zeug zum Hit! (8)
Das von Farin gesungene 'Anti' soll wohl eine Hymne gegen Schwarzweißmalerei im Alltagsleben sein. Leider geriet die Nummer mit ihrer minimalistischen Melodie für meine Begriffe wiederum etwas eintönig, mit Hang zu dezenter Langeweile. (7)
'Doof' trifft mit seiner klaren Aussage gegen Nazis eigentlich genau meinen Geschmack, leider finde ich die textliche Gestaltung zu oberflächlich, harmlos und klischeehaft. Da wäre sprachlich noch mehr drin gewesen, meine Herren! Einen großartigen Adrenalinschub mittels bombastischem Arrangement-Kniff erhält die Nummer nach zweieinhalb Minuten durch Verstärkung mittels Kinderchor beim letzten Refrain. Allerdings kommt dieser Kick fast etwas spät. (8)
Das einzige vom Bassisten gesungene Lied auf "Dunkel" hört auf den Titel 'Schrei', und sein Gesang besteht im Prinzip tatsächlich aus Geschrei! Der sehr an Britpop angelehnte Song nervt mich persönlich ziemlich durch die "Oheo"-Chöre und den gewollt penetranten Quäk-Schreigesang von Rod. Als Musik-Satire sehr gekonnt, aber halt nicht mein Ding. Da gibt es für mich viel Besseres von DIE ÄRZTE. (6,5)
Die Auswirkungen des gesprochenen Wortes sind das Thema von 'Kraft'. Und schon wieder ist die Melodie sehr minimalistisch geraten, dafür ist der Text etwas griffiger. Die Hookline des Liedes basiert auf einer ähnlichen Idee wie 'Woodburger' vom letzten Album. Ganz nett, aber für mich kein großes Ärzte-Kino. (7,5)
Bela darf sich jetzt beim Singen von 'Schweigen' im allertiefsten 80er-Jahre-Darkwave-Schreittanz-Sumpf räkeln! Beim Hören dieser tollen Nummer sehe ich mit geschlossenen Augen durch Trockeneis-Nebelschwaden hindurch die vor und zurück wankenden düsteren Gestalten mit bunt auftoupierten Haaren in einer fahl ausgeleuchteten Indie-Disco vor gefühlt 130 Jahren. (8,5)
'Tristesse' ist musikalisch betrachtet ganz sicher einer der Höhepunkte auf "Dunkel". Im Prinzip handelt es sich um ein absolut authentisch instrumentiertes und wunderbar komponiertes französisches Pop-Chanson mit Siebziger-Jahre-Flair, das bis auf den französisch gesungenen Refrain nur den Schönheitsfehler der deutschen Sprache aufweist. (8,5)
'Kerngeschäft' (Feat. Ebow)' hat eine nette Punchline, die ich mir schon von tausenden Konzertbesuchern gebrüllt prächtig vorstellen kann. Die Rapperin EBOW wertet den Song gekonnt und passend auf. (8)
Nun wird es schon wieder beliebiger mit 'Noise', einer ganz guten Rocknummer. Aber sowas schreiben DIE ÄRZTE tatsächlich am Fließband. Dennoch hat Neues, so die eigentliche Bedeutung des Liedtitels, aufgrund seiner textlichen Aussage das Zeug zu einem hervorragenden Set-Opener für hoffentlich demnächst stattfindende Konzerte. (7)
Der nächste Song greift ein sehr schwieriges Thema großartig istrumentiert auf. In 'Einschlag' singt Bela aus der Sicht eines Täters, der seine Frau erschlagen hat. Die locker-flockige Präsentation, begleitet durch die herrlichen Bläser, wirkt fast etwas zynisch und hat endlich mal wieder etwas markanter Provozierendes. (8,5)
Die lustigen Gepflogenheiten und Denkweisen mancher männlichen Nutzer von Dating-Portalen sind das Thema von 'Anastasia'. Textlich super, aber erneut finde ich die Musik eher beliebig, auch wenn die Produktion sehr gelungen ist. (8)
'Besser' wildert schrecklich in den Jagdgründen der Britpopper OASIS und sägt schon alleine deshalb an meinem Geduldsfaden. Und die Streicher-Begleitung ist schlichtweg unverschämt bei der genannten Band geklaut. Dieser Sachverhalt ist für sich genommen eigentlich wiederum großartig! (6,5)
Bela düstert in 'Nachmittag' aus dem Blickwinkel eines von seiner Frau erschossenen Mannes vor sich hin, der in seine Mörderin bis zum letzten Augenblick verliebt war. Nette Bläser, aber sehr routiniert. (7,5)
Einer der langweiligsten und plattesten Songs des Albums ist aus meiner Sicht 'Menschen'. Typische, aber mittlerweile austauschbare Popnummer der ÄRZTE. (6)
'Erhaben' hat bei mir seither nicht gezündet, windet sich derzeit aber mit jedem Durchgang tiefer in meine Gehörgänge und übernimmt somit etwas die Funktion von 'Clown aus dem Hospiz' auf "Hell". (7)
'Danach' ist eine etwas vertrackte Düster-Pop-Nummer mit flottem Tango-Rhythmus. Auch dieses Lied wächst mit jedem Spin. Sehr ambitioniert, jedoch wieder etwas mehr zum Zuhören denn für das Live-Set. (7)
Das vom Text her betrachtet wohl anspruchsvollste Lied wurde am Schluss von "Dunkel" platziert: 'Our Bassplayer Hates This Song' hat einen langen und rhythmisch sehr schwierigen Text, der leider keinerlei griffige Hooklines aufweist. Es geht um den Begriff Demokratie, der allerdings nie direkt genannt wird. Farin gibt hier die rockige Version von Hannes Wader und wirkt sehr belehrend, was die Absicht des Liedes für mich eher scheitern lässt. Die Leadgitarre bei drei Minuten ist herrlich, der spanische Texteinwurf dann doch too much. Ich glaube, dass ich mich bei diesem Lied der im Titel ausgedrückten Meinung von Rod anschließen muss. Da kann selbst das gesprochene, an Kindersendungen erinnernde Intro nicht mehr viel retten. (6)
Addiert und durch 19 Titel geteilt komme ich auf 7,3 also 7,5 Punkte. Insgesamt fällt auf "Dunkel" eine gewisse Abnutzung und Austauschbarkeit von Melodien und Songstrukturen auf. Bei einer etwas in die Jahre gekommenen Spritzigkeit sind auf diesem Album somit in noch größerer Anzahl als auf "Hell" Lieder herausgekommen, die viele Hördurchläufe benötigen, bis sie bei mir zünden. Nicht als faires Kriterium verwertbar, aber eine interessante Beobachtung wert, ist der Sachverhalt, dass Farins und vor allem Belas Stimme nun doch an vielen Stellen etwas älter klingen.
Zum Abschluss werfe ich noch folgende Überlegung in die Runde: Was für eine Hammerscheibe wäre herausgekommen, hätte man von beiden Alben nur die jeweils besten 10 Songs genommen?
- Note:
- 7.50
- Redakteur:
- Timo Reiser