CODE - Mut
Auch im Soundcheck: Soundcheck 02/2015
Mehr über Code
- Genre:
- Progressive / Experimental Rock /Metal
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- Agonia Records
- Release:
- 27.02.2015
- On Blinding Larks
- Undertone
- Dialogue
- Affliction
- Contours
- Inland Sea
- Cocoon
- Numb, And Author
- The Bloom In The Blast
Faszinierender wie verstörender Stilwechsel!
Zuallererst einmal die wichtigste Information für alle Kenner der Band: "Mut" ist im bedeutendsten Sinne des Wortes mutig, denn die Band wirft auf dem Album vom Klangbild her alles über Bord, was man von ihr bislang kannte. Und wer auf einen logischen Nachfolger des Black-Prog-Hybrids "Augur Nox" oder gar auf ein Anknüpfen an das schwarzmetallische Meisterwerk "Resplendent Grotesque" hofft, sollte dieser Erwartungshaltung schleunigst Einhalt gebieten.
Ich hatte diese Information nicht, und so sicher bin ich mir nicht, ob der Erstkontakt mit "Mut" dadurch nicht gar befleckt wird. Ich war nämlich unwissend und dennoch von der ersten Sekunde an tief gefesselt von diesen Klängen, die ich trotz allem sofort als CODE identifizieren konnte. Denn das, was CODE jenseits der sekundären Wahrnehmungsparameter "Sound" und "Stil" ausmacht, ist durchaus geblieben, und wurde sogar auf eine skurril-radikale Weise ausgebaut und verfeinert. Doch was ist diese Essenz?
Es ist etwas, das wohlmöglich seinen Ursprung in der norwegischen Black-Metal-Bewegung hatte und durch Bands wie VED BUENS ENDE initiiert wurde. Eine vertrackt-verquere, avantgardistische Form schwarzer, verstörender Tonkunst mit jeder Menge beklemmender, paraphonischer Akkorde und klagend-ästhetischem Gesang. Einer der Köpfe von VED BUENS ENDE war Yusaf "Vicotnik" Parvez, der später auch wieder bei CODE auftauchen sollte. Dieser wurde bekanntermassen von den britischen Geistesbrüdern Andrews "Aort" McIvor und mit Mat "Kvohst" McNerney in Leben gerufen.
Kvohst und Vicotnik sind nun schon eine Weile nicht mehr da. Und auf "Mut" wird nun auch sämtliches Metallische über Bord geworfen und gegen etwas anderes ausgetauscht. Die legitime Frage "Gegen was denn?" zu beantworten, fällt mir indes enorm schwer. Aber Post Rock, wie es auf manchen Seiten heisst, ist es nicht. Es gibt weder flirrende Gitarren noch Soundwälle und schon gar keine repetitiven Song-Aufbauten. Ganz subjektiv erscheint es mir, als hätten sich die Herren auf der Suche nach ihrem neuen Sound tief nach Schweden verirrt und ihre absurden Song-Konstruktionen mit dem Sound von Prog-Melancholiker ANEKDOTEN fusioniert. Skippt man von "Mut" rüber zu den ANEKDOTEN-Werken "From Within" oder "Gravity", ergibt sich eine unerwartete wie verblüffende Verwandtschaft. Die Gitarren bei CODE sind nurmehr wenig verzerrt und damit klangvoller als früher, die Schlagzeug-Arbeit ist subtiler und zurückgenommener, und die gesamte Band wirkt fast ein wenig verängstigt und verschüchtert. Doch auf faszinierend-beklemmende Weise erklären sich die Mitglieder selber, weshalb das so ist. In den Tönen steckt etwas zutiefst Beunruhigendes, sehr sehr Unheimliches. Ich sagte schon, das paranormale Herz der Musik ist immer noch vorhanden, doch es schlägt auf einmal in einem ganz anderen Körper. In diesem stellt nun Sänger Wacian das wichtigste Sinnerorgan dar. Wir wissen von "Augur Nox", dass dieser Mann sämtliche Spektren des extremen Gesangs beherrscht, auf "Mut" schlüpft er aber in die Rolle des still leidenden, verzweifelten, mit seiner Furcht und Angst allein gelassenen Protagonisten. Die Stimme ist sehr trocken und authentisch aufgenommen worden, ähnlich wie Mikael Åkerfeldt bei "Heritage". Dies erschafft Momente, die in ihrer Traurigkeit einfach nur wunderschön sind und in denen der Gesang dann tatsächlich wieder sehr an Niklas Barker, den Sänger von ANEKDOTEN, erinnert. Doch darauf folgen immer Augenblicke, in denen die Stimme zu kippen droht und unterschwellig erahnbar wird, dass da im Untergrund etwas sehr Verqueres schlummert. Manchmal schaut das Monster sogar offen heraus ('Affiction') und Wacain darf wieder krächzen.
Ja, je öfter ich "Mut" höre, umso mehr vereinnahmt mich diese Gesangsleistung. Wacain zaubert immer wieder Melodien hervor, die mich komplett ergreifen, und die mich, wenn er in die höchsten Höhen geht ('Dialogue') im Innersten bewegen. Was auch immer diesen Mann treibt, ich würde es gerne erfahren. Deswegen flattert die Scheibe auch sobald sie erscheint ins Haus. Ich fühle, dass Texte hier zum vollen Verständnis der Musik sehr wichtig sind. Eine Musik, die man ganz sicher auch unzugänglich und seltsam finden kann. Was für mich nicht der Fall ist. Gegen so einen Song wie 'Coccoon' hab ich nicht den Hauch eine Chance, mich zu entziehen und im Moment des Schreibens habe ich das Gefühl, das Album frisst mich auf. Und als willenloses Opfer sage ich ganz leise und schüchtern: "Mut" ist nicht nur das mutigste sondern auch das bislang beste Album von CODE!
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Thomas Becker