DIE! - Still
Mehr über Die!
- Genre:
- Neue Deutsche Härte/Elektro-Rock
- ∅-Note:
- 5.00
- Label:
- Echozone/Sony Music
- Release:
- 23.10.2009
- Schöner Schein
- Daumenlutscher
- Lüg mich an
- Herzlos
- Durchden Wind
- Prügelknabe
- Dam dam
- Jeder mit jedem
- Tiefer Schmerz
- Still
- Teufelswerk
- Kadavergehorsam
- Alles in einem Topf
- Mein letzter Wille
[DIE!] manövrierte sich und mich beim Spielen mehrerer Partien "Still" Zug um Zug ins Patt.
Sie haben sich eingemauert zwischen dem dunklen Turm RAMMSTEIN und dem Industrial-König Al von MINISTRY von der anderen Seite, sowie auf der eigenen dem einen Bauer, der da scheinbar tumb, tatsächlich aber wohl zumindest bauernschlau herumsteht, auf der anderen Seite wieder blockiert von seinem Kollege WITT von direkt gegenüber, und sonst ohne weitere erkennbare Funktion.
Jetzt warten sie darauf, dass ganz weit ab vom Schuss der lauernde Gegner ihre Dame kassiert. Und dann können sie sagen, sie hätten immerhin nicht verloren, und dass das ja eine ziemlich übertriebene Aktion gewesen sei mit dem Schlagen der Dame, und so etwas tue man ja auch eigentlich nicht - wehrlose Damen schlagen.
Die Dame, das ist hier die Technik, und die kann in alle Richtungen ziehen, wenn sie nur will: Komposition (schräg), Gefühl (geradeaus), bis sie auf eigenen Widerstand (mangelnde Fähigkeit, weiterzugehen) stößt oder auf fremden (Treffer landen!). Sie kann sich, wenn sie will, sogar ganz weit fortbewegen (ganz weit nach draußen, und weiter fort, sozusagen progressiv). All das könnte sie tun. Tut sie aber nicht. Sie denkt überhaupt nicht mal dran. Und das, obwohl ihr in der Struktur dieser Partie namens "Still" ganz offensichtlich, so weit die regelkonforme Sicht des selbst gewählten Spielfeldes reicht, kein eigener Stein im Wege steht. Sie tut nur diesen einen kleinen Schritt, denn ein Schritt muss schließlich getan werden, hier jedoch ohne erkennbaren Sinn. Aber das heißt ja nicht, dass es keinen verborgenen geben könnte.
Das Kalkül, so scheint es mir, ist einfach: Die Dame Technik bietet sich, ohne bislang auch nur einen Kratzer eingesteckt zu haben, bereitwillig als Opfer an, um das Spiel nicht verloren geben zu müssen, das wirklich zu gewinnen zu versuchen der Mut fehlt. Doch noch steht sie stolz und erhaben da.
Stellt sich die Frage: Wird der Gegner darauf reinfallen? Tja, wie auch immer er sich entscheiden mag: Schieben gilt nicht. Jetzt steht er unter Zugzwang, der Kritiker.
Matt zu setzen ist [DIE!] bei dieser Partie nicht wirklich, jedenfalls nicht, indem man die Technik angreift. Effektive Stumpfriffs, schön aufpoliert, immer kontrolliert an der Leine geführt, so dass man meint, da wäre noch mehr drin. Aber mehr kommt nicht. Die Abrissbirne pendelt vor dem Gegner, schlägt nie so wirklich fest zu, aber Kritik daran verbietet sich von selbst, denn auf "Still" klingt genau das gewollt. Sprich der Band das ab, Kritiker, und du nimmst ihr damit bereits im Vorfeld jede faire Chance, im weiteren Spielverlauf noch überzeugen zu können. Aber griffig zu packen, oder gar in die Enge getrieben, kriegst du den Stil damit nicht. Doch genau das erwartet das Publikum.
Der Vorwurf, es hier mit einer altbekannten RAMMSTEIN-Kopie nach Lehrbuch zu tun zu haben, zieht nicht wirklich, obwohl genau das nach den ersten paar Zügen ins Ohr sich anzukündigen schien. Im weiteren Spielverlauf zeigt sich: Es ist auch nicht ein Zug wie der andere, auch wenn deren sämtliche Wagen stets westwärts rollen, immerzu in die gleiche Richtung. Es ist Druck im Kessel, die Pläuelstangen blitzen an den meisten Stellen vorbildlich blankpoliert, und doch ist das Verhältnis von Schmiere und Abrieb daran ausgewogen genug, um nicht von einer ungenutzten Museumslokomotive sprechen zu können. Einzig, sie zieht bei mir nicht.
Der in der nach klassischem Muster unspektakulär gebauten, doch fabrikneu glänzenden Lokomotive sitzende Lokführer (die Stimme von Ex-MEGAHERZler Mathias "Jablonski" Elsholz) freilich gibt sich derbe markant, auch wenn einem das Antlitz dieser Intonationen doch ständig von irgendwoher bekannt vorkommt (und man sich immer wieder ertappt an RAMMSTEIN oder WITT zu denken), aber diese Ähnlichkeit könnte rein (stil-)verwandschaftlich sein, wegen ein paar solcher Züge schon von Klonen zu sprechen wäre verwegen.
Man könnte meinen, der Lokführer brabbele dummes Zeug, der leicht schief grinsende Mann im Blaumann, aber vielleicht versteht man auch nur nicht die Ironie, das bewusste Spiel mit dem Klischee. Dann wieder blickt er ernst und scheinbar drohend drein, oder ist das bloß das dunkle Zeug im Gesicht, und ist das wiederum nun Kohlestaub oder Theaterschminke, und ist der Blick darunter jetzt grimmig oder nur konzentriert? Dichtet er oder ist er dicht? Da lehnt man sich besser nicht zu weit aus dem Fenster, denn jederzeit kann nicht nur der Ausdruck seiner Stimme sondern auch das Vexierbild seiner Metaphern kippen. Vielleicht war das gerade eben aber auch gar keine Metapher, vielleicht klang es für ihn nur gut, passte zum Rhythmus, zu dem er mit breiter Pranke eine neue Schippe Kohle in den Kessel schob.
Und während der Kritikaster noch am Bahnsteig steht und überlegt, ob das hier nun Schach oder Schienenverlegen ins Nirgendwo ist, ist die Zeit bereits abgelaufen und der Zug vorüber ohne jemals wirklich abgefahren zu sein.
Wie erklärt man nun dem Spielleiter respektive Bahnhofsvorsteher, was das Problem beim Protokollieren war? Und wieso sich diese ganze seltsame Chose als alles andere als ein Traum erwies?
Da bleibt nur ein Geständnis, nämlich dass das Problem ein rein Subjektives ist: Das Spiel ist dem einen Beteiligten schlichtweg langweilig geworden, nicht etwa weil die einzelnen Züge vorhersehbar gewesen wären oder zu wenig PS am Start gehabt hätten, sondern weil, trotz tendentiell zielführender Planung (ob nun wirklich per Strategie oder bloß nach Fahrplan, muss offen bleiben), trotz Orientierung an der grundsätzlich angestrebten Zielrichtung (irgendwo in's Industrielle) und trotz kontinuierlich wechselnder Perspektiven, eines beim Protokollführer unterdessen nicht aufkommen wollte: Das Gefühl, dass die Entwicklung, die die Dinge hier nahmen, a) in einem übergeordneten Sinne wirklich relevant war, und b) mit ihm persönlich irgendetwas zu tun hatte. Statt dessen wurde er vom Mitgenommenen zum unbeteiligten Beobachter - und das kommt bekanntlich weder beim Sport noch beim Reisen gut...
Also zog er einfach irgendwie weiter, ohne großes Interesse, und versuchte die Sache immerhin so halbwegs ordentlich zuende zu bringen, wie er das gemessen am Stil seines Gegenübers und seinen eigenen Empfindungen dazu für angemessen hielt. Und wie die Partie nun ausgegangen ist, das mögen andere beurteilen. Beurteilt werden kann von seiner Warte aus nur: Die Maschine [DIE!] läuft ohne Aussetzer stoisch vor sich hin, ob man ihr dabei nun viel oder wenig Beachtung schenkt, ändert nichts an der Art und Weise, wie hier Arbeit verrichtet wird, die ihm emotional einfach nichts gibt. Das Dampfross fährt auch ohne ihn weiter nach Westen, das Signal [DIE!] verraucht fortan ungehört in der Ferne des eigenen Horizonts, und was zurückbleibt ist "Still".
Anstelle einer Übung zum Nachspielen:
Die Bauern im Schach unterscheiden sich voneinander lediglich durch ihre jeweilige Position im Spiel, oder aber durch den taktischen/strategischen Wert einer Figur, deren Form sie möglicherweise annehmen können, wenn sie die Grundlinie ihres Gegenübers erreichen. Letzteres trat hier nicht ein. Oder um noch mal die industrielle Sprache zu bemühen: Jede Einheit erfüllt ihr Arbeitspensum sauber und zuverlässig. Nur die Energiebilanz, die Ausbeute verwertbarer Leistung ist zu gering.
- Note:
- 5.00
- Redakteur:
- Eike Schmitz