DIO - Holy Diver
Mehr über Dio
- Genre:
- Heavy Rock
- ∅-Note:
- 10.00
- Label:
- Mercury Records
- Release:
- 10.06.1983
- Stand Up And Shout
- Holy Diver
- Gypsy
- Caught In The Middle
- Don´t Talk To Strangers
- Straight Throught The Heart
- Invisible
- Rainbow In The Dark
- Shame On The Night
Geschichtsstunde eines Zeitzeugen.
Vor etwas mehr als 30 Jahren erscheint ein Album, welches bis heute zu den Juwelen der Hard-Rock-Historie zu zählen ist. Die Rede ist vom Debüt der All-Star-Band DIO. Der Titel des Albums: "Holy Diver", der heilige Taucher. Auf dem Cover wunderbar in Szene gesetzt, aber dazu später etwas mehr. Zuerst möchte ich ein paar Worte zur Band an sich verlieren, denn das Quartett besteht ausschließlich aus Musikern, bei deren namentlicher Erwähnung einem das Wasser in den Ohren zusammen läuft. Wie es der Bandname schon vermuten lässt, ist der Hauptinitiator kein Geringerer als Ronnie James Dio, der Sänger, der zuvor mit RAINBOW und BLACK SABBATH bereits Hard-Rock-Geschichte geschrieben hat. Der kleine Mann mit der riesengroßen Stimme hatte sich während der Aufnahmen des "Live Evil"-Albums mit Gitarrist Toni Iommi zerstritten, woraufhin die beiden Parteien getrennte Wege gehen. Ronnie nimmt seinen Kumpel Vinny Appice als Drummer gleich mit in seine neue Band. Ein Bassist ist schnell gefunden: Jimmy Bain, mit dem Dio schon zu RAINBOW-Tagen gemeinsame Sache gemacht hat, komplettiert die Rhythmussektion. Bain ist Gründer der britischen Band WILD HORSES, in der er mit dem Gitarristen Brian Robertson (THIN LIZZY, MOTÖRHEAD) erste Gehversuche im Musikbusiness macht. Später ist er als gefragter Session-Musiker mit so renommierten Künstlern wie Kate Bush oder Roger Chapman unterwegs. Das Trio beginnt eigene Songs zu schreiben und parallel nach einem geeigneten Gitarristen zu suchen. Für einen kurzen Moment scheint ein gewisser Jake 'E' Lee diese Position einzunehmen, bis ein noch gewisserer Ozzy Osbourne diesen als Nachfolger für seinen verstorbenen Klampfer Randy Rhoads abwirbt. Das eh schon nicht sonderlich gute Verhältnis zwischen den Herren Osbourne und Dio wird sich dadurch nicht zwingend verbessert haben. Aber ich will hier keinen Klatsch und Tratsch verbreiten. Nach einiger Zeit findet man den nordirischen Musker Vivian Campbell, der bis dahin lediglich im tiefsten Untergrund mit seiner Band SWEET SAVAGE ein paar Singles veröffentlicht hat. Gemeinsam arbeitet das Quartett an dem Material für "Holy Diver" weiter, welches am 25.Mai 1983 das Licht der Öffentlichkeit erblickt.
Darauf enthalten sind neun Songs, von denen einer besser zu sein scheint als der nächste. Ich hatte gerade angefangen meine Fühler tiefer in die Materie "Heavy Metal" auszufahren und war natürlich bereits über die wohl beste Stimme dieser Musikart gestolpert als es hieß, genau dieser Sänger würde mit einer neuen Band durchstarten wollen. Und als dann die Vorabsingle 'Rainbow In The Dark' das erste Mal auf dem britischen Sender BFBS gespielt wurde, hat meine mitgeschnittene Mono-Aufnahme nach wenigen Wochen ein paar Knoten bekommen. So oft lief dieser Song bei mir. Eine Nummer, die sehr schön das musikalische Spektrum der Band widerspiegelt. Ein wuchtiger Rhythmusteppich unterlegt eine von schweren Keyboards getragene Melodie. Dazu hören wir einen Gitarristen, der wie entfesselt zu sein scheint. Ohne dabei in die neoklassische Tonleiterrauf-Tonleiterrunter-Manie zu verfallen, überzeugt der junge Campbell schon in dieser Nummer mit einem ungeheuren Einfühlungsvermögen. Aber auch textlich bietet dieser Song einiges. Ist schon im Titel das Lieblingswort des Meisters zu lesen, so gibt es etliche Auslegungen über die wahre Bedeutung des Textes. Dies zeigt nur, wie bildreich und farbenfroh Ronnie James Dio schreibt. Offenkundig geht es um Geschehnisse, die es eigentlich nicht geben dürfte/sollte. Ein Bruch mit Konventionen, eine Thematik, die wir gern in seinen heroischen Liedtexten wieder finden. Eine kleine Anekdote am Rande: Es gibt sogar das Gerücht, Dio hätte den Text über seinen Freund Rob Halford (JUDAS PRIEST) und dessen Outing geschrieben. Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass er mit seiner ehemaligen Band RAINBOW und dessen Querdenker Richie Blackmore abrechnet. Äh, Klatschingtime again.
Denkt man nun, mit der Single hätte man bereits die Sahnehaube des Albums zu hören bekommen, wird man beim Auflegen des Album sofort eines Besseren belehrt. Die etwas über drei Minuten lange Eröffnungsnummer 'Stand Up And Shout' überrascht mit ungewöhnlichem Tempo und einem Chorus, bei dem jeder unwillkürlich die Faust gen Himmel reckt. Speed Metal war ja noch in den Kinderschuhen – METALLICAS' Debüt erscheint im gleichen Jahr etwas später – und so tritt das Quartett hier eher das Erbe solcher Klassiker wie 'Kill The King' an, einer alten Nummer aus RAINBOW-Tagen, die für die späten Siebziger schon erstaunlich flott unterwegs war. 'Stand Up And Shout' war bis zuletzt in der Setlist von DIO-Konzerten und wird immer noch sehr gern als Cover von Newcomern benutzt. Ein furioser Auftakt nach Maß. Außerdem wird das Eröffnen mit einer derart schnellen Nummer beinahe zum Markenzeichen für DIO. 'Stand Up And Shout' bleibt die einzige Speed-Metal-Nummer auf dem Album, was aber überhaupt nicht schlimm ist. Die Band setzt halt auf Abwechslung und Atmosphäre. So hätten wir mit 'Caught In The Middle' einen flotten Rocker, der wunderbar durch die Hüfte geht, mit 'Gypsy' einen leicht beschwörend klingenden Stampfer, dessen Chorus unweigerlich irgendwo haften bleibt. Vorzugsweisel tief im Musikhirn des Zuhörers. Die Zigeunerin, von der dort die Rede ist, hat offenbar magische Kräfte, die sich schon beim bloßen Anhören entfalten. Wenn ich jetzt das Adjektiv "melodisch" verwende, dann darf man dies jetzt nicht mit dem plüschigen Radiorock von FOREIGNER, BON JOVI oder JOURNEY verwechseln. Obwohl das alles Bands sind, die ich sehr schätze, sind die Klangwelten von DIO anders: Sie sind immer schwer, beinahe bombastisch, ohne von einem Orchester unterlegt zu sein. Das zeichnet eben die wahren Meister aus. Sie können auch mit einem Minimum an Instrumentarium eine derartige Tiefe erzeugen. Eine Dynamik, die fesselt und mitreißt. Ähnlich der klassischen Musik, die Dio ja liebte, ist selbst eine kurze Nummer dieser Band immer mit dem Begriff "episch" zu beschreiben.
Besonders gut zum Ausdruck kommt diese Tiefe und Schwere in den schleppenden Kompositionen. Als Beispiele seien hier das balladesk anschleichende 'Invisible', sowie der hackende Abschlussdoomer 'Shame On The Night' genannt. Vor allem die letzte Nummer hat sich über die Jahrzehnte hinweg zu einem heimlichen Übersong gemausert. Es mag an seiner beinahe ungünstigen Position auf dem Album liegen, aber damals fanden wir die Nummer alle nur recht gut. Vielleicht waren wir auch alle noch nicht bereit für richtigen Doom. Gut, BLACK SABBATH mochte man, aber ansonsten waren wir ja alle eher auf der "schneller, härter, rumpeliger"-Schiene unterwegs. CANDLEMASS und anderes Gemüsesuppen im Rückwärtsgang gab es 1983 noch nicht und so kam es, dass 'Shame On the The Night' völlig unterschätzt blieb. Bis plötzlich überall diese verschlürften Valium-Metaller aus ihren Baumhöhlen gekrabbelt kamen und behaupteten, sie hätten mit Doom eine neue Spielart entdeckt. Quark mit Bröckchen, denn erfunden hat diese Spielart, wie wir alle wissen, eine Formation namens BLACK SABBATH. Anno 1970. Ohne es selbst zu wissen. Und da Ronnie deren Sänger zu Beginn der 80er war, schließt sich hier ein Kreis.
Es verbleiben zwei Nummern, die ich bewusst bis zum Finale aufgespart habe: Da hätten wir zum Einen den Titelsong, der den Zuhörern schon mit seinem über 90 Sekunden andauernden Windheulen zu Beginn in ein Kurzzeitkoma versetzt. Der Spannungsbogen könnte kaum strammer gespannt werden, denn jeder ahnt, dass in den darauf folgenden vier Minuten ein monumentales Musikfeuerwerk zelebriert werden wird. Und diese Anspannung wird mit dem definitiven Wissen um die Klasse dieses Klassikers noch stärker. Eine epische, im Tempo eher stampfende Hymne, die jeder, der Stromgitarrenmusik nicht erst seit gestern hört, im Schlaf aufsagen kann. Textlich geht es um das Covermotiv. Um den Kampf zwischen Gut und Böse und die These, dass das Böse ja vielleicht sogar das Gute sein kann. Es sind viele Anspielungen in den Worten, so dass eine definitive Analyse sicherlich einen eigenen Bericht rechtfertigen würde. Belassen wir es dabei festzustellen, dass man diesen Song, zu dem es sogar ein Video gibt, einmal im Leben gehört haben sollte. Die letzte Nummer, zu der ich etwas schreibe, beschließt die erste Seite des Vinyls und hört auf den Titel 'Don't Talk To Starngers'. Diese sich langsam steigernde Komposition ist wohl DIE Hymne des Albums. Ein 12-Von-10 Punkte-Song, der mir auch 30 Jahre nach seiner öhrlichen Entjungferung noch Gänsehäute beschert. Dio singt hier mit besonders viel Gefühl und der Übergang vom akustischen zum verzerrten Part lässt mich unweigerlich die Luftgitarre zücken. Ganz egal, wo ich mich befinde. Ganz egal, wie peinlich das sein könnte. Sei es in der S-Bahn, sei es beim Essen (ja, das gab schon Gemecker), sei es im Auto, es ist völlig gleich. Das ist einer von vielleicht 25 Songs, bei denen ich alles um mich herum vergesse. Immer und immer wieder.
Wir alle wissen, dass Ronnie James Dio, bürgerlich Ronald James Padovano, am 16.05.2010 im Alter von 68 Jahren an einem Krebsleiden verstarb. Kaum einem anderen Musiker aus der Heavy-Metal-Szene wurde so viel Ehre, Mitgefühl und Anerkennung im Nachhinein ausgesprochen, wie Dio. Dieser Mann war ein Gentleman durch und durch. Ein wahrer Künstler, der bis zum Schluss alles für die Musik und für seine Fans gegeben hat. Gesegnet mit einer unvergleichbaren Stimme, deren Klang bis heute niemand "ersetzen" konnte. Ich habe ihn das letzte Mal im Jahr 2006 als Headliner auf einem Festival erleben dürfen und bin bis heute überwältigt von den Gesangsqualitäten, dem Charisma und dem Durchhaltevermögen dieses älteren Herrn. Das war beinahe noch besser als bei meinem ersten Konzerterlebnis mit ihm anno 1984, wo DIO von der damals noch ziemlich unbekannten Band QUEENSRYCHE supportet wurde. Momente, die man niemals vergessen wird.
- Note:
- 10.00
- Redakteur:
- Holger Andrae