DEFTONES - Saturday Night Wrist
Mehr über Deftones
- Genre:
- Nu Metal
- Label:
- Maverick/Warner
- Release:
- 31.10.2006
- Hole In The Earth
- Rapture
- Beware
- Cherry Waves
- Mein
- U, U, D, D, L, R, L, R, A, B, Select, Start
- Xerces
- Rats! Rats! Rats!
- Pink Cellphone
- Combat
- Kimdracula
- Rivière
Die DEFTONES können sich glücklich schätzen. Nur wenigen Pionieren ist es vergönnt, das Sterben ihrer eigenen Schöpfung zu überleben. 1995 traten sie mit "Adrenaline" und den ein Jahr zuvor an die Oberfläche gespülten KORN die New-Metal-Bewegung los, ohne jemals so richtig dazuzugehören. "Adrenaline" ist, verglichen mit den letzten Outputs der Band, ein wahrlich rohes Album, und gerade deshalb so definierend für alle (gescheiterten) Nachahmer. Dass sich die DEFTONES mittlerweile fernab dieser Pfade bewegen und vielmehr den verwinkelten Progressiv-Pfaden von TOOL oder THE CURE folgen, ist gemeinhin bekannt. Wo sich die Band seit ihrem letzten, arg gescholtenem Vollkostalbum "Deftones", das 2003 auf den Markt kam, versteckt hat, ist dagegen weniger offensichtlich. Das einzige Lebenszeichen einer der größten Kultbands der Welt war die 2005er B-Seiten-Sammlung "B-Sides & Rarities", die wie jede dieser Zusammenstellungen jedoch nicht mehr sein konnte als ein Brückenschlag zum neuen Longplayer. Dazu gesellten sich Gerüchte über Zwiste innerhalb der Band, die das Songwriting für "Saturday Night Wrist" arg verzögerten. Doch seit Ende Oktober steht sie in den Läden, und ist eine eindrucksvolle Rückmeldung der größten Kultband aller Zeiten.
Wie so oft lassen sich bei den DEFTONES mehrere zentrale Dreh- und Angelpunkte eines Werkes festlegen. Das eine ist die konsequente Weiterentwicklung weg vom Groove hin zum Flow (um es mal ganz bildlich auszudrücken). Denn stilistisch scheinen sich die Jungs immer wohler zu fühlen in ihrem Bad aus getragener Melancholie, schwebender Cineastik und druckvoller Rhythmik, die spätestens seit ihrem Überalbum "White Pony" von 2000 stilprägend ist. Auch "Saturday Night Wrist" glänzt mit der Schaffung seiner eigenen kleinen Traumwelt, die im Vorabrelease und Opener 'Hole In The Earth' bereits bestens zum Tragen kommt. Fällt zunächst auf, das Guitarrero Stephen Carpenter wieder ordentlich an Schubkraft gewonnen hat, so ist doch schnell klar, dass die DEFTONES viel zu reif geworden sind, um sich der Trendwelle der Breakdowns und Moshstückchen anzuschließen. Mit seiner gefassten, beinahe schon paralytischen Stimmung wirkt "Saturday Night Wrist" wie der stille Protest weitab vom Rest der Welt - als hätten die DEFTONES nicht mitbekommen, in welcher Sackgasse sich die Metalwelt letztens festgefahren hat. Und gerade deshalb geht mir das Herz auf, wenn Chino herzzerreißend auf 'Beware' hinweggleitet oder vollkommen verstört die vertrakte Songstruktur von 'Rats! Rats! Rats!' begleitet. DEFTONES-typisch ist die Platte vollgestopft mit Effekten und atmosphäre-kreierenden Synthies, meist subtil, manchmal seltsam, doch nie störend oder unpassend. Das Händchen für ergreifende Melodien und tragende Dramatik hat also wieder vollends zugepackt.
Vielen DEFTONES-Anhängern, denen die Entwicklung der letzten zwei Scheiben schon nicht gefiel, wird auch "Saturday Night Wrist" nicht schmecken. Dabei ist die Platte old-schooliger als man vermuten mag. 'Rapture' und 'Rats! Rats! Rats!' sind ungewohnt ungeschliffen und brutal, und mindestens genauso abartig gut wie es damals ein 'Nosebleed' war. Und der Interlude-artige Track 'Pink Cellphone', der textlich getränkt ist von Sarkasmus und skuriler Weltsicht, wirkt wie eine Hommage an die eigene Vergangenheit. An Gästen mangelt es ebenfalls nicht. 'Pink Cellphone' wird dominiert von Annie Hardys verruchter Stimme, die jeder Sex-Hotline gut tun würde, und auf 'Mein' wird Chino von SYSTEM OF A DOWN-Fronter Serj Tankian unterstützt (auch wenn der hier eher im Hintergrund bleibt). Die Stilmischung ist somit trotz des allgemein eher verhaltenen Grundtons gut gelungen, was für ordentlich Langzeithörspaß sorgen wird. Dagegen stellt sich jedoch konsequenterweise die zumindest vom Gefühl her recht kurze Spielzeit, die zwar über 50 Minuten beträgt, aber vergeht wie im Flug. Kurzweil ist hier also im Kaufpreis mit inbegriffen, was einem Lauf auf Repeat nur zugute kommt.
Textlich sind die DEFTONES kryptisch wie eh und je, und kaum jemand wird den tieferen Sinn der einzelnen Tracks sofort erkennen. Alleine Songtitel wie 'U, U, D, D, L, R, L, R, A, B, Select, Start' lassen den Hörer zunächst im Dunklen tappen. Wer etwas recherchiert, stellt schließlich fest, das hier dem berühmten Konami-Cheat-Code Rechnung getragen wird, der dem Spieler in unzähligen Videospielen Extraleben und andere Boni verlieh. Der Track selber entpuppt sich als stimmiges Instrumentalstück. Ansonsten wird man zwischen den Zeilen herauslesen können, dass die Entstehung dieses Albums für die DEFTONES eine echte Zerreißprobe war. Eigenen Aussagen nach stand man mehrfach davor alles hinzuschmeißen, nicht zuletzt weil Chino die nötige Arbeitsmoral zunächst missen ließ. Die Spannungen innerhalb der Band spiegeln sich in Zeilen wie "I hate all of my friends" oder "Decide! Whose side are you on?" deutlich wieder.
Ich bin schwerwiegendst begeistert von dem, was die DEFTONES 2006 abgeliefert haben. Vor dem Hintergrund, dass ich nicht mal so wirklich realisiert hatte, dass ein neuer Output der Jungs aus Sacramento ins Haus steht, wirkt "Saturday Night Wrist" am Ende dieses eher von Enttäuschungen als von Hits geprägtem Jahr 2006 wie ein Befreiungsschlag, und zeitgleich meldet sich eine meiner Lieblingsbands der frühen Tage kraftvoll und bedacht wieder zurück. Ein wirklich, wirklich starkes Stück Musik, und ein klares Statement einer Band, die nach wie vor ihr eigenes Süppchen kocht und kochen wird!
Anspieltipps: Combat, Rivière, Beware
- Redakteur:
- Dennis Hirth