CUIR - Album Album
Auch im Soundcheck: Soundcheck 12/24
Mehr über Cuir
- Genre:
- Synthpunk/Punkrock
- ∅-Note:
- 8.50
- Label:
- Cuir
- Release:
- 05.04.2024
- Gast
- Trouble fête
- Phoenix
- La ville aux 5 ports
- Les nerfs à vif
- Bloqué
- La force de continuer
- Un air de Mexico
- Toujours pareil
- On verra bien
Hier wird ordentlich abgeledert!
CUIR ist in Lorient, in der Bretagne zu Hause. In der etwa 58 000 Einwohner beherbergenden Stadt mit dem zweitgrößten Fischereihafen Frankreichs frönt der eine Mann aus der Bandbezeichnung "One Man-Synthpunk-Project" dem, nun ja, Synthpunk! Bei Live-Auftritten wird er von drei, schwarze Stoffmasken tragenden Musikern an Bass, Gitarre und Schlagzeug begleitet. Der singende Herr am Synthesizer selbst trägt dann eine rosafarbene SM-Ledermaske mit Reißverschlüssen für Augen und Mund. Jene ist, passend zum Bandnamen, selbstredend aus dem Material (Kunst-)Leder gefertigt!
Niemand hört sich beim Schimpfen so unverschämt rotziger, wütender und auf schräg-lustige Art und Weise sympathischer an, als Franzosen! Das dachte ich mir auch am Freitag, den 1. Juli 2022 wieder einmal, als ich spontan entschied, mir CUIR in meinem liebsten "Hinterzimmer" in Göppingens Kneipe "Zille" live anzuschauen. Es war in der ausklingenden Hitze des Tages ein kurzes, aber schweißtreibendes, spaßiges und modern präsentiertes Punkrock-Spektakel, dass damals von der Livebesetzung der Franzosen abgeliefert wurde. Die Stimmung geriet großartig, nicht zuletzt durch eine personell nicht unbeträchtliche, mitgereiste Fanschar aus Frankreich, die mächtig Alarm generierte! Im Nachgang fand ich die Musik aus der Konserve dann nicht so zwingend wie die Live-Umsetzung, nahm mir jedoch vor, das offenbar in Corona-Umständen gestartete "Projekt" weiter zu verfolgen.
Als ich im April diesen Jahres einmal wieder die damals mitgenommene Single in der Hand hatte, spähte ich spontan beim grünen Punkt, ob es etwas neues von CUIR gäbe, und siehe da: Treffer, versenkt! Letzteres deshalb, weil das mit dem rezensentenfreundlichen Titel versehene "Album, Album", das Debut hieß übrigens "Album", kickt, wie eine in Gänze zu sich genommene Packung Espressopralinen! Hier greifen auf einmal nicht mehr nur ein paar, sondern fast alle Synthesizer-Melodien, die Gitarren drücken mächtig, nahezu jedes Lied hat eine Hookline, schiebt "wie die Sau", und der Mann mit der pinken Maske ledert dazu in seiner Muttersprache ab, dass es Louis de Funès eine wahre Freude wäre. Auch hier ist der Bandname anscheinend Programm...
Die Scheibe kickt von Beginn an mit 'Gast', das sich nach elektronischem Start 104 Sekunden lang voranrifft. 'Trouble fête' übernimmt dann für 100 Sekunden und punkrockt sich bis zum Ende in seine Melodie hinein. An dritter Stelle wabert synthie-lastige 161 Sekunden lang der 'Phoenix'. Ihr habt es bereits bemerkt: CUIR macht in Sachen Songlänge keine Gefangenen, immerhin kredenzt der Herr mit 22 Minuten und 31 Sekunden eine um drei Minuten längere Spielzeit, als noch beim Debut-"Album". 'La ville aux 5 ports' dreht sich inhaltlich freilich um die maritime Heimatstadt der Franzosen, kommt stampfiger daher und baut sich zu einem mächtig groovenden Punkrocker auf.
Das Album täuscht eventuelle Verschnaufpausen jedoch nur an, denn mit 'Les nerfs à vif', dreht man gehörig auf. Die Nerven liegen auch während der nächsten Songs blank: 'Bloqué' reißt mich, sowohl durch die Gesangsstrophen wie auch durch die Synthiemelodie mit und wird zum regelrechten Mini-Ohrwurm. Dieser Melodierausch wird von 'La force de continuer', wie im Titel versprochen, fortgesetzt. Dabei gelang CUIR eine der eingängigsten Nummern des neuen Albums. Spanische Sprachfetzen gibt es in 'Un air de Mexico'. 'Toujours pareil' klingt keinesfalls immer gleich, wie der Titel etwas fälschlich vermittelt, vielmehr hat das Lied trotz seiner nicht unbedingt üppigen 134 Sekunden tatsächlich mehrere Parts.
Die krönende und abschließende Überraschung, die mich jedesmal unter meinen Kophörern strahlen lässt, so dass vorbeifahrende LKW-Fahrer mich während der Gassi-Gänge mit dem Hund vermutlich für leicht grenzdebil halten, hört auf den Titel 'On verra bien'. Auch hier passt der Titel abermals großartig: 'Lassen wir uns überraschen' kommt in new-wavigem "Schreit-Tanz"-Beat mit französischen Raps (!) und schaltet die trockeneisnebelgeschwängerte Früh-Achtziger-Indiedisco in sicherlich so manchem Gedankenpalast frei.
Die Musik von CUIR entfaltet ihre Wirkung, wie die mit flüssiger Magie gefüllten Zylinder an den Körpern von Steroid-Monstern in einer aktuellen Netflix-Serie: sie treibt einen für kurze Zeit mit unbändiger Energie an und lässt einen, am Ende dieses gute 22 Minuten dauernden Powerrauschs, nach mehr lechzend erneut auf Start drücken. Erprobt unter anderem beim Feuerholzstapeln, Spülmaschinen Ein- und Ausräumen sowie auf dem Crosstrainer! Weil ich in Sachen musikalischer Abwechslungsreichtum und vielfältigerem Einsatz des Synthesizers noch einige Luft nach oben vermute, gibt es von mir "nur" 8,5 Punkte für "Album, Album" von den sehr instagram-affinen Punkrockern namens CUIR.
- Note:
- 8.50
- Redakteur:
- Timo Reiser