CULT OF LUNA - Vertikal I + II
Mehr über Cult Of Luna
- Genre:
- Post Metal / Sludge
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Indie Recordings
- Release:
- 06.12.2013
- The One
- I: The Weapon
- Vicarious Redemption
- The Sweep
- Synchronicity
- Disharmonia
- Mute Departure
- In Awe Of
- Passing Through
- The Flow Reversed
- Oro
- Light Chaser
- Shun The Mask
- Vicarious Redemption (Remix by Ju)
Ergänzt oder vollendet? Meisterwerk bleibt Meisterwerk.
Nein, es handelt sich weder um Fan-Abzocke noch um künstlerische Vollendung, wenn die schwedischen Post Metaller von CULT OF LUNA mehrere Monate nach der Erstveröffentlichung von "Vertikal" eben dieses Album mit der EP-Nachlese "Vertikal II" zusammenführen. Ein "technischer Irrtum" sorgte dafür, dass die Titel auf der digitalen Veröffentlichung von "Vertikal" falsch sortiert, teilweise sogar den verkehrten Songs zugeordnet wurden - was zunächst niemandem auffiel. Um diesen Fauxpas zu beheben, bringen die Skandinavier den Langspieler und die EP, welche ohnehin nur drei während der "Vertikal"-Session geschriebene, unveröffentlichte Nummern sowie einen Remix beinhaltete, nun in der korrekten Order noch einmal unters Volk. Es sei vorweg genommen, dass Besitzer des vollwertigen Albums auf den Erwerb von "Vertikal I + II" getrost verzichten können, da die Songs der EP tatsächlich nur Ergänzungscharakter haben. Die gewaltige musikalische Größe von "Vertikal" schmälert dies jedoch nicht im Geringsten, und wer besagte postmetallische Standortbestimmung bislang nicht sein Eigen nannte, sollte diesen Missstand unbedingt beheben!
In unserer Rezension zu "Vertikal" hat Kollege Becker bereits unter dem Eindruck dieses monumentalen Werkes ein Loblied auf die düstere Arbeit der Skandinavier gesungen, und es dürfte niemanden überraschen, dass ich mich seinen Worten uneingeschränkt anschließe. Im Laufe des Jahres 2013 erreichten uns ja durchaus einige nennenswerte Veröffentlichungen in Sachen Sludge / Post Metal, doch jetzt wo sich wieder die schweren, trostlosen Klänge von "Vertikal" aus den Boxen quälen, wird mir klar, dass all die anderen Bands im Grunde nichts als Trittbrettfahrer der Schweden sind, dass die finstere Tiefgründigkeit von CULT OF LUNA weiterhin ihresgleichen sucht, und bis auf Weiteres unerreicht bleibt. Kaum eine andere Formation kann es sich erlauben, dermaßen genüßlich-verächtlich komplette Leinwandpanoramen an pechschwarzen Klängen in den Raum zu stellen, in epischer Länge, scheinbar ohne Anfang und Ende. Ob das Universum nun endlos ist oder nicht – es ist kalt, es ist menschenfeindlich, und es erhält mit "Vertikal I + II" von CULT OF LUNA erneut ein Klang gewordenes, zeitloses Spiegelbild. Doch irgendwo zwischen unendlicher Leere, erstorbenen Welten und tödlichen Kraftfeldern blitzt immer wieder ein Augenblick Hoffnung auf. Nur eine Band mit dem Standing und dem musikalischen Selbstverständnis wie CULT OF LUNA kann eine solch epische Geschichte am Rande des Zumutbaren erzählen.
Sphärische Flächenklänge die sich ausdehnen wie der Sternennebel ferner Galaxien, dröhnende Gitarrenwände, schroff und abstoßend wie die unerreichbaren Felswände der höchsten Gebirgsregionen, bestialisches Geschrei bar jeder Menschlichkeit – der Schrecken hat bei CULT OF LUNA viele Facetten. Selten war eisige musikalische Grausamkeit aber auch so faszinierend wie auf "Vertikal", und tatsächlich klingt durch das misanthropische Chaos immer wieder eine Melodie, ein Hauch von Menschlichkeit, so wie auch in einer massiven Felsformation irgendwo eine hauchzarte Goldader aufblitzen kann. Ob die einzelnen Tracks nun zwei, neun oder zwanzig Minuten dauern, ist völlig unerheblich – die Faszination speist sich aus dem Ganzen; eine fragmentarische Betrachtung macht im Grunde keinen Sinn. Der skeptische Leser respektive Hörer muss allerdings keinen endlosen, monotonen Klangbrei fürchten – viele kleine Details dieses klanggewordenen Gemäldes heben sich faszinierend vom großen, nihilistischen Chaos ab. 'I: The Weapon' wird von einem Gitarrenthema geleitet, das dezente Aufbruchsstimmung verbreitet, aufputscht, vorantreibt, und schließlich geradezu verklärt verklingt. Dieser Energieschub ist auch bitter nötig, denn das folgende, fast 20minütige 'Vicarious Redemption' verlangt dem Hörer wahrlich alles ab: Zunächst wird mit drohenden, unheilverkündenden Klangcollagen über Minuten hinweg eine geradezu unerträgliche Spannung aufgebaut, die auch im weiteren Verlauf trotz der immer intensiver einsetzenden Instrumentierung kein endgültiges Ventil findet – vielmehr geht die unbarmherzige Reise weiter, immer noch tiefer, noch weiter weg von allem Humanen, Vertrauten. Wabernde, pulsierende Klänge wechseln sich ab mit rostigen Gitarrensägen, bis irgendwann doch ein Höhepunkt erreicht, der Vorhof der Hölle in Sicht ist, die apokalyptischen Reiter lospreschen dürfen. Ist dies das Ende? Nein, nur eines von vielen. CULT OF LUNA führt uns weiter, zu entlegenen Welten, quer durch endlose Abschnitte, in denen Zeit und Raum keine Bedeutung haben. Jeder dürfte eine andere Ecke dieses trostlosen Universums für sich entdecken und sein Herz dort verlieren – ich lande immer wieder beim bedächtigen 'Disharmonia', dessen ausgedehnte Klangwände und zunächst geraunter Gesang das Bild einer toten Waldlandschaft im Zwielicht der dämmernden Polarnacht zeichnen, welches trotz aller Grausamkeit als Beweis dafür dient, dass selbst in tiefster Dunkelheit noch ein Funken Leben, ein Hauch Menschlichkeit überlebt. Oder bei 'In Awe Of', dem emotionalen Höhepunkt des Albums, einer bombastischen, mitreißenden, schaurig-schönen Irrfahrt! Behäbiger Sludge trifft auf endlose Klanggewölbe; der beständige Schlagzeugunterbau sorgt ebenso für Atmosphäre wie nachdenklich verhallende Gitarrenklänge und an Glockengeläut gemahnende Klangfolgen. Der meisterhafte Songaufbau dieses Stückes, hin zum unbeschreiblichen Gänsehaut-Höhepunkt, sucht über alle Sparten hinweg seinesgleichen.
Die vier Tracks von "Vertikal II", die an das ursprüngliche Album angehängt werden, wären bei einer solch überragenden musikalischen Leistung gar nicht mehr nötig gewesen. Als Goodies gehen sie durchaus in Ordnung – für die Verhältnisse der Schweden kommen aber gerade 'Oro' und 'Light Chaser' ungewöhnlich monoton und spannungsarm daher. Auch der Remix von 'Vicarious Redemption' verdient das Prädikat "ganz nett", stellt aber keine echte Bereicherung dar. Den Gesamteindruck schmälert das jedoch keineswegs. "Vertikal (I)" ist und bleibt eine düstere Sternstunde in Sachen Post Metal und ein Pflichtkauf für alle, die sich Zeit nehmen können für die Auseinandersetzung mit einem sperrigen, grausam-schönen Monument musikalischer Kunst. Und da CULT OF LUNA gerade eine unbefristete Schaffenspause verkündet hat, ist das fast zweistündige "Vertikal I + II" genau das richtige Trostpflaster.
Anspieltipps: In Awe Of, Disharmonia
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Timon Krause