DARK SUNS - Everchild
Mehr über Dark Suns
- Genre:
- Progressive Rock
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- Prophecy Productions
- Release:
- 03.06.2016
- The Only Young Ones Left
- Spiders
- Escape With The Sun
- Monster
- Codes
- The Fountain Garden
- Unfinished People
- Everchild
- Torn Wings
- Morning Rain
- Yes, Anastasia
Genau viereinhalb Jahre nach dem letzten Opus kreiert die Band ihr bislang eindrücklichstes und ergreifendstes Werk.
Die Diskussion, die man nach "Orange" noch führen konnte, ob DARK SUNS nun OPETH abgehängt hätte oder nicht - immerhin war man nach ähnlicher musikalischer Entwicklung nahezu zeitgleich beim Prog Rock der 70er Jahre angekommen ("Heritage" von OPETH erschien ebenfalls 2011 keine drei Monate vor dem DARK SUNS-Rundling) - erübrigt sich inzwischen vollkommen. Für mich war die Antwort damals schon "ja", denn ich fand den Klangkosmos der dunklen Sonnen aus Leipzig irgendwann ergreifender (die großartigen OPETH-Frühwerke will ich damit um keinen Deut schmälern), aber was den Hörer auf "Everchild" erwartet, sucht schlicht seinesgleichen. Der opulente und sehr originelle Breitwand-Prog des orangenen Viertwerks ist nun übergegangen in solch vielseitige und eigenständige Musik, dass man das eigentlich gar nicht mehr klassifizieren möchte. Aber das ist bei dieser Band andererseits auch wenig überraschend und folgt einem klaren Muster. Ein musikalisches Chamäleon, wenn man so will.
Es ist schließlich so, dass es bei DARK SUNS auf einem neuen Album niemals Althergebrachtes zu hören gibt. Das ist gut so und ungemein spannend, diese Entwicklung immer wieder selbst nachzuvollziehen. Der stilistische Sprung von Album Numero drei "Grave Human Genuine" hin zum vierten Werk "Orange" war dennoch enorm: Progressive Rock mit teils sehr verspielten Ausflügen und wohlig warmem 70er-Jahre-Flair prägten plötzlich das Klangbild. Und so viel sei vorweg genommen: In diesen Sphären fühlt sich die Band offenbar immer noch wohl und heimisch, sodass "Everchild" musikalisch schon an "Orange" anknüpft, wenngleich das vorliegende Werk vielschichtiger und an manchen Stellen auch experimentieller klingt. Wo wir wieder beim Thema sind: Es ist quasi im Wortsinn progressiver als der "übliche" Progressive Rock. Aber das soll hier nicht das Thema sein.
Sehr spannend ist die vielseitige Instrumentierung mit Trompete (gerade diese ist nun deutlich präsenter im Klangbild verankert) und Saxophon, Hammondorgel und Piano sowie einigen Streicher-Passagen ausgefallen, wobei DARK SUNS die Kunst gelungen ist, ein unglaublich homogenes, fließendes Album zu erschaffen. Da war "Orange" eher noch eine Art Spielwiese mit teils sehr unterschiedlichen Stimmungen und einigen Brüchen. Dadurch musste man sich jenes Scheibchen schwerer erarbeiten, als dies bei "Everchild" der Fall ist - ich meine aber, dass sich beim neuen Album eine deutlich nachhaltigere Wirkung einstellt. Das liegt sicherlich auch an etlichen betörenden Ohrwurm-Melodien, mir gefällt aber auch der Ansatz, dass nicht alle Elemente opulent zusammen geworfen werden (wie teilweise bei "Orange"), sondern dass einzelne Instrumente wie die Bläser, das Piano oder aber z.B. auch die Drums hin und wieder hervorstechen dürfen und die anderen Elemente in solchen Momenten dann entsprechend zurück genommen werden. Davon leben die Songs und es entfalten sich dadurch die verschiedenen Facetten der Musik mit ganz anderer Intensität und ja, Vehemenz.
Aber das wohl wichtigste Element im DARK SUNS-Sound dieser Tage soll nun auch endlich genannt werden: Es ist der unglaublich vielseitige, einfach großartige Gesang von Niko Knappe. Mit gefühlvoller, samtweicher Stimme intoniert er die ruhigen Passagen, geht aber phasenweise auch ordentlich aus sich raus. Schon allein der Stimmumfang lässt einem den Mund offen stehen, aber erst die Klangfarbe und dieser "alles vereinnahmende" Ausdruck seines Gesangs machen diesen wirklich außergewöhnlich.
"Everchild" ist ein phänomenales Album geworden, häufig in zarten, fragilen Klangssphären schwebend und mit wunderbaren Melodien das Ohr umschmeichelnd. Aber dass DARK SUNS immer noch Rrrock in petto hat, zeigt u.a. der Opener 'The Only Young Ones Left' mit knackigem Hauptriff oder auch das flotte Geknatter mit Orgel im Titeltrack, der zudem mit einem ganz tollen Spannungsbogen aufwartet. Bei 'Monster' gibt es Gesang im Duett von Niko und der ebenso eindrucksvollen KRIS KELVIN-Sängerin Lena Hatebur (die Band ist seit einem Jahr leider nicht mehr aktiv und war Anfang letztes Jahres mal Vorband von DARK SUNS). Zum Heulen schön sind 'Torn Wings' und 'Escape With The Sun', aber auch die wunderbare Coverversion von TORI AMOS' 'Yes, Anastasia' darf nicht unerwähnt bleiben. Dass man sich gern ungewöhnliche Cover aussucht, hat die Band ja bereits mit ihrer Version von NIRVANAs 'Something In The Way' (auf unserem Sampler "Metalliance Vol. 1" enthalten) gezeigt. Neben den zahlreichen ruhigen Passagen wird aber gerne auch mal fast bis zum Exzess gegniedelt, wo sich dann auch Trompete und Orgel so richtig austoben dürfen. Vereinzelte Ausflüge verschieben die Musik zudem sogar manchmal in Richtung Jazz.
Ein witziger Effekt beim Einhören und Warmwerden mit "Everchild" war, dass sich zunächst durchaus Assoziationen zu anderen Bands in meinem Kopf auftaten, so z.B. RIVERSIDE, ANATHEMA, ja selbst PINK FLOYD. Doch mit zunehmender Dauer höre ich da eigentlich nur noch DARK SUNS. Wo war gleich noch mal der RIVERSIDE-Part? (Auflösung: Der drückende Beginn von 'Codes'.)
Die Entscheidung, die ursprünglichen Livemusiker fest in die Band zu holen (nun ist man also zu acht) und mit einem erfolgreichen Crowdfunding den Mix und das Mastering in London bei Peter Junge zu finanzieren (das Ziel der Kampagne wurde dabei deutlich übertroffen), erwiesen sich als Gold wert. Und so sei dieses Album schließlich jedem ans Herz gelegt, der bei dem Gedanken an ruhige, progressive und oftmals verträumte Musik nicht per se Ausschlag bekommt. "Orange" war teilweise verspielter und nicht so zwingend wie "Everchild", wohingegen das neue Werk den Hörer für lange Zeit nicht mehr aus seinen sirenengleichen Fängen lässt.
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Stephan Voigtländer