CARAVAN - In The Land Of Grey And Pink
Mehr über Caravan
- Genre:
- Progressive/Psychedelic Rock
- Label:
- Deram/Polydor
- Golf Girl
- Winter Wine
- Love to Love You (And Tonight Pigs Will Fly)
- In The Land Of Grey And Pink
- Nine Feet Underground
Bei vielen wird es zwar schon ein paar Jährchen her sein, aber erinnert sich noch jemand an den ersten Schultag? An soo 'ne große Tüte? Tja, bei uns in der Schweiz existiert dieser Brauch leider nicht. Macht aber nichts, wenn man dafür knapp 15 Jahre später eine andere Bonbon-Schleuder entdecken darf. Aber jetzt erst mal der Reihe nach:
Mit "In the Land of Grey and Pink" lieferten CARAVAN anfangs der 70er Jahre ihr drittes (und für viele ihr bestes) Album ab. Gegründet wurde die Band 1968 im Südosten Englands (im Städtchen Canterbury) von Pye Hastings (Gitarre/Gesang), Richard Sinclair (Bass), David Sinclair (Organs/Piano) und Richard Coughlan (Drums).
In den 60er Jahren formte sich dort eine kleine Szene, deren Outputs heute unter dem Namen "Canterbury Sound" bekannt sind - mehr oder weniger, jedenfalls. Stilistisch ähnelt dieses Genre dem Progressive Rock der 60er Jahre, mit der Besonderheit, dass er deutlich Jazz-orientierter und experimenteller ist. Soll heißen, dass viele Blasinstrumente und Orgelsounds den Weg auf zig Schaltplatten gefunden haben. Ein weiterer interessanter Fakt ist, dass innerhalb der Canterbury-Szene eine Art Musikeraustausch stattfand. Es entstanden viele Konstellationen, durchmischt aus Musikern der stilprägenden Bands. So spielte z. B. Richard Sinclair neben CARAVAN bei WILD FLOWERS, HATFIELD AND THE NORTH und IN CAHOOTS.
Nach diesem kurzen Exkurs jetzt aber zurück zum Wesentlichen, der fünf Stück starken "In the Land of Pink and Grey":
Bereits nach den ersten paar Trompetennoten bin ich gewillt, mir meine Kleider vom Leib zu reißen, den Sonnenstuhl aufzuklappen, die Sonnenbrille aufzusetzen und zufrieden an meinem "Prix Garantie"-Eistee zu nuckeln.
Klingt an manchen Ecken obszön, an anderen auch etwas verängstigend, doch spiegelt es die Gefühle wieder, die in mir hochkommen. Gelassenheit und Fröhlichkeit sind es nämlich, die mich gleich von Anfang an packen. Im modernen Sprachmund nennt man das resultierende Verhalten auch "chillen". Hey, aber ich bin viel zu cool für solche Ausdrücke ... nicht nur so wurde meine Eistee gerade gegen Rotwein eingetauscht. Ähm, schweife ich ab?
Bei CARAVAN werden Emotionen transportiert und ausgelöst, die instrumentale Vielfalt verleit der Musik einen speziellen Touch. Manchmal könnte ich echt weinen, wenn ich mir die Scheibe anhöre. Doch ich könnte nicht sagen, ob aus Trauer oder Freude ... und genau DAS ist CARAVAN! In Reingestalt. Zum Beispiel die Klavier-Melodie und die Gesangslinie im titelgebende Track - mir fehlen die Worte. Kommt wer mitheulen? Ein weiteres Beispiel ist der zweite Track 'Winter Wine', bei welchem man anfangs gar meinen könnte, dass die MAMAS & PAPAS hier am Werkeln sind. Akustik-Gitarre und Gesang, reicht auch schon. Aber sobald die Rhythmus-Fraktion einsetzt, ist alles wieder klar: Hier sind CARAVAN! Melodien zum Träumen. Doch wie es im Song schon richtig heißt: "Dreams are always ending far too soon".
Den Abschluss des Rundlings macht dann das fast 23-minütige 'Nine Feet Underground', welches auf der Vinyl-Pressung die gesamte B-Seite einnimmt. Hier zelebrieren CARAVAN noch einmal ihr ganzes Können. Was sich für manche nach einer Jam-Session anhört, hat in meinen Ohren Hand und Fuß. Die acht Themen passen wunderbar ineinander, einzig und allein ein bisschen mehr Gesang hätte mir nicht geschadet.
Man ist versucht zu behaupten, jeder Song sei liebevoll und einzeln in schillernde, farbige Transparenzfolie eingepackt worden, die der Verworrenheit der Platte nicht besser entgegentreten könnte. Es gibt so viel zu entdecken, zu konsumieren und zu genießen. Himmlische Melodien, Wortwitz und Tränen. Das ganze Programm halt. Aber Achtung: Nur wenn die persönliche Verfassung stimmt - (Erdrückende) Verträumtheit, gepaart mit Fröhlichkeit und Unbekümmertheit bekommt hier nämlich ein Medium, das nicht jeden anspricht. Aber ob zum Einschlafen (oder Erwachen) mit einem Lächeln auf den Lippen, zum abendlichen Rotwein-Vernichten im Ledersessel oder zum sich ins Drogen-Nirvana katapultieren ... mit CARAVAN ist man stets in guter Gesellschaft.
Jetzt wünsche ich nur noch viel Spaß beim Naschen ... oder Schnausen, wie man hier im Alpenland zu sagen pflegt! Wir sehen uns in der Schule ... ;-)
Anspieltipps: Alles! (Bis vielleicht auf 'Love To Love You'. Etwas gar poppig, das Ding)
Gastautor Philippe Gerber
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