DEFTONES - Koi No Yokan
Mehr über Deftones
- Genre:
- Alternative Metal
- ∅-Note:
- 8.50
- Label:
- Reprise
- Release:
- 09.11.2012
- Swerve City
- Romantic Dreams
- Leathers
- Poltergeist
- Entombed
- Graphic Nature
- Tempest
- Gauze
- Rosemary
- Goon Squad
- What Happened To You?
Die goldene Mitte (wieder)gefunden
Mit den DEFTONES feiert in Bälde einer der bekanntesten und wichtigsten Rock-Exporte aus dem Westen der USA 25jähriges Bestehen, und die Tatsache dass die New-Metal-Pioniere nicht nur weiterhin existieren, sondern zudem die Musikwelt noch aufs Neue zu überraschen wissen, ist schon bemerkenswert an sich. Zum einen trübte sich die Stimmung innerhalb der Band aufgrund musikalischer Differenzen in den 00er Jahren merklich ein (wobei in erster Linie Sänger und Aushängeschild Chino Moreno gegen seine langjährigen Kameraden ankämpfte), zum anderen wurden die Kalifornier, die seit Beginn ihrer Karriere noch nie einen Besetzungswechsel vornehmen mussten und sich bereits seit der High School kennen, durch den tragischen Autounfall ihres Bassisten Chi Cheng existenziell erschüttert. Sergio Vega, langjähriger Freund der Band, übernahm zunächst als Interimslösung den Posten am Tieftöner, doch schien das Fortbestehen der Kulttruppe aus Sacramento damit keinesfalls gesichert, denn gerade die musikalische Entwicklung der letzten Jahre stieß trotz exzellenter Presse bei den Fans keineswegs auf Gegenliebe.
Die Laufbahn der DEFTONES lässt sich einfach betrachtet in zwei gegensätzliche Abschnitte einteilen: Die raue, metallastige erste Dekade, in der man 1995 mit "Adrenaline" den Nu Metal begründete, diesen zwei Jahre später mit "Around The Fur" veredelte und bereits gleichmütig abstreifte, und zur Jahrtausendwende ein verrucht rockendes, avantgardistisches Jahrtausendalbum namens "White Pony" veröffentlichte, welches ganze Abgründe aus obsessiver Begierde, Todessehnsucht, bestialischer Wut und zärtlich-weinerlicher Traurigkeit aufbrach. Und Phase zwei, abgetrennt durch das unterbewertete, wieder sehr rohe, selbstbetitelte Werk aus dem Jahr 2003, markiert durch "Saturday Night Wrist", einer schwer verdaulichen, sphärisch-abgehobenen Post-Alternative-Reise, mehr Dream Pop als Metal, sowie "Diamond Eyes", dem eher schlichten Lebenszeichen nach Chengs Unfall, die vielleicht unspektakulärste Veröffentlichung der Kalifornier bis dato. Aus musikalischen Aspekten schienen die DEFTONES ihren Zenit überschritten zu haben. Und dann? Dann haut die Truppe Ende 2012 mit dem rätselhaft betitelten "Koi No Yokan" völlig unerwartet ein Album auf den Markt, auf dem die rohen Wurzeln der Band mit den atmosphärischen Neuerungen verwoben werden zu einem knackigen, abwechslungsreichen, verdammt überzeugenden Potpourri.
'Swerve City' markiert den Auftakt und haut gleich mal unvermittelt aus dem Stand weg auf die zwölf. Ein ungewöhnlich geradliniger Groove und eine mächtige Gitarrenwand fegen den überraschten Hörer aus den Latschen; Chino Moreno umschmeichelt mit seiner unvergleichlich emotionsgeladenen Stimme wie gewohnt an der Grenze zur Dissonanz sein Publikum. 'Swerve City' drückt gut nach vorne und macht Appetit auf mehr, noch ohne die Skepsis verjagen zu können – das folgende 'Romantic Dreams' mit seiner DEFTONES-typischen, melancholischen Grundstimmung und dem ungewöhnlichen Rhythmus klingt da schon deutlich vielversprechender. Doch erst 'Leathers' macht klar, dass mit den DEFTONES nicht nur weiterhin zu rechnen ist, sondern die Truppe die absolute Referenz in Sachen Alternative Metal ist und bleibt: Ein langes, unheimliches Intro wird mit einem Mal zerrissen durch den plötzlichen, geradezu gewalttätigen Einsatz der gesamten Band, und 'Leathers' überzeugt nicht nur aufgrund dieses Schockeffekts, sondern mit allen Trademarks die man von den Amis seit Mitte der 90er kennt: Einfallsreiche Schlagzeug-Grooves, fette, stimmungsvolle Gitarrenattacken in Symbiose mit einem mächtigen Bass-Fundament, und Morenos abwechslungsreicher Gesang, Gestammel, Geschrei, woraus sich dann der unnachahmliche, atmosphärisch dichte DEFTONES-Sound zusammensetzt. 'Leathers' hätte wahrscheinlich Platz auf jedem Album der DEFTONES gefunden - und damit sind wir beim größten Pluspunkt, den "Koi No Yokan" verbuchen kann: Auf Album Nr.7 vereint die Band schlicht alles an Merkmalen ihrer bisherigen, so unterschiedlichen Veröffentlichungen. 'Entombed' ist eine zerbrechlich-feinfühlige Dream-Pop-Nummer, 'Rosemary' eine neblige, sehnsuchtsvolle Reise ins Land der Träume mit einem angenehm markanten Refrain, 'Poltergeist' fantastisch durchgeknallt, beinahe jugendlich-aufrührerisch, und 'What Happened To You?' ein nachdenklicher, getragener Ausklang, der tief unter die Haut geht. Gerade die härteren Stücke wie 'Leathers', 'Tempest' oder allen voran das herrlich rotzige 'Goon Squad' rocken aber endlich wieder auf ganzer Linie – 'Goon Squad' wäre ohne weiteres auch auf "Adrenaline" untergekommen! "Koi No Yokan" ist aber alles andere als ein reines Sammelsurium aus Eindrücken der bisherigen Bandkarriere. Die DEFTONES haben tatsächlich nach all den Jahren eine Art Goldene Mitte gefunden: Alles, wofür man diese Band lieben kann und muss, findet sich auf der siebten Langrille der Kalifornier wieder, und zwar einschließlich ungewöhnlicher, unbequemer Einflüsse – und das Ganze rockt dann auch noch wie Sau!
Wie gewöhnlich lässt sich aus einem DEFTONES-Album ein einzelner Song nur schwer herausgreifen. Schon immer erschuf man in Sacramento sehr dichte, in sich geschlossene Klanggemälde, deren einzelne Bestandteile oftmals nur im Gesamtkontext richtig Sinn ergaben. Dies trifft auch auf "Koi No Yokan" zu, was eher für als gegen dieses neuerliche Kunstwerk aus dem Hause DEFTONES spricht. "White Pony" ist und bleibt ein entrücktes Ausnahmealbum, doch den Vergleich mit der restlichen Diskografie muss "Koi No Yokan" beileibe nicht scheuen, zumal auch diese Platte im Grunde für sich steht, als eine Art zukunftsweisender Rückblick der DEFTONES auf ihre bisherige Laufbahn. Man verfügt vielleicht nicht mehr ganz über die zügellose Energie der Anfangsjahre, und ein Klassiker wie "White Pony" kann eben auch nur einmal geschrieben werden – doch auch nach über 20 Jahren machen die DEFTONES (wieder) voll und ganz das, wofür und womit sie berühmt geworden sind: Leidenschaftliche Musik – Musik gewordene Leidenschaft, in einem unwiderstehlichen, unnachahmlich atmosphärischen Gewand aus packendem Alternative Metal.
Anspieltipps: Überflüssig - doch wer skeptisch ist, beginnt mit 'Leathers' und 'Tempest'
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Timon Krause