DILLINGER ESCAPE PLAN, THE - Option Paralysis
Auch im Soundcheck: Soundcheck 03/2010
Mehr über Dillinger Escape Plan, The
- Genre:
- Mathcore
- ∅-Note:
- 8.50
- Label:
- Season Of Mist/Soulfood
- Release:
- 26.03.2010
- Farewell, Mona Lisa
- Good Neighbor
- Gold Teeth On A Bum
- Crystal Morning
- Endless Endings
- Widower
- Room Full Of Eyes
- Chinese Whispers
- I Wouldn't If You Didn't
- Parasitic Twins
Die Gesellschaft im Wachkoma. Option: DILLINGER.
Irgendwann werden die Entwicklungsschritte jeder ausschließlich nach vorn schauenden Band kleiner. Man strahlt Selbstbewusstsein aus und blickt mit Stolz auf die erarbeitete Identität, die zwangsläufig mit dem natürlichen Veränderungsdrang konkurriert. Die große Aufgabe, mit deren Lösung sich auch THE DILLINGER ESCAPE PLAN befassen müssen, besteht darin, einen Ist-Zustand zu kultivieren, der für sie selbst und damit für das Publikum interessant ist und für andere immer noch als Signal der Tonangeber gewertet wird. Loblieder über ihre Rolle als Innovatoren und Vordenker kennen die New-Jersey-Paniker gut, genauso wie Ablehnung auf Lebenszeit. Ersteres muss schwerer auf dem Gemüt lasten, weil alle zwei Minuten von irgendwem irgendwo Musikrevolutionäres gehört wird, und die krankhafte Geilheit auf Sensationsbeschreibungen ebbt nicht ab. Dann doch lieber über diejenigen schmunzeln, die mit Beklemmung zu kämpfen haben, wenn sie die aufgekratzte Noteneile erwischt. Elitär zu sein, macht ja auch Spaß.
Die Aura der Gefährlichkeit, die das im Vergleich zu "Ire Works" kaputtere "Option Paralysis" umgibt, hat die Rockszene vor langer Zeit schulterzuckend an die Rapper abgetreten. Gegen 50 Cent, der mit Knarren posiert oder in seinen Product-Placement-Videos zwanzig Frauen durchzieht, wirkt AIRBOURNE-Schützengrabengestammel wie "It ain't over till it's over" oder "No guts, no glory" äußerst schwiegermuttertauglich und niedlich. DILLINGER sind nicht niedlich. Wahrscheinlich nicht einmal, wenn sie schlafen. In der REM-Phase zuckt Ben Weinman die flirrenden Bienenschwarmgitarrenläufe und das zugebreakte Schlagzeugspiel, die zu den Musikeinordnungsversuchen "Mathcore" oder "Chaoscore" geführt haben, schon einmal durch. Am nächsten Tag im Proberaum infiziert er seine Kollegen mit 'Good Neighbor', 'I Wouldn't If You Didn't' und 'Crystal Morning'. Ein Gegenmittel wurde immer noch nicht entwickelt. Wer dann bei der Umsetzung zusammenklappt oder kognitive Störungen bekommt, muss in vollkommener Dunkelheit über einem Song wie 'Widower' brüten. Bis die Lektion in Dynamik gehalten werden kann und der FAITH NO MORE-Refrain sitzt.
Alles, was DILLINGER mit ihrem aktuellen Album kritisieren, vertonen sie schon von Anfang an: unablässiges Informationsbombardement, Reizüberflutung. Und seit der 1997er EP hat sich nichts zum Guten gewendet. Wo bleibt da eigentlich noch Platz für die Kunst? Die ist größtenteils am Arsch. Wissen wir. 'Farewell, Mona Lisa', war schön mit dir. Einerseits stellt sich die Situation zwar weniger schlimm dar, als es das psychotische 'Room Full Of Eyes' suggeriert, andererseits aber auch nicht viel angenehmer. Deswegen muss das Quintett noch lange dranbleiben und auf der Bühne alle vorstellbaren Knochenbrüche in Kauf nehmen. Doch nicht den Moment verpassen, in dem man akzeptieren muss, dass das Thema durch ist und der nächste Schritt nur zur Selbstparodie führt. Das ist schon so oft passiert.
Anspieltipps: Widower; Farewell, Mona Lisa; Good Neighbor; Room Full Of Eyes
- Note:
- 8.50
- Redakteur:
- Oliver Schneider