AGENT STEEL - No Other Godz Before Me
Mehr über Agent Steel
- Genre:
- Speed Metal
- ∅-Note:
- 8.50
- Label:
- Dissonance Records
- Release:
- 19.03.2021
- Passage To Afron-V
- Crypts Of Galactic Damnation
- No Other Godz Before Me
- Trespassers
- The Devil's Greatest Trick
- Sonata Cósmica
- Veterans Of Disaster
- Carousel Of Vagrant Souls
- The Incident
- Outer Space Connection
- Entrance to Afron-V
Ein Album auf des Messers Schneide, denn der Gesang spaltet die Gemüter
John Cyriis ist nach allerlei Irrungen und Wirrungen zurück und präsentiert uns 33 Jahre nach seinem Ausstieg eine neue AGENT STEEL, will sagen, das Debütalbum seiner persönlichen Vision von AGENT STEEL, ohne alte Weggefährten und damit auch ohne all jene Musiker, die den illustren Namen in den Neunzigern und darüber hinaus hoch gehalten haben. Für den eigenwilligen Frontmann ist es - natürlich - der einzig legitime Nachfolger von "Unstoppable Force", doch die Zielgruppe ist da gelinde gesagt reichlich gespalten. Schon als die ersten Lauschproben im Internet auftauchten gab es viel Spott und derbe Kritik an John Cyriis und seinen neuen Songs. Daher kommt diese Rezension auch reichlich spät, erst drei Monate nach der Veröffentlichung, denn ich habe es mir wirklich nicht leicht gemacht mit "No Other Godz Before Me".
Nach unzähligen Durchläufen der Scheibe, kann ich jedoch nicht umhin, doch klar und deutlich in Opposition zu treten, zu den zahlreichen Kritikern, Spöttern und Nörglern, die im sechsten Studioalbum unter dem Banner AGENT STEEL nicht mehr zu sehen vermögen als ein großes Ärgernis. Ganz klar und zugegeben: John Cyriis treibt es hier ziemlich auf die Spitze, und zwar in jeder Hinsicht. Die Selbstbeweihräucherungen in Interviews und Promokampagnen sind maßlos und seine gesangliche Performance auf dem Album ist völlig "over the top", nicht unbedingt nur zum Guten, und dennoch: Was der Mann mit seinen vier internationalen Mitstreitern aus Bulgarien, Japan, Dänemark und Brasilien hier vom Stapel lässt, es kann mich abholen und mitnehmen.
Keine Frage, Johnny ist nicht mehr die Sirene, die er 1985 war, als er sich mit Fug und Recht einen Master of Metal nannte. Doch er ist immer noch eine Sirene, und zwar eine äußerst exzentrische, deren Falsett sich manchmal bis in groteske Dimensionen vorwagt. Manch gefühlter oder tatsächlicher Experte für Studiotechnik wittert immer wieder Autotune-Experimente, während Luftballonhändler vom Jahrmarkt auf eine Flasche Helium tippen, und ja, ich will gar nicht bestreiten, dass hier öfters lange und hohe Schreie des Meisters spürbar hingezogen wirken. Stellt sich die Frage, ob das unter Nachhelfen läuft oder unter künstlerischer Freiheit, welche die "Alien Nature" der Gesangsarbeit unterstreichen soll. Für mich klingt John Cyriis auf "No Other Godz..." in den mittleren und tieferen Tonlagen schlicht großartig und auch zu hundert Prozent nach sich selbst, doch der Falsett-Overkill ist und bleibt grenzwertig, vielleicht vergleichbar mit dem, was Midnight auf seinem Soloalbum "Sakada" zum Besten gab, und mit den exzentrischen Anwandlungen, die David DeFeis seit der "Nocturnes Of Hellfire And Damnation" regelmäßig mit sich herumträgt.
Wenn euch Material dieser Art den einen oder anderen Zehennagel kostet und so dazu beiträgt, dass Naglfar schneller fertig wird, dann lasst es einfach bleiben, mit der neuen AGENT STEEL, denn Ragnarök mag noch warten. Wenn ihr indes wie ich an gesanglichen Grotesken eure Freude habt, dann gönnt es euch aus vollen Zügen, denn ganz ohne Schmarrn: Wenn man die Klippe des Gesangs einmal überwunden hat, dann gibt es meines Erachtens an der Erstgebotsplatte nicht mehr viel zu mäkeln. Die Gitarrenarbeit von Nicolay Atanasov (PROPHECY) und Vincius Carvalho (ANUBIS, A RED NIGHTMARE) überzeugt mich voll, zelebriert sie doch wirklich schnörkellosen, aber packenden 80er-Speed-Metal, der sicherlich mehr nach dem Frühwerk der Band klingt, als die Inkarnation ohne John Cyriis (die ich gleichwohl großartig finde), und der sowohl mit den markanten Riffs als auch mit guten und zahlreichen Soli überzeugen kann. Die Rhythmusgruppe mit Bassist Shuichi Oni (schon früher bei S.E.T.I. und STELLAR SEED an Johnnys Seite) und Drummer Rasmus Kjær (DISINTEGRATED, IMPALERS) leistet ebenfalls mehr als nur Pflichtarbeit, denn etwa bei 'Veterans Of Disaster' gibt es auch coole Leadmelodien am Bass und Drumfills zu bestaunen.
Ohne nun alle Songs einzeln abzugrasen, möchte ich auf jeden Fall noch hinzufügen, dass sich "No Other Godz Before Me" vor allem dadurch auszeichnet, dass es in wirklich jedem Stück gute Hooks bereithält, und auch immer wieder mit spannenden Einfällen zu überzeugen weiß. So demonstrieren zum Beispiel Intro und Outro perfekt, wie man die richtige Stimmung für ein Hörspiel zum Thema außerirdischer Verschwörungstheorien setzt. Die gesprochenen Passagen in portugiesischer Sprache im Intro und Outro, und die teilweise oder gar gänzlich auf Portugiesisch gesungenen Stücke 'Sonata Cósmica' und 'The Incident' sorgen ebenfalls für geheimnisvolle Stimmungsmomente, und ganz ehrlich Leute: Wenn John Cyriis den wilden, rasenden, in den Leads und Soli gleichwohl wahnsinnig melodischen Opener 'Crypts Of Galactic Damnation' mit den Worten: "Ladies and Gentlemen, Welcome to the Show!" einleitet, dann ist es letztlich doch um mich geschehen. Lyrisch und konzeptionell ist das Ganze eine ziemlich einzigartige Mischung aus Verschwörungstheorie, Augenzwinkern, faszinierendem Musiktheater und natürlich einem Hauch Größenwahn, eh klar.
Als Fazit bleibt für mich daher sehr wohl ein Album auf Messers Schneide, denn der Gesang spaltet fraglos die Gemüter. Johnny Cyriis' Darbietung kann man mit Fug und Recht sehr kritisch sehen, und wer damit seine Probleme hat, der wird um "No Other Godz Before Me" wohl besser einen großen Bogen machen. Wenn euch dieser abgefahrene Trip des Frontmannes jedoch nicht stört, oder besser noch, wenn er euch so abholen kann wie mich, dann steht extrem viel Freude mit der neuen AGENT STEEL nichts im Wege, denn instrumental, klanglich, lyrisch und kompositorisch kann sie verdammt viel, und so ist sie in meinen Gemächern bisher auch eines der vier meistgehörten Alben des bald zur Hälfte vergangenen Jahres 2021.
- Note:
- 8.50
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle