AMPLIFIER - The Octopus
Auch im Soundcheck: Soundcheck 01/2011
Mehr über Amplifier
- Genre:
- Alternative/Progressive Rock
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Eigenproduktion / AmpCorp
- Release:
- 31.01.2011
- The Runner
- Minion's Song
- Interglacial Spell
- The Wave
- The Octopus
- Planet Of Insects
- White Horses At Sea/Utopian Daydream
- Trading Dark Matter On The Stock Exchange
- The Sick Rose
- Interstellar
- The Emperor
- Golden Ratio
- Fall Of The Empire
- Bloodtest
- Oscar Night/Embryo
- Forever And More
Aller guten Dinge sind drei, doppelt hält besser und selbst ist der Mann.
Bedeutet: Nach über vier Jahren Wartezeit beglücken die Briten AMPLIFIER mit ihrem dritten Longplayer, der gleich mal ein Doppelalbum geworden ist, welches komplett in Eigenregie entstanden ist und auch per eigenem Label auf die Hörerschaft losgelassen wird.
Zwei Stunden AMPLIFIER-Mucke ist schon ein ordentliches Pfund, das man erst einmal bewältigen muss. Diese musikalische Vollbedienung ist jedoch die logische Folge davon, dass man sich Termindruck und allerlei Mitspracheversuchen von Plattenfirmen endgültig entziehen wollte und demnach komplett ohne Zwänge, aber auch ohne Label-Vertrag agierte. Dadurch dauerte der Entstehungsprozess deutlich länger, dafür lässt man im Endeffekt aber auch der Musik mehr Raum zur Entfaltung, was sich in den längeren und sehr ausgefeilten Stücken manifestiert. So ist von den 16 Songs nur das Intro unter fünf Minuten lang, fast die Hälfte der Stücke überschreitet die Acht-Minuten-Marke. Man lässt sich also Zeit, aber nicht zu viel Zeit, denn zu viele Wiederholungsschleifen oder ein Abdriften in spannungsarmes Gedudel findet man hier nicht (von ein paar Schwächen zum Ende hin einmal abgesehen).
"The Octopus" ist alles andere als ein "easy listening"-Album und wird vermutlich nicht gleich beim ersten Durchlauf zünden. Es ist in diesem Zusammenhang durchaus ratsam, die Platte unter Kopfhörer zu hören. Aber eine intensive Beschäftigung mit dem Oktopus lohnt definitiv, denn das Trio aus Manchester (verstärkt durch ein paar weitere Musiker im Studio) macht hier fast alles richtig. Hätten sich auf der zweiten Scheibe zum Ende hin mit den letzten drei Songs nicht ein paar Längen eingeschlichen, würde sich "The Octopus" sogar in Reichweite von zehn Punkten bewegen. Jedoch ist das Ganze dann leider recht langatmig und spannungsarm geraten, da wäre man auf jeden Fall besser gefahren, diese Stücke einfach ganz wegzulassen. Allein deshalb gibt's ein halbes Pünktchen Abzug, denn der Rest des einzigartigen AMPLIFIER-Rocks ist durchweg allererste Sahne.
Dabei gibt es kaum ungewöhnliche Elemente zu hören, vielmehr gelingt es der Band die "herkömmlichen" Bestandteile der Rockmusik in eine originelle und schlicht mitreißende Form zu gießen. Quasi der "keep it simple"-Ansatz einhergehend mit einem natürlichen, warmen Klang und einer unkommerziellen Ausrichtung. Egal ob geradeheraus losgerockt wird, oder (was zugegebenermaßen überdurchschnittlich häufig der Fall ist) man sich in entspannteren, atmosphärischen Klängen austobt, da sitzt jede Note. Vor allem der Beginn mit Nummern wie 'Minion's Song' mit leicht abgedrehtem Touch, dem pumpenden Dampfhammer 'Interglacial Spell', dem intensiven, fast hypnotischen 'The Wave' und dem düsteren, Schauer über den Rücken treibenden Titeltrack zaubert ein zufriedenes Grinsen ins Gesicht. Dabei konkurriert 'The Wave' sogar mit 'O Fortuna' von der "Insider"-Scheibe um den besten AMPLIFIER-Song überhaupt - ergebnisoffen möchte man sagen.
Nun kann ich durchaus verstehen, wenn jemand den Anteil an krachig-rockigen Nummern auf "The Octopus" insgesamt zu gering ansieht und die ruhigen, atmosphärischen Passagen als zu präsent empfindet (besonders auf dem zweiten der beiden Silberteller) - allerdings ist gerade in dieser Hinsicht eine deutliche Steigerung gegenüber den bisherigen Werken zu verzeichnen. Konnten einem früher bei den getragenen Stücken schon mal beinahe die Füße einschlafen, so besteht diese Gefahr nun nicht mehr (mit Ausnahme des erwähnten Schlusstrippels und in Teilen des etwas bizarren 'Trading Dark Matters...'), da auch diese Songs nun insgesamt deutlich mitreißender ausfallen.
Dabei ist der Wandel gegenüber den beiden bisherigen Alben, was die stilistische Bandbreite anbelangt, schon immens, besonders der zweite "Octopus"-Rundling zeigt einige neue Facetten im AMPLIFIERschen Klangkosmos. Dieser ist etwas psychedelischer geraten als der erste und zudem mit ein paar orientalischen Einsprengseln versehen. So etwas wie 'The Sick Rose' kannte man bisher von AMPLIFIER noch nicht. Immer wieder für eine Überraschung gut, die Burschen. 'Interstellar' könnte als astreine Prog-Nummer durchgehen, und so weiter und so fort... Trotzdem kommt man nie "vom Weg ab", es bleibt stets nachvollziehbar und schlüssig durchkomponiert. Und um die Sache auf in textlicher Hinsicht rund zu machen, wird es zum Album zudem ein auf 500 Stück limitiertes Büchlein geben, welches auf 70 Seiten das Konzept näher erklärt und dabei offenbar einige philosophische Gedanken nicht zu kurz kommen lässt.
Fazit: AMPLIFIER klingen einfach sehr eigenständig und nicht wie irgendeine andere Kapelle und müssen dazu noch nicht einmal sonderlich abgedreht rüberkommen, sondern haben sich einen homogenen, natürlichen Sound zugelegt. "The Octopus" ist im Gesamteindruck noch ein bisschen stärker als das selbstbetitelte Debütalbum, und deutlich vor "Insider". Ein "must have" für alle Freunde von anspruchsvoller Rockmusik.
Anspieltipps: Interglacial Spell, The Wave, The Octopus, The Sick Rose
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Stephan Voigtländer